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Das schwedische Bildungssystem

Vorbild dank individueller Förderung?

©2010 Seminararbeit 15 Seiten

Zusammenfassung

Die Zahl der Klassenwiederholer und Schulversager ist in Deutschland erschreckend hoch. Zu wenig individuelle Förderung wird meist als Grund angegeben und steht daher in aktuellen Bildungsdiskussionen im Vordergrund. Auch sei das deutsche Bildungssystem „lebensfern, starr, autoritär, ungerecht, bedrückend, langweilig und unsinnlich“, bekunden die Schüler.1
Nicht erst seit den PISA-Studien ist klar, dass das deutsche System veraltet ist und sich nicht auf die veränderten Lebensbedingungen der Schüler eingestellt hat. Jedoch verdanken wir dieser internationalen Vergleichsstudie, dass die Bildungs- und Schulpolitik wieder ins Bewusstsein der Bevölkerung und der Politiker gelangt ist und die Diskussion um Veränderungen nun auch öffentlich geführt wird.
Dabei orientiert man sich zunehmend an den Gewinnern: den skandinavischen Ländern. Unterstützend zu den guten Ergebnissen in den PISA-Studien kam für Schweden auch der gute Rangplatz in der TIMMS-Studie hinzu. Schwedens Schulen verzichten auf die Dreigliedrigkeit und setzen stattdessen auf individuelle Förderung und eine starke Binnendifferenzierung. Was fehlt also dem deutschen Bildungssystem gegenüber dem schwedischen? Individuelle Förderung?

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Das schwedische Bildungssystem
2.1. Entstehung und Organisation
2.2. Schulstruktur
2.2.1. förskola
2.2.2. grundskola
2.2.3. gymnasium

3. Rahmenbedingungen
3.1. Finanzierung der Schule
3.2. Benotung der Schüler
3.3. Demokratie in der Schule

4. Fazit

5. Literaturverzeichnis

1. Einleitung

Die Zahl der Klassenwiederholer und Schulversager ist in Deutschland erschreckend hoch. Zu wenig individuelle Förderung wird meist als Grund angegeben und steht daher in aktuellen Bildungsdiskussionen im Vordergrund. Auch sei das deutsche Bildungssystem „lebensfern, starr, autoritär, ungerecht, bedrückend, langweilig und unsinnlich“, bekunden die Schüler.[1]

Nicht erst seit den PISA-Studien ist klar, dass das deutsche System veraltet ist und sich nicht auf die veränderten Lebensbedingungen der Schüler eingestellt hat. Jedoch verdanken wir dieser internationalen Vergleichsstudie, dass die Bildungs- und Schulpolitik wieder ins Bewusstsein der Bevölkerung und der Politiker gelangt ist und die Diskussion um Veränderungen nun auch öffentlich geführt wird.

Dabei orientiert man sich zunehmend an den Gewinnern: den skandinavischen Ländern. Unterstützend zu den guten Ergebnissen in den PISA-Studien kam für Schweden auch der gute Rangplatz in der TIMMS-Studie hinzu. Schwedens Schulen verzichten auf die Dreigliedrigkeit und setzen stattdessen auf individuelle Förderung und eine starke Binnendifferenzierung. Was fehlt also dem deutschen Bildungssystem gegenüber dem schwedischen? Individuelle Förderung?

Um eine Antwort geben zu können, wird sich diese Arbeit zunächst auf das Bildungssystem (2.), seine Entstehung und Organisation (2.1.) sowie auf die Schulstruktur (2.2.) konzentrieren. Diese Betrachtungen zielen darauf ab, dem Leser einen Einblick in das schwedische Schulsystem zu ermöglichen, um im weiteren Verlauf auf die hier gewonnenen Kenntnisse zurückgreifen zu können. Die Kritik am schwedischen Schulsystem wird dabei nur eine untergeordnete Rolle spielen, da es sich hier um eine Einführung handeln soll. Auf die zentralen Diskussions- und Forschungsfragen wird jedoch verwiesen.

