Lernen durch Partizipation
Politische Sozialisation als politisches Lernen
Zusammenfassung
Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
Einleitung
Wege der politischen Partizipation im 21.Jahrhundert:
Medien, Schule, außerschulische Lernorte
1. Politische Beteiligung und Medien
2. Schule und außerschulische Lernorte
Fazit
Literaturverzeichnis
Einleitung
„[…]Mit dem Begriff Partizipation [werden] alle Tätigkeiten der Bürger zusammen gefasst, die diese freiwillig mit dem Ziel unternehmen, Entscheidungen auf den verschiedenen Ebenen des politischen Systems zu beeinflussen.“[1] Ausgehend von dieser Begriffsbestimmung stellt sich nun die Frage, wie sich dies in der Praxis umsetzen lässt und welcher äußerer Faktoren es bedarf, um entsprechende Fähigkeiten überhaupt erst zu generieren. Ist die Forderung nach einer breiteren Mitbestimmung mit einer passiven Bürgergesellschaft kompatibel oder leben die meisten Mitglieder unserer Gesellschaft mit ihren „partizipatorischen Ansprüchen über ihren Verhältnissen“[2] ? Wie und wodurch kann sicher gestellt werden, dass sich auch kommende Generationen an politischen Entscheidungen beteiligen wollen und es auch können?
Wege der politischen Partizipation im 21.Jahrhundert:
Medien, Schule, außerschulische Lernorte
1. Politische Beteiligung und Medien
Die einfachste und eindeutigste Form der Beteiligung am politischen Leben ist die Teilnahme an Wahlen, bei denen politische Repräsentanten stellvertretend für eine Mehrheit von Bürgerinnen und Bürgern ernannt werden. Diesesindirekte Mitwirken, das lediglich die Gestaltung des politischen Apparats beeinflusst, bezeichnetThorsten Braun als die „ quantitative Dimension des Wahlaktes“[3], bei der der Bürger sich in regelmäßigen Abständen jedoch nur für die Personalie eines politischen Akteurs ausspricht und ausschließlich darauf hoffen kann, dass dieser seine Interessen vertritt. Durch diesen formalen Akt scheinen alle Wählerinnen und Wähler das gleiche Recht zu haben. Letzten Endes wird durch diese Formalie der Akt der politischen Partizipation jedoch auf die „Sicherung bestehender Gesellschaftsverhältnisse“[4] verkürzt und reduziert. Mandatsträger und politische Akteure erhalten nun die Zustimmung bei diesen Elektionen und verpflichten sich damit gleichzeitigzu einer „kommunikativen Bringschuld“[5] den Bürgern gegenüber; diese müssen bei der Beratung, Konsensfindung und Entscheidung kommunikativ teilnehmen können und teilnehmen müssen.[6] Damit entsteht eine reziproke Evokation, ein wechselseitige Abhängigkeit zwischen Wähler und Gewählten, und der Kontakt mit dem Volksvertreter endet nicht damit, dass der Bürger seinen Wahlzettel in die Urne fallen lässt, sich daraufhin zurücklehnt und die Gestaltung des Staates fordernd dem Politiker überlässt. Die Folge ist eine abflachende Verteilung der Macht, sozusagen die „Enthierarchisierung der Beziehung zwischen Staat und Gesellschaft.“[7] Zentraler Bestandteil eines solchen Prozesses ist der Aufbau und die regelmäßige Pflege der Kommunikation und Kooperation von Bürgern und politischen Akteuren, um ein Selbstverständnis der staatlichen Institutionen im Hinblick auf die Gesellschaft als ein Verhältnis „primus-inter-pares“[8] zu etablieren und damit die eigentliche Funktion der Abgeordneten als Repräsentanten der Mitglieder einer Gemeinschaft zu erfüllen. Eine solche Form der aktiven Mitarbeit der Bevölkerung, sozusagen als „Beteiligung Aller am Prozess der Herrschaft über Alle“[9] nennt Braun eine „ qualitative Beteiligung […] am Herrschaftsprozess.“[10] Der Bürger wird nicht auf das Abgeben einer Stimme für den Kandidaten, der idealerweise die größte Schnittmenge mit den eigenen Ideologien hat, reduziert, sondern selbst aufgefordert, seine Ideen und Meinungen im gesellschaftlichen Prozess einzubringen.
