Existiert ein konservativ-rechter Effekt bei der Ausübung direkter Demokratie?
Ein Vergleich der politischen Wirkungsrichtung von Volksentscheid-Ergebnissen in der Schweiz, Kalifornien und Irland
Zusammenfassung
Ein Vergleich mit den Wahlprogrammen 2009 bestätigt die Vermutung, nach welcher die Forderung nach direktdemokratischen Entscheidungsverfahren vor allem aus dem linken Parteienspektrum hervorgeht. Es scheint also, dass die Parteien in Deutschland von einer eher linksgerichteten Wirkung direkter Demokratie ausgehen.
Richtet man den Blick allerdings auf Staaten in denen die unmittelbare Demokratie bereits eine große Rolle auf nationaler Ebene spielt, stellt sich ein anderes Bild dar. So stößt man beispielsweise auf Referenden wie 1983 in Irland: In einem Verfas-sungsreferendum sollte darüber entschieden werden, ob das bereits bestehende Verbot von Schwangerschaftsabbrüchen noch verschärft werden sollte. Das Referendum wurde mit 54 Prozent der Stimmen angenommen. Als weiteres Beispiel dient die Proposition 187, die 1994 in Kalifornien vorgelegt wurde und vorsah, Kinder illegaler Immigranten vom öffentlichen Schulbesuch auszuschließen und ihnen die Krankenfürsorge zu verwehren. Auch diese Vorlage wurde ange-nommen, hier mit 58,9 Prozent der Stimmen. Dieser kurze Blick wirft die Frage nach der tatsächlichen Wirkungsrichtung direktdemokratischer Entscheidungen auf. So zeigt sich beispielsweise für Obinger und Wagschal, in ihrer Studie zur direkten Demokratie in der Schweiz, „ein strukturkonservativer […] Effekt von Volksab-stimmungen“ und Möckli kommt in seiner Untersuchung der direkten Demokratie im internationalen Vergleich zu dem Schluss, dass direkte Demokratie „vor allem den gebildeten Mittelschichten (dient)“ .
Diese Arbeit geht nun der Frage nach, ob und in wieweit ein konservativ-rechter Effekt der Direktdemokratie auf die Staaten die sie ausüben zu beobachten ist. Gegenstand der Untersuchung sind die Ergebnisse von Volksentscheiden in drei Staaten, welche allesamt mit direktdemokratischen Elementen in der Verfassung ausgestattet sind: die Schweiz, Irland und Kalifornien.
Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
Abkürzungs- und Abbildungsverzeichnis
1. Einleitung
2. Analyserahmen
2.1 zur direkten Demokratie
2.2 zur Links-Rechts-Kategorisierung
3. Die direkte Demokratie in der Schweiz, in Irland und Kalifornien
3.1 Schweiz
3.1.1 Die direkte Demokratie in der Schweiz
3.1.2 Volksabstimmungen in der Schweiz
3.2 Irland
3.2.1 Die direkte Demokratie in Irland
3.2.2 Volksabstimmungen in Irland
3.3 Kalifornien
3.3.1 Die direkte Demokratie in Kalifornien
3.3.2 Volksabstimmungen in Kalifornien
4. Fazit
Anhang
Literaturverzeichnis
Abkürzungsverzeichnis
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildungsverzeichnis
Abbildung 2.1.1: Auslösungskompetenzen
Abbildung 2.1.2: direktdemokratische Einrichtungen in den drei Staaten
Abbildung 2.2.1: Konfliktfelder der Links-Rechts-Achse
1.Einleitung
„Demokratie ist nun einmal auf eine aktive, verantwortungsbewusste und vor allem interessierte Mitarbeit von Bürgerinnen und Bürgern angewiesen. Das Verantwortungsbewusstsein sollte sich nicht nur auf einen Urnengang alle vier Jahre beschränken.“[1]
Nachdem Anfang 2006 sowohl die FDP,als auch das Bündnis 90/Die Grünen und die Linke jeweils einen Gesetzesentwurf, zur Einführung direktdemokratischer Elemente in das Grundgesetz, vorgelegt hatten, wurde in der Bundestagsdebatte vom 11. Mai 2006 im Plenum darüber beraten. Neben den drei Oppositionsparteien sprach sich auch die SPD für die Einführung von Volksinitiativen, Volksbegehren und Volksentscheiden auf Bundesebene aus. Einzig die CDU/CSU-Fraktion äußerte Bedenken und sah gar eine „Gefahr des Missbrauchs und der politischen Desta-bilisierung“[2].