Das schwedische Gesamtschulwesen ist im Gegensatz zum deutschen gegliederten Bildungssystem komplett anderes strukturiert, jedoch sind es die Rahmenbedingungen (3.), die dem Schulalltag ihr Gesicht verleihen und individuelle Förderung ermöglichen. Dabei gibt es in Schweden im Vergleich zu Deutschland zahlreiche Unterschiede, auf die im weiteren Verlauf eingegangen werden soll. Die Finanzierung der Schule (3.1.), die Benotung der Schüler (3.2.) und die Demokratie in der Schule (3.3.) sind die Faktoren, in denen die Unterschiede am deutlichsten werden. Jedoch gibt es auch andere Bereiche, wie zum Beispiel die Integration von Schülern mit Lernbeeinträchtigungen oder Migrationshintergrund, die entscheidend für das Bildungssystem sind, und daher im Rahmen der Demokratie in der Schule behandelt werden müssen, aber eine untergeordnete Rolle spielen werden.

Die Forschungsliteratur zu diesem Thema ist sehr umfangreich. Schon in den 60er und 70er Jahren wurde über das schwedische Schulsystem ausführlich berichtet. Diese Arbeiten sind aber aufgrund ihrer zeitlichen Differenz zu heute nicht mehr aktuell und deshalb auch nicht relevant.

Einen guten Überblick, der jedoch meist unkritisch ist, bekommt man durch die Publikation von Strothmann. Kritischere Auseinandersetzungen verknüpft mit detaillierten Informationen befinden sich in den Ausführungen von Holz und Ratzki. Um die Forschungsergebnisse zu stützen, konzentriert sich die Arbeit zumeist auf die international vergleichenden Studien wie TIMMS und PISA, aber auch nationale Studien, die vom Statistika Centralbyrån oder vom Svenska Institutet herausgegeben wurden, sollen eine Rolle spielen.

2. Das schwedische Bildungssystem

Wichtig für das Verständnis des schwedischen Bildungssystems sind die Begriffe folkhemmet (Volksheim) und jämlikhet (Gleichberechtigung). Sie beinhalten Gleichheit und vor allem Chancengleichheit, die auch im Bildungssystem umgesetzt werden sollte. Alva Myrdal, eine schwedische Sozialdemokratin, bringt diese Vorstellung mit folgenden Worten auf den Punkt: „Es gibt nach sozialdemokratischer Auffassung keine Berechtigung dafür, dass die mit Gesundheit, Begabung und Leistungsvermögen extrem gut Ausgerüsteten einen höheren Lebensstandard und größere Chancen bekommen sollen als die Übrigen.“[2] Folglich kann in Schweden Gleichberechtigung im Schulsystem nur entstehen, wenn alle den gleichen Bildungsweg gehen. Letzte Konsequenz ist daher die neunjährige, für alle Schüler verpflichtende, Grundschule mit Ganztagsschulbetrieb.

2.1. Entstehung und Organisation

Ab 1932 begannen die Planungen für den Umbau des schwedischen Systems, das vorher aus einer allgemeinen Grundschule, an der sich die Realschule und das Gymnasium anschlossen, bestand, hin zum heutigen Gesamtschulsystem. Nach einer zehnjährigen Versuchsphase wurde 1962 im Schulgesetz die landesweite Einführung der einheitlichen, neunjährigen grundskola beschlossen, welche bis zum Jahr 1972/73 in ganz Schweden durchgeführt wurde. Kritik am schwedischen Schulsystem kam schon in den 70er Jahre auf. Damals kritisierte die Bevölkerung die starke Zentralisierung und die dadurch entstandene Unbeweglichkeit im Schulwesen, woraufhin eine Reihe von Maßnahmen zur Dezentralisierung ergriffen wurden. So wurde zum Beispiel 1978 die Finanzierung des staatlichen Schulwesens geändert. Die Kommunen konnten nun selbst ihre Prioritäten setzen und eine entsprechende Verteilung der finanziellen Mittel vornehmen.

