Peter Handkes "Kaspar" - Ein Vergleich zweier Theaterinszenierungen
Zusammenfassung
Im Folgenden werde ich zwei Inszenierungen von Handkes „Kaspar“ miteinander vergleichen: die Bonner Aufführung von Alexander Riemenschneider aus dem Jahr 2010 mit der bereits 1987 entstandenen und seither unveränderten Inszenierung von Roberto Ciulli vom Theater an der Ruhr in Mülheim.
Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Vergleich
2.1 Das Bühnenbild
2.2 Die Requisiten
2.3 Die Figuren
2.4 Die Kostüme
2.5 Das Regiekonzept
3. Fazit
4. Literaturverzeichnis
1. Einleitung
Peter Handke wurde 1942 in Österreich geboren.1 1966 veröffentlichte er seinen ersten großen Erfolg „Publikumsbeschimpfung – ein Sprechstück“. Aufgrund der in diesem Stück „auswuchernden Sprachklischees“2 übersieht man fast die darin enthaltene Sprachkritik. Deutlicher wird diese in seinem späteren Werk „Kaspar“, das 1968 uraufgeführt wurde. Zugrunde legt Handke diesem den Kaspar-Hauser-Stoff, allerdings ohne sich inhaltlich wirklich darauf zu beziehen: „Das Stück „Kaspar“ zeigt nicht, wie es wirklich ist oder wirklich war mit Kaspar Hauser.“3. Der Österreicher legt sein Augenmerk vielmehr auf das Verhältnis Kaspars zur Sprache, also auf die Entwicklung von Sprachlosigkeit hin zur Sprache und die damit verbundene Manipulierbarkeit des Individuums. Da Kapar die Sprache aufgedrängt wird, ist der Untertitel „Sprechfolterung“4 durchaus berechtigt und inhaltlich passend. Im Gegensatz zur vordergründigen Provokation der Zuschauer in der „Publikums-beschimpfung“ tritt in „Kaspar“ die offensichtliche Sprachkritik in den Vordergrund, so dass die Zuschauer ihre Augen nicht mehr davor verschließen können. Diese Sprachkritik weitet sich in „Kaspar“ zu einer ganzen Gesell-schaftskritik aus, die für die Literatur und das Theater der 60er Jahre typisch ist.5 Sprache macht den Menschen zum Menschen, so Handkes Auffassung. Legt man dieses Zitat zugrunde, wird deutlich, dass die Beschäftigung mit Sprache im Allgemeinen und gerade die Beziehung von Sprache zum Menschen sehr wichtig ist für den 1942 geborenen Autor. „Kaspar“ ist somit ein Werk der „[...] Menschwerdung durch Sprachfindung [...]“6.
Im Folgenden werde ich zwei Inszenierungen von Handkes „Kaspar“ mitein-ander vergleichen: die Bonner Aufführung von Alexander Riemenschneider aus dem Jahr 2010 mit der bereits 1987 entstandenen und seither unveränder- ten Inszenierung von Roberto Ciulli vom Theater an der Ruhr in Mülheim.7
2.1 Das Bühnenbild
Peter Handke hat für „Kaspar“ eine genaue Vorstellung davon, wie die Bühne aussehen soll. Für ihn stellt das Bühnenbild die Bühne dar, das Bühnenbild ist somit nicht mehr als ein Bild von der Bühne. Zu diesem Bild gehört für Handke ein Sofa ebenso wie ein großer Tisch, ein Schaukelstuhl, ein Schrank und Stühle sowie Schnüre, ein Besen und ein Papierkorb. Nichts davon befindet sich in der Mitte der Bühne. Die Gegenstände stehen ohne jede Beziehung zueinander da.8
Die Inszenierung von Alexander Riemenschneider in Bonn hat sich die Vorstellung vom Bühnenbild als Bild von der Bühne angenommen. Die Kulisse besteht aus drei großen, stabilen Pappwänden, auf denen jeweils ein Foto in Lebensgröße des jeweiligen Hindergrundes befestigt ist. Würden die Pappwände fehlen, sähe die Bühne dennoch genauso aus. Die Wände dienen also lediglich dazu, den Bereich als Bühne sofort erkennbar zu machen. Außer einem dazu gestellten Stuhl gibt es keine weiteren Bühnenrequisiten. Dies hat zur Folge, dass die Kulisse im ersten Moment ziemlich unvollständig und leer wirkt. Allerdings kann diese Unvollständigkeit auch als wichtiger Bestandteil der Bühnenbildkunst angesehen werden, da auf diese Weise auf die Lücke hingewiesen wird, die erst durch die eigentliche Inszenierung geschlossen werden kann.9 Gerade in diesem Stück unterstreicht die Leere des Raumes Kaspars Situation und ist deshalb außerordentlich passend.
