Lade Inhalt...

Ethische Aspekte des Nationen- und Nationalismusbegriffs und die Debatte um den Verfassungspatriotismus

©2009 Hausarbeit (Hauptseminar) 27 Seiten

Zusammenfassung

Der häufige Gebrauch des Ausdrucks „Nation“ scheint zu suggerieren, dass es sich um feste, homogene und überzeitliche Größen handelt. Indes erweist sich der Begriff bei näherer Betrachtung als problematisch. Mit ihm werden pauschal äußerst komplexe Phänomene bezeichnet, was zu einer weitgehenden Vereinfachung und systematischer Unschärfe führen muss. Die „ontologische Armut“ des Nationenbegriffs, auf die der prominente Nationalismus-Forscher Benedikt Anderson verweist, steht in deutlichem Kontrast zu der vielfältigen Verwendung von demselben in unterschiedlichen Diskursen. Da es sich hier um einen Allgemeinbegriff handelt, gehört dessen Bloßlegung und Untersuchung zu den Aufgaben der Philosophie. So wird in der philosophischen Betrachtung grundsätzlich zwischen der essentialistischen und konstruktivistischen Deutung des Nationenbegriffs unterschieden. Der essentialistischen Lesart zufolge, wie sie schon bei Gottlieb Fichte zu finden ist, ist die Nation eine ewig bestehende Entität, die in staatlichen Gebilden lediglich verwirklicht wird. Der Konstruktivismus behauptet hingegen, dass die Nation schon immer gedacht ist und in keinem realen Sinne existiert. Benedict Anderson spricht hierbei von einer „vorgestellten Gemeinschaft", Ferdinand Tönnis von einer „gewollten Gesellschaft".
Die in dieser Arbeit präsentierten Formen des Nationalismus werden nach ihrem ontologischen Status beschrieben sowie nach ihrer jeweiligen ethischen Relevanz ausgewertet. Denn für viele Menschen geht eine bestimmte Konzeption des Nationalen mit ethischen Verpflichtungen einher. Wie diese Verpflichtungen begründet, und inwiefern sie berechtigt sind, wird in dieser Arbeit untersucht. Nach der Charakterisierung der unterschiedlichen Varianten des Nationalismus wird eine besondere Form des nationalen Gedankens analysiert, die für den deutschen Nationalismusdiskurs von großer Bedeutung ist: Das Konzept des Verfassungspatriotismus. Abgeschlossen wird die Arbeit mit Überlegungen zu möglichen Alternativen für den Nationalismus in Europa sowie mit einem Plädoyer für den partiellen Kosmopolitismus.

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis:

I. Einleitung: Die ontologische Armut des Nationenbegriffes

II. Varianten des Nationalismus und deren ethische Implikationen
II.I. Realer Nationalismus
II.II. Konstruktivistischer Nationalismus

III. Die Idee des Verfassungspatriotismus
III.I. Der Verfassungspatriotismus bei Dolf Sternberger
III.II. Der Verfassungspatriotismus bei Jürgen Habermas
III.III. Die Kritik am Verfassungspatriotismus

IV. Alternativen für den Nationalismus in Europa
IV.I. Der Gedanke des Kosmopolitismus

V. Schlussbemerkung: Die Zukunft des Nationalismus

VI. Bibliographie

I. Einleitung: Die ontologische Armut des Nationenbegriffs

Mit dem Begriff der Nation werden politische Entitäten sowie ethnische Gruppen bezeichnet. Das politische Verständnis der Nation hat sich bekanntlich im 18. Jahrhundert herauskristallisiert und war mit der Idee der Volkssouveränität verbunden.[1] Die Nation war eine neue Variante politischer Legitimation, welche die neuzeitlichen Ideale wie die Bürger- und Menschenrechte zu garantieren hatte. Solche republikanischen Rechte sollten in einem Nationalstaat verwirklicht werden, was eine Gleichsetzung von Nation und Staat bedeutete. Angehöriger einer Nation sein bedeutet in diesem Sinne Mitglied eines Gemeinwesens zu sein.[2]

