Die pädagogische Wirksamkeit vorschulischer Förderung des Schriftspracherwerbs
Zusammenfassung
Auch soll der Begriff der vorschulischen Förderung mit besonderem Bezug zum Schriftspracherwerb geklärt werden. Die aktuelle Situation in Deutschland soll dazu erläutert werden. Hierzu sollen auch Vorgaben des "Berliner Bildungsprogramm für die Bildung, Erziehung und Betreuung von Kindern in Tageseinrichtungen bis zu ihrem Schuleintritt" betrachtet werden.
Abschließend wird die amerikanische Studie "Early Literacy Instruction and Learning in Kindergarten: Evidence From the Early Childhood Longitudinal Study - Kindergarten Class of 1998-1999" vor dem Hintergrund der vorschulischen Schriftspracherwerbsförderung in den USA beschrieben. Speziell für die USA gültige theoretische Konzepte sollen erklärt und hinterfragt werden. Die Ergebnisse der Studie sollen genannt, ihre Übertragbarkeit auf hiesige Verhältnisse soll untersucht werden.
Inhaltsverzeichnis:
1. Einleitung 2
2. Spracherwerb und Schriftspracherwerb 3
2.1. Spracherwerb als Grundlage des Schriftspracherwerbs 3
2.2. Erster Kontakt mit Schrift 6
2.3. Schriftsprache versus mündliche Sprache 7
3. Voraussetzungen zum Erwerb von Schriftlichkeit und Orthografieerwerb 9
3.1. Die Entwicklung der phonologischen Bewusstheit 11
3.2. Einsichten in strukturelle Regelmäßigkeiten und das Morphemprinzip 15
3.3. Literacy Erziehung und Erkennen der Bedeutung von Schrift und Schriftlichkeit 16
3.4. Methoden von Erstlese- und Erstschreibunterricht 17
5. Vorschulische Förderung 19
5.1. Die aktuelle Situation in Deutschland 21
5.2. Ziele und Methoden vorschulischer Schriftsprachförderung 23
6. Xue und Meisels Studie zur Wirksamkeit vorschulischen Schriftsprachunterrichts 25
6.1. Der phonics-approach 26
6.2. Der whole-language-approach 28
6.3. Besonderheiten der vorschulischen Schriftsprachförderung in den USA 31
6.4. Die Ergebnisse der Studie von Xue und Meisels 32
6.5. Wertung der Studie 33
7. Zusammenfassung 35
8. Literaturverzeichnis 38
Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Spracherwerb und Schriftspracherwerb
2.1. Spracherwerb als Grundlage des Schriftspracherwerbs
2.2. Erster Kontakt mit Schrift
2.3. Schriftsprache versus mündliche Sprache
3. Voraussetzungen zum Erwerb von Schriftlichkeit und Orthografieerwerb
3.1. Die Entwicklung der phonologischen Bewusstheit
3.2. Einsichten in strukturelle Regelmäßigkeiten und das Morphemprinzip
3.3. Literacy Erziehung und das Erkennen der Bedeutung von Schrift und Schriftlichkeit
3.4. Methoden von Erstlese- und Erstschreibunterricht
4. Vorschulische Förderung
4.1. Die aktuelle Situation in Deutschland
4.2. Ziele und Methoden vorschulischer Schriftsprachförderung
5. Xue und Meisels Studie zur Wirksamkeit von vorschulischem Schriftsprachunterricht
5.1. Der phonics-approach
5.2. Der whole-language-approach
5.3. Besonderheiten der vorschulischen Schriftsprachförderung in den USA
5.4. Die Ergebnisse der Studie von Xue und Meisels
5.5. Wertung der Studie
6. Zusammenfassung
7. Literaturverzeichnis:
1. Einleitung
Der Titel ist auch bezogen auf Yange Xues und Samuel Meisels amerikanische Studie "Early Literacy Instruction and Learning in Kindergarten: Evidence From the Early Childhood Longitudinal Study - Kindergarten Class of 1998-1999" aus dem Jahr 2004, die bisher nicht in das Deutsche übertragen wurde, zu verstehen.
