Erzählen Computerspiele eine Geschichte?
Eine Untersuchung zur Narrativität in Adventure Games
Zusammenfassung
In einem Hinterzimmer der Spelunke trifft er auf drei „schrecklich wichtige Piraten“. Sie stellen ihm drei Aufgaben, die man lösen muss, um Seeräuber werden zu können:
der „Bewerber“ muss sich in der Kunst des Fechtens (Beleidigungsfechten), des Diebstahls und der Schatzsuche hervortun. Im weiteren Gespräch erfährt Guybrush, das er dazu den Schwertmeister besiegen, den verlorenen Schatz der Insel finden, sowie ins Haus des
Gouverneurs Marley einbrechen muss. Da weitere Informationen aus den Grog trinkenden Piraten nicht rauszuholen ist, geht der junge Piratenanwärter in die Küche, aus der er geradewegs wieder hinausgeworfen wird. Er wartet eine Weile, bis der Koch außer Sichtweite ist und schleicht sich unbemerkt hinein. Guybrush entwendet einige Dinge (z.B. Fleisch) und verlässt die Kneipe durch die Hintertür…
Diese Nacherzählung der Anfangssequenz von Monkey Island (hier Teil 1: The Secret of Monkey Island, 1990 von LucasArts, damals Lukasfilm Games) zeigt zwar einen kurzen Abschnitt der Spielhandlung, jedoch dürfte jedem, der schon einmal ein Adventure Game gespielt hat, klar sein, dass sich der Verlauf des Spieles, je nach individuellen Spieler nach und nach unterschiedlich entfalten kann. Im Adventure Game wird der Spieler zum (Mit-)Gestalter der Geschichte.
Von Presse und Fernsehen als „trivial“ abgestempelt und oft nur im Zusammenhang mit jugendlicher Gewalt erwähnt, „spielen“ Computerspiele teilweise genauso viel Geld ein wie Filme. Allerdings melden sich von Seiten der Forschung vermehrt Stimmen, die Computerspiele als Kunstform verstanden wissen wollen:
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Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
Vorbemerkungen
Was sind Adventure Games?
Können Computerspiele eine Geschichte erzählen? Wenn ja, warum eignen sich insbesondere Adventure Games als Untersuchungsgegenstand?
Narrativität und Interaktivität- zwei unvereinbare Gegensätze?
Literarische/ historische Stoffe in Computerspielen: Mythische und märchenhafte Elemente
Welche Unterschiede gibt es zwischen Spielen zu Film und Literatur?
Schlussbemerkungen
Vorbemerkungen
Guybrush Threepwoods Wunsch ist es, ein echter Pirat zu werden. Auf einer Insel in der karibischen See gestrandet, macht er sich, nachdem er sich bei einem Späher erkundigt hat (siehe Titelbild) auf den Weg nach Melee, der Hauptstadt, wo er eine Hafenkneipe aufsucht. In einem Hinterzimmer der Spelunke trifft er auf drei „schrecklich wichtige Piraten“. Sie stellen ihm drei Aufgaben, die man lösen muss, um Seeräuber werden zu können: der „Bewerber“ muss sich in der Kunst des Fechtens (Beleidigungsfechten), des Diebstahls und der Schatzsuche hervortun. Im weiteren Gespräch erfährt Guybrush, das er dazu den Schwertmeister besiegen, den verlorenen Schatz der Insel finden, sowie ins Haus des Gouverneurs Marley einbrechen muss. Da weitere Informationen aus den Grog trinkenden Piraten nicht rauszuholen ist, geht der junge Piratenanwärter in die Küche, aus der er geradewegs wieder hinausgeworfen wird. Er wartet eine Weile, bis der Koch außer Sichtweite ist und schleicht sich unbemerkt hinein. Guybrush entwendet einige Dinge (z.B. Fleisch) und verlässt die Kneipe durch die Hintertür…
Diese Nacherzählung der Anfangssequenz von Monkey Island (hier Teil 1: The Secret of Monkey Island, 1990 von LucasArts, damals Lukasfilm Games) zeigt zwar einen kurzen Abschnitt der Spielhandlung, jedoch dürfte jedem, der schon einmal ein Adventure Game gespielt hat, klar sein, dass sich der Verlauf des Spieles, je nach individuellen Spieler nach und nach unterschiedlich entfalten kann. Im Adventure Game wird der Spieler zum (Mit-) Gestalter der Geschichte.
