Kritik an der „Rolle“ der Rolle im Strukturfunktionalismus
Ein Vergleich mit Dahrendorf
Zusammenfassung
zu haben. Verhalten, Aussehen sowie daran anknüpfende Erwartungen scheinen so im Zusammenleben geregelt zu sein.
Schon unsere geistigen Vorfahren hatten wissenschaftliches Interesse daran und erklärten sich die wiederkehrenden sozialen Muster über vielfältige Umschreibungs- und Zuschreibungsversuche mit Begriffen wie Rolle, Charakter oder Maske. „Die ganze Welt ist Bühne,
und alle Frau' n und Männer bloße Spieler. Sie treten auf und gehen wieder ab. Sein Leben lang spielt einer manche Rollen(...)" (Shakespeare 1599: 668 ff.). Wie bei Shakespeare ergaben
sich vielfach metaphorische Assoziationen mit dem Rollenspiel des Theaters. Schauspieler, als Träger von etwas Vorgegebenen, nehmen einen „Part“, eine Rolle mit Verhaltensweisen ein, welche zusammenhängend das ganze Schauspiel auf der Bühne ergeben.
Dazu muss der Schauspieler die Verhaltensweisen lernen, kann sogar mehrere Rollen spielen und ist so mit anderen Schauspielern austauschbar. Für das Schauspiel bleibt der Schauspieler an sich, also das Wesen hinter der Maske, unwesentlich. Erst wenn er die
Maske hinter der Bühne wieder ablegt, ist er wieder sich selbst (Dahrendorf 1968: 135). Diese historische Vielfalt zeigt uns aber auch schon das Problem einer genauen Bestimmung
und Anwendung an ihrem Ort. So nehmen zu diesem Thema auch viele Ansätze und Begriffe der Soziologie ihren Ausgang.
„Natürlich ist nicht die ganze Welt eine Bühne, aber die entscheidenden Punkte, in denen sie es nicht ist, sind nicht leicht zu finden“, so Erving Goffman (1959: 67).
Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung in das Thema der „sozialen“ Rolle
2. Harmonie oder Konflikt? Zwei theoretische Ansätze
2.1 Talcott Parsons zum Verständnis
2.2 Die Rolle der „Rolle“ im Strukturfunktionalismus
2.3 Dahrendorfs Ansatz: Der „homo sociologicus“
3. Kritik an der strukturfunktionalistischen Sichtweise Der Vergleich mit Dahrendorf
4. Fazit
Literaturverzeichnis
1. Einleitung
Menschen können als unabhängige Individuen gesehen werden, weiter aber auch als Wesen in flüchtigen, wechselseitigen Beziehungen zu anderen oder gar dauerhaften sozialen Ge- flechten. Dabei sind wir häufig auf gebräuchliche Verständigungs- und Handlungsweisen angewiesen. So etwa müssen wir uns darauf verlassen können, hungrig in einen Super- markt gehen zu können, mit der Gewissheit, Lebensmittel für materiell wertloses „Papier“ zu bekommen, tun dabei Dinge, die von unserem Gegenüber erwartet werden, um damit Erfolg zu haben. Verhalten, Aussehen sowie daran anknüpfende Erwartungen scheinen so im Zu- sammenleben geregelt zu sein.
Schon unsere geistigen Vorfahren hatten wissenschaftliches Interesse daran und erklärten sich die wiederkehrenden sozialen Muster über vielfältige Umschreibungs- und Zuschrei- bungsversuche mit Begriffen wie Rolle, Charakter oder Maske. „Die ganze Welt ist Bühne, und alle Frau' n und Männer bloße Spieler. Sie treten auf und gehen wieder ab. Sein Leben lang spielt einer manche Rollen(...)" (Shakespeare 1599: 668 ff.). Wie bei Shakespeare er- gaben sich vielfach metaphorische Assoziationen mit dem Rollenspiel des Theaters. Schau- spieler, als Träger von etwas Vorgegebenen, nehmen einen „Part“, eine Rolle mit Verhal- tensweisen ein, welche zusammenhängend das ganze Schauspiel auf der Bühne ergeben. Dazu muss der Schauspieler die Verhaltensweisen lernen, kann sogar mehrere Rollen spie- len und ist so mit anderen Schauspielern austauschbar. Für das Schauspiel bleibt der Schauspieler an sich, also das Wesen hinter der Maske, unwesentlich. Erst wenn er die Maske hinter der Bühne wieder ablegt, ist er wieder sich selbst (Dahrendorf 1968: 135). Die- se historische Vielfalt zeigt uns aber auch schon das Problem einer genauen Bestimmung und Anwendung an ihrem Ort.
