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Bildungsungleichheit für Schülerinnen und Schüler mit Migrationshintergrund an deutschen Schulen

Der Zusammenhang zwischen Sprache und Integration am Beispiel des deutschen und schwedischen Bildungssystems

von Tabea Rissler (Autor:in)
©2010 Hausarbeit 20 Seiten

Zusammenfassung

In der heutigen Leistungsgesellschaft stellt Bildung einen der wichtigsten Faktoren zur Garan-tie gewisser Lebensstandards dar. Wer beruflichen Erfolg haben möchte, muss auch einen entsprechenden Bildungsabschluss nachweisen können. Finanzielle und materielle Ressourcen sind notwendig, um am Bildungswesen teil zu haben. Vor allem Menschen mit sogenanntem „Migrationshintergrund“ (im folgenden Text durch „MH“ abgekürzt) haben verminderte Chancen effektiv in das deutsche Bildungssystem integriert zu werden. Dies liegt vor allem an den meistens geringen Kenntnissen der deutschen Sprache. Von Lehrkräften wird dies häufig als grundsätzlicher Mangel und Defizit wahrgenommen, was häufig hoffnungslose Überforde-rung nach sich zieht. Eine ausreichende Ausbildung der Lehrerinnen und Lehrer mit Hinblick auf Multikulturalität ist in Deutschland ganz und gar nicht die Regel.
Das deutsche Bildungssystem stellt eine gesonderte Herausforderung. Ähnlich dem System der Schweiz und dem von Liechtenstein, finden sich im deutschen Bildungssystem, nach dem Verlassen der Grundschule, drei Bildungswege, für die es sich zu entscheiden gilt. Eltern und Lehrer stehen in der Verantwortung, möglichst objektiv und gerecht den Leistungsstand des Kindes zu beurteilen, und den weiteren Bildungsweg zu determinieren. Schon hier prallen eine Vielzahl an Problemen und Fragen aufeinander: Ist es nicht zu früh, nach dem vierten Schuljahr den Leistungsstand des Kindes zu beurteilen? Wer rechtfertigt die Tatsache, dass ein Aufstieg aus „niederen Bildungswegen“ durch institutionelle Strukturen kaum möglich ist? Bei so einem selektiv strukturierten Bildungssystem kann von Bildungsgleichheit kaum die Rede sein, denn sozial benachteiligte Gruppen werden geradezu systematisch in bestimmte Rollen gesteckt. Gerade für „Migrantenkinder“ wird dieses Leistungsorientierte Bildungssys-tem zum Hürdenlauf: Ausreichende Kenntnisse über die Landessprache sei die Hauptkompetenz, die für eine effiziente Integration in die Berufs- und Lebenswelt des Einwanderungslan-des notwendig sei. Statt jedoch die Sprachausbildung für Migranten mithilfe von mutter-sprachlichem Unterricht zu verbessern, wird vielmehr gemäß den Sprachdefiziten die Leis-tungsfähigkeit der Kinder bewertet.
Mithilfe der vorliegenden Arbeit werde ich versuchen zu klären, ob die fehlenden Sprach-kompetenzen der Schüler/innen bzw. der Kinder mit Migrationshintergrund tatsächlich die Ursache für eine fehlerhafte Integration in Deutschland sind.

Leseprobe

Inhalt

1 Einleitung

2 Bildungsbeteiligung von Schülerinnen und Schülern mit Migrationshintergrund an deutschen Schulen
2.1 Trends in der Bildungsbeteiligung – einige empirische Erkenntnisse
2.2 Ursachen der Benachteiligung
Außerschulische Aspekte
Innerschulische Aspekte
Dysfunktionalität der Schule – Georg Auernheimer

3 Integration durch Sprache?
3.1 Sprachentwicklung und Schulerfolg zweisprachiger Kinder
3.2 Mehrsprachigkeit im multikulturellen und reflexiven Schulkonzepten
Multikulturelle Schulen und Mehrsprachigkeit
Institutionelle Selbst-Reflexion

4 Schweden als Vorreiterland für integrative Schulsysteme?

Fazit

Literatur

1 Einleitung

Deutschland ist ein Einwanderungsland – jahrelang wurde dieser Status nicht als solcher akzeptiert. Seit nunmehr zwanzig Jahren gilt dies jedoch als offiziell bestätigt. Migration bedeutet jedoch auch die Notwendigkeit von Integrationsmechanismen[1].