Neben dem politischen Verständnis des Nationenbegriffs steht das ethnische Konzept der Nation. Darunter wird eine Gemeinschaft von Menschen mit derselben Herkunft und denselben kulturellen Merkmalen verstanden, zu welchen gemeinsame Sitten, Religion oder Sprache gehören können. Das Konzept eines so begriffenen Volkes hat einen exklusiven Charakter und meint eine kulturell weitgehend homogene Menschengruppe. Da dieses Konzept nicht politisch, sondern ethnisch aufgefasst wird, sind dessen Befürworter der Überzeugung, dass sich das kollektive Bewusstsein einer Nation nicht durch bloße Zugehörigkeit beliebiger Menschen zu einem gemeinsamen Staat reduzieren lasse. Die Nation sei vielmehr mit dem Gedanken einer gemeinsamen ethnischen Herkunft und der Pflege von gemeinsamen Sitten verbunden, die auf eine lange Tradition zurückgehen müssen.

Der nicht nur in den zwei genannten Kontexten häufige Gebrauch des Ausdrucks „Nation“ scheint zu suggerieren, dass es sich hier um feste, homogene und überzeitliche Größen handelt. Indes erweist sich der Begriff bei näherer Betrachtung als problematisch, denn in Wahrheit entzieht er sich einer eindeutigen und zufriedenstellenden Definierung. Mit ihm werden pauschal äußerst komplexe Phänomene bezeichnet, was zu einer weitgehenden Vereinfachung und systematischer Unschärfe führen muss.[3] Die „ontologische Armut“ des Nationenbegriffs, auf die der prominente Nationalismus-Forscher Benedikt Anderson verweist[4], steht in deutlichem Kontrast zu der vielfältigen Verwendung von demselben in unterschiedlichen Diskursen. Da es sich hier um einen Allgemeinbegriff handelt, gehört dessen Bloßlegung und Untersuchung zu den Aufgaben der Philosophie. So wird in der philosophischen Betrachtung grundsätzlich zwischen der essentialistischen und konstruktivistischen Deutung des Nationenbegriffs unterschieden. Der essentialistischen Lesart zufolge, wie sie schon bei Gottlieb Fichte zu finden ist[5], ist die Nation eine ewig bestehende Entität, die in staatlichen Gebilden lediglich verwirklicht wird. Der Konstruktivismus behauptet hingegen, dass die Nation schon immer gedacht ist und in keinem realen Sinne existiert. Benedict Anderson spricht hierbei von einer „vorgestellten Gemeinschaft", Ferdinand Tönnis von einer „gewollten Gesellschaft".[6]

Die im Folgenden präsentierten Formen des Nationalismus werden nach ihrem ontologischen Status beschrieben sowie nach ihrer jeweiligen ethischen Relevanz ausgewertet. Denn für viele Menschen geht eine bestimmte Konzeption des Nationalen mit ethischen Verpflichtungen einher. Wie diese Verpflichtungen begründet, und inwiefern sie berechtigt sind, soll in dieser Arbeit untersucht werden. Nach der Charakterisierung der unterschiedlichen Varianten des Nationalismus wird eine besondere Form des nationalen Gedankens analysiert, die für den deutschen Nationalismusdiskurs von großer Bedeutung ist: Das Konzept des Verfassungspatriotismus. Abgeschlossen wird die Arbeit mit Überlegungen zu möglichen Alternativen für den Nationalismus in Europa sowie mit einem Plädoyer für den partiellen Kosmopolitismus.