Von Presse und Fernsehen als „trivial“ abgestempelt und oft nur im Zusammenhang mit jugendlicher Gewalt erwähnt, „spielen“ Computerspiele teilweise genauso viel Geld ein wie Filme. Allerdings melden sich von Seiten der Forschung vermehrt Stimmen, die Computerspiele als Kunstform verstanden wissen wollen:
„Vertreter dieser Ansicht vergleichen die gesellschaftliche Stellung des Computerspiels mit der des Films in seiner frühen Phase. Auch beim Film habe es einige Jahrzehnte gedauert bis in ihm mehr als nur unbedeutende Unterhaltung gesehen wurde. So sei auch das Computerspiel eine noch verkannte Kunstform.“1
Der Film erreichte seinen Aufstieg zum geachteten Kunstwerk mit Hilfe der Literatur, vor allem über die Verfilmung von Romanstoff. Wurden zu Anfang eher einzelne Szenen gezeigt und später eher einfache Themen aus Groschenheften übernommen, wurden nun auch umfassendere Erzählstrategien dem Film einverleibt.2
Christine Hanke schlägt in ihrem Text „Next Level. Das Computerspiel als Medium“ vor, das „Computerspiel als neues und eigenständiges Medium zu begreifen.“2 Ein „neues, eigenständiges Medium“ besteht aber nicht autark im luftleeren Raum. „Hier wird einmal mehr deutlich, dass Medien nicht unabhängig voneinander existieren, sondern wechselseitig Einfluss aufeinander nehmen.“3
Im Folgenden soll nun die Narrativität des Genres „Adventure Game“ näher untersucht werden. Zunächst soll gezeigt werden, was unter Adventure Games zu verstehen ist und warum sie sich als Untersuchungsgegenstand im Gegensatz zu anderen Genres besonders gut für die hier dargestellte Fragestellung eignen. Kann man überhaupt sagen, dass Computerspiele Geschichten erzählen? Dies ist in der Forschung höchst umstritten und soll später noch angesprochen werden.4
Wie sind die beiden „Gegensätze“ Narrativität und Interaktivität zusammenzubringen?
Welche Elemente und Erzählstrategien sind mit Film bzw. Literatur vergleichbar? Im Hinblick auf die Länge der Arbeit ist dies zu beschränken und so werde ich meinen Fokus auf die Rolle mythisch-märchenhafter Elemente in Computerspielen legen. An welchen Stellen sind Unterschiede zwischen den drei Polen Literatur, Film und Computerspiel (wird hier mit Videospiel „gleichgesetzt“) auszumachen?
Was sind Adventure Games?
„Adventure games are about stories, exploring worlds and solving puzzles. (…) When you’re playing an adventure game, you never quite know what you’re going to get. Detectives, comedies, westerns, mysteries, horror, noir or ski-fi; there’s an adventure game for everyone.”5
Für das Genre existieren noch einige andere Begriffe: „graphic adventure“, „point- and- clickadventure“, oder wie bei Hartmann „interactive fiction“. (S.70) Obwohl Genreabgrenzungen natürlich grundsätzlich schwierig sind, da sich viele Elemente auch überlappen können, macht Marek Bronstring für das Genre, das im Folgenden weiterhin „Adventure Game“ genannt werden soll, drei Merkmale fest:
Narrativität: „In adventure games, the story line is essential.”6 Das Spiel folgt bestimmten Regeln, auch wenn ein Spiel sich von Spieler zu Spieler unterscheiden kann, ist ein bestimmter Rahmen vorgegeben.
Rätsel: Lösungen für kleine Rätsel zu finden sind ein weiteres typisches Element.
„Adventure games are at their core opposite action games, where the player in action games has to be fast. In adventure games the players must have patience and typically the game requires a great deal of thinking.”
