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Arbeitsbelastungen bei depressiven Patienten in der psychotherapeutischen Praxis

©2011 Masterarbeit 60 Seiten

Zusammenfassung

Psychische Erkrankungen nehmen in den letzten Jahren in ihrer
Häufigkeit einen beachtlichen Stellenwert in der ambulanten
Versorgung ein. Das gilt insbesondere für Depressionen. Depressionen
führen zu den längsten Arbeitsausfällen, sind eine der häufigsten
Frühberentungsursachen und verursachen einen erheblichen
subjektiven Leidensdruck.
Ein Teil der psychischen Beeinträchtigungen wird auf arbeitsbedingte
Stressoren zurückgeführt. Diesen Ansatz weiter zu verfolgen ist Ziel der
vorliegenden Arbeit. Sie soll der Frage nachgehen, ob sich ein
derartiger Zusammenhang auch an einer klinischen Stichprobe einer
psychotherapeutischen Praxis darstellen lässt und welche Faktoren
möglicherweise einen Teil der Depressivität erklären.
Die Untersuchung wird an einer Patientenstichprobe aus einer Praxis
für psychosomatische Medizin durchgeführt. Befragt werden alle
Patienten, die die diagnostischen Kriterien einer Depression nach der
International Classification of Diseases (ICD 10) erfüllen. Eingesetzt
werden das Beck Depressions Inventar, die Irritationsskalen nach Mohr
und der SALSA-Fragebogen.
Die Auswertung zeigt, dass sich einige der in der Literatur bechriebenen
Zusammenhänge nachweisen lassen, allerdings überwiegend mit
schwach signifikanten Ergebnissen. Belegt wurden u.a. die Einflüsse
sozialer Unterstützung und des Vorgesetztenverhaltens auf das
Ausmaß der Depressivität.

Leseprobe

Inhalt

1. Einleitung

2. Theoretischer Teil
2.1. Begriffsklärung Depression
2.2. Epidemiologische Daten
2.3. Ursachen
2.4. Theoretische Modelle
2.4.1. Belastungs-Beanspruchungskonzept
2.4.2. Stressmodell
2.4.3. Gratifikationskrisen
2.4.4. Anforderungs-Kontroll-Modell
2.4.5. Ressourcenkonzept
2.5. Psychische Belastungen und Ressourcen
2.5.1. Widersprüchlichkeit und Taylorisierung
2.5.2. Teamklima
2.5.3. Vorgesetztenverhalten und soziale Unterstützung
2.5.4. Arbeitsanforderungen und Handlungsspielraum
2.5.5. Belohnung
2.5.6. Fairness
2.5.7. Restrukturierung
2.5.8. Emotionsarbeit
2.5.9. Erfolg
2.6. Zusammenfassung
2.7. Hypothesen

3. Empirischer Teil
3.1. Untersuchungsplanung
3.2. Stichprobenauswahl und Instruktion
3.3. Auswahl der Instrumente

4. Auswertung
4.1. Beschreibung der Stichprobe
4.2. Korrelationen
4.3. Regressionen

5. Diskussion
5.1. Neuigkeitswert der Arbeit
5.2. Methodenkritik
5.3. Ergebnisbewertung
5.4. Praxisrelevanz
5.5. Theoretische Fundierung und weiterführende Gedanken

6. Zusammenfassung

7. Literatur

Abbildungsverzeichnis

Tabellenverzeichnis

1. Einleitung

Die Motivation, die folgende Untersuchung durchzuführen, entstand während der Arbeit in der psychotherapeutischen Praxis. Es war der Eindruck entstanden, dass psychische Störungen, insbesondere Depressionen und Burnout, auch bei Personen mit ansonsten stabiler Persönlichkeit zunehmen.

Des weiteren berichten die Patienten zunehmend häufig über Belastungen am Arbeitsplatz, die subjektiv Anspannung verursachen. Außerdem scheint die Bereitschaft von Patienten gestiegen zu sein, Medikamente einzunehmen, die die kognitive Leistungsfähigkeit beeinflussen. So versprechen sich viele Menschen, durch die Einnahme von Antidepressiva emotional ausgeglichener und damit für ihren Beruf leistungsfähiger zu sein und die beruflichen Belastungen besser aushalten zu können.