In der mediatisierten und schnelllebigen Welt unserer Zeit ist die Partizipation anhand der aktuell vorherrschenden Medien eine naheliegende Vorgehensweise. Das über einen langen Zeitraum unangefochtene Leitmedium „Fernsehen“, welches nicht die Komplexität der politischen Prozesse wiedergibt, sondern nur eine Wirklichkeit des „Außergewöhnlichen, Vordergründigen, Kurzfristigen“[11], wurde in der Vergangenheit oft als anfällig für manipulative Vorhaben betitelt; es präsentiert eine vereinfachte und möglichst unterhaltende Form der Politik. Die Bürger sind daher gut beraten, sich vergleichender Lektüre zu bedienen, um sich aus unterschiedlichen Quellen ein weniger subjektives Bild der aktuellen gesellschaftlichen Lage bilden zu können.[12]
Herrmann Giesecke verdeutlicht in diesem Zusammenhang, dass die politische Bildung ausschließlich durch Partizipation erfolgen könne. Diese Form der Beteiligung nennt er konkret „politische Publizitik“[13]. In der modernen Welt der Mediengesellschaft komme es darauf an, dass man in bildenden Institutionen, wie der Schule, durch Sachkunde und Aufklärung zu einem partizipatorischen Bürger erzogen wird. Damit dieses Ideal keine Utopie bleibt, muss das Modell von Giesecke allerdings um einen Aspekt ergänzt werden. Seine Idealvorstellung einer fruchtbaren politischen Bildung beruht nur auf der Säule der Partizipation, nach dem Motto „learningbydoing“. Denn nur durch die politische Publizitik lerne man Politik verstehen und könne in die gesellschafts modellierenden Prozesse aktiv eingreifen und sie gestalten. Der Auftrag der politischen Bildung kann daher nach Giesecke als die Erziehung zur aktiven Kommunikation und Einmischung in politische Prozesse und die Offenlegung, sprich Publizierung einer qualifizierten Meinung als Beitrag im öffentlichen Diskurs umgesetzt werden.[14] Allerdings sehen Pädagogen wie Wolfgang Klafki neben der aktiven Teilhabe an der öffentlichen Diskussion auch die Notwendigkeit, den Heranwachsenden Mittel und Werkzeuge an die Hand zu geben, um sie nicht mit der Fülle an Institutionen, Informationen und Ansichten zu überfordern.[15] Anderenfalls könnten sie leicht zu Spielbällen manipulierender Darstellungen und einseitiger Berichterstattungen werden. Wichtig ist demnach die Aufklärung über die Medien, sprich die kritische Betrachtung der Metaebene, bevor man sich in diese hineinbegibt. Dazu gehört nicht zuletzt die Hinterfragung von inszenierten Worten und Bildern, sondern auch die Fähigkeit,kompetent alle Angebote zu vergleichen und aus der unerschöpflichen Informationsfülle die essentiellen und substantiellen Daten zu entnehmen um entsprechende Schlüsse ziehen zu können.
