Russlandpolitik der Regierung Schröder
Analyse anhand der Theorien des Neoliberalismus und des Neorealismus
Zusammenfassung
Die Arbeit beginnt mit einer Darstellung des strukturellen Neorealismus nach Kenneth Waltz. Anschließend wird diese Theorie auf die Russlandpolitik der rot- grünen Regierung angewendet. Folgend werden Theoriedefizite des strukturellen Neorealismus ausgearbeitet. Nachfolgend wird die Theorie des Neoliberalismus nach Andrew Moravcsik dargelegt. Der Fokus wird hierbei auf den kommerziellen Liberalismus gelegt. Um die deutsche Russlandpolitik der Regierung Schröder aus Sicht des kommerziellen Liberalismus analysieren zu können, folgt eine Beschreibung des Systems der Interessenvertretung und deren Einfluss auf die politische Entscheidungsfindung der BRD, sowie ein Überblick über die deutsch- russischen Wirtschaftsbeziehungen. Ausgehend von diesen Darstellungen wird die Russlandpolitik der Regierung von 1998 bis 2005 anhand des kommerziellen Liberalismus analysiert. Im Anschluss daran werden Defizite des Neoliberalismus dargestellt. Abschließend folgt ein Resumée, in dem die Leitfrage dieser Arbeit: “Warum entwickelte sich unter der rot-grünen Regierung ein sehr enges Verhältnis zu Russland? Ist dies durch die Theorie des Neorealimus beziehungsweise des Neoliberalismus zu erklären?“ beantwortet wird.
Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Die Theorie des strukturellen Neorealismus nach Kenneth Waltz
2.1 Systemebene des strukturellen Neorealimus
2.2 Theorie des strukturellen Neorealismus
3. Anwendung des strukturellen Neorealismus auf die Russlandpolitik der BRD unter Schröder
3.1 Unipolarität oder Multipolarität
3.2 Kritik am Neorealismus
4. Die Theorie des Neoliberalismus nach Andrew Moravcsik
4.1 Systemebene des Neoliberalismus
4.2 Theorie des Neoliberalismus
5. Anwendung der Theorie des Neoliberalismus auf die Russlandpolitik der BRD unter Schröder
5.1 Einfluss der wirtschaftlichen Kräfte auf die Entscheidungsfindung der BRD
5.2 Deutsch- russische Wirtschaftsbeziehungen
5.3 Anreiz einer strategischen Partnerschaft
5.4 Kritik am Neoliberalismus
6. Resumée
Literaturverzeichnis
1. Einleitung
Anfang 1999 waren die deutsch- russischen Beziehungen noch von Distanz geprägt. Der Kosovokrieg hatte seine Spuren hinterlassen, die Wirtschaftskrise 1998 und die instabile politische Lage Russlands taten ihr Übriges.1 Mit Amtsantritt der rot-grünen Regierung wurde eine Normalisierung der deutsch- russischen Verhältnisse angekündigt.2 Als 2000 Wladimir Putin zum russischen Präsidenten gewählt wurde, wurde diese Linie vorerst fortgesetzt. Nach der anfänglichen Zurückhaltung änderte sich dies. Es wurde mehr und mehr eine Politik der stärkeren Einbindung Russlands betrieben. Bis 2001 verdichtete sich das Netz der gesellschaftlichen Kontakte. So wurde 2001 neben circa hundertfünfzig Städtepartnerschaften, der Petersburger Dialog ins Leben gerufen. Der jährlich stattfindende Dialog soll als Diskussionsforum dazu dienen, die Zivilgesellschaften der beiden Länder einander näher zubringen. Dies soll durch „die Einbeziehung von zentralen Institutionen und nichtstaatlichen Organisationen, die sich mit dem deutsch-russischen Dialog befassen“3 erreicht werden.Vor allem aber die Geschehnisse des 11. Septembers brachten die beiden Staaten einander näher.4 Bundeskanzler Schröder beschrieb das Verhältnis zu Russland in der folgenden Zeit als ein sehr enges und starkes, dessen Positionen bei international wichtigen Fragen ähnlich seien und auch in wirtschaftlicher Hinsicht Erfolg versprechend.5
Wie lässt sich dieses enge Verhältnis der BRD zu Russland unter der rot-grünen Regierung anhand der Theorie des strukturellen Neorealismus nach Kenneth Waltz, beziehungsweise des Neoliberalismus nach Andrew Moravcsik erklären? Dies zu beantworten ist Intention der vorliegenden Arbeit. Hierzu wird zuerst die Theorie des strukturellen Realismus nach Kenneth Waltz und anschließend die Theorie des Neoliberalismus nach Andrew Moravcsik auf das Verhältnis der BRD zu Russland angewendet. Diese beiden Theorien wurden ausgewählt, da beide Ansätze kausal aufgebaute Erklärungsversuche sind. Daher wird im Folgenden die Anwendung zweier Theorien betrachtet, die beide plausible Erklärungen für die Annäherung der BRD an Russland abgeben können, aber dennoch auf verschiedenen Ebenen ansetzen.
