Visualität als Nachrichtenfaktor - Welche Rolle spielt das Bild als Nachrichtenfaktor in den heutigen Fernsehnachrichten?
Zusammenfassung
Leseprobe
Inhaltsverzeichnis:
1. Exposè
2. Nachrichtenfaktoren - von den Anfängen bis heute
2.1 Von Lippmann über Östgaard bis Galtung/Ruge
2.2 Entwicklungen von 1965 - heute
3. Die „Gatekeeper“-Forschung
4. Visualität als Nachrichtenfaktor
4.1 Einleitung
4.2 Konstruktion von Visualität als Nachrichtenfaktor
4.3 Gesammelte Forschungsergebnisse nach Maier et. al. 2003
4.3.1 Datenanalyse
4.3.2 Leitfadeninterviews
4.3.3 Fragebögen
4.4 Die Bedeutung von Visualität
5. Fazit
6. Literatur
7. Anhang
7.1 Tab. 2.1 Entwicklung der Nachrichtenfaktoren
1. Exposè
Nachrichten im Fernsehen werden immer wichtiger. Sie informieren die Menschen, geben ihnen Orientierung und eine Art eigenen Blickwinkel Ereignisse auf der ganzen Welt zu betrachten. Aber wer oder was entscheidet eigentlich, wann eine Nachricht zur Nachricht wird bzw. ob sie letztendlich ausgestrahlt wird oder nicht? Seit den 20er Jahren befassen sich Forscher nun schon mit dieser Frage und entwickeln immer wieder neue Theorien, die immer komplexer werden. Immer mehr Faktoren kommen hinzu, immer detaillierter werden diese aufgeschlüsselt und beschrieben. Ein Faktor allerdings, welcher meiner Meinung nach eine sehr entscheidende Rolle im heutigen Medienzeitalter spielt, wurde bis vor einigen Jahren völlig vergessen - das Bild. Erst 2003 taucht das Bild erstmals konstant als Nachrichtenfaktor in „Der Wert von Nachrichten im deutschen Fernsehen“ von Georg Ruhrmann, Jens Woelke, Michael Maier und Nicole Diehlmann auf. Diese Studie, welche sich mit dem Wandel von Fernsehnachrichten, deren Selektion und Publikation befasst, wird somit das zentrale Werk für meine Hausarbeit sein. Grundannahme hier ist „dass in den letzten 15 Jahren aufgrund ökonomischer und technischer Entwicklung - Stichworte sind hier Kommerzialisierung und Digitalisierung - eine Reihe von Veränderungen bei Fernsehnachrichten zu beobachten sind“(Maier et al. 2003, 13). Die Annahme, dass in immer kürzerer Zeit, von immer weniger Journalisten, immer mehr Nachrichtenplätze gefüllt werden müssen, wird auch in anderen Studien, wie z.B. „Die Souffleure der Mediengesellschaft“(Weischenberg 2006) belegt. Auch der aktuelle Trend hin zum Infotainment, wie er in Werken wie „Infotainment: Fernsehnachrichten zwischen Information und Unterhaltung“(Wittwen 1995) oder „Infotainment: zwischen Bildungsanspruch und Publikumserwartung; wie unterhaltsam darf Information sein?“(Kl ö ppel 2008) beschrieben wird, nimmt meiner Ansicht nach starken Einfluss auf das Bild als Nachrichtenfaktor. Die Zuschauer wollen unterhalten werden und nicht mehr nur Informationen geliefert bekommen. Diese regelrechte Präsentation von Informationen und die zunehmende Wichtigkeit von Visualität in den Fernsehnachrichten, werde ich im Laufe meiner Hausarbeit versuchen zu vertiefen.