Nach der eigenen Beobachtung werden immer häufiger arbeitsbedingte Belastungen genannt, die in zeitlichem Zusammenhang mit dem Auftreten der psychischen Störung zu stehen scheinen.

Der sich hieraus entwickelten Frage, ob sich diese Eindrücke objektivieren lassen, soll in folgender Weise nachgegangen werden: Zunächst sollen in einer Auswertung der relevanten Literatur aktuelle theoretische Erklärungsmodelle zum Auftreten psychischer Störungen im Rahmen beruflicher Belastungen und aktuelle Ergebnisse zu einzelnen Bedingungsfaktoren, die be- oder entlastend wirken, dargestellt werden.

In einem darauf folgenden empirischen Teil wird der Frage nachgegangen, ob sich Zusammenhänge zwischen Arbeitsbelastungen und depressiven Erkrankungen auch an einer Stichprobe einer psychosomatischen Praxis darstellen lassen. Hierzu wird eine Fragebogenuntersuchung an 32 depressiv erkrankten Patienten durchgeführt. Die Fragebögen werden in Hinblick darauf ausgewertet, welche arbeitsbedingten Belastungsfaktoren möglicherweise in Zusammenhang mit der Depression stehen.

2. Theoretischer Teil

Die Literaturrecherche zu den Originalarbeiten wurde online über das deutsche Institut für medizinische Dokumentation (DIMDI), das Leibniz Institut und das Bundesamt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin durchgeführt. Des weiteren wurden über das Internet frei zugängliche Quellen genutzt, wie die Rentenstatistik und die Gesundheitsreports der gesetzlichen Krankenkassen.

2.1. Begriffsklärung Depression

Die vorliegende Arbeit orientiert sich an dem Depressionsbegriff der ICD 10 Kapitel F3 der affektiven Störungen. Zu den Kernsymptomen gehören die gedrückte Stimmungslage, der Verlust von Interessen und die Verminderung des Antriebes. Hinzu können Nebensymptome kommen wie gestörte Konzentration und Aufmerksamkeit, Beeinträchtigung des Selbstwertgefühls, Schuldgefühle, Zukunfts sorgen, Suizidgedanken, Schlafstörungen, Appetenz- und Libidostörungen (Dilling, Mombour & Schmidt, 2010). Die Erkrankung verläuft in den meisten Fällen episodisch, oft rezidivierend. Es gibt jedoch auch chronische Verläufe.

2.2. Epidemiologische Daten

Depressionen gehören zu den häufigsten psychischen Störungen. Aufgrund der hohen Komorbidität und der hohen Dunkelziffer (zuweilen präsentiert sich eine Depression vorwiegend somatisch) können die depressiven Erkrankungen nicht isoliert betrachtet werden. Daher werden hier Daten zur Epidemiologie psychischer Störungen insgesamt und später der Depressionen im Speziellen referiert.

Zur Situation

Sowohl der Fachliteratur als auch der allgemeinen Presse und offiziellen Mitteilungen sind immer wieder Ausführungen über die Zunahme seelischer Erkrankungen in der Allgemeinbevölkerung und ihren Bezug zu sich ändernden Arbeitsbedingungen zu entnehmen (Weber, Hörmann & Köllner, 2006; Hoffmann, 2009; Tönnesmann, 2010). Ursachen, Dunkelziffer (Hach et al., 2003) und Auswirkungen werden diskutiert. Wirtschaftsmagazine berichten regelmäßig über den "Kostenfaktor seelische Erkrankung". Amerikanische Studien belegen die negativen Auswirkungen einer psychischen Erkrankung auf die Produktivität (Steward et al., 2003). Der Produktionsausfall ist beträchtlich und das Risiko, psychisch zu erkranken, steigt weiter (Ulich, 2008). Das statistische Bundesamt errechnete Krankheitskosten von 26,7 Milliarden € für psychische Störungen. Seelische Störungen stehen auf Platz eins der Frühberentungsursachen (Deutsche Rentenversicherung, 2005) und machen je nach Krankenkasse zwischen 6 und 13 % des Krankenstandes aus (Allianz-Report, 2011).