So nehmen zu diesem Thema auch viele Ansätze und Begriffe der Soziologie ihren Aus- gang. „Natürlich ist nicht die ganze Welt eine Bühne, aber die entscheidenden Punkte, in denen sie es nicht ist, sind nicht leicht zu finden“, so Erving Goffman (1959: 67). Als einer der ersten definierte Ralph Linton für die Soziologie: “A role represents the dynamic aspect of a status. The individual is socially assigned to a status and occupies it with relation to other statuses. When he puts the rights and duties which constitute the status into effect, he is performing a role.” (Linton 1936: 114) Der Begriff Status, den auch Parsons aufgreift und diesen ebenso als Synonym für Position verwendet, bezeichnet hier die lokale Befindlichkeit des Individuums in einem sozialen Geflecht. Dahrendorf verwendet in diesem Zusammen- hang den Begriff der sozialen Position. So fasst die soziale Rolle sämtliche Erwartungen und Ansprüche, die von dem Gegenüber, sei es einer Person oder einem größeren sozialen Ge- bilde, an das Verhalten und das Erscheinungsbild des Inhabers einer Position gestellt wer- den (Hillmann 2007: 756). Diese Terminologie soll versuchen, ein allgemeines Verständnis für die Figur der sozialen Rolle zu geben. Dabei werden die elementaren Gemeinsamkeiten dessen, was in der Soziologie unter der Rolle verstanden werden kann, erfasst. Denn tat- sächlich ist es nicht möglich, sämtliche Ansätze einer einheitlichen Rollentheorie zu zuschreiben. Die Ideenvielfalt entwickelte sich historisch, was unterschiedliche, teils divergierende Ansätze und Verwendungsmöglichkeiten hervorgebracht hat. Auch existieren verschiedene Paradigmen die Kontroversen entstehen ließen, so zum Beispiel zwischen einer strukturtheoretischen und einer interpretativen Sichtweise.
Mit meiner Hausarbeit möchte ich jedoch weder das ganze Vermögen der wissenschaftli- chen Ideen rezipieren, um damit eine allgemeine Bedeutung für die gegenwärtig soziologi- sche Wissenschaft herauszuarbeiten, was mir aufgrund des gegebenen Umfangs auch nicht möglich erscheint. Noch möchte ich herausfinden, welche Rollentheorie als die letztgültige zu nehmen ist, da wie angeklungen eine pluralistische Ansatzvielfalt existiert und benötigt wird. Es sollte an dieser Stelle reichen darauf hinzuweisen, dass der Begriff der Rolle, sowie seine Ideen dazu, aufgrund theoretischer und gesellschaftlicher Weiterentwicklung gegen- wärtig gesehen zwar weniger exponiert als noch in den 1970er, sich aber als Grundkategorie in aktuell diskutierten Handlungstheorien etabliert hat. So kann er in seiner Anwendung grundlegend zur Vermittlung zwischen Individuum und Gesellschaft eingesetzt werden kann (Miebach 2010: 39 f.). Vielmehr möchte ich mich in den Zeitraum begeben, in dem die Posi- tionen zweier Hauptvertreter, nämlich jene von Dahrendorf und Parsons hervortraten, die seinerzeit gemeinsam unterstellten, dass die Gesellschaft soziale Rollen hervorbringt, sich dabei aber beim Verhältnis zwischen Individuum und Rolle wesentlich widersprechen. Sie können somit neben weiteren Vertretern, als zwei gegenüberstehende Eckpfeiler einer sol- chen Vorstellung betrachtet werden. Für die soziologische Rollentheorie haben sie damit einen zentralen Beitrag geleistet. Hier können wir an die Rollenidee von Linton anknüpfen und beginnen zunächst mit einem Blick auf die Gesellschaftstheorie von Talcott Parsons, welcher mit seinem Rollenkonzept in einer ganzgesellschaftlichen Theorie, schlechthin als einer der wichtigsten soziologischen Theoretiker seiner Zeit gilt (Abels 2009: 101). Weiterfüh- rend möchte ich mit einem Vergleich mit Dahrendorf beantworten, warum Parsons Ideen teilweise als unzulänglich zu kritisieren sind. Dabei soll ebenfalls eine gewichtige Schwach- stelle beider Ansätze deutlich werden.