Bevor die Studie angesprochen wird, soll geklärt werden, was Schriftspracherwerb bedeutet. Er soll auf den mündlichen Spracherwerb von Kindern bezogen betrachtet werden. Der mündliche Spracherwerb soll dazu beschrieben werden. Unterschiede zwischen beiden Formen des Spracherwerbs sollen herausgestellt werden. Der Prozess des Schriftspracherwerbs und die theoretischen Grundlagen seiner schulischen Vermittlung sollen beschrieben werden.
Auch soll der Begriff der vorschulischen Förderung mit besonderem Bezug zum Schriftspracherwerb geklärt werden. Die aktuelle Situation in Deutschland soll dazu erläutert werden. Hierzu sollen auch Vorgaben des "Berliner Bildungsprogramm für die Bildung, Erziehung und Betreuung von Kindern in Tageseinrichtungen bis zu ihrem Schuleintritt" betrachtet werden.
Abschließend wird die genannte Studie vor dem Hintergrund der vorschulischen Schriftspracherwerbsförderung in den USA beschrieben. Speziell für die USA gültige theoretische Konzepte sollen erklärt und hinterfragt werden. Die Ergebnisse der Studie sollen genannt, ihre Übertragbarkeit auf hiesige Verhältnisse soll untersucht werden.
2. Spracherwerb und Schriftspracherwerb
Der Schriftspracherwerb ist ein Prozess zur Aneignung eines Systems, das so komplex ist, dass es bei genauer Betrachtung verwundern kann, dass Schulanfänger oder sogar noch jüngere Kinder in der Lage sind, dieses System zu erlernen. Der Prozess umfasst Lesen und Schreiben, die in deutschen Schulen gleichzeitig und verzahnt erlernt werden.
Vor dem Schriftspracherwerb haben Kinder bereits eine andere großartige Lernleistung gezeigt, ohne sie mit Beginn des Lesen- und Schreibenlernens vollendet zu haben, die des Spracherwerbs. Auf die Kenntnisse des mündlichen Sprachhandelns werden die Kinder beim Erwerb der Schriftsprache aufbauen.
Dennoch sind gesprochene und geschriebene Sprache in weiten Teilen verschieden.
2.1. Spracherwerb als Grundlage des Schriftspracherwerbs
Bereits im Mutterleib hören ungeborene Kinder die Sprache der Mutter und können darauf reagieren.[1] Nach der Geburt werden sie mit zahlreichen anderen Zeichen in semiotischem Sinn konfrontiert: Gestik und Mimik der Bezugspersonen, die gedeutet werden wollen, und Gegenstände oder Gefühlszustände, die nach einer begrifflichen Einordnung verlangen. Es ist eine intrinsische Motivation zum Interpretieren gegeben. Dabei ist Sprechen eine menschliche Notwendigkeit, denn mit dem Sprechenlernen lernt das Kind erst, seine Welt begrifflich zu fassen und gedanklich zu strukturieren.
Bereits wenige Tage nach der Geburt kann ein Kind Erfahrungen mit Sprache bewerten. Sprachliche Laute können schon von nichtsprachlichen Lauten unterschieden werden, Muttersprache anhand prosodischer Merkmale von Fremdsprachen.[2]
Schon mit einem Monat können Kinder stimmhafte von stimmlosen Varianten eines Phonems unterscheiden. Die Zeit, die sie zur Unterscheidung benötigen liegt bei etwas 30 Millisekunden, also der gleichen Zeit, die auch Erwachsene dazu benötigen.[3]
Mit drei Monaten lernen sie, selbstständig Laute zu formulieren. Gezielt ahmt ein Säugling vorgesprochene Vokale nach.
Zwischen dem 6. und 9. Lebensmonat erlangt das Kind eine verbesserte Kontrolle über seine Lautartikulationsfähigkeiten. Es tritt in das so genannte Lallstadium ein und lernt Vokale mit Konsonanten zu verbinden. Einfache Silben werden redupliziert.
Zwischen dem 10. und 14. Lebensmonat können bereits erste Wörter mit bewusstem Bezug zu ihrer Bedeutung wiedergegeben werden. Dazu muss das Kind Wörter isolieren und mit Bedeutung verknüpfen können. Das passive Sprachverständnis ist zu dieser Zeit schon wesentlich weiter entwickelt. Typisch für diese Zeit ist, dass Kinder die Namen aller Gegenstände, die ihnen begegnen, erfragen.