In der heutigen Leistungsgesellschaft stellt Bildung einen der wichtigsten Faktoren zur Garantie gewisser Lebensstandards dar. Wer beruflichen Erfolg haben möchte, muss auch einen entsprechenden Bildungsabschluss nachweisen können. Finanzielle und materielle Ressourcen sind notwendig, um am Bildungswesen teil zu haben. Vor allem Menschen mit sogenanntem „Migrationshintergrund“ (im folgenden Text durch „MH“ abgekürzt) haben verminderte Chancen effektiv in das deutsche Bildungssystem integriert zu werden. Dies liegt vor allem an den meistens geringen Kenntnissen der deutschen Sprache. Von Lehrkräften wird dies häufig als grundsätzlicher Mangel und Defizit wahrgenommen, was häufig hoffnungslose Überforderung nach sich zieht. Eine ausreichende Ausbildung der Lehrerinnen und Lehrer mit Hinblick auf Multikulturalität ist in Deutschland ganz und gar nicht die Regel.

Das deutsche Bildungssystem stellt eine gesonderte Herausforderung. Ähnlich dem System der Schweiz und dem von Liechtenstein, finden sich im deutschen Bildungssystem, nach dem Verlassen der Grundschule, drei Bildungswege, für die es sich zu entscheiden gilt (Auernheimer, 2006: 9). Eltern und Lehrer stehen in der Verantwortung, möglichst objektiv und gerecht den Leistungsstand des Kindes zu beurteilen, und den weiteren Bildungsweg zu determinieren. Schon hier prallen eine Vielzahl an Problemen und Fragen aufeinander: Ist es nicht zu früh, nach dem vierten Schuljahr den Leistungsstand des Kindes zu beurteilen? Wie können bestehende Leistungsdefizite in den „niederen Bildungswegen“ überhaupt noch ausgeglichen werden? Wer rechtfertigt die Tatsache, dass ein Aufstieg aus „niederen Bildungswegen“ durch institutionelle Strukturen kaum möglich ist?

Bei so einem selektiv strukturierten Bildungssystem kann von Bildungsgleichheit kaum die Rede sein, denn sozial benachteiligte Gruppen werden geradezu systematisch in bestimmte Rollen gesteckt. Gerade für „Migrantenkinder“ wird dieses Leistungsorientierte Bildungssystem zum Hürdenlauf: Ausreichende Kenntnisse über die Landessprache sei die Hauptkompetenz, die für eine effiziente Integration in die Berufs- und Lebenswelt des Einwanderungslandes notwendig sei. Statt jedoch die Sprachausbildung für Migranten mithilfe von muttersprachlichem Unterricht zu verbessern, wird vielmehr gemäß den Sprachdefiziten die Leistungsfähigkeit der Kinder bewertet (Ebd.: 10)[2].

Mithilfe der vorliegenden Arbeit werde ich versuchen zu klären, ob die fehlenden Sprachkompetenzen der Schüler/innen bzw. der Kinder mit Migrationshintergrund tatsächlich die Ursache für eine fehlerhafte Integration in Deutschland sind. Ist es sinnvoll und gerechtfertigt, sich bei dem Thema „Integration“ ausschließlich auf das Problem der Sprache zu beschränken? Welche anderen Faktoren behindern eine soziale Integration, vor allem im deutschen Schulsystem, zusätzlich?

In der Einführung konzentriere ich mich auf empirische Daten zu den Bildungsbe(nach)teiligungen am deutschen Bildungssystem der letzten fünfzig Jahre und jeweilige Trends. Es folgt eine Erörterung der Ursachen für Benachteiligungen von Kindern mit familialen MH an deutschen Schulen, die sich auf die Erkenntnisse Dr. Paul Mecherils und Georg Auernheimers stützen. Im dritten Teil der Arbeit werde ich mit dem Thema „Mehrsprachigkeit“ den Erfolg aufzeigen, den muttersprachlicher Unterricht Forschungen zufolge erzielen kann. Das erfolgreiche multikulturelle Schulsystem Schwedens dient mir hierzu als Vergleichs-Vorlage. Zum Schluss werde ich meine Ausgangsfrage wieder aufgreifen und versuchen, Antworten auf und ggf. Lösungen für meine Problemstellung zu finden.

