Demographische Entwicklung Deutschlands und ihre Auswirkungen auf die Generationenbeziehungen
Zusammenfassung
Der demographische Wandel wird unsere Gesellschaft und unser Miteinander verändern. Welche vielfältigen Auswirkungen auf alle Lebensbereiche das mit sich bringt, beginnen wir in Deutschland gerade erst richtig zu erfassen. (…) [Die Herausforderungen] früh zu erkennen und Probleme offen zu benennen, ist der beste Weg, sie zu lösen.“
Dieser Ausspruch stammt vom Bundespräsidenten Horst Köhler und spiegelt die Erfordernis einer wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit der Thematik des demographischen Wandels wieder. Um sich dieser Herausforderung stellen zu können, bedarf es zunächst einer Klärung der Merkmale der demographischen Entwicklung. Auf dieser Grundlage werden dann die Ursachen analysiert, damit später Lösungswege aufgezeigt werden können.
Diese Hausarbeit trägt den Titel „Demographische Rahmenbedingungen in Deutschland und ihre Auswirkungen auf die Generationenbeziehungen“. Nach einer kurzen theoretischen Einführung werden im 3. Kapitel die demographischen Strukturen und Veränderungen in Deutschland aufgezeigt und jeweils mit den europäischen Perspektiven verglichen. Im 4. Kapitel werden die Auswirkungen des demographischen Wandels auf die Generationenbeziehungen verdeutlicht und anschließend der Wandel der Generationenverhältnisse in der Gesellschaft näher erläutert. Den Abschluss der Hausarbeit bildet ein Ausblick, der Präventationsmaßnahmen aufgezeigt, die dem demographischen Wandel entgegenwirken können.
Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Theoretische Grundlagen
2.1 Generationenverhältnis
2.2 Generationenbegriff
3. Demografisch Strukturen und Veränderungen in Deutschland und in den EU-Staaten
3.1 Fertilität
3.1.1 Langfristige Entwicklungen
3.1.2 Indikatoren der Geburtenhäufigkeit
3.1.3 Gründe für den Rückgang der Geburtenhäufigkeit
3.1.4 Fertilität in den EU- Staaten
3.2 Mortalität
3.2.1 Langfristige Entwicklung
3.2.2 Durchschnittliche und ferne Lebenserwartung
3.2.3 Entwicklung der Lebenserwartung bis 2050
3.2.4 Mortalität in den EU-Staaten
3.3 Migrationen
3.3.1 Zu- und Abwanderungen von Ausländern
3.3.2 Außenwanderung deutscher Staatsbürger
3.3.3 Szenarien der Bevölkerungsentwicklung
3.4 Entwicklungen und Altersstrukturen der Bevölkerung
3.4.1 Bevölkerungsentwicklung
3.4.2 Bevölkerung nach Altersstruktur und Geschlecht
3.4.3 Bevölkerungsentwicklung und Altersstruktur
3.4.4 Altersstrukturen in den EU- Staaten
4. Auswirkungen auf die Generationenbeziehungen
4.1 Definition Generationenbeziehungen
4.2 Formen von Generationenbeziehungen
4.2.1 Negative Interdependenz (Generationenkonflikt)
4.2.2 Positive Interdependenz (Generationensolidarität)
4.2.3 Unabhängigkeit/ Independenz (Segregation)
4.3 Generationenbeziehungen
5. Generationenverhältnisse in der Gesellschaft
5.1 Generationenbalance und –perspektiven
5.1.1 Die junge Generation
5.1.2 Bildung / Ausbildung
5.1.3 Familienstützende soziale Dienste
5.2 Zur Position des Alter in Generationenverhältnissen
5.2.1 Tradition und Innovation in der Unternehmenskultur
5.2.2 Produktivität des Alters
5.2.3 Das politische Machtpotential der älteren Generation
6. Ausblick: Wie kann dem demographischen Wandel entgegengesteuert werden?
6.1 Zuwanderungen
6.1.1 Risiken der Zuwanderungen
6.1.2 Chancen der Zuwanderungen
6.2 Kinder- und Familienfreundliches Deutschland
6.3 Unternehmen
7. Fazit
Anhang: Literaturverzeichnis
Internetverzeichnis
1. Einleitung
Der Begriff „demographischer Wandel“ bringt allgemein zum Ausdruck, dass sich eine Bevölkerung zwar langsam, aber kontinuierlich nach Umfang und Struktur ändert.