Die Arbeit beginnt mit einer Darstellung des strukturellen Neorealismus nach Kenneth Waltz. Anschließend wird diese Theorie auf die Russlandpolitik der rot- grünen Regierung angewendet. Folgend werden Theoriedefizite des strukturellen Neorealismus ausgearbeitet. Nachfolgend wird die Theorie des Neoliberalismus nach Andrew Moravcsik dargelegt. Der Fokus wird hierbei auf den kommerziellen Liberalismus gelegt. Um die deutsche Russlandpolitik der Regierung Schröder aus Sicht des kommerziellen Liberalismus analysieren zu können, folgt eine Beschreibung des Systems der Interessenvertretung und deren Einfluss auf die politische Entscheidungsfindung der BRD, sowie ein Überblick über die deutsch- russischen Wirtschaftsbeziehungen. Ausgehend von diesen Darstellungen wird die Russlandpolitik der Regierung von 1998 bis 2005 anhand des kommerziellen Liberalismus analysiert. Im Anschluss daran werden Defizite des Neoliberalismus dargestellt. Abschließend folgt ein Resumée, in dem die Leitfrage dieser Arbeit: “Warum entwickelte sich unter der rot-grünen Regierung ein sehr enges Verhältnis zu Russland? Ist dies durch die Theorie des Neorealimus beziehungsweise des Neoliberalismus zu erklären?“ beantwortet wird.
Forschungen zu den Theorien des strukturellen Neorealismus und des Neoliberalismus sind vielfältig. Zur Darstellung des strukturellen Neorealimus wurden die Arbeiten von Masala, Schöring und Siedschlag (u.a.) zu Rate gezogen. Zur Theorie des Neoliberalismus sind zum einen Andrew Moravcsiks Arbeit Taking Preferences Seriously: A Liberal Theorie of International Politics, sowie eine Überblicksdarstellung von Siegfried Schieder herangezogen worden. Informationen über Russlands Stellung in der deutschen Außenpolitik findet man in Stent (2007). Zur Analyse der deutschen Russlandpolitik von 1998 bis 2005 sind Spanger (2005) und der Vortrag Susannes Heineckes zu ihrem Promotionsthema „ Neue deutsche Außenpolitk? Die Bundesrepublik Deutschland und die Russsische Föderation 1991- 2005“ zu nennen. Spanger betrachtet das Verhältnis der BRD zu Russland aus Sicht des Neorealismus, des Neoliberalismus und des Konstruktivismus. Hierbei kommt er zu dem Schluss, dass Neorealismus und Neoliberalismus einen gewissen, wenn auch begrenzten Erklärungswert für ein gutes Verhältnis der beiden Staaten haben. Heinecke nähert sich dem Verhältnis zwischen Deutschland und Russsland aus einer anderen Perspektive. Sie frägt nach den Auswirkungen des engen Verhältnisses für das politische System Russlands. Dennoch analysiert auch sie das Thema aus Sicht des Neorealismus sowie aus Sicht des Neoliberalismus. Ausgehend von dieser Betrachtung leitet sie die Hypothese ab, dass der Neoliberalismus besser geeignet ist deutsche Außenpolitik zu beschreiben. Der Neorealismus wird als eine ergänzende Erklärungsmöglichkeit gesehen.
