Joseph A. Schumpeter: Demokratie als Methode - Eine Analyse
Zusammenfassung
Schumpeters Demokratietheorie hat indes eine ganz andere Dimension. Während die klassische Theorie, wie angeführt, ihren Ursprung in der Umsetzung des Volkswillen durch Kandidaten hat, die Macht somit beim Volke liegt, beruht die des Autors auf der Entscheidungsbefugnis gewählter Personen. Diese wird besagten Personen durch einen Konkurrenzkampf um die Stimmen des Volkes zu eigen. Die Demokratie zeigt sich hierbei vorrangig als Methode: Einzelne zu wählen und diesen Macht zu übertragen.
Leseprobe
I. Inhaltsbeschreibung und Interpretation
Joseph A. Schumpeter artikuliert im zweiundzwanzigsten Kapitel des Werkes „Kapitalismus, Sozialismus und Demokratie“ seine eigene Theorie der Demokratie, die der sogenannten klassischen Lehre der Demokratie diametral entgegengesetzt ist. Letztere geht nach den Anführungen des Autors von der Prämisse aus, dass Volksvertreter einzig als für das Gemeinwohl ausführende Organe fungieren, politische Entscheide in der Hand der Wahlberechtigten liegen.
Schumpeters Demokratietheorie hat indes eine ganz andere Dimension. Während die klassische Theorie, wie angeführt, ihren Ursprung in der Umsetzung des Volkswillen durch Kandidaten hat, die Macht somit beim Volke liegt, beruht die des Autors auf der Entscheidungsbefugnis gewählter Personen. Diese wird besagten Personen durch einen Konkurrenzkampf um die Stimmen des Volkes zu eigen. Die Demokratie zeigt sich hierbei vorrangig als Methode: Einzelne zu wählen und diesen Macht zu übertragen.
In seinen Anführungen versucht der Autor zunächst die Vorzüge seiner Idee von Demokratie gegenüber der klassischen dem Leser in sieben Punkten plausibel zu machen. So sei man nun in einer besseren Ausgangslage als die Autoren der klassischen Theorie seinerzeit, um demokratische Regierungen von anderen abzugrenzen, so z. B. die parlamentarische von der konstitutionellen Monarchie. Ferner ermögliche Schumpeters Theorie im Gegensatz zur klassischen eine angemessene Akzeptanz der Führung. Sie gaukele dem Wähler keine falsche Einbringung in den politischen Prozess vor. Sie umfasse außerdem auch diejenige Spielart der Demokratie, die nicht ihrem Idealbild entspreche, bei der die Konkurrenz der Regentschaft Repressionen ausgesetzt werde. In diesem Punkt der Argumentation geht Schumpeter gar so weit, dass er die Möglichkeit einer Transformierung der demokratischen Methode in eine autokratische nicht ausschließt. Weiter konzipiert der Autor einen eher defizitären Freiheitsbegriff, dessen Mindestanforderung auf den Zugang zum passiven Wahlrecht für jede Person und einer unter Umständen beschränkten Redefreiheit reduziert wird. Die Wahl an sich dient primär der Akzeptanz und Nicht-Akzeptanz von Regierungen und nicht der unmittelbaren Kontrolle deren politischer Arbeit. Die Möglichkeit einer Kontrolle liegt in der Wahl oder Abwahl einer Regierung, diese ist indes mittelbar, da die Partizipation der Wählerschaft auf ein „ja“ oder „nein“ zu der angebotenen politischen Programmatik und deren Umsetzung reduziert wird. Eine Kontrolle, die eine Mitgestaltung der Wähler an Inhalten implizieren würde, schwebt Schumpeter nicht vor. Dies verwundert nicht, hat er doch in Abgrenzung zu der klassischen Theorie im Sinn, wie zu Beginn des Essays bereits erwähnt, dass die Macht beim Gewählten und nicht beim Volke konzentriert ist. Ob sich die Kandidaten unmittelbar nach ihrer Wahl noch an ihr abgegebenes Angebot an die Wähler gebunden fühlen, bleibt offen. Die nächstmögliche Kontrolle wäre folgerichtig auf eine nachfolgende Wahl beschränkt, die unter Umständen Jahre später abgehalten werden könnte. Ein aktueller Bezug zu der Kontrollmöglichkeit, wie sie dem deutschen System zu eigen ist, wird hier unverkennbar. Mit dem Hinweis darauf, dass die Anhänger der klassischen Lehre irren, wenn sie der Auffassung seien, dass die Demokratie an sich in der Lage sei, den Volkswillen adäquat zu repräsentieren, schließt die Abgrenzung der schumpeterschen Methode zu der, die durch den Begriff Demokratie eine Macht beim Volke propagiert. Ein Volkswille ist in der Demokratie nach dem Autor nahezu unmöglich, lediglich der Wille einer Majorität sei denkbar, der sich in der Verhältniswahl ausdrückt. Auch stellt sich erneut die Frage, inwiefern besagte Mehrheit nach einer Wahl von ihren Politikern noch vertreten werde. So scheidet nach Schumpeters Demokratieverständnis nicht nur ein Volkswille aus, sondern die Repräsentation eines Mehrheitswillen wird verständlicherweise unmittelbar nach einer Wahl mehr als fraglich. Dies ist aber nur folgerichtig, wenn in einer Demokratie außer der Wahl kein anderes Mittel der Kontrolle vorhanden ist.