Um den 18. Monat beherrschen Kinder meist etwa 50 Wörter und beginnen mit einem rasanten Ausbau ihres Wortschatzes.[4] Sie verfügen über kognitive Strategien, mit denen bekanntes Sprachwissen genutzt wird, um sich neues Wissen aufgrund von Parallelen zwischen semantischen und grammatischen Strukturen der Sprache selbstständig zu erschießen.[5] Grammatische Ordnungsprinzipien werden zunehmend verstanden und angewendet, um Sprache zu organisieren. Wörter werden zu Sätzen verknüpft.
Das Kind muss dazu die Bedeutsamkeit und Absicht des Sprechens erkannt haben. Es muss verstehen, dass bestimmte Lautkombinationen eine festgelegte Bedeutung haben, auch wenn es dabei ein Wort wie Auto zunächst vielleicht nur auf ein bestimmtes Auto bezieht und nicht auf Autos allgemein. Es muss den sprachlichen Lautstrom in Phoneme, Morpheme, Wörter und Sätze segmentieren können. Es muss artikulatorische Grundlagen der Lautproduktion verstehen. Einblick in morphologische und syntaktische Regelmäßigkeiten muss gegeben sein. Das Kind muss Kommunikationsregeln verstehen.[6]
Für das Deutsche gilt, dass die meisten Kinder im dritten Lebensjahr Wörter flektiert benutzen können und mit Ende des vierten Lebensjahres schließlich das nötige Wissen zu phonologischer und grammatischer Struktur der Sprache erworben haben. Der Anteil verschiedener benutzter Wortarten ändert sich dabei. Während der Gebrauch von Substantiven zwischen der Mitte des zweiten Lebensjahrs etwa die Hälfte ausmacht, liegt er zur Mitte des fünften Lebensjahrs nur noch bei 20%. Gleichzeitig verdoppelt sich der Anteil der Verben und Pronomina. Präpositionen kommen ganz neu in den Wortschatz hinzu.[7] Die Anzahl der benutzten Wörter pro Satz steigt stetig an und damit auch die grammatische Komplexität der Sätze.[8]
Vierjährige verfügen über einen beachtlichen aktiven Wortschatz von etwa 1.000 bis 2.000 Wörtern, der bei Fünfjährigen auf etwa 5.000 Wörter angewachsen ist.[9] Der passive Wortschatz umfasst zu dieser Zeit bis zu 26.000 Wörter.[10] Vom ersten Lebenstag an gerechnet hat ein fünfjähriges Kind mit großem passivem Wortschatz also gelernt, durchschnittlich 14 neue Wörter täglich zu verstehen, von denen für die meisten auch noch Flexionsformen existieren. In den ersten Schuljahren steigt die Worterwerbsrate sogar noch weiter an[11], so dass ein Sechzehnjähriger schließlich über einen aktiven Wortschatz von etwa 60.000 Wörtern verfügt.[12]
Hält man sich diese Leistung vor Augen, wird klar, dass Kinder auch in der Lage sind, das Erlernen des komplexen Systems der Schriftsprache zu schultern.
Da die Schriftsprache bei phonemischen und phonemisch dominierten logophonemischen Schriftsprachen wie des Deutschen bemüht ist, sich nah an der gesprochenen Sprache zu orientieren, gewissermaßen ihre grafische Umsetzung anstrebt, indem jeder Lautfolge eine Buchstabenkombination zugeordnet wird, ist mit dem Erlernen gesprochener Sprache schon wesentliches Vorwissen zum Erlernen der Schriftsprache gegeben. Die geschriebenen Wörter bauen auf der Begrifflichkeit von gesprochener Sprache auf und die Grammatik folgt den gleichen Regeln, wenn auch formal strenger.
2.2. Erster Kontakt mit Schrift
Bevor das Kind tatsächlich mit dem Lesen und Schreiben beginnt, hat es bereits vielfältige Begegnungen mit Schrift hinter sich. Schrift umgibt das Kind auf Plakaten, Schildern, Graffitis und Verpackungen, in Büchern, Zeitungen, Computertexten und Filmabspanne, in Emails, SMS Nachrichten, Ansichtskarten und Briefen, die die Eltern schreiben oder empfangen.