In einem ersten einleitenden Teil, werde ich zunächst die wichtigsten Aspekte der Forschung im Bezug auf Nachrichtenfaktoren aufzeigen und danach kurz den aktuellen Forschungsstand skizzieren. Anschließend werde ich auf verwandte Modelle der Nachrichtenwerttheorie eingehen und mich speziell mit der „Gatekeeper“-Forschung beschäftigen, welche die Nachrichtenauswahl direkt beeinflusst und somit ein wesentlicher Faktor für die Visualität als Nachrichtenfaktor ist.
An dieser Stelle wollte ich eigentlich eine kleine empirische Forschung einbringen, in der ich jeweils 3 Nachrichtensendungen von ARD („heute“) und RTL („RTL aktuell“) analysieren und gegenüberstellen wollte. Da Maier et al. allerdings sehr umfassende Studien mit Datenanalysen, Journalistenbefragungen und Leitfadeninterviews durchgeführt haben und der Umfang des Materials sehr ergiebig ist, macht es meiner Ansicht nach keinen Sinn eine vom Umfang her so kleine empirische Forschung entgegen zu stellen. Allerdings würde ich mich freuen, wenn dies in einer evtl. nachfolgenden Arbeit möglich wäre, in der ich eine umfassende empirische Forschung durchführen könnte.
Im Anschluss werde ich konkret auf Visualität als Nachrichtenfaktor eingehen und anhand der dargestellten Forschungsergebnisse von Maier et al. aufzeigen, welche Rolle das Bild in den heutigen Fernsehnachrichten spielt. Meine Ergebnisse werde ich in einem kurzen Fazit festhalten und versuchen einen Ausblick und eine eigene Einschätzung für kommende Entwicklungen zu liefern. Meine Arbeit hat nicht den Anspruch neue Erkenntnisse im Bereich Visualität als Nachrichtenfaktor zu schaffen, viel mehr soll sie den aktuellen Forschungsstand abbilden und evtl. den Grundstein für eine nachfolgende empirische Forschung legen.
2. Nachrichtenfaktoren - von den Anfängen bis heute
Alleine der Basisdienst der Deutschen Presseagentur bedient die Redaktionen deutscher Medien mit knapp 750 Meldungen und Berichten pro Tag (vgl. Maier et al. 2003, 27). Bei dieser Fülle an Informationen scheint es klar, dass eine Selektion stattfinden muss. Nur wie selektieren die Journalisten am sinnvollsten? Gibt es so etwas überhaupt, ein sinnvolles selektieren von Ereignissen?
Anscheinend schon, denn schon seit 1922 versuchen Forscher wie Walter Lippmann Kriterien zu finden, nach denen dies möglich sein soll.
Im Folgenden tauchen die Begriffe Nachrichtenfaktoren und Nachrichtenwert auf. Vorab möchte ich festhalten, dass sich in der deutschsprachigen Forschung diese beiden Begriffe unterscheiden. Erst durch die spezifische Ausprägung von Nachrichtenfaktoren, erhält ein Ereignis einen Nachrichtenwert (vgl. Maier et al. 2003, 30).
2.1 Von Lippmann ü ber Ö stgaard bis Galtung/Ruge
Bereits 1922 befasst sich Walter Lippmann in seinem Buch „Public Opinion“ mit der Möglichkeit Informationen und deren Komplexität zu selektieren. Hierzu geht er davon aus, dass die Wirklichkeit zu komplex ist, um vom Menschen vollständig erfasst zu werden. Es bilden sich, so Lippmann, so genannte „Stereotypen“ heraus, welche die Komplexität vereinfachen und somit greifbar machen. Diese Annahme überträgt Lippmann auf die Nachrichten. Diese bilden nicht die Realität ab, sondern nur einen selektierten, stereotypisierten Ausschnitt der Realität (vgl. Lippmann 1922, 338 ff., zit. nach Maier et al. 2003, 28). Basierend auf dieser Annahme stellt Lippmann erstmals die Frage nach bestimmten Kriterien, die ein Ereignis zu einer Nachricht werden lassen. Lippmann kreiert den Begriff „news values“(Lippmann 1922, 348; zit. nach Maier et al. 2003, 29), welcher für ihn die Publikationswürdigkeit von Ereignissen als Resultat einer Kombination von Ereignisaspekten meint. Er schafft somit erstmals eine Art „Nachrichtenwert“. Lippmann nennt folgende Faktoren, die den Wert einer Nachricht ausmachen: Ungewöhnlichkeit, Bezug zu bereits eingeführten Themen, zeitliche Begrenzung, Einfachheit, Konsequenzen, Beteiligung einflussreicher oder bekannter Personen und Entfernung des Ereignisorts zum Verbreitungsgebiet des Mediums.