Die epidemiologische Situation lässt sich anhand der Daten der Gesundheitsreports der gesetzlichen Krankenkassen weiter konkretisieren: Diese berichten jährlich differenziert zum Gesundheits- bzw. Krankheitszustand der Bevölkerung. So wird der Krankenstand, das ist die Quote der Arbeitnehmer, die der Arbeit zu einem bestimmten Stichtag fern blieben, erhoben. Des weiteren werden die Fehlzeiten analysiert und bestimmten Krankheitsbildern, Geschlecht und Altersgruppen zugeordnet. Der Gesundheitsbericht der BKK von 2008 veranschaulicht, dass die Fehltage aufgrund von psychischen Störungen deutlich zugenommen haben: Waren es im Jahre 1992 noch 120 Fehltage, stieg diese Zahl auf 170 im Jahr 2007 an. Von ökonomischer Bedeutung ist, dass die Dauer der Arbeitsunfähigkeit bei einer seelischen Störung sehr viel länger ist, als bei anderen Störungen. Die durchschnittliche Dauer pro Krankheitsfall bei psychischen Störungen beträgt 39,3 Tage (TK Gesundheitsreport, 2010). Der Krankenstand in der Diagnosegruppe der psychischen Erkrankungen ist in den letzten Jahren deutlich gestiegen: Der Anteil der jährlichen Fehlzeit stieg von 11,1 % im Jahr 2003 auf 16,8 % im Jahr 2008 (BEK Gesundheitsreport, 2009). Dem Gesundheitsreport der TK (2008) zufolge wurde bei 15 % der männlichen und bei 32,1 % der weiblichen Erwerbspersonen innerhalb des Jahres 2006 mindestens einmal die Diagnose einer psychischen Störung gestellt. In Fachkreisen haben psychische Störungen und Verhaltensstörungen mittlerweile den Status einer Volkskrankheit (Weber et al., 2006).

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abb. 1: Arbeitsunfähigkeitstage je 100 Pflichtversicherte der BKK (Grafik erstellt aus Daten des BKK - Gesundheitsreportes 2009)

Epidemiologie der Depression

In einer empirischen Untersuchung (Meyer, Rumpf, Hapke, Dilling &

John, 2000) erheben die Autoren an einer repräsentativen

Einwohnerstichprobe von 4.075 Personen mittels Münchener-

Composite International Diagnostic Interview (M-CIDI) Daten zum

Vorliegen psychischer Störungen und ermitteln folgende

Lebenszeitprävalenzen: Mit 25,8 % sind Störungen durch den Konsum

psychotroper Substanzen am häufigsten, gefolgt von Angststörungen (15,1 %), somatoformen Störungen (12,9 %) und affektiven Störungen (12,3 %). 42 % der Probanden mit einer Lebenszeitdiagnose erfüllten die Kriterien mindestens einer weiteren Störung. Depressionen machen den Hauptanteil der affektiven Störungen aus.

Dass die affektiven Störungen in dieser Studie nicht den ersten Platz belegen, liegt vermutlich daran, dass die Studie bereits zehn Jahre alt ist. Dennoch wird hier gezeigt, dass ein großer Teil der Bevölkerung von psychischen Störungen betroffen ist. Zur epidemiologischen Situation der affektiven Störungen ist auf der Internetseite der Deutschen Depressionshilfe nachzulesen, dass jeder zehnte Bundesbürger einmal in seinem Leben an einer Depression erkrankt. Ca. 4 Millionen Deutsche leiden aktuell unter einer Depression. Depressionen führen in 10.000 Fällen pro Jahr zu einem Suizid in Deutschland. 11 Millionen Arbeitsunfähigkeitstage werden durch 300.000 depressiv Erkrankte verursacht. 1,5 Milliarden € werden aufgrund von Frühberentungen ausgegeben. 5 % der Bundesbürger erfüllen derzeit die Diagnosekriterien für eine Depression. Weiterhin ist jedoch von einer hohen Dunkelziffer auszugehen, was die Diagnose einer Depression betrifft. Eine in 16 Ländern an 39.097 Befragungsteilnehmern durchgeführte Untersuchung, die sich mit Fehlzeiten, Präsentismus und den Anforderungen befasste, um Maßzahlen für den Produktivitätsverlust zu gewinnen, zeigte, dass 15,7 % der Befragten eine leichte Depression aufwiesen und 6,9 % sogar an einer mittleren bis schweren Depression litten (Allen, Hyworron & Colombi, 2010). In den Leitlinien der AWMF (2009) ist nachzulesen, dass die Lebenszeitprävalenz von Depressionen bei Frauen 25 % und für Männer 12,3 % beträgt. Ein typisches Erkrankungsalter kann nicht angegeben werden, da zunehmend auch Jüngere erkranken: 50 % vor ihrem 31. Lebensjahr.