Der demographische Wandel wird unsere Gesellschaft und unser Miteinander verändern. Welche vielfältigen Auswirkungen auf alle Lebensbereiche das mit sich bringt, beginnen wir in Deutschland gerade erst richtig zu erfassen. (…) [Die Herausforderungen] früh zu erkennen und Probleme offen zu benennen, ist der beste Weg, sie zu lösen.“[1]
Dieser Ausspruch stammt vom Bundespräsidenten Horst Köhler und spiegelt die Erfordernis einer wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit der Thematik des demographischen Wandels wieder. Um sich dieser Herausforderung stellen zu können, bedarf es zunächst einer Klärung der Merkmale der demographischen Entwicklung. Auf dieser Grundlage werden dann die Ursachen analysiert, damit später Lösungswege aufgezeigt werden können.
Diese Hausarbeit trägt den Titel „Demographische Rahmenbedingungen in Deutschland und ihre Auswirkungen auf die Generationenbeziehungen“. Nach einer kurzen theoretischen Einführung werden im 3. Kapitel die demographischen Strukturen und Veränderungen in Deutschland aufgezeigt und jeweils mit den europäischen Perspektiven verglichen. Im 4. Kapitel werden die Auswirkungen des demographischen Wandels auf die Generationenbeziehungen verdeutlicht und anschließend der Wandel der Generationenverhältnisse in der Gesellschaft näher erläutert. Den Abschluss der Hausarbeit bildet ein Ausblick, der Präventationsmaßnahmen aufgezeigt, die dem demographischen Wandel entgegenwirken können.
2. Theoretische Grundlagen
Zunächst werden zwei wesentliche begriffliche Klärungen vorausgehen, die des Generationenverhältnisses und des Generationenbegriffs, bevor vertieft in den Demographischen Wandel und seine Auswirkungen auf die Generationenbeziehungen eingestiegen wird.
2.1 Generationenverhältnis
Der Begriff der Generationenverhältnisse beschreibt abstrakte Zusammenhänge zwischen den Lebenslagen und kollektiven Schicksalen unterschiedlicher Altersklassen oder - kohorten.[2] Generationenverhältnisse beschreiben ein unpersönliches Verhältnis zwischen Altersgruppen einer Bevölkerung (z.B. Beitragsempfänger und Beitragszahler in der gesetzlichen Rentenversicherung). Diese Beziehungen sind anonym, unpersönlich und betreffen die makrotheoretische Ebene. Es handelt sich hierbei nicht um konkrete Beziehungen zwischen Menschen, sondern um ein Personen- und Altersgruppenverhältnis, in dem Interessen auf einer allgemein-gesellschaftlichen Ebene zum Ausdruck kommen. Diese werden hauptsächlich durch die Institution Staat vermittelt.[3]
Das Generationenverhältnis gerät insbesondere vor dem Hintergrund des demografischen Wandels unter Druck („Generationenkonflikt“, „Krieg der Generationen“).
2.2 Generationenbegriff
Der Begriff Generation umfasst die drei Altersgruppen Jugend, mittlere Lebensphase und das Alter. In Anlehnung an Eckart Liebau[4] lassen sich in der Pädagogik mindestens drei wissenschaftliche Generationenbegriffe unterscheiden, da diese kaum ineinander übergehen oder zu einem einzigen Begriff zusammengefasst werden können. Hierbei handelt es sich um den genealogischen, den historisch-soziologischen und den pädagogischen Generationenbegriff.
Der genealogische Generationenbegriff:
Der genealogische Generationenbegriff bezieht sich auf die Abfolge von Familienangehörigen, d.h. Kinder-, Eltern-, Großeltern- usw. -Generationen einer Familie. Dieser Generationenbegriff wird oft im Zusammenhang mit familial-verwandtschaftlichen Strukturen verwendet. Dank der hohen Lebenserwartung ist in modernen Gesellschaften ein Neben- und Miteinander von mehreren Familiengenerationen charakteristisch. Sinkende Geburtenraten haben heute jedoch zur Folge, dass die Eltern- und Großelterngeneration gegenüber der Kind- und Enkelkindgeneration überwiegt.
Der historisch-soziologische Generationenbegriff:
Der historisch-soziologische Generationenbegriff dient zur Unterscheidung gesamtgesellschaftlicher Gruppen, denen historische, kulturelle oder soziale Gemeinsamkeiten zugeordnet werden können.[5] Dieses können unter anderem ähnliche Interessen oder gleiche Weltanschauungen sein.