Da diese Faktoren allerdings nicht als standardisierte Auswahlkriterien vorliegen und es doch ein ähnliches „Nachrichtenbild“ zu dieser Zeit zu geben scheint, wird hier erstmals die Frage nach journalistischen Berufsregeln, Merkmalen der Berufsgruppe und dem Berufs- und Rollenverständnis der Journalisten aufgeworfen, mit denen sich die „Gatekeeper“ - (vgl. statt anderer White 1950; Gieber 1964; zit. nach Maier et al. 2003, 29) und die „News Bias“-Forschung (vgl. statt anderer Klein/Maccoby 1954; Rosengren 1979; zit. nach Maier et al. 2003, 29) beschäftigt.
Östgaard, vom Friedensforschungsinstitut Oslo, gilt als Begründer der Nachrichtenwerttheorie in Europa. Er fasste 1965 erstmals die Faktoren zusammen, die zur Nachrichtenauswahl dienten und versuchte sie zu benennen.
Neben den politischen, wirtschaftlichen und organisatorischen Bedingungen nennt Östgaard explizit die folgenden drei Nachrichtenfaktoren:
- Vereinfachung (simplification) - Die Medien wählen eher einfache Ereignisse aus als komplexe bzw. sie versuchen komplexe Ereignisse so zu vereinfachen, dass sie für das Zielpublikum leicht verständlich sind.
- Identification (identification) - Die Medien berichten eher über vertraute Ereignisse, da diese vom Publikum eher wahrgenommen werden. Verschiedene Faktoren wie räumliche -, zeitliche -, oder kulturelle Nähe, Elitepersonen und Personalisierung sind ausschlaggebend.
- Sensationalismus (sensationalism) - Die Medien berichten eher über Konflikte, gefährliche Situationen, Unfälle oder Katastrophen oder Elemente von Dramatik, Emotionen und Erregung. Diese Tendenz ist sehr stark in der Boulevardpresse zu beobachten.
Je mehr der oben genannten Aspekte ein Ereignis beinhaltet, umso größer ist die Chance, dass es publiziert wird. Diese Richtgröße bezeichnet Östgaard als „news barrier“. Außerdem nennt er die Ereignisdauer und die Anknüpfbarkeit an vorherige Berichterstattung als wichtige Publikationsfaktoren. Galtung/Ruge knüpfen direkt an die Erkenntnisse Östgaards an. Die beiden Sozialforscher, ebenfalls vom Friedensforschungsinstitut in Oslo, erarbeiteten 12 Faktoren zur Nachrichtenauswahl die bis heute das Grundgerüst für weitere Konkretisierungen oder Weiterentwicklungen in der Forschung bilden. Sie gingen davon aus, dass Nachrichtenfaktoren nicht nur die Auswahl von Nachrichten bestimmen, sondern als allgemein-menschliche Selektionskriterien zu verstehen sind. Demnach können die Nachrichtenfaktoren nicht nur auf die Auswahl einer Nachricht von Journalisten, sondern auch auf die Publikumsvorstellung von Wirklichkeit projiziert werden (vgl. Maier et al. 2003, 32). Basierend auf Mechanismen der Kognitionspsychologie der 1950er und 1960er Jahre, entstanden so folgende Nachrichtenfaktoren, die teilweise mehrere Teildimensionen enthalten:
- Frequenz - Je größer die Übereinstimmung von Ereignis- und Erscheinungsfrequenz, desto eher wird über das Ereignis berichtet.