II. Varianten des Nationalismus und deren ethische Implikationen

Die Nationalismus-Forschung ist kein genuin philosophisches Gebiet, sie wird vornehmlich von Politikwissenschaftlern und Historikern betrieben. In ihren Arbeiten wird das Augenmerk auf die Inhalte der nationalistischen Konzepte gerichtet sowie auf die Konsequenzen, die sich aus diesen Konzepten für bestimmte Gemeinschaften ergeben. Brisant in philosophischer Hinsicht ist hingegen die Frage danach, inwiefern man sagen kann, dass Nationen wirklich existieren bzw. existieren sollen, und inwiefern wir als Angehörige einer Nation dazu verpflichtet sind, die eigene Nation in unterschiedlichen Lebensbereichen zu bevorzugen und sich von den anderen Nationen abzugrenzen. Die Bestimmung von Begriffen wie Nation, Volk, Vaterlandsliebe oder Heimat, sowie die Frage danach, inwiefern der Gebrauch von solchen Begriffen gerechtfertigt ist, stellt ein weiteres zu untersuchendes Problem dar. Je nachdem, welche Form des Nationalismus man bevorzugt, wird man offensichtlich zu unterschiedlichen Antworten auf diese Fragen kommen. Die Ablehnung des Nationalismus in jeglicher Form stellt dabei einen Sonderfall dar.

II.I. Realer Nationalismus

Der reale bzw. essentialistische Nationalismus erhebt den Anspruch eines allgemeingültigen und überzeitlichen Prinzips gemeinschaftlicher Ordnung. Die Vertreter dieser Denkrichtung sind der Meinung, dass Nationen wirkliche und notwendige Entitäten darstellen. Der nationale Gedanke wird nicht nur als Grundlage für die Herstellung der Staatlichkeit, sondern ist auch mit einem ausdrücklichen Postulat nach ethnischer Homogenität verbunden. Die Nation ist dem realen Nationalismus zufolge kein freiwilliger Zusammenschluss von Menschen, sondern eine exklusive Volksgemeinschaft. Exklusiv in dem Sinne, dass niemand an ihr teilhaben kann, der nicht qua Geburt in sie hineingeboren wurde. So zeichnet sich der essentialistische Nationalismus durch eine mehr oder minder deutliche Abgrenzung von anderen Nationen sowie durch eine daraus notwendigerweise resultierende Parteilichkeit. In einer aktuellen Studie über den im späteren Teil dieser Arbeit behandelten Verfassungspatriotismus vertritt der Autor ebendiese Lesart nationaler Loyalität: „Es soll sich jedes Mitglied des nationalen Kollektivs ungeachtet materieller Nutzenerwägungen verantwortlich fühlen für den Erfolg der Nation, ob auf dem Felde der Weltwirtschaftskonkurrenz, der Militäreinsätze in Ex-Jugoslawien oder in Afghanistan oder des Wettstreites um olympische Medaillen. Diese grundsätzliche Parteilichkeit, die man als Inländer im Namen der Nation, als ihr ideeller Teilhaber und Auftraggeber walten lassen soll, heißt nationale Identität, Patriotismus oder altmodisch gesprochen auch Vaterlandsliebe“.[7]

Bei manchen Autoren kann man von einem partiellen realen Nationalismus sprechen, wenn in ihren Ausführungen trotz Verwendung alternativer Ausdrücke essentialistische Eigenschaften zu erkennen sind. Bei Peter Porsch zum Beispiel hat dies die Form des anthropologischen Arguments, wenn von der „Heimat“ spricht, zu der man ein emotionales Verhältnis pflegt: „Das Wort Heimat bezeichnet ein Gefühl; Heimat ist „das «Eigene» im engen Sinn, das Regionale, ja Lokale, das Intime, das Familiäre, das «Muttersprachliche» (...), und auch das Idyllische als das sichere Identische (...)“.[8] Die positive Bedeutung des Ausdrucks „Heimat“ wird durch eine Zurückstellung des Nationenbegriffs begleitet: Die „Heimat“ ist Porsch zufolge eine anthropologische Kategorie und stellt eine feste und überzeitliche Eigenschaft des Menschen dar, während die Nation lediglich eine historische Kategorie ist. Sie ist nämlich „im Verlaufe der Geschichte entstanden und hat mit ziemlicher Wahrscheinlichkeit auch ein Verfallsdatum“.[9] Die Herkunft des Menschen, seine real existierende Heimat, wirft immer stereotype Wahrnehmungsmuster auf. Da jede Interaktion dadurch geprägt ist, ist es unmöglich, die Bedeutung der eigenen Herkunft zu minimieren. Die Heimat, die man besitzt, sollte vielmehr als eine dem Menschen zukommende Eigenschaft anerkennen und ihr eine positive Rolle zuschreiben.