Der Pädagogische Generationenbegriff:
Die Basis einer jeden Gesellschaft bilden Werte, Normen und gemeinsame Kenntnisse. Der pädagogische Generationenbegriff bezieht sich auf die Weitergabe von Traditionen und die Sicherung des kulturellen Zusammenhangs durch Erziehung. Er fokussiert somit das Verhältnis zwischen lehrenden und lernenden Generationen. Nach der klassischen Vorstellung nimmt die ältere Generation die Rolle des Lehrenden und die jüngere Generation die des Lernenden ein. In der postmodernen Gesellschaft bezieht sich Lernen nicht mehr ausschließlich auf die Jugendzeit, vielmehr wird von lebenslangem Lernen ausgegangen. Folglich gab es einen Wandel des pädagogischen Generationenbegriffs dahingehend, dass einzelne Personen gleichzeitig der lehrenden und lernenden Generation angehören konnten.
3. Demografisch Strukturen und Veränderungen in Deutschland und in den EU-
Staaten:
Der demografische Wandel wird durch drei entscheidende Ereignisse in der Bevölkerung hervorgerufen. Dazu gehören die Fertilität, die Mortalität und die Migration. Diese Ereignisse führen zu einer Veränderung der Alterstruktur in der Bevölkerung. Diese Änderung der demografischen Strukturen vollzieht sich nicht allein in Deutschland, sondern sie verändern sich in den gesamten EU- Staaten.
3.1 Fertilität:
In Deutschland werden jährlich ca. 672.000 Kinder geboren. Damit ist die Fertilität eine der niedrigsten weltweit. Diese Anzahl der Geburten in Deutschland zeigt ebenso, dass weniger Kinder geboren werden, als für den Erhalt der Elterngeneration notwendig ist. Für die Bestandserhaltung ist ein TFR- Wert[6] von 2,1 notwendig, in Deutschland wird nur ein TFR- Wert von ca. 1,4 erreicht. Somit kann die Elterngeneration nur um etwa zwei Drittel ersetzt werden.
3.1.1 Langfristige Entwicklung
Wie entscheidend sich die Geburtenzahlen in den vergangenen Jahren in Deutschland verändert haben zeigt ein Vergleich der aktuellen Geburtenzahl mit der aus dem Jahre 1964. Aktuell werden in Deutschland ca. 672.000 Kinder geboren. Im Jahre 1964 waren es dagegen noch 1.357.000 Geburten.[7] Dieser Vergleich zeigt die Dimension des Geburtenrückgangs, in der sich die Geburtenzahlen beinahe halbiert haben.
Bei einer historischen Betrachtung der Geburtenzahlen (vgl. Abbildung 1) lassen sich in dem Zeitraum zwischen dem 19. Jahrhundert und in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts zwei gravierende Geburtenrückgänge erkennen. Diese haben entscheidend zu dem heutigen niedrigen Geburtenniveau beigetragen.
Abbildung 1: Zusammengefasste Geburtenziffern, 1871 bis 2006
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Zwischen 1890 und 1915, in der Zeit der Industrialisierung, war der erste Geburtenrückgang zu beobachten. Der TFR- Wert sank in diesen Jahren von 4,7 auf 1,9. Somit wurde in den 20er Jahren erstmals das Bestandserhaltungsniveau unterschritten, und die Zahl der Kinder hatte zum ersten Mal nicht augereicht, um die Elterngeneration zu ersetzen.[8]
Der zweite Geburtenrückgang ereignete sich in Deutschland zwischen 1965 und 1975. Von diesem Zeitpunkt an ist im früheren Bundesgebiet der TFR- Wert durchschnittlich bei 1,4 Kindern je Frau konstant niedrig.[9]