Ein Vergleich mit den Wahlprogrammen 2009 bestätigt die Vermutung, nach welcher die Forderung nach direktdemokratischen Entscheidungsverfahren vor allem aus dem linken Parteienspektrum hervorgeht. Es scheint also, dass die Parteien in Deutschland von einer eher linksgerichteten Wirkung direkter Demokratie ausgehen.
Richtet man den Blick allerdings auf Staaten in denen die unmittelbare Demokratie bereits eine große Rolle auf nationaler Ebenespielt, stellt sich ein anderes Bild dar. So stößt man beispielsweise auf Referenden wie 1983 in Irland: In einem Verfas-sungsreferendum sollte darüber entschieden werden, ob das bereits bestehende Verbot von Schwangerschaftsabbrüchen noch verschärft werden sollte. Das Referendum wurde mit 54 Prozent der Stimmen angenommen.[3] Als weiteres Beispiel dient die Proposition 187, die 1994 in Kalifornien vorgelegt wurde und vorsah, Kinder illegaler Immigranten vom öffentlichen Schulbesuch auszuschließen und ihnen die Krankenfürsorge zu verwehren. Auch diese Vorlage wurde angenommen, hier mit 58,9 Prozent der Stimmen.[4] Dieser kurze Blick wirft die Frage nach der tatsächlichen Wirkungsrichtung direktdemokratischer Entscheidungen auf. So zeigt sich beispielsweise für Obinger und Wagschal, in ihrer Studie zur direkten Demokratie in der Schweiz, „ein strukturkonservativer […] Effekt von Volksab-stimmungen“[5] und Möckli kommt in seiner Untersuchung der direkten Demokratie im internationalen Vergleich zu dem Schluss, dass direkte Demokratie „vor allem den gebildeten Mittelschichten (dient)“[6].
Diese Arbeit geht nun der Frage nach, ob und in wieweit ein konservativ-rechter Effekt der Direktdemokratie auf die Staaten die sie ausübenzu beobachten ist.Gegenstand der Untersuchung sind die Ergebnisse von Volksentscheiden in drei Staaten, welcheallesamt mit direktdemokratischen Elementen in der Verfassungausgestattet sind: die Schweiz, Irland und Kalifornien.
Zunächst wird der Analyserahmen der Arbeit festgelegt. Anschließend werden die direktdemokratischen Elemente der Schweiz, Irlands und Kaliforniens vorgestellt, um anschließend die Ergebnisse der für die Frage der Arbeit relevanten,Volksabstimmungenzu analysieren. Diese drei Staaten wurden ausgewählt, da siejeweils einenhohen Anteil an allen weltweit getätigten Volksabstimmungen haben. Zu dem Zweck der Arbeit ist es gerechtfertigt, neben den Staaten Irland und Schweiz auch den Gliedstaat Kalifornien in den Vergleich mit einzubeziehen, da die Glied-staaten in den USA alle über ein unabhängiges politisches System und eine eigenen Verfassungen verfügen, außerdem gibt es „nirgendwo auf der Welt (einen Staat, indem) […] mehr Menschen über mehr Sachvorlagen ab(stimmen) als in Kalifornien“[7].
Um eine Vergleichsmöglichkeit zu schaffenwerden außerdem ausschließlich Volksentscheide ab Beginn des 20. Jahrhundert betrachtet. Da erst ab 1937 alle drei Staaten Volksabstimmungen in der Verfassung verankert haben und davon ausge-gangen werden kann, dass sich Meinungen zu politischen, ethischen und moralischen Themen, im Laufe der Zeitverändern.
Zum Schluss werden in einem dritten Abschnitt die Ergebnisse zusammengetragen und miteinander verglichen, um eine Antwort auf die Ausgangsfrage formulieren zu können. Außerdem werden Ergebnisse der Studien verschiedener Autoren zum Thema direkter Demokratie zusammengetragen und weitere Einflussmöglichkeiten auf den Ausgang von Volksentscheiden aufgezeigt. Schließlich wird betrachtet, inwieweit die Ergebnisse der deutschen Diskussion zur direkten Demokratie nützlich sein können.
2. Analyserahmen
Diese Arbeit befasst sich ausschließlich mit den direktdemokratischen Elementen der ausgewählten Staaten. Sie konzentriert sich also auf die Policy-Dimension der Politik, während sie die Polity- und Politics-Dimension außer Acht lässt. Dies geschieht, da es in dieser Arbeit ausschließlich um die politische Wirkungsrichtung der direkten Demokratie, unabhängig von den Strukturen und konstitutiven Normen der betreffenden Staaten oder der Betrachtung ihrer politischen Prozesse[8], gehen soll.