Den meisten Kindern ist schon mindestens einmal eine Geschichte vorgelesen worden, wobei sie die Buchstaben betrachtet haben und so eine Ahnung von der Funktion von Schrift und schriftlicher Kommunikation bekommen haben.
Vielleicht ist ein Kind sich schon der großen Bedeutung, die die Schrift im Alltag hat, bewusst und hat auch ein Bedürfnis entwickelt, den unbekannten Code knacken zu wollen, um selbstständig an die Informationen kommen zu können, die hinter jeder Schrift stehen.[13] Kinder, die mit Schriftlichkeit vertraut sind und die Funktion von Schrift bereits erkannt haben, sind schreibmotivierter als solche, die Schreiben für ein bezugsloses Produzieren von Schriftzeichen halten.[14]
Wahrscheinlich hat das Kind auch selbst schon geschrieben, sei es, indem es das Schriftbild seines Namens auswendig gelernt und wiedergegeben hat, sei es, indem das Kind mit Fantsiebuchstaben geschrieben hat.
Liedel schreibt, dass die Motive für frühe selbstständige Schreibhandlungen nicht klar sind. Sie vermutet Freude an der Motorik und am Ausdrücken, Freude am Wirken im Raum, sowie Interesse daran, Schreiben zu können, zum großen Teil also Motive, die das Kind auch zum Malen von Bildern ermuntert. Dass Kinder sehr früh ihren eigenen Namen schreiben, hält sie für ein Anzeichen dafür, dass Schrift für ein Kind Bedeutung trägt und eine Möglichkeit darstellt, sich selbst zu definieren und unterscheidbar zu machen.[15]
Frühe Schreibhandlungen sind gekennzeichnet durch selbstgewählte Inhalte, kommunikative Absicht, unmittelbare Motivation, Erfolgsbestätigung, sowie Funktionslust und Schaffensfreude.[16]
Das Lesen folgt dem Schreiben, nicht umgekehrt. "Das Kind weiß, was es geschrieben hat, jedoch ohne Kenntnis der Buchstaben. Durch das wiederholte Schreiben des Gleichen prägen sich dann nach und nach die Einzelbuchstaben ein,"[17] auch wenn eine Übungsabsicht nicht besteht, sondern vielmehr Funktionslust vorherrscht.[18]
2.3. Schriftsprache versus mündliche Sprache
Auch wenn mit dem Erlernen der gesprochenen Sprache schon eine wesentliche Voraussetzung für die Aneignung von Schrift und Schriftlichkeit geleistet ist, ist das Sprechen doch sehr verschieden vom Lesen und Schreiben. Tatsächlich besteht ein "Hauptproblem beim Lesen- und Schreibenlernen [...im...] Begreifen des Zusammenhangs von gesprochener und geschriebener Sprache."[19]
Scheerer-Neumann spricht den Prozessen und Teilprozessen beim Umgang mit Schrift spezifische Qualitäten zu, "die in dieser Form nur im Zusammenhang mit dem Lesen und Schreiben auftreten - das Lesen eines Wortes ist im Hinblick auf die beteiligten kognitiven Prozesse etwas anderes als z.B. das Benennen eines Bildes."[20]
Pöppel verortet das Lesen und Schreiben in Teilen des Gehirns, die eigentlich von der Evolution für etwas ganz anderes vorgesehen sind, und spricht von der "unnatürlichsten Tätigkeit des Gehirns."[21]
Kenntnisse über die Sprachstruktur, die beim Sprechenlernen implizit erworben worden sind, müssen beim Lesen und Schreiben bewusst eingesetzt werden, indem Phoneme, Grapheme, Wörter und Sätze isoliert und als Einheiten betrachtet werden.
Auch die bei Kindern verbreitete Auffassung, dass der Name eines Objekts ein immanenter, integrierender Bestandteil des Objekts ist, muss dann aufgegeben werden, wenn Namen gelesen oder geschrieben werden. Dass ein Gegenstand blau, groß, schnell und glänzend ist, ist bedingt durch immanente Merkmale des Gegenstands, die sinnlich wahrnehmbar sind. Dass man ihn Auto nennt, beruht aber auf willkürlicher Festlegung.