In der DDR kam es zwischen 1976 und 1980 zu einem kurzfristigen Anstieg des TFR- Wertes auf 1,9 aufgrund von bevölkerungspolitischen Maßnahmen. Ab 1980 ist dieser Wert wieder rückläufig, so das sich der TFR- Wert von Westdeutschland und der DDR bis 1989 wieder angenähert haben. Im Jahr 1991 gingen die Geburtenzahlen in den neuen Bundesländern im Vergleich zu 1990 um 40 % zurück. Der Tiefpunkt wurde 1994 erreicht und seitdem nähern sich die demographischen Werte des früheren Bundesgebietes und der neuen Bundesländer wieder an.[10]
3.1.2 Indikatoren der Geburtenhäufigkeit
Abbildung 2: TFR- Wert von 1950-1996
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Zwischen 1965 und 1975 hat der TFR- Wert in beiden Teilen Deutschlands um ein Drittel abgenommen. Im früheren Bundesgebiet blieb dieser Wert bei ca. 1,4 konstant, während in der DDR dieser Wert um fast ein Viertel kurzfristig anstieg. Mit dem Beginn der 80er Jahre ist in der DDR ein ständiger Rückgang des TFR- Wertes zu verzeichnen. Bis 1994 halbierte sich dieser Wert auf 0,77. Nach diesem Tiefpunkt ist ein kontinuierlicher Anstieg des TFR- Wertes in den neuen Bundesländern festzustellen.[11]
3.1.3 Gründe für den Rückgang der Geburtenhäufigkeit
Ökonomische Gründe
- Finanzielle Benachteiligung
„Statistische Erhebungen zeigen, dass der Lebensstandart einer Familie mit zwei Kindern erheblich unter dem eines entsprechenden kinderlosen Ehepaares liegt.“[12] Alle Kosten, die Kinder verursachen, schmälern den eigenen Wohlstand einer Familie und die Zeit, die bei der Erziehung in Anspruch genommen wird, geht für die Erwerbstätigkeit verloren. Diese indirekten Kosten werden auch als „Opportunitätskosten“ bezeichnet.[13] Kinderlose Gruppen der Gesellschaft haben vom Fortschritt des Wohlstandes erheblich stärker profitiert als kinderreiche Familien. „Eigene Kinder führen im Rahmen einer Marktwirtschaft nicht zur Mehrung des materiellen Wohlstandes.“[14]
- Benachteiligung auf dem Arbeitsmarkt
Frauen werden auf dem Arbeitsmarkt wegen Kindern benachteiligt, weil sie „im
Gegensatz zu den männlichen Bewerbern aus betrieblicher Sicht ein erhöhtes Risiko
darstellen, dass Qualifizierungsaufwendungen sich in geringerem Maße amortisieren,
da ein Teil der Frauen auf absehbare Zeit zumindest vorübergehend aus dem Erwerbsleben ausscheiden wird.“[15]
Die logische Schlussfolgerung, dem entgegenzuwirken, ist nunmehr kinderlos zu bleiben, bzw. Kinder und Familie so zu planen, dass eine Konfliktsituation mit dem Berufsleben vermieden wird. Dies führt weg von der klassischen Familie hin zu neuen Familienformen.
Soziale Gründe
- Veränderte Familienstrukturen
Aus der einstigen bürgerlichen Großfamilie, in der mehrere Generationen zusammenlebten und die Kinder gemeinsam erzogen, haben sich neue, kleinere und vielfältigere Familienformen entwickelt, z. B. nichteheliche Lebensgemeinschaften, Alleinerziehende und immer mehr kinderlose Paare. Auch das Verständnis der Rollen von Frau und Mann in der Partnerschaft, in der Gesellschaft und im Beruf hat sich gewandelt. „Frauen mit Schulausbildung heiraten zum Einen später, und zum Anderen sind sie besser in der Lage, ihre eigenen Wünsche z.B. längere Geburtenabstände, weniger Kinder gegenüber ihren Ehemännern und männlichen Verwandten durchzusetzen.“
Viele Frauen haben mit gestiegener Bildung einen Einstellungswandel bezüglich Familie und Kindern vollzogen, der aus einem Leben ohne Mutterschaft und hauswirtschaftlicher Tätigkeit bestehen soll.