2. Harmonie oder Konflikt? Zwei theoretische Ansätze
2.1 Talcott Parsons zum Verständnis
„Talcott Parsons will mit seiner Theorie der Rolle erklären, wie Individuen dazu kommen, sich so verhalten zu wollen, wie sie sich verhalten sollen(,)(…)denn es geht Parsons um eine Theorie der Ordnung, und zu dieser trägt das Individuum in dem Maße bei, wie es motiviert ist, sich zu verhalten, wie es die Ordnung verlangt.“ (Abels 2009: 103) Um zu erfah- ren, wie sich das Verhältnis zwischen Individuum und Rolle bestimmt und letztere somit ein- zuordnen ist, beginne ich zunächst mit einem Einblick in seine allgemeine Theorie. Ich erhe- be dabei keinen Anspruch auf Vollständigkeit, da dies den Rahmen überschreiten würde.
Talcott Parsons hat zur Mitte des letzten Jahrhunderts für die Soziologie eine generalisierte, allgemeine Handlungstheorie mit dem Vermögen abstrakter analytischer Begriffssysteme zum Erklären beliebiger Handlungszusammenhänge, sowie der Beziehung gesellschaftli- cher Teilbereiche hervorgebracht. Er strebt dazu eine Synthese bestehender Ansätze an, hier vor allem bedeutend die klassischen Beiträge von Emile Durkheim und Max Weber. In seinem Denken orientiert er sich an Emanuel Kant, denn für ihn ist die Anschauung auf die Realität durch die Art und Weise bestimmt, wie wir Begriffe definieren (Brock et al. 2002: 192 ff.). Zunächst löst Parsons das Problem sozialer Ordnung indem er unterstellt, dass Perso- nen bei ihrer Entscheidung immer normative Regeln freiwillig mit einbeziehen. Die Einsicht zur Notwendigkeit einer kollektiven Ordnung als Orientierungsgrundlage für Individuen sei daher a priori.
Für die Theorie entwickelt er zunächst seine Analysekategorie, den „unit-act“, durch den sich jede individuelle Handlungseinheit rekonstruieren lässt (Brock et al. 2002: 202 ff.). Jede Handlung vollzieht sich demnach subjektiv determiniert in einer an Bedingungen geknüpften Situation, mit Hilfe der zur Verfügung stehenden Mittel und der Anwendung normativer Re- geln. Parsons geht grundlegend von einem kollektiven Konsens aus, der die gesellschaftli- che Struktur stabilisierend erhält. Um zu erklären wie das möglich ist, benutzt er weiterhin das Konzept des Systems nach dem Vorbild biologischer Organismen. Hiermit gelingt es ihm beliebige Handlungszusammenhänge, wie etwa in Partnerschaften oder Familien aber auch größeren gesellschaftlichen Gebilden, wie etwa der Ökonomie in abstrakter Weise zu analy- sieren und diese für seine Systemtheorie zu funktionalisieren. Alle Systeme haben gemein- sam, dass sie nach einer einheitlichen Struktur aufgebaut eine Balance anstreben, diese mittels der Erfüllung von Funktionen erreicht werden muss. Um zu verstehen wie das mög- lich ist, entwickelt Parsons ein Vier-Funktionen-Schema, genannt AGIL-Schema, das be- schreibt, was jedes System aufgrund seines Wesens immer zu erfüllen hat: 1. Adaption (An- passung an die Umwelt); 2. Goal Attainment (Ziele formulieren und verfolgen); 3. Integration (Kohäsion und Inklusion aller Elemente zur vollständigen Funktionsfähigkeit); 4. Latent Pat- tern Maintenance (dauerhafte Norm- und Strukturerhaltung) (Brock et al. 2002: 194 ff).
Die soziologische Betrachtung lässt sich nun fortführen, wenn sämtliche Elemente, die einen Handlungszusammenhang bilden, ebenfalls nach dem Systemprinzip rekonstruiert werden. Demnach tritt an die Stelle des individuellen Akteurs ein komplexes Persönlichkeitssystem, also ein System von Motiven, Orientierungen und Bedürfnissen. Dass dabei Individuen in sozialer Wechselwirkung stehen, berücksichtigt das Sozialsystem. Dieses System konsti- tuiert Kooperation über den Mechanismus rollenablaufender Interaktionen. Eine Konstitution ist dabei überhaupt nur möglich, weil geteilte Symbole und Werte über ein Kultursystem vermittelt werden. Diese Teilsysteme konzipieren somit ein gesamtes Handlungssystem.
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