Roberto Ciulli hingegen legt großen Wert auf die Bühnenrequisiten. Die Bühne an sich ist dunkel und nur ein Fass ist darauf zu sehen. Im Laufe der
Vorstellung kommen die von Handke empfohlenen Gegenstände dazu: ein Sofa
und ein Tisch ebenso wie Stühle, ein Schrank und ein Schaukelstuhl. Allerdings gibt es auch Gleise und einen Baum seitlich der eigentlichen Bühne. Zum Ende der Inszenierung wird alles von der Bühne geräumt und nur das Fass bleibt zurück. Der ursprüngliche Zustand wird also wieder hergestellt, ebenso wie es bei Kaspar selbst der Fall ist.
Es haben sich, was das Bühnenbild angeht, also beide Regisseure ein Beispiel am Originaltext genommen, nur dass sie jeweils unterschiedliche Gewichtungen vorgenommen haben. Würde man aus beiden Bühnenbildern eines zusammen-stellen, wäre es wohl ziemlich nahe an Handkes Original. Allerdings scheint es mir, als sei die Bühne dann viel zu überladen für diese Art von Theaterstück. Eine Folterung assoziiert man mit einer Art Gefängnis, also mit einem leeren Raum, und keinesfalls mit einem gut ausgestatteten. Somit ist das jeweilige Mittel der beiden Regisseure sehr gut gewählt und eine gute Alternative zu Handkes ursprünglicher Idee.
2.2 Die Requisiten
Dass die Aufmachung des Bühnenbildes für eine Inszenierung sehr wichtig ist, wurde bereits im letzten Kapital verdeutlicht. Dass aber auch die Auswahl der Requisiten von Bedeutung ist, sieht man erst bei näherer Betrachtung.
Während Peter Handke für seinen „Kaspar“ lediglich ein Mikrofon10 und gegen Ende des Stücks Pakete mit Nagelfeilen11 in Szene setzt und alles andere durch das Bühnenbild verdeutlicht, legen beide Regisseure hingegen großen Wert auf verschiedene Requisiten. Die meines Erachtens bedeutendsten werden im Folgenden genauer betrachtet.
In der Bonner Inszenierung tragen Kaspar sowie die Einsager Wolfsmasken. Die Maske ist ein Symbol „der Differenz von Sein und Schein sowie der Infrage- stellung kultureller Normen“12 und zeigt damit genau das Problem Kaspars. Dieser schwankt zwischen dem, was er eigentlich ist und dem, was durch die Einsager aus ihm gemacht werden soll. Da dieser Menschwerdungsprozess
von Handke als Gesellschaftskritik konzipiert wurde, ist auch die Infragestellung der kulturellen Normen schlüssig. Dass es gerade Wolfsmasken sind, erklärt Alexander Riemenschneider damit, dass sich diese starken Tiere in der Natur
[...]
1 Vgl. Kaspar – An Argumented Stage Play [aufgerufen am 25.06.2010]
2 Metzler Deutsche Literaturgeschichte, S. 614/615
3 Peter Handke: Kaspar, S. 7
4 Peter Handke: Kaspar, Vorwort
5 Metzler Deutsche Literaturgeschichte, S. 609
6 Broschüre Theater Bonn, Juli 2010
7 Vgl. http://www.theater-an-der-ruhr.de/repertoire/kaspar/ [aufgerufen am 25.06.2010]
8 Vgl. Peter Handke: Kaspar, S. 8/9
9 Vgl. Barbara Kaesbohrer: Die sprechenden Räume, S. 19
10 Vgl. Peter Handke: Kaspar, S. 10
11 Vgl. Peter Handke: Kaspar, S. 89
12 Metzler Lexikon literarischer Symbole, S. 224