Abbildung 3: Alter der Frauen bei der Geburt des 1. Kindes, 1960 bis 2005
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Sie verschieben Heirat und Familiengründung auf die Zeit nach ihrer beruflichen Ausbildung, weshalb sich der Wunsch nach einem Kind verzögert, die dann oft auch aufgrund der „Gewöhnung“ an diesen Zustand ganz ausbleibt (bei der Geburt ihrer Kinder waren die Mütter 2006 im Durchschnitt 29,6 Jahre alt, im Jahr 1990 waren es noch 27,6 Jahre). „Während in früheren Frauengenerationen oft wirtschaftliche Krise und Kriege eine Heirat und Familiengründung verhinderten, scheinen bei der jüngsten Frauengeneration eher individuelle und berufsbezogene Gründe zur Kinderlosigkeit zu führen.“[16]
Ein Grund für diese Tatsache liegt darin, dass die Frauen es Angesichts der gestiegenen Scheidungsraten und des Werteverlustes der Institution Ehe vorziehen, sich eine berufliche Lebensgrundlage zu schaffen, die es ihnen ermöglicht, finanziell unabhängig auf eigenen Füßen zu stehen. Die Tendenz geht also von der kinderreichen Großfamilie zur kinderlosen Lebensgemeinschaft, die von der Verwirklichung eigener Lebensziele der Frauen geprägt ist.[17]
- Die Rolle der Kinder in der Gesellschaft
Es stellt sich die Frage, welche Rolle Kinder im familiären und gesellschaftlichen Leben heute noch einnehmen. Die Gesellschaft und die Medien zeichnen ein völlig verändertes Bild der Frau. Die Werbewirtschaft propagiert das Bild der „modernen Frau“, das mit der Vorstellung der Frau als „Geburtsmaschine“ und häuslichen Mutter nichts mehr gemeinsam hat. Die Erziehung von Kindern erfährt eine stark nachlassende Würdigung und Anerkennung durch die Gesellschaft.
In den gegenwärtigen gesellschaftlichen Vorstellungen der modernen Frau haben Kinder allenfalls nur noch eine moralische Legitimation. Der Wunsch nach Selbstbestimmung und Verwirklichung beruflicher Ziele bestimmt nun Heirat,
Familiengründung und Kinderzahl, wobei Kinder ein Hindernis bei der Realisierung dieser Vorstellungen zu sein scheinen.[18]
3.1.4 Fertilität in den EU- Staaten
Auch in Europa halbierte sich die Fertilität seit den 1960er Jahren. In den meisten Ländern Nordwesteuropas setzte dieser Fertilitätsrückgang in der zweiten Hälfte der 1960er Jahre ein. In den südeuropäischen Ländern begann er erst in den 1970er Jahren, Ostmittel- und Osteuropa erlebte in den 1990er Jahren den bei weitem stärksten Fertilitätsrückgang. Während Europäerinnen in den 1960er Jahren im Schnitt 2,7 Kinder und Mitte der 1980er Jahre noch 1,6 Kinder zur Welt brachten, sind es heute nur noch 1,4 Kinder. In den Ländern Südeuropas und Ostmitteleuropas sowie in Russland ist die Fertilität noch niedriger. Gegenwärtig hat die Ukraine europaweit – und damit auch weltweit – die niedrigste Fertilität (1,1 Kinder pro Frau).
Dahinter folgen Bulgarien, Moldawien, die Slowakei, Slowenien, Tschechien und Weißrussland (alle 1,2). Am höchsten ist die Kinderzahl in der Türkei (2,5), Albanien (2,2) und Island (2,0). Der Rückgang der Fruchtbarkeit in Europa erklärt sich sowohl aus dem wachsenden Anteil kinderloser Erwachsener als auch aus dem Verschwinden kinderreicher Familien.[19]
3.2 Mortalität
Die Mortalität (von lat. mortalitas das Sterben) bzw. Sterblichkeit ist – neben der Fertilität – eine der beiden Hauptbestandteile der natürlichen Bevölkerungsentwicklung. Sie bezeichnet die Zahl der Sterbefälle während eines bestimmten Zeitraums bezogen auf die Bevölkerung. Sterbefälle können insgesamt oder untergliedert nach Alter und Geschlecht im Verhältnis zur jeweiligen Bevölkerungsgruppe betrachtet werden. Die Säuglingssterblichkeit hingegen wird häufig getrennt ausgewiesen. Sie erfasst den Anteil der Kinder, die vor Erreichen ihres ersten Geburtstages versterben. Die Säuglingssterberate ist ein geeigneter Indikator für den Stand der Gesundheitsversorgung in einem Land. Eine hohe Säuglingssterblichkeit ist ein Kennzeichen von Unterentwicklung und besonders in Entwicklungsländer häufig anzutreffen.