Beispielsweise kann auch Schach als ein Rätsel angesehen werden. Dabei wäre es gleichgültig, ob von einem „Königshaus“ die Rede ist oder einfach von Figuren.8 Es soll nur kurz angemerkt werden, was später noch ausführlicher dargestellt werden soll: wichtig bei Adventure Games ist der Sinn der Handlung bzw. die Geschichte.
Erkundung des Spielraumes: Eingebunden in die Geschichte bzw. in das gestellte Rätsel erkundet Guybrush, der angehende Pirat, die Insel. Dabei trifft er immer wieder auf sog. „hot spots“ an welchen es etwas aufzuheben, zu erfragen oder zu bekämpfen gilt.
Die drei vorgestellten Eigenschaften bzw. Merkmale sind selbstverständlich eng miteinander verbunden.8
Können Computerspiele eine Geschichte erzählen? Wenn ja, warum eignen sich insbesondere Adventure Games als Untersuchungsgegenstand?
„Schöner lesen mit Lara Croft- Auch der Buchmarkt ist nicht vor Videospielehelden sicher: Lara sprang mit schussbereiten Pistolen aus der Kabine und hielt Ausschau nach irgendeinem Zeichen von Leben. (…) Sie schwenkte eine Hand herum, die Black Demon noch in der Faust, und erwischte ihn (den Fahrer Anm.) damit an der Schläfe…“9
Spielerromane werden laut dem Stuttgarter „Panini“- Verlag immer beliebter. Hier wird das Wechselspiel, das Film und hier vor allem auch Literatur auf Computerspiele bzw. auch andersherum hatten, besonders deutlich. Offenbar ist es möglich, aus einem Computerspiel eine Geschichte zu schreiben. Lara Croft, die zunächst „Ausflüge auf die Leinwand“ unternahm, um nun auch den Buchmarkt zu erobern, ist dabei kein Einzelfall. So werden u.a.
auch „World of Warcraft“ und „Halo“ in Buchform angeboten.10 In der Forschung ist jedoch umstritten, ob es Computerspielen möglich ist, eine Geschichte zu erzählen. Diese beiden konkurrierenden Meinungen sollen hier angesprochen werden:
Klaus Walter betrachtet in seiner Dissertation „Grenzen spielerischen Erzählens“ Spiel- und Erzählstrukturen als grundsätzlich inkompatibel: „Adventure Games sind paradox: Sie sind Spiel und Erzählung in einem! Doch wenn erzählt wird, kann nicht gespielt werden, und wenn gespielt wird, kann nicht erzählt werden. Spiel und Erzählung bilden insofern zwei inkompatible Größen, denen nichts gemeinsam ist: hier das freie, spielerische Handeln, das von Regeln geleitet ist, dort das fertige Produkt, das sich nicht mehr verändern läßt. Trotzdem erscheinen jedes Jahr mehrere Dutzend Adventure Games, die vorgeben, das Unmögliche zu leisten: die Verbindung von Spiel und Erzählung.“11
Des Weiteren schreibt Walter, dass die Dramaturgie Handlungen in eine bestimmte Reihenfolge bringt, die in ihrer Abfolge dann eine zusammenhängende Erzählung ergeben. In einem Computerspiel ist das Verhältnis von Autor und „Leser“ aber ein anderes: innerhalb eines bestimmten, determinierten Rahmen ist der Nutzer autonom, er trifft Entscheidungen, die die Abfolge ändern können.12 Allgemein benutzt ]die ludologische Forschungsrichtung einen eingegrenzten Erzählungsbegriff, so fallen bei ihnen sogar manche Filme und Romane aus der „Erzählsparte“ heraus. Auch werden laut Hartmann die verschiedenen Computerspielgenres zu wenig in den Fokus genommen.
Je nach Computerspiel wird die Beurteilung der Narrativität also unterschiedlich bewertet werden müssen.13 Auch Jesper Juul schließt sich der Meinung der „Ludologen“ an. „The computer game is simply not a narrative medium.“ Er versucht zu veranschaulichen, dass Computerspiele sich nur wenige Szenen heraussuchen, die dann zu austauschbaren ActionSpielen „aufgeblasen“ werden. (Beispiel bei Juul: Star-Wars- Spiele) Die Geschichte gerät somit in den Hintergrund, die wenigen Elemente, die noch übrig blieben, würden nur als „Scharnier“ zwischen Filmen und Computerspielen funktionieren.