2. Die Theorie des strukturellen Neorealismus nach Kenneth Waltz
2.1 Systemebene des strukturellen Neorealimus
Der Neorealismus nach Kenneth Waltz wird oft auch als struktureller Neorealismus beschrieben, da er von der Struktur des internationalen Systems auf das Verhalten der Staaten schließt.6 Waltz hat seine Theorie auf der Ebene des internationalen Systems angesiedelt.7 Für ihn besteht das internationale System aus zwei Elementen: der Struktur des Systems und den Einheiten. Beide Elemente sind getrennt voneinander zu untersuchen.8
2.2 Theorie des strukturellen Neorealismus
Die Einheiten bilden die Staaten im internationalen System.9 Die Existenz von NGOs , Organisationen und Institutionen wird nicht negiert, aber auch nicht in die Analyse miteinbezogen, da sie keinen Einfluss auf, für die Theorie relevante Prozesse, ausüben.10 Die Staaten werden als Black Box verstanden, da innerstaatliche Entwicklungen aufgrund der Analyseebene nicht relevant sind.11 In ihrem Kern sind nach Waltz alle Staaten identisch. Das zentrale Bedürfnis der Staaten ist das Überleben. Dieses Ziel verfolgen sie auf rationale Weise, so orientieren sie ihre Entscheidungen an Zweck- Mittel- Rationalität. Das Verhalten anderer Akteure ist nicht vorraussagbar. Die Staaten können untereinander durch ihr Machtpotential unterschieden werden.12
Die Struktur des Systems hat einen kausalen Einfluss auf das Handeln der Einheiten. Sie ist durch drei Elemente bestimmt: Ordnungsprinzip, Eigenschaften der Akteure/ funktionalen Differenzierung und Ressourcen- und Machtverteilung zwischen den Akteuren.13 Waltz zufolge ist das System anarchisch angelegt. Anarchie wird hierbei als Abwesenheit einer übergeordneten Instanz verstanden.14 Aufgrund der Anarchie ist jeder Akteur auf sich selbst gestellt. Hinsichtlich der Annahme, dass Anarchie vorherrscht, geht Waltz davon aus, dass Staaten nicht funktional Differenziert sind. Vielmehr versucht jeder Staat auf sich allein gestellt sein Überleben zu sichern.15 Die Verteilung der Macht im internationalen System ist eine Eigenschaft der Struktur des Systems. Es gibt drei mögliche Varianten der Machtverteilung: unipolare, bipolare oder multipolare.16
Das oberste Ziel der Staaten in einer von Anarchie geprägten Umgebung ist die Maximierung ihrer Sicherheit. Sicherheit ist nur möglich, wenn ein Machtgleichgewicht vorhanden ist. Um Machtungleichgewichten vorzubeugen, betreiben Staaten Balancing.
Nach Waltz ist ein Machtgleichgewicht sehr wahrscheinlich, aber dennoch nicht zwingend. Staaten müssen ihre Position im System immer wieder neu überprüfen. Machtverschiebungen sind durch eigene Aufrüstung oder Bündnisbildung ausgleichbar. Bei einer Machtverschiebung hin zu einem Akteur ist es sehr wahrscheinlich, dass sich Allianzen bilden. Diese Allianzen werden unter den schwächeren Staaten geschlossen.17 Waltz geht davon aus, dass eine bipolare Machtstruktur das internationale System stabil macht und Kriege relativ unwahrscheinlich werden lässt. Aufrüstung aufgrund von Fehleinschätzung anderer Staaten ist nicht anzunehmen. Im multipolaren System hingegen ist durch die ständige gefühlte Bedrohung durch viele andere Staaten und die Unsicherheit um das eigene Überleben eher Instabilität geboten. Die Wahrscheinlichkeit eines Krieges ist höher. In einem unipolaren System ist die Wahrscheinlichkeit eines Krieges am höchsten. Ein einzelner Hegemon stellt für die gesamten Akteure eine Bedrohung dar, deshalb ist es sehr wahrschienlich, dass Balancing, im Sinne einer Gegenpolbildung, betrieben wird um die eigene Sicherheit zu gewährleisten.18 Außer der Bildung von Allianzen sieht Waltz keine Möglichkeit zu zwischenstaatlicher Kooperation. Kooperationspartner sind unberechenbar und somit eine Gefahr für die eigene Sicherheit. Nach Waltz haben die Staaten nur ein begrenztes Gestaltungspotenzial bezüglich des Systems. Hierbei gibt es zwei Möglichkeiten: Änderung oder Transformation des Systems.
[...]
1 Vgl.: Stent (2007), S. 443.
2 Die Beziehung unter Helmut Kohl zu Russland war geprägt von einer Männerfreundschaft zwischen Kohl und Jelzin. Daraus resultierte eine sehr enge Bindung Deutschlands an Russland. Diese enge Bindung sollte unter der rot- grünen Regierung nicht fortgesetzt werden. (Vgl.: Stent, 2007).
3 http://www.petersburger-dialog.de/ziele_und_aufgaben
4 Näheres hierzu unter 3.1 unipolare Machtordnung
5 Vgl.: Stent (2007), S. 448.
6 Vgl.: Siedschlag (2004), S. 2.
7 Laut Waltz gibt es drei Ebenen auf denen Theorien der internationalen Politik angesiedelt werden: Ebene des Individuums, Ebene des poltischen Systems und Ebene des internationalen Systems. (Vgl.: Masala, 2009).
8 Vgl.: Schöring (2003), S. 66.
9 Vgl.: Siedschlag (2004), S.4.
10 Vgl.: Schöring (2003), S. 68.
11 Vgl.: http://www.politlounge.de/index.php/wissenschaft/55-neorealismus-waltz
12 Vgl.: Schöring (2003), S. 67/ 68.
13 Vgl.: Masala (2005), S. 45/ 46.
14 Vgl.: Krell ( 2004), S. 63.
15 Vgl.: Masala (2005), S. 46.
16 Vgl.: Masala (2005), S. 69.
17 Vgl.: Schörnig (2003), S. 71.
18 Vgl.: Schörnig (2003), S. 72.