In den 80er Jahren keimte neue Kritik auf, da einige Untersuchungen ergeben hatten, dass die Gesamtschule ihr wichtigstes Ziel, nämlich die Förderung von sozialer Gleichheit, nicht oder nur unzureichend erreicht hatte.[3] Deshalb kam es aufgrund des neuen Lehrplans für die grundskola zu grundlegenden Veränderungen im Schulsystem. Unterrichtliche und außerunterrichtliche Lern- und Freizeitaktivitäten sollten in der Schule vereint werden, um die Schule der Lebenswelt der Schüler anzupassen. Das machte jedoch auch eine Veränderung der Rolle des Lehrers erforderlich. Die Lehrer sollten im Team mit Pädagogen und Psychologen arbeiten und nicht länger reine Wissensvermittler sein, sondern Lernbegleiter und -berater. Dies war der erste entscheidende Schritt für eine größere Freiheit der Lehrer und der Einzelschulen im Hinblick auf die Unterrichtsgestaltung und hin zu einer schülerorientierten Schule.

1990 führte das Misstrauen der Bevölkerung zu weiteren Dezentralisierungsmaßnahmen des Schulwesens. Die Provinzialschulämter, die als die mittlere Verwaltungsebene galten, wurden im Zuge neuer Reformen vollständig aufgelöst. Ein Jahr später wurde die Generaldirektion ebenfalls aufgelöst und durch die Nationale Behörde für das Bildungswesen ersetzt. Diese war mit deutlich weniger Befugnissen und Beamten ausgestattet. Die Entscheidungsspielräume der Einzelschulen im Hinblick auf den Lehrplan wurden 1994 und 1995 erneut erweitert, nachdem das Misstrauen der Bevölkerung gegenüber des schwedischen Schulsystems und seines Verwaltungsapparates weiter angestiegen war. Insgesamt erlangten die Kommunen und die einzelnen Schulen durch diese Maßnahmen mehr Entscheidungsfreiheit, aber auch Verantwortung, denn die Kommunen „sind verantwortlich für die Einstellung, Entlassung und Bezahlung der Lehrkräfte, für das Einrichten spezieller gymnasialer Programme, für das Erstellen eines kommunalen Schulplans, für die Zuweisung der Mittel an die Einzelschulen und für das Erstellen eines jährlichen Qualitätsberichts.“[4] Auf nationaler Ebene rückt die Erarbeitung von landesweiten einheitlichen Rahmenregelungen in den Mittelpunkt. Jedoch übernehmen diese Institutionen auch Schulaufsichtsfunktionen und die inhaltliche Strukturierung der gymnasialen Programme.

Die hier angeführten Dezentralisierungsmaßnahmen führen jedoch nicht automatisch zu mehr Eigenständigkeit für die Einzelschulen. Denn durch die räumliche Nähe der Kommunen zu den Einzelschulen kann es laut Broadfoot zu strengeren und effizienteren Kontrollen kommen, die sich negativ auf die Freiheit der Einzelschulen auswirken könnten. Auffallend ist außerdem, dass die Dezentralisierungsmaßnahmen zeitlich mit den Sparmaßnahmen des Staates zusammentreffen. Der Regierung wird daher des Öfteren vorgeworfen, dass pädagogische Erwägungen bei diesen Reformen nur eine untergeordnete Rolle spielen und die Ausgabenreduzierung im Vordergrund stehen.[5]