Durch das Aufkommen des Internet-Angebots für eine breite Öffentlichkeit, scheint die Möglichkeit der Partizipation stark erleichtert. Es ist möglich von zu Hause aus auf digitalem Wege in Form von Blogs oder Diskussionsforen mit Abgeordneten in Kontakt zu treten. Dies vereinfacht zum einen die Umsetzung der oben angeführten kommunikativen Bringschuld der Mandatsträger und zum anderen die Befähigung eines aktiven Mitglieds der Gesellschaft sich zu informieren und in den Reformprozess einzutreten. Neben dem vermeintlich großen Nutzen bedarf dieses neue Leitmedium jedoch auch einer durchaus kritischen Betrachtung und muss vor allem dahingehend hinterfragt werden, ob das Wirken in einer „Cyberdemokratie“[16] einen Partizipationsgewinn bringt. Aufgrund der Fülle an Informationen und der nahezu unbeschränkten Zugangsmöglichkeit, fällt die generelle Klassifikation nach relevanten und irrelevanten, möglicherweise stark manipulierten einströmenden Informationen sehr schwer. Einerseits führt diese Form der Partizipation, die hochfrequent genutzt wird, zu einer erleichterten Informationsbeschaffung, andererseits ebnet sie den Weg für die mediale Inszenierung einer scheinbaren Bürgernähe, die nur als augenscheinliche Erweiterung der politischen Partizipationsmöglichkeit angesehen werden kann und keinen merklichen Gewinn an Mitbestimmung mit sich bringt.[17]
Somit ist noch immer nicht abschließend geklärt, wie die Bürgerinnen und Bürger zu mehr Partizipation geführt werden können und diese als integrale Pflicht des Bürgers in einer modernen Gemeinschaft ansehen. Womöglich liegt gerade in diesem Sachverhalt nicht nur die Darlegung des Problems, sondern auch eine mögliche Lösung. Ein normaler Bürger wird am wahrscheinlichsten handeln und sich beteiligen, wenn die Politik in etwas eingreift, das ihn direkt betrifft, das er lieb gewonnen hat, mit dem er sich identifiziert. Daraus ist abzuleiten, dass die Basis einer Demokratie, die „Identifikation der Bürger mit dem Gemeinwohl“[18] ein zentraler, wenn nicht der wichtigste Ansporn ist, sich politisch zu engagieren. Dies ist kein neuer demokratietheoretischer Ansatz, denn schon Charles de Montesquieu sprach sich dafür aus, dass „das Volk als Ganzes die gesetzgebende Gewalt sein sollte“[19] und die Tugend, welche als angemessene Form der politischen Kultur beschrieben wird, näher als „innere Bindung der Bürger an die demokratische Ordnung“[20] definiert wird. Es müsse eine Möglichkeit gefunden werden, „Anregungen, Ideen und Innovationsprojekte aus der Lebenswelt der Bürger in die Sphäre des Politischen zu tragen.“[21] Die Strömung des „Kommunitarismus“ erkennt in modernen und liberalen Gesellschaften, dass diese „unter einem Verlust an individueller und kollektiver Gemeinwohlorientierung leiden.“[22] Schließlich sehen sie die Bereitschaft der Partizipation in einer kulturell integrierten Bürgergesellschaft im ethischen Sinne als wahrscheinlicher und effektiver an, als in einer Gemeinschaft, die zwar diesen Namen trägt, das entsprechende Solidargefühl jedoch nicht verspürt. Kritik an dieser Auffassung ist die Erschaffung eines „neuen idealen politischen Rollentypus“[23] des perfekten Bürgers, welcher sich vorbildlich am politischen Geschehen beteiligen wird. Eine solche Utopie würde demnach „an der Realität politischen Verhaltens scheitern“[24], da ein idealer politischer Bürger geschaffen wird, der nicht omnipräsent existieren kann. Dadurch würde nur erneut ein Beispiel dafür geschaffen werden, dass der Gedanke einer größeren Mitwirkung der Gesellschaft an der Politik scheitern muss.
[...]
[1] Naßmacher 2004:24.
[2] Sarcinelli 1993 (nach Schulz, W.): 34.
[3] Braun 2007: 12.
[4] ebd. (nach Kißler, L.): 12.
[5] Sarcinelli 1993: 34.
[6] ebd.: 34.
[7] ebd.: 30.
[8] ebd.: 31.
[9] Braun 2007: 12.
[10] ebd.: 12.
[11] Sarcinelli 1993: 35.
[12] vgl.Sarcinelli 1993: 35.
[13] ebd. (nach Giesecke, H.): 34.
[14] vgl.: ebd. (nach Giesecke, H.): 34-35.
[15] vgl.: ebd.: 36.
[16] Sarcinelli 1997: 336.
[17] vgl. ebd.: 338-339.
[18] Sarcinelli 1993: 33.
[19] Braun 2007 (nach Montesquieu, C.): 12.
[20] ebd.: 12.
[21] ebd.: 33.
[22] Sarcinelli 1993: 32.
[23] ebd.: 33.
[24] ebd.: 33.