Natürlich ist Schrift von ihrem Wesen her in vielem grundsätzlich anders als mündliche Sprache. Gesprochen wird direkt und in Echtzeit. Schreiben und Lesen sind dagegen gedehnte Kommunikationsakte, bei denen der Sender, beziehungsweise der Empfänger nicht anwesend ist oder doch mindestens eine Nachricht nicht gleichzeitig mit dem Schreiben empfängt. Sprechen hat immer ein Gegenüber. Es funktioniert dialogisch in eindeutigem situativen Kontext. Sprachhandlungen erfahren eine Reaktion, die zum Weitersprechen motiviert, während Schreiben eine monologische Handlung ist, die alleine und ohne direkte Rückmeldung ausgeführt wird. Geschriebenes ist auch später wieder abrufbar, manche schriftliche Dokumente können sogar ihren eigenen Urheber überleben, während gesprochene Sprache sich mit dem Schall auflöst.
Mündliche Sprache ist zwar primär akustisch wahrnehmbar, wird aber durch Mimik, Gestik oder Berührungen ergänzt und wirkt außer mit der Summe der Bedeutungen von gesagten Wörtern in ihrer grammatischen Organisation auch über Intonation, Lautstärke, Musisches und Expressives. Schrift erfährt solche Möglichkeiten der Ergänzung nicht. Sie ist nur optisch - oder taktil, wie im Fall von Braille - wahrnehmbar. Entsprechend wird der Akt des Schreibens mit den Händen, gesprochene Sprache dagegen mit dem Mund ausgeführt.
Schreiben setzt mehr gedankliche Vorformulierung als Sprechen voraus und hält sich meist strenger an grammatische Vorgaben als das Sprechen. Überhaupt ist das bewusste, analysierende Zergliedern der Sprache beim Schreiben viel bedeutender als beim Sprechen. Entsprechend wird Lesen und Schreiben auch bewusster gelernt als Sprechen.
Schriftsprache ist abstrakte Sprache. Der Schreiber oder Leser muss "Bezug nehmen auf die Lautstruktur gesprochener Sprache und dabei von den sprachlich gebundenen Bedeutungen abstrahieren,"[22] um schließlich alles potenziell Sagbare in ein System von 25 bis 30 Zeichen transformieren zu können.[23]
Laut Wygotski erfordert Schrift, als "schwierigste und komplizierteste Form der absichtlichen und bewussten Sprachtätigkeit,"[24] eine Abstraktion zweiten Grades. Schriftlichkeit "verändert jene psychologischen Bedingungen, die sich bei der mündlichen Sprache herausgebildet haben. Das Kind hat [...mit dem Sprechen...] bereits eine ziemlich hohe Stufe der Abstraktion hinsichtlich der gegenständlichen Welt erreicht. Jetzt steht es vor einer neuen Aufgabe: Es soll von der sinnlichen Seite der Sprache abstrahieren und zu einer abstrakten Sprache übergehen, die nicht Wörter, sondern die Vorstellung von Wörtern benutzt. In dieser Hinsicht unterscheidet sich die schriftliche Sprache von der mündlichen wie das abstrakte Denken vom anschaulichen. Es ist natürlich, daß [sic!] allein bereits deshalb die schriftliche Sprache nicht die Entwicklungsetappen der mündlichen wiederholen kann. [...So...] bildet gerade die Abstraktheit der schriftlichen Sprache, daß [sic!] diese Sprache nur gedacht, aber nicht ausgesprochen wird, eine der größten Schwierigkeiten beim Erlernen der schriftlichen Sprache."[25]
Beim Umgang mit Schrift müssen Kinder gleichzeitig lernen "sich von der konkreten Welt zu lösen, indem Zeichensysteme zur Konstruktion nicht wahrnehmbarer Bedeutungsinhalte genutzt werden,"[26] "Zeichen nicht nur als Abbilder der wahrnehmbaren Realität gesehen werden, sondern selbst eine Bedeutung erhalten."[27]
Mit der Schriftlichkeit lernen Kinder also auch eine neue Qualität von Kognition. So wie das Sprechenlernen erst die Möglichkeit zu gedanklicher Auseinandersetzung mit der Innen- und Außenwelt für das Kind bedingt, beinhaltet auch das Lesen- und Schreibenlernen die Möglichkeit für Erkenntnisse, die weit über den eigentlichen Gegenstand hinausgehen, wenn auch nicht in ähnlich großem Maß wie beim Sprechen. "Der Aneignungsprozeß [sic!] der Schriftsprache beschleunigt dann die Herausbildung vorhandener geistiger Fähigkeiten und ermöglicht schließlich völlig neuartige geistige und sprachliche Handlungen."[28]
[...]