- Aufmerksamkeitsschwelle - Ein Ereignis muss sich etablieren und die „news barrier" überwinden, bevor es in die Medien kommt.
- Eindeutigkeit - Je klarer und eindeutiger ein Ereignis ist, desto höher ist die Chance, dass es publiziert wird.
- Bedeutsamkeit - Ist der Rezipient von einem Ereignis selbst betroffen oder besteht eine kulturelle Nähe zum Ereignis, so wird es für ihn greifbarer und interessanter.
- Konsonanz - Das Ereignis sollte mit den Erwartungen des Rezipienten übereinstimmen und vorhersehbar sein.
- Überraschung - Ein Ereignis ist selten und ungewöhnlich. Es entspricht nicht den Erwartungen des Rezipienten.
- Kontinuität - Wurde bereits über das Thema berichtet, so ist die Wahrscheinlichkeit, dass es wieder publiziert wird sehr groß.
- Variation - Die Nachrichtenabfolge sollte vielseitig und von der Themenauswahl nicht immer gleich gestaltet werden.
Diese acht Faktoren werden von Galtung/Ruge als allgemeingültige Faktoren zur Auswahl von Nachrichten betrachtet. Zusätzlich fügen sie noch vier weitere hinzu, die sie allerdings aus europäischer Sicht nur für „nordwestliche“ Kulturen als gültig sehen (vgl. Maier et al. 2003, 33).
- Bezug zu Elitenationen - sind für das Weltgeschehen wichtige Länder betroffen?
- Bezug zu Elitepersonen - sind für das Weltgeschehen oder die Öffentlichkeit wichtige Personen betroffen?
- Personalisierung - ist ein Ereignis auf persönliches Handeln zurückzuführen, wird es eher zur Nachricht.
- Negativismus - negative Ereignisse werden grundsätzlich eher publiziert als positive, weil ihnen mehr Emotion, Dramatik und Sensation anhaftet.
Galtung/Ruge weisen darauf hin, dass ihre Liste von Nachrichtenfaktoren keinen Anspruch auf Vollständigkeit hat (1965, 71). Außerdem gehen sie davon aus, dass die Nachrichtenfaktoren nicht losgelöst voneinander, sondern im Zusammenhang betrachtet werden müssen. Sie gehen von folgenden Hypothesen aus, die die Veröffentlichung eines Ereignisses zur Nachricht beeinflussen:
- Selektions-Hypothese: Je mehr ein Ereignis den angeführten Kriterien entspricht, desto größer ist die Chance, dass es als Nachricht wahrgenommen wird.
- Verzerrungs-Hypothese: Wird ein Ereignis als Nachricht publiziert, werden die Aspekte hervorgehoben, die am stärksten den Nachrichtenfaktoren entsprechen.
- Replikations-Hypothese: Der Prozess der Selektion und Verzerrung findet auf allen Stufen der Übertragungskette vom Ereignis bis zum Zuschauer statt.
- Additivitätshypothese: Je mehr Nachrichtenfaktoren ein Ereignis enthält, desto größer die Wahrscheinlichkeit, dass es zur Nachricht wird.
- Komplementaritätshypothese: Das Fehlen eines Nachrichtenfaktors kann durch das verstärkte Auftreten eines anderen ausgeglichen werden.
- Exklusionshypothese: Treffen für ein Ereignis zu wenig oder gar keine Nachrichtenfaktoren zu, so wird nicht darüber berichtet.
2.2 Entwicklungen von 1965 - heute
Nachdem die Nachrichtenfaktoren von Galtung/Ruge (1965, 80 f.) festgelegt wurden blieb für die weitere Forschung die Frage offen, „welche Nachrichtenfaktoren den stärksten Einfluss haben und in welcher Kombination sie am stärksten wirken“(Maier et al. 2003, 39).
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