2 Bildungsbeteiligung von Schülerinnen und Schülern mit Migrationshintergrund an deutschen Schulen

Oft wird der Begriff „Migration“ mit dem bloßen Wort „Einwanderung“ übersetzt. Der Akt der Migration beinhaltet jedoch viel komplexere Vorgänge, als nur den Akt der Immigration, wie die

„Übersetzung bzw. Vermischung als Folge von Wanderungen, Entstehung von Zwischenwelten und hybriden Identitäten, Phänomene der Zurechnung auf Fremdheit, Strukturen und Prozesse des Rassismus, Konstruktionen des und der Fremden, Erschaffung neuer Formen von Ethnizität“ (Mecheril, 2004: 18).

Die meisten Schülerinnen und Schüler an deutschen Schulen, die keinen deutschen Pass besitzen, kommen ursprünglich aus den ehemaligen Anwerbeländern Griechenland, Italien, Spanien, Türkei und dem ehemaligen Jugoslawien. Der Anteil der Bevölkerung mit Migrationshintergrund in Deutschland macht derzeit ungefähr 19 % aus, 22 % der fünfzehnjährigen Schüler/innen in Deutschland haben eine nicht-deutsche Staatsangehörigkeit[3] (KMK, 2006: 5).

2.1 Trends in der Bildungsbeteiligung – einige empirische Erkenntnisse

Trotz dieser hohen Anteile an Schüler/innen mit Migrationshintergrund ist es noch nicht gelungen, die Zahlen für die Bildungsbenachteiligungen zu senken. Kinder aus zugewanderten Familien haben nach wie vor weniger Erfolg im deutschen Bildungssystem, als in vergleichbaren Systemen anderer Länder. Auch nach fünfzig Jahren herrscht in den „niederen“ Schulbereichen, wie Haupt- und Sonderschulen, eine Überrepräsentierung dieser Schüler/innen und eine Unterrepräsentierung an höheren Schulabschlüssen allgemeinbildender Schulen. Die Benachteiligung liegt jedoch nicht nur hinsichtlich formaler Bildung vor (niedrige Schulabschlüsse etc.), sondern auch hinsichtlich ihrer Kompetenzen: laut der Statistiken von PISA, IGLU usw. schneiden Schüler/innen mit MH bei der Lesekompetenz deutlich schlechter ab. Dies führt sogar oft auch zu schlechten Kompetenzen bei Mathematik und Naturwissenschaften (Gogolin, 2008: 1)[4].

Allerdings hat sich ein Wandel in der statistischen Erfassung vollzogen. Seit 2005 wird nicht mehr nur bzgl. der Staatsangehörigkeit dokumentiert, sondern es werden nun viel qualitativere Kriterien hinzugezogen, wie individuelle und familienbezogene Migrationserfahrungen. Somit wird auch die Fluktuation, also Ein- und Auswanderung, erfasst. Die Definition des Begriffs „Migrationshintergrund“ wurde erweitert[5] und Studien von PISA erlauben sogar eine breite Ausdifferenzierung nach ethnischer, sozialer und familialer Herkunft. Mit diesen Veränderungen konnte eine differenziertere statistische Erfassung durch PISA und IGLU möglich gemacht werden[6] (Ebd.: 1f).

Zumindest quantitativ kann man rückblickend einen Anstieg im Erfolg von Kindern mit MH an deutschen Schulen erkennen: während 1977/78 noch zweidrittel der Kinder mit MH ohne Schulabschluss blieben, waren es 1999 nur noch knapp 18,7 %, seit 2000/01 stehen die Zahlen jedoch wieder bei ca. 20,3 %. Der OECD zufolge sei eine Trendwende sobald nicht abzusehen (Mecheril, 2004: 135 f).

Trotzdem ist immer noch eine überproportionale Bildungsbeteiligung der Kinder mit MH an Hoch-, Sonder- und Sekundarschulen, also an den Bildungssektoren mit weniger Berufsaussichten, zu verzeichnen. Die Erfolge der Kinder mit MH sind zwar insgesamt gestiegen, gleichzeitig aber auch die der Kinder ohne MH, sodass die Abstände zwischen den Erfolgen gleich geblieben sind und eine ungleiche Chancenverteilung bestehen bleibt. Das heißt, die Chancen für eine zukunftsfähige Ausbildung für Kinder mit MH bleiben relativ gering, auch wenn statistisch gesehen mehrere von ihnen einen Schulabschluss erreichen, denn institutionelle Diskriminierung sowie Vorurteile bleiben bestehen.