Eine weitaus stärkere Form des realen Nationalismus stellt der tribale Nationalismus dar, wie er von Aurel Kolnai beschrieben wurde. Sein Hauptwerk „The War Against The West“ ist eine Studie zur nationalsozialistischen Auffassung des Nationalismus, in der die Abstammung und Rasse die wichtigste Rolle spielten. Kolnai weist auf, dass der Überbau des nationalsozialistischen Staates in Form der „Volksseele“ auf die Hegelsche Theorie des objektives Geistes zurückgeht. Diese Volksseele einer Nation ist ewig und entfaltet sich in einem Nationalstaat, der kein Ausdruck des gesellschaftlichen Willens ist, sondern als ein überindividueller Körper zu verstehen ist.[10] Für die Wahrung nationaler Identität bedarf es aus der Sicht des tribalen Nationalismus eines wertsetzenden Rassebegriffs, denn „[a] nation is a community of values; Nationalism, a community of valuations“.[11] Der Rassebegriff dient dazu, die Ungleichheit der Menschen zu begründen und die Menschheit als eine Nicht-Gemeinschaft von in sich geschlossenen Völkern zu verstehen. Die nationale Exklusivität und die daraus resultierende rücksichtslose Durchsetzung eigener Interessen ist dem tribalen Nationalismus zufolge die alleinige Basis politischer Legitimation, wie es in den Worten von Hans Blüher, der von Kolnai zitiert wird, sichtbar wird: „Mankind is coarse, savage, vindictive and vulgar. Whoever is intent on having anything in common with it, turns common himself (…). The nations are the only political reality. And the nations hate one another and each endeavours to have as much power as possible“.[12]

II.II. Konstruktivistischer Nationalismus

Dem essentialistischen Nationalismus, der die Nation als eine real bestehende und überzeitliche Entität begreift, steht in Abgrenzung das Konzept des konstruktivistischen Nationalismus entgegen, das in der heutigen Forschung als vorherrschend gilt.[13] Dieser Lesart zufolge sind Nationen gedankliche und soziale Konstrukte, die auf geschichtliche Entwicklungen oder pragmatische Motive zurückgehen.

Der Konstruktivismus steht unter anderem der Annahme von so genannten kulturellen Gemeinsamkeiten, die für eine Nation konstitutiv sein sollen, kritisch gegenüber. Die Berufung auf eine gemeinsame Sprache greife zum Beispiel zu kurz: Die Österreicher begreifen sich keinesfalls als Deutsche, obwohl sie dieselbe Sprache sprechen. Das „Wir-Gefühl“ einer Nation, das auf den Gebrauch einer gemeinsamen Sprache beruhen soll, verliert die argumentative Stärke, wenn man auf die Gesellschaften zeigt, die mehrsprachig sind und sich trotzdem als eine Nation begreifen. In der Schweiz werden vier verschiedene Sprachen, in dem klassischen Einwanderungsland den USA im Prinzip unzählige Sprachen gesprochen.[14] Eine gemeinsame Religion, die oftmals als identitätsstiftend für die Nation genannt wird, stellt keine Regel dar und kann ebenfalls nicht als eine allgemeingültige These gesehen werden, wenngleich in manchen Ländern die gemeinsame Konfession unverkennbar eine für das Nationalbewusstsein bedeutende Rolle spielt (so etwa im heutigen Iran oder Israel und historisch in Irland und Polen).

Derlei Argumente für den Konstruktivismus finden sich unter anderem im berühmt gewordenen Vortrag „Was ist eine Nation?“ von Ernest Renan aus dem Jahr 1882. Renan zufolge verleitet allein die geschichtliche Betrachtung auf das Phänomen zu der Annahme, dass es sich bei dem Begriff der Nation um keine ewig bestehende und reale Entität handelt. Vielmehr ist der Begriff erst entwickelt worden und sollte lediglich den Zwecken seiner Zeit dienen. Die konstruktivistische Position muss plausibel erscheinen, wenn man die Charakteristika des Nationenbegriffs wie auch die so genannten kulturellen Merkmale betrachtet. Dabei muss man feststellen, dass keine dieser Eigenschaften den Anspruch der Allgemeingültigkeit und Überzeitlichkeit erheben kann. Renan kommt zu dieser Überzeugung, indem er die Rassentheorie entkräftet, die Bedeutung der Sprache und Religion für unangemessen erklärt, das Bestehen von natürlichen Grenzen zwischen den Völkern verneint, sowie die Nation als eine Interessengemeinschaft als begriffliches Missverständnis entlarvt.