[1] Die Darstellung des Spracherwerbs folgt den im Literaturverzeichnis angeführten Veröffentlichungen von Grimm, Oerter, Rothweiler und Szagun.
[2] Siehe: Hannelore Grimm: Sprachentwicklung - Allgemeintheoretisch und differentiell betrachtet. In: Rolf Oerter und Leo Montada (Hrsg.): Entwicklungspsychologie. München 1998. S. 716.
[3] Siehe: Monika Rothweiler: Spracherwerb. In: Jörg Meibauer (Hrsg.): Einführung in die germanistische Linguistik. Stuttgart und Weimar 2002. S. 256f.
[4] Siehe: Grimm. S.713.
[5] Siehe: Rothweiler. S. 287.
[6] Siehe: ebd.. S. 252f.
[7] Siehe: Rolf Oerter: Moderne Entwicklungspsychologie. Donauwörth 1970. S. 450.
[8] Siehe: Gisela Szagun: Sprachentwicklung beim Kind: Ein Lehrbuch. Weinheim 2006. S. 81.
[9] Siehe: Rothweiler. S. 253.
[10] Siehe: Sylvia Näger: Literacy - Kinder entdecken Buch-, Erzähl- und Schriftkultur. Freiburg 2005. S 20.
[11] Siehe: Rothweiler. S. 268.
[12] Siehe: Grimm. S. 718.
[13] Wygotski hat festgestellt hat, dass Kinder, die schiftferner aufwachsen, wenig Motivation zum Erwerb von Schriftlichkeit zeigen. Valtin bestätigt dies. Siehe dazu: Lew Semjonowitsch Wygotski: Die Besonderheit der Schriftsprache. In: Schorch, Günther (Hrsg.): Schreibenlernen und Schriftspracherwerb. Bad Heilbrunn 1992. S. 14. Renate Valtin: Entwicklungsmodell des Rechtschreiblernens. Frankfurt 2000. S. 70
[14] Marianne Liedel: Schreibanfänge. In: Günther Schorch (Hrsg.): Schreibenlernen und Schriftspracherwerb. Bad Heilbrunn 1992. S. 33.
[15] Siehe: ebd.. S. 34f.
[16] Siehe: ebd.. S. 37
[17] ebd. S. 38.
[18] Siehe: ebd. S. 36.
[19] Renate Valtin: Methoden des basalen Lese- und Schreibunterrichts. In: Ursula Bredel, Hartmut Günther, Peter Ossner und Andere (Hrsg.): Didaktik der deutschen Sprache. Ein Handbuch. Paderborn, München, Wien und Zürich 2003. S. 760.
[20] Gerheid Scheerer-Neumann: Schriftspracherwerb: "The State of the Art" aus psychologischer Sicht. In: Ludowika Huber , Gerd Kegel und Angelika Speck -Hamdan (Hrsg.): Einblick in den Schriftspracherwerb. Braunschweig 1998. S. 32.
[21] Ernst Pöppel: Die unnatürlichste Tätigkeit des Gehirns. In: Universitas 7/2002. S. 747.
[22] Heinz Giese: Schriftspracherwerb und Schreibenlernen. In: Günther Schorch (Hrsg.): Schreibenlernen und Schriftspracherwerb. Bad Heilbrunn 1992. S. 20.
[23] Siehe: Pöppel. S. 747.
[24] Wygotski. S. 16.
[25] Wygotski. S. 13.
[26] Stern, Elsbeth: Wie abstrakt lernt das Grundschulkind - Neuere Ergebnisse der entwicklungspsychologischen Forschung. In: Hanns Petillon (Hrsg.): Individuelles und soziales Lernen in der Grundschule - Kinderperspektive und pädagogische Konzepte. Opladen 2002. S. 38
[27] ebd.. S. 37.
[28] Giese. S. 22.