Laut OECD bleiben Kompetenzunterschiede auch bestehen, wenn der formale Bildungsgrad und sozioökonomische Hintergrund der Eltern unberücksichtigt bleibt. Auch dies weist auf einen Mangel der Förderung von Schüler/innen mit MH und somit grobe Missstände im deutschen Bildungssystem und dem Verhalten der Lehrkräfte hin (OECD, 2007: 10f ).

2.2 Ursachen der Benachteiligung

Unterschiedliche Chancen im Bildungssektor durch „niedere“ oder keine vorhandenen Schulabschlüsse, erschweren in Deutschland erheblich die Teilhabe an sozialen Prozessen und Strukturen.

Die Ursachen für eine Bildungsbenachteiligung von Schüler/innen und Schülern, vor allem, aber nicht nur, mit MH, lassen sich im außerschulischen und dem innerschulischen Bereich finden[7] (Mecheril, 2004: 137 ff). Vor allem Auernheimer kritisiert den innerschulischen Bereich und bezeichnet das deutsche Bildungssystem als dysfunktional. Auf seine Argumentation werde ich später eingehen.

[...]


[1] “Integration” ist in dieser Arbeit als Prozess zu verstehen, der Migrant/innen den Zugang zur Gesellschaft möglich machen soll. Unterschiede sollen erfasst, akzeptiert und vor allem genutzt werden. Es geht also nicht um eine Assimilierung, also Unterdrückung und Anpassung der Kultur der “Anderen” in das, was “uns” betrifft, sondern um eine aktive Differenzierung der kulturellen Unterschiede. Integration bedeutet also auch, Institutionen entsprechend dieser “aktiven Differenzierung” zu reformieren.

[2] Meistens werden die Kinder daraufhin für den Bildungsweg der Hauptschule „empfohlen“. Hauptschulen haben sich so vielerorts zu „Ausländerschulen“ entwickelt (Auernheimer, 2006: 10).

[3] Bei der Verteilung auf die Länder sehen die Zahlen so aus, dass in den östlichen Bundesländern unter 10 % der Schüler/innen einen MH haben, in den westlichen Ländern zwischen 17 und 36 % (KMK, 2006: 5).

[4] Meistens schneidet die zweite Generation, also die in Deutschland geborenen Ausländer/innen, sogar schlechter ab, als die erste Generation der zugewanderten Ausländer. Schon hier zeigt sich ein Defizit an der Förderung von Kindern und Schüler/innen und Schülern mit MH. Um solch ein Defizit zu stopfen müsste schon der Unterricht in den Primarstufen an die Anforderungen einer Einwanderungsgesellschaft angepasst werden (Gogolin, 2008: 1ff ), sonst werden die Kompetenzen der zweiten Generationen immer weiter an die Kompetenzen der Familie und den Mangel an familiales „Humankapital“ gekoppelt bleiben.

[5] Einen Migrationshintergrund haben demnach: Ausländer/innen, im Ausland Geborene und nach dem 1. Januar 1950 Zugewanderte, Eingebürgerte sowie Kinder, bei denen mindestens ein Elternteil in eine der genannten Kategorien fällt (Ebd.: 1f ).

[6] Da außerdem die Leistungsmessung am Erreichen bestimmter Kompetenzstufen, die für eine zukünftige Ausbildung wichtig wären, gemessen wird, können Mängel am deutschen Bildungssystem geschlussfolgert werden, da diese Kompetenzbereiche die Benachteiligten langfristig von einer zukunftsfähigen Ausbildung ausschließen (Ebd.: 2).

[7] Ersteres umfasst die Bildungsvoraussetzungen der Schüler/innen selbst, aber auch die Unterstützungsmöglichkeiten ihrer Familien mithilfe von kulturellem und/oder sozioökonomischen Kapital. Der innerschulische Bereich umfasst hingegen die Ursachen, die in der Funktionsweise des deutschen Bildungssystems liegen.

Details

Seiten
Jahr
2010
ISBN (eBook)
9783640814985
ISBN (Paperback)
9783640815043
DOI
10.3239/9783640814985
Dateigröße
586 KB
Sprache
Deutsch
Institution / Hochschule
Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg
Erscheinungsdatum
2011 (Februar)
Note
1,3
Schlagworte
bildungsungleichheit schülerinnen schüler migrationshintergrund schulen zusammenhang sprache integration beispiel bildungssystems

Autor

  • Tabea Rissler (Autor:in)

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Titel: Bildungsungleichheit für Schülerinnen und Schüler  mit Migrationshintergrund an deutschen Schulen