Beim Thema Rasse weist Renan auf die Unterscheidung zwischen ethnologischer Forschung und politischer Legitimation hin. Die anthropologischen Unterschiede unter den Menschen sollten ausschließlich von Wissenschaftlern untersucht werden, denn „[d]ie Menschengeschichte von der Zoologie wesentlich verschieden [ist]. Selbst, wenn es so etwas wie eine überlegene Menschenrasse gäbe, wäre dies kein ausreichender Grund für die Expansion auf Kosten «niederer» Völker“.[15] An die Stelle des Prinzips der Nationen darf man keine Ethnographie setzen. Verfiele man einem solchen Irrtum, so „richtete [dies] die europäische Zivilisation zugrunde. Während das Prinzip der Nationen gerecht und legitim ist, ist das Urrecht der Rassen eng und voller Gefahren für den wahrhaften Forschritt“.[16] Man bezöge die Politik auf eine Chimäre, wenn man sie auf die ethnographische Analyse gründete. Ferner weist Renan darauf hin, dass die ersten Nationen Europas von gemischtem Blut waren, und dass es in Wahrheit so etwas wie eine reine Rasse überhaupt nicht geben kann.

Das Problem mit dem Argument der Sprache besteht Renan zufolge darin, dass sie mit der Rasse in Verbindung gesetzt werde, was zu falschen Schlussfolgerungen führe. Die Sprachen seien historische Gebilde, die wenig über das Blut derer aussagten, die sie sprechen. Lege man zu viel Wert auf die Sprache, so schließe man sich in einer bestimmten, für national gehaltenen Kultur ein und begrenze sich auf diese Weise. Zutreffend erscheint Renans Verweis auf die Mehrsprachigkeit: „Die Sprache lädt dazu ein, sich zu vereinen; sie zwingt nicht dazu. Die Vereinigten Staaten und England, das spanische Amerika und Spanien sprechen dieselbe Sprache und bilden doch keine Nation. Im Gegenteil, die Schweiz (...) zählt drei oder vier Sprachen“.[17] Als historische Gebilde betrachtet Renan nicht nur menschliche Sprachen, sondern auch Religionen. Die Religion könne uns keine hinreichende Grundlage geben, um darauf die moderne Nation zu errichten. Sie sei eine individuelle Angelegenheit geworden, sie gehe nur das Gewissen eines jeden an. Die Unterteilung der Nationen in katholische oder protestantische existiere nicht mehr.[18] Gemeinsame Interessen sind für die Begründung der Nation ebenfalls nicht hinreichend, denn die Nationalität „hat eine Gefühlsseite, sie ist Seele und Körper zugleich. Ein «Zollverein» ist kein Vaterland“.[19]

[...]


[1] Man sollte vielleicht „das moderne politische Verständnis“ sagen. Die Volks- und Staatszugehörigkeit waren bereits vor dem 18. Jahrhundert zum Beispiel bei den slawischen Ethnien über einen längeren Zeitraum hinweg nahezu identisch. Siehe Lötzsch, Ronald: Was ist ein Volk und was eine Nation?, in: UTOPIE kreativ, H. 103/104 (Mai/Juni) 1999, S. 15-30, S. 18.

[2] Diese politische Auffassung der Nation wird in vielen heutigen Verfassungen zum Ausdruck gebracht. Mit Nation bzw. Volk ist in diesem Kontext die Gesamtheit aller Staatsbürger gemeint.