[...]
1 Hartmann, Bernd: Literatur, Film und das Computerspiel, Beiträge zur Medienästhetik und Mediengeschichte herausgegeben von Knut Hickethier, Literaturwissenschaftliches Seminar Universität Hamburg Band 22,2004 im folgenden „Hartmann“ genannt, S.7, ,, nach Poole, Steven: Trigger Happy. Videogamesand the Entertainment Revolution. New York, 2000, S.6: So nahm der Film lange den zweiten Platz nach dem Roman ein.
2 Paech, Joachim: Literatur und Film, 2. Überarb. Ausg. Stuttgart, 1997, S. 85-86
3 Hanke, Christine: Next Level. Das Computerspiel als Medium. Eine Einleitung, in: Distelmeyer, Jan/Hanke, Christine/ Mersch, Dieter (Hg.): Game over!? Perspektiven des Computerspiels, Bielefeld 2008, S.7-18
4 „Hartmann“: S. 10, An dieser Stelle wird auch darauf hingewiesen, dass zu apokalyptischen Vorstellungen wie z.B. „Der Film wird das Theater überflüssig machen“ kein Grund besteht. Vielmehr müssen die alten Medien auf das Neue reagieren und entwickeln sich dadurch fort. Hartmann nennt hier als Beispiel die abstrakte Malerei, die ohne das Aufkommen der Fotografie nicht zur Entfaltung gekommen wäre.
5 Bronstring, Marek: What are adventure games? http://www.adventuregamers.com/article/id,149/p,1, zuletzt gesehen am 31.08.09
6 ebd. Natürlich weißt Bronstring auch auf die unterschiedliche Gewichtung der drei Merkmale hin: je nach „sub-genre“ können die Eigenschaften variieren.
7 Egenfeldt- Nielsen, Simon: Mapping online gaming: Genres, characteristics and revenue models, http://game- research.com/index.php/articles/mapping-online-gaming-genres-characteristics-and-revenue-models/(31.08.09)
8 http://www.adventuregames.com/article/id,149/p,1 (Bronstring)
9 Reinhardt, Gunther:Schöner lesen mit Lara Croft, Winnender Zeitung vom 2.September 2009, Nummer 202
10 ebd. Zwar sind die Romane keine „Millionenseller“, „aber viele unserer Titel bringen es im Lauf der Jahre auf beachtliche Verkaufszahlen.“ (Lara Croft bzw. Tomb Raider soll hier natürlich nicht als Beispiel für das Genre Adventure Game gelten. Bernd Hartmann (S. 65-70) teilt es eher als Mischform ein d.h. Action- Adventure. Er teilt Beispielgames in einem Raster ein: zwischen nicht- narrativ und narrativ bzw. Reflexe und Reflexion. Tomb Raider würde genau in der Mitte des Rasters stehen, da es Elemente aller Richtungen vereint. Pong wird so stark in die Richtung der Reflexe ohne narrativen Anteil gerückt, während z.B. Ultima in der narrativen Folge steht, was nicht heißt, dass hier keine Reflexe zum Tragen kommen. Abschließend ist allerdings zu sagen, dass Adventure Games insbesondere aus den Quadranten „Reflexion/narrativ“ bestehen.
11 Walter, Klaus: Grenzen spielerischen Erzählens. Spiel und Erzählstrukturen in graphischen Adventure Games, Inauguraldissertation (im Fachbereich der Sprach-, Literatur-, und Medienwissenschaften), Universität Siegen 2001, S.1, http://www.ub.uni-siegen.de/pub/diss/fb3/2001/walter/walter.pdf, zuletzt gesehen am 2. September 2009
12 Walter, Klaus: Nichts Neues unter der Sonne S.3, http://www.brown.edu/Research/dichtung- digital/2002/02/25-walter/index3.htm, zuletzt gesehen am 2.September 2009
13 „Hartmann“ S. 60-61 4