Auch wenn dadurch die Kontrollmöglichkeit der Wählerschaft nicht absolut ist, so ist sie dennoch vorhanden. Deshalb steuern nach Schumpeter Politiker und Führer einen mittleren Kurs an, sind um ihre eigene Karriere bedacht, zeigen sich in gewisser Weise pragmatisch. Der Autor betont aber auch, dass die Partizipationsmöglichkeit der Wählerschaft außerhalb von Wahlen im Idealfall auf kleinere Fragen beschränkt sei, und dies auch nur, wenn sie als Gruppe stark genug sind. Dies weiche indes von dem Prinzip der Arbeit eines Parlamentes ab.
Bleibt die Frage zu klären, welcher Intention die Arbeit der Gewählten zu eigen ist, sprich: welches Ziel Politiker verfolgen. Der Autor meint, das soziale Ziel sei nur ein Nebenprodukt im Kampf um Macht und Amt. Vielmehr fungieren die Eigeninteressen der Gewählten als Primärziele, ganz so wie es in der Wirtschaft im Kampf um Profite üblich sei. Schumpeters Demokratieverständnis gleicht dem Wirtschaften eines Unternehmens, der angestrebte Profit von Politikern drückt sich in ihrer egoistischen Selbstverwirklichung aus. Aber ob dies, wie der Autor meint, das Erreichen eines sozialen Zieles automatisch impliziert, bleibt mehr als fragwürdig.[1] Was, wenn die Demokratie, genauer gesagt die parlamentarische Arbeit als Unternehmen, wie sie ja Schumpeter sieht, in Konkurs geht? Die Antwort bleibt der Autor schuldig. Den Bezug zur Wirtschaft erhält Schumpeter bei seinen Anführungen über Kandidaten bzw. politische Parteien indessen aufrecht. Diese sind gewillt, ihre Wählerstimmen in Konkurrenz zu anderen Parteien zu potenzieren. Der Wähler wird dabei als passiver Kunde reduziert, dessen Rolle darin bestehe, eines der Parteiprogramme auszuwählen, da er ohnehin nur der Panik als Handlung fähig sei. Der Autor ist so zu verstehen, dass er die Wählerschaft als geradezu partizipationsunfähig, ja gar dumm auffasst, die nur als Mittel fungieren soll, Partikularinteressen von in Parteien organisierten Politikern zu verwirklichen. So entsteht ein regelrechter Wettbewerb um Wählerstimmen, dies aber nicht zur Realisierung eines Gemeinwohls, sondern zum Zwecke des Prestiges Einzelner. Parteireklame bedeutet Marketing, bedeutet die Manipulation der Wählerschaft zum Zwecke des Profites von Parteien und Kandidaten. Die Förderung des allgemeinen Wohles bleibe hierbei ausgeklammert[2], das zuvor vom Autor aufgestellte soziale Ziel als Nebenerscheinung im Kampf um Macht und Ämter wird nun negiert.
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[1] Vgl. Schumpeter, S. 448.
[2] Vgl. Ebd. S. 449.