Eine enge Verknüpfung mit dem Begriff der Sterblichkeit weist die Lebenserwartung auf. Unter der Lebenserwartung wird die durchschnittliche Zahl von weiteren Jahren verstanden, die ein Mensch in einem bestimmten Alter nach den zum aktuellen Zeitpunkt geltenden Sterblichkeitsverhältnissen voraussichtlich noch leben wird. Die Lebenserwartung wird untergliedert nach Geschlecht ausgewiesen, da Frauen und Männern unterschiedliche Lebenserwartungen vorweisen. Außerdem erfolgt vielfach eine Unterteilung in Lebenserwartung bei der Geburt und fernere Lebenserwartung für andere Altersjahrgänge. Die ferne Lebenserwartung drückt die Lebenserwartung eines Menschen aus, der bereits ein bestimmtes Alter erreicht hat.
3.2.1 Langfristige Entwicklung
Die durchschnittliche Lebenserwartung von Neugeborenen in Deutschland liegt heute um über 30 Jahre höher als derjenigen, die vor 100 Jahren geboren wurden. Zwischen 1871 und 1881 lag die Lebenserwartung eines neugeborenen Mädchens bei etwa 38 Jahren und die eines Jungen bei lediglich 36 Jahren. Der medizinische Fortschritt führte zu einem Sinken der Säuglings- und Kindersterblichkeit. Während im Jahre 1901 noch fast die Hälfte der in Deutschland geborenen Menschen im Alter von weniger als 10 Jahren starb, sterben heute von 1000 Neugeborenen nur noch etwa 5 im ersten Lebensjahr. Der Rückgang der Säuglings- und Kindersterblichkeit führte zunächst zu einer Verjüngung der Bevölkerung und dann zu einer Zunahme der Bevölkerungszahl. Es wuchsen mehr Menschen heran, die wiederum eine Familie gründen konnten. Im Verlauf des 20.Jahrhunderts sank zunächst besonders die Sterblichkeit der Menschen im mittleren Alter und in den folgenden Jahrzehnten im Wesentlichen die Sterblichkeit im Alter von 60 Jahren und älter, die zu einer erheblichen Alterung der Bevölkerung führte. Die Lebenserwartung der weiblichen Bevölkerung liegt grundsätzlich höher als die der männlichen Bevölkerung, es lässt sich jedoch eine Annäherung der geschlechtsspezifischen Lebenserwartungen beobachten.[20]
3.2.2 Durchschnittliche und ferne Lebenserwartung
Die Abbildung 4 veranschaulicht die Entwicklung der Lebenserwartung Neugeborener seit 1871. Die Lebenserwartung der neugeborenen Jungen und Mädchen der Jahre 2001 bis 2003 beträgt durchschnittlich etwa 75,6 beziehungsweise 81,3 Jahre. Im Jahre 1910 liegen die Lebenserwartung für Jungen im Durchschnitt bei 47,4 und für Mädchen bei 50,7 Lebensjahren. Aus der Abbildung lässt sich deutlich erkennen, dass die Zunahme der Lebenserwartung nicht stetig und gleichmäßig, sondern signifikant in der ersten Hälfte des Jahrhunderts steigt. Zwischen 1871/1881 im Deutschen Reich und 1949/1951 im früheren Bundesgebiet erhöht sich die durchschnittliche Lebenserwartung für Jungen um 29 und für Mädchen um 30 Jahre. In der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts bis ins 21. Jahrhundert, also von 1949/1951 bis 2001/2003, lässt sich ein weiterer Anstieg der durchschnittlichen Lebenserwartung von neugeborenen Jungen um weitere 11Jahre und für Mädchen um 12,8 Jahre feststellen. Von 1970 auf 2000 ist immerhin noch ein Anstieg der Lebenserwartung Neugeborener von ca. 7 Jahren zu erkennen. Die Prognosen des Statistischen Bundesamts nehmen für das Jahr 2050 eine Lebenserwartung von 88 Jahren für Frauen bzw. 84 Jahren für Männer an.[21]
In den ersten Jahrzehnten des vergangenen Jahrhunderts konnte die Säuglingssterblichkeit enorm verringert werden. Durch Erreichen eines niedrigen Niveaus der Säuglingssterblichkeit fällt die Entwicklung Mitte des Jahrhunderts dadurch eher klein aus. Die Grippeepidemie von 1969/1970 lässt die Sterblichkeit im Jahre 1970 vorübergehend ansteigen.[22] Seitdem lässt sich eine verhältnismäßig stetige Erhöhung der Lebenserwartung feststellen.