[3] So auch Ernest Renan: „Ich möchte mit Ihnen gemeinsam eine Idee untersuchen, die obwohl sie dem Anschein nach klar zu sein scheint, zu den gefährlichsten Missverständnissen Anlaß gibt“. Renan, Ernest: Was ist eine Nation?, in: Grenzfälle. Über neuen und alten Nationalismus, hrsg. v. Michael Jeismann u. Henning Ritter, Leipzig 1993, S. 310.

[4] „Nation, nationality, nationalism – all have proved notoriously difficult to define, let alone to analyse. In contrast to the immense influence that nationalism has exerted on the modern world, plausible theory about it is conspicuously meagre”, Anderson, Benedict: Imagined Communities, London 2006, S. 3.

[5] Fichte, Gottlieb: Reden an die deutsche Nation, in: Ders., Gesamtausgabe der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 7, hrsg. von Reinhard Lauth [u.a.], Stuttgart-Bad Cannstatt 1962, S.257-516.

[6] Ähnlich auch Volker Kronenberg: „Nationen existieren, solange sie in den Köpfen und Herzen der Menschen sind, und erlöschen in dem Moment, wenn sie nicht mehr empfunden, gedacht und gewollt werden“, Kronenberg, Volker: Patriotismus in Deutschland. Perspektiven für eine weltoffene Nation, Wiesbaden 2005, S. 39. Es sind auch andere vorgestellte Gemeinschaften möglich wie das folgende Beispiel zeigt: „Die sozialistische Lebensweise [war] die wichtigste Komponente einer neuen historischen Gemeinschaft, des Sowjetvolkes“, Lötzsch, Was ist ein Volk und was eine Nation?, S. 28.

[7] Krölls, Albert: Das Grundgesetz – ein Grund zum Feiern? Eine Streitschrift gegen den Verfassungspatriotismus, Hamburg 2009, S. 197f. (Hervorhebung von mir).

[8] Porsch, Peter: Linke, Heimat, Vaterland, in: Linke, Heimat, Vaterland, hrsg. v. Klaus Kinner, Leipzig 2007, S. 7-24, hier: S. 19f.

[9] Ebenda, S. 20.

[10] Gemeint ist wohl die Idee von einem so beschaffenen Souverän wie der Hobbesche „Leviathan“.

[11] Kolnai, Aurel: The War Against The West, London 1938, S. 397.

[12] Ebenda, S. 394.

[13] „[Es] herrscht doch inzwischen ein breiter Konsens darüber, Nationen nicht als in einem wie auch immer gearteten Sinn reale, sondern als gedachte Gemeinschaften zu verstehen“, Puttkamer, Joachim von: Nationalismus in Ostmitteleuropa – eine Zwischenbilanz, in: Zeitenblicke. Online-Journal für die Geschichtswissenschaften 6, Nr. 2, 2007, S. 3.

[14] Am Beispiel der USA zeigt sich, dass nicht nur die Nation über keine einheitliche Sprache zu verfügen braucht, um sich als Nation zu begreifen, sondern auch, dass selbst der Staat dessen nicht bedarf: In den USA ist keine amtliche Sprache festgelegt; die überlegene Position des Englischen ändert an dieser Sachlage nichts.

[15] Renan, Was ist eine Nation?, S. 312. Mit diesen Worten antizipiert Renan im gewissen Sinne den Nationalsozialismus.

[16] Ebenda, S. 312.

[17] Ebenda, S. 313.

[18] „(...) [Die Nation] hat sich fast gänzlich von den Gründen gelöst, nach denen die Grenzen der Völker gezogen werden“, ebenda, S. 313.

[19] Ebenda, S. 314.

Details

Seiten
Jahr
2009
ISBN (eBook)
9783640919932
ISBN (Paperback)
9783640919987
DOI
10.3239/9783640919932
Dateigröße
536 KB
Sprache
Deutsch
Institution / Hochschule
Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt am Main – Institut für Philosophie
Erscheinungsdatum
2011 (Mai)
Note
sehr gut
Schlagworte
ethische aspekte nationen- nationalismusbegriffs debatte verfassungspatriotismus
Zurück

Titel: Ethische Aspekte des Nationen- und Nationalismusbegriffs und die Debatte um den Verfassungspatriotismus