2.2. Schulstruktur

2.2.1. förskola

Der Vorschulerziehung wird in Schweden aufgrund der Gleichstellung der Geschlechter und der Vereinbarkeit von Familie und Beruf einen hohen Stellenwert beigemessen und untersteht dem Ministerium für Gesundheit und soziale Angelegenheiten, welches die Kinderbetreuung beaufsichtigt und kontrolliert und pädagogische Programme und Ausbildungsmaterialien vorbereitet. Träger der förskola sind vor allem die Kommunen, jedoch steigt auch in Schweden die Zahl der privaten Träger. Diese sind laut Gesetz für den Bau, den Betrieb und die Entwicklung der Kinderbetreuung verantwortlich. Ab dem Alter von einem Jahr hat jedes Kind Anspruch auf einen Platz in einer Kindertagesstätte, für dessen Bereitstellung die Kommunen verantwortlich sind. Für alle Sechsjährigen muss außerdem die Möglichkeit bestehen, eine förskol, eine Art Vorschulklasse, zu besuchen. Für Kinder mit physischer und psychischer Beeinträchtigung muss ein Platz in der Vorschulklasse ab dem 4. Lebensjahr durch die Kommune sichergestellt werden.[6]

2.2.2. grundskola

Die Schulpflicht in Schweden dauert vom 7. bis zum 16. Lebensjahr und umfasst daher die Zeit der grundskola. Mittlerweile können Kinder auch ab dem 6. Lebensjahr in die Schule gehen. Als weitere Pflichtschulen gelten die Grundschule für samische Schüler, die specialskola, und die särskola für körperlich und geistig behinderte Kinder. Diese werden jedoch innerhalb der weiteren Betrachtungen nicht von Bedeutung sein.

Die grundskola wird in drei jeweils dreijährige Stadien eingeteilt, nämlich in Unter-, Mittel- und Oberstufe. Offiziell bestehen diese Stadien nicht mehr, jedoch unterscheidet sich die Oberstufe erheblich von den anderen. In der Unter- und Mittelstufe erfolgt der Unterricht generell undifferenziert. In der Oberstufe hingegen mit einer Leistungsdifferenzierung in den Fächern Englisch und Mathematik auf zwei Niveaustufen. Den Schülern werden ab der 7. Klasse außerdem Wahlmöglichkeiten zugesprochen, in denen sie ihre Interessen und Kenntnisse vertiefen können und sie werden von Fachlehrern unterrichtet.

2.2.3. gymnasium

1970/71 wurde von der Regierung das gymnasium umstrukturiert, um den Umbau des schwedischen Schulsystems von einem gegliederten zu einem Gesamtschulwesen abzuschließen. Dabei wurden die Fach- und Berufsschulen in das gymnasium integriert, um so die durch den Begriff folkhemmet angestrebte Chancengleichheit zu garantieren. Dadurch besuchen 90-95% der Jugendlichen nach der grundskola das gymnasium, diese Gelegenheit wird jedem Schüler ermöglicht, der die Fächer Schwedisch, Englisch und Mathematik erfolgreich mit einer zentral ausgearbeiteten Abschlussprüfung abgeschlossen hat. Die Schüler wählen auf dem gymnasium zwischen einem theoretisch-akademischen Programm, das auf den Besuch der Hochschule vorbereitet, und einem praktisch-berufsvorbereitenden Programm, das auf das Berufsleben vorbereitet. Mit Zusatzqualifikation kann jedoch auch bei einem praktischen Programm die Hochschulberechtigung erworben werden. Die Schüler wählen dabei zwischen 17 nationalen Programmen, die jede Schule anbieten muss, und regionalen Zusatzprogrammen.[7]

[...]


[1] Haas, Gerhard (1997) S. 15.

[2] Menningen, Walter (1971) S. 50.

[3] Statistika Centralbyran (1980); Kallós (1982); Dahllöf (1984)

[4] Möhler, Johannes (2008) S. 25-26.

[5] Broadfoot, Patricia (1996) S. 118.

Zur Diskussion: Kotthoff, Hans-Georg (2003) S. 207-218. Miron, Gary (1996) S. 33-47.

[6] Zu den genauen Zielen und Aufgaben der förskola und der förskol: Strothmann, Cornelia (2005)², S. 8-10.

[7] Strothmann, Cornelia (2005)², S. 15-17.

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2010