Abbildung 4: Entwicklung der Lebenserwartung Neugeborener seit 1871
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
In der Abbildung 5 sind die Lebenserwartungen bei der Geburt im früheren Bundesgebiet und in der DDR bzw. den neuen Ländern von 1984 bis 1995 dargestellt. Sie liegen für Neugeborene 1993/95 im früheren Bundesgebiet für Jungen bei 73,53 Jahren und für Mädchen bei fast 80 Jahren. In den neuen Ländern ist die durchschnittliche Lebenserwartung geringer als im früheren Bundesgebiet. Bei neugeborenen Jungen macht der Unterschied fast 3 Jahre und bei Mädchen knapp 2 Jahre aus. Seit der Wiedervereinigung erhöhte sich allerdings die Lebenserwartung im Gebiet der ehemaligen DDR, so dass sich die Differenzen zum früheren Bundesgebiet immer weiter reduziert.
[...]
[1] Zitat des Bundespräsidenten Horst Köhler auf der Homepage des Forums demographischer Wandel des Bundespräsidenten in Zusammenarbeit mit der Bertelsmann Stiftung.
[2] Kohorten ist die allgemeine und umfassende Bezeichnung für Personen, die im gleichen Zeitabschnitt geboren sind. Dieser Begriff wird heute häufiger anstelle der Bezeichnung Generation verwendet.
[3] Kaufmann (1993), S. 97
[4] Liebau, 1997, S. 20 ff
[5] Liebau, 1997, S. 20ff
[6] TFR ist ein hypothetisches Maß des „Geburtenverhaltens“ der weiblichen Bevölkerung. Es gibt an, wie viele Kinder von 1000 Frauen im Verlaufe ihres Lebens geboren würden, wenn sie ihr Leben lang sich den altersspezifischen Geburtenziffern des Beobachtungsjahres entsprechend verhielten und es keine Sterblichkeit gäbe.
[7] Deutscher Bundestag Referat Öffentlichkeitsarbeit (1998): Zweiter Zwischenbericht der Enquete-Kommission „Demographischer Wandel“ S.50
[8] Deutscher Bundestag Referat Öffentlichkeitsarbeit (1998): Zweiter Zwischenbericht der Enquete-Kommission „Demographischer Wandel“ S. 50
[9] Deutscher Bundestag Referat Öffentlichkeitsarbeit (1998): Zweiter Zwischenbericht der Enquete-Kommission „Demographischer Wandel“ S.52
[10] Deutscher Bundestag Referat Öffentlichkeitsarbeit (1998): Zweiter Zwischenbericht der Enquete-Kommission „Demographischer Wandel“ S.52
[11] Deutscher Bundestag Referat Öffentlichkeitsarbeit (1998): Zweiter Zwischenbericht der Enquete-Kommission „Demographischer Wandel“ S.53
[12] Storim, Wolfgang (2000): Sind Kinder ein Arbeitsrisiko? in: Die neue Familie: Familienleitbilder – Familienrealitäten S.49
[13] Höpflinger, Francois(1997):Bevölkerungssoziologie: eine Einführung in bevölkerungssoziologische Ansätze und demographische Prozesse S.77
[14] Schroeter, Johannes (2000): Die Lage der Familien in der modernen Gesellschaft – Analyse und Konsequenzen, in: Die neue Familie: Bevölkerungsentwicklung in Deutschland Familienleitbilder– Familienrealitäten S.21
[15] Gaß, Gerald (1996): Betriebliche Arbeitskräftenachfrage und Strukturierung der Arbeitslosigkeit, S.165
[16] Höpflinger, Francois(1997):Bevölkerungssoziologie: eine Einführung in bevölkerungssoziologische Ansätze und demographische Prozesse S.59
[17] Opaschowski, Horst W. (2004): Der Generationenpakt – Das soziale Netz der Zukunft, S.58
[18] Opaschowski, Horst W. (2004): Der Generationenpakt – Das soziale Netz der Zukunft, S.43
[19] Deutscher Bundestag Referat Öffentlichkeitsarbeit (1998): Zweiter Zwischenbericht der Enquete-Kommission „Demographischer Wandel“ S.71
[20] Deutscher Bundestag Referat Öffentlichkeitsarbeit (1998): Zweiter Zwischenbericht der Enquete-Kommission „Demographischer Wandel“ S.73
[21] Deutscher Bundestag Referat Öffentlichkeitsarbeit (1998): Zweiter Zwischenbericht der Enquete-Kommission „Demographischer Wandel“ S.74f
[22] Vgl. Statistisches Bundesamt (2006c): a.a.O.,S.37