Das Vorhandensein direktdemokratischer Elemente, wie in den drei untersuchten Fällen, bildet die unabhängige Variable. Die politischen Auswirkungen der analysierten Volksentscheide bilden dann die dichotomisierte abhängige Variable, mit den Ausprägungsmöglichkeiten Links und Rechts.
2.1 zur direkten Demokratie
In dieser Arbeit wird unter dem Begriff der direkten Demokratie das grundsätzliche Recht der Bürgerinnen und Bürger auf Volksabstimmungen als „systemergänzende Institution“[9] verstanden.Die Begriffe Volksabstimmung und Volksentscheid, genau wie direktdemokratische Elemente, direkte und unmittelbare Demokratie, werden synonym verwendet.
Die Elemente der direkten Demokratie können zum einen nach ihrer Auslösungskompetenz und zum anderen nach den Entscheidungsgegenständen unterschieden werden. Bei der Auslösungskompetenz wird unterschieden, ob die Abstimmung von unten (durch die Bürgerinnen und Bürger) oder von oben (durch ein Staatsorgan) ausgelöst wird. Die nachfolgende Abbildung soll die Unterscheidung verdeutlichen.
Abbildung 2.1.1: Auslösungskompetenzen[10]
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Während die Initiative durch die Bürgerinnen und Bürger ausgelöst wird, wird das Plebiszit optional und ad hoc durch ein Staatsorgan ausgelöst. Bezüglich der Referenden wird wiederum nach fakultativem und obligatorischem Referendum unterschieden. Das fakultative Referendum wird von unten, das obligatorische Referendum wird durch eine Verfassungsvorschrift verpflichtend ausgelöst. Beiden gemein ist eine genau festgelegte, gesetzliche Regelung, wann und zu welchen Themen sie ausgelöst werden können bzw. müssen.[11]
Bezüglich der Entscheidungsgegenstände ist zu unterscheiden, ob über Verfassungen bzw. Verfassungsartikel, Gesetze, Finanzthemen oder Staatsverträge abgestimmt werden soll.[12] Die folgende Abbildung gibt einen Überblick der direktdemo-kratischen Einrichtungen der drei Staaten Kalifornien, Irland und der Schweiz, und stellt die dazugehörigen Entscheidungsgegenstände dar.
[...]
[1] Reichel, Maik: Deutscher Bundestag, Plenarprotokoll 16/35, S. 77.
[2] Wellenreuther, Ingo: ebenda, S. 74.
[3] vgl. Gindulis, Edith; Obinger, Herbert: Direktdemokratie und individuelle Rechte. Das Beispiel Schwangerschaftsabbruch, in: Freitag, Markus; Wagschal, Uwe (Hg.): Direkte Demokratie. Bestandsaufnahmen und Wirkungen im internationalen Vergleich, Berlin: LIT Verlag Dr. W. Hopf, 2007, S. 447-472.
[4] vgl. Obinger, Herbert; Wagschal, Uwe: Der Einfluss der Direktdemokratie auf die Sozialpolitik, in: Politische Vierteljahresschrift, 41, 2000, S. 466-495.
[5] ebenda, S. 493.
[6] Möckli, Silvano: Direkte Demokratie. Ein internationaler Vergleich, Bern: Verlag Paul Haupt, 1994, S. 374.
[7] ebenda, S. 18.
[8] vgl. Mols, Manfred: Einführung und Überblick. Politik als Wissenschaft: Zur Definition, Entwicklung und Standortbestimmung einer Disziplin, in: Lauth, Hans-Joachim; Wagner, Christian (Hg.): Politikwissenschaft: Eine Einführung, 6. grundlegend überarbeitete Auflage, Paderborn: Verlag Ferdinand Schöningh GmbH & Co. KG, 2009, S. 23-61.
[9] Schiller, Theo: Direkte Demokratie. Eine Einführung, Frankfurt/Main: Campus Verlag, 2002, S. 47.
[10] Eigene Darstellung nach: ebenda, S. 14.
[11] vgl. Möckli, Silvano: Direkte Demokratie. Ein internationaler Vergleich, Bern: Verlag Paul Haupt, 1994, S. 90.
[12] vgl. Schiller, Theo: Direkte Demokratie. Eine Einführung, Frankfurt/Main: Campus Verlag, 2002, S. 15.