Prognostisch gehen Experten für das Jahr 2020 davon aus, dass Depressionen neben ischämischen Erkrankungen die häufigste Krankheitsursache darstellen werden (Dietrich, 2007)

2.3. Ursachen

Die Ursachen für Depressionen werden multifaktoriell gesehen: So kommt zu einer genetischen Praedisposition ein neurochemisches Ungleichgewicht, zeitlich oft im Rahmen einer psychosozialen Belastungssituation. Die ätiopathogenetische Sicht folgt dem Vulnerabilitätsstressmodell. Eine genetische Vulnerabilität gilt als erwiesen, die Konkordanz eineiiger Zwillinge wird mit 50 % spezifiziert (AWMF, 2009). Als biografischer Faktor werden kindliche Verluste und frühkindliche Bindungen als ätiologisch bedeutsam angegeben. Verhaltensmedizinische Modelle weisen auf den Verlust von Verstärkern als verursachend hin (Hautzinger, 1993). Auch somatische Erkrankungen gelten als Risikofaktor. Die Lebenszeitprävalenz liegt bei gleichzeitigem Bestehen einer körperlichen Erkrankung bei 42 %.

Allerdings zeigt sich, dass psychosoziale Faktoren Einfluss nehmen: Das Vorhandensein einer vertrauensvollen persönlichen Beziehung gilt erwiesenermaßen als protektiv. Verheiratete weisen eine deutlich geringere 12 - Monatsprävalenz auf (9,8 % gegenüber 22,6 % bei Getrennten). Ein höheres Bildungsniveau und eine sichere berufliche Anstellung korrelieren mit niedrigeren Erkrankungsraten. Sicher Beschäftigte haben mit 9,1 % (AWMF, 2009) eine deutlich niedrigere Depressionsrate als Arbeitslose (20 %).

Die Arbeit von Wiegand (2002) untersucht den Zusammenhang zwischen Arbeitsstressoren und dem Krankheitsverhalten von Menschen, die bereits an einer psychischen Störung leiden. Die Ergebnisse zeigen, dass arbeitsplatzspezifische Faktoren wie Kooperation, Konzentrationsanforderungen und Zeitdruck mit einer Verschlechterung des Befindens einhergehen, arbeitsplatzspezifische Ressourcen hingegen (Handlungsspielraum, Partizipation, Vielfalt) mit einer Verbesserung des Befindens. Soziale Stressoren fallen in dieser Studie besonders ins Gewicht.

Legt man den Fokus auf die Arbeitsbedingungen, lassen sich drei Perspektiven einnehmen, da man davon ausgehen muss, dass es sich um einen Wechselwirkungsprozess (Individuum, Arbeitsplatz) handelt, der zusätzlich durch äußere Bedingungen moduliert wird (sozialer Wandel):

- die individualpsychologische (hiermit ist die individuelle Praedisposition genetisch und biografisch gemeint - diesem Gedanken wurde weiter oben gefolgt),
- die sozialkritische (diese setzt sich mit Bedingungen des gesellschaftlichen Wandels und deren Auswirkungen auf die Arbeitswelt auseinander) und
- die arbeitspsychologische (diese Perspektive betrachtet Faktoren der Arbeitsaufgabe und deren Wirkung auf das Individuum, bzw. die Einflussnahme des Individuums auf diese Faktoren).

Theoretisch findet sich diese Perspektive im so genannten Belastung- Beanspruchungs-Konzept wieder. Einige wichtige Arbeiten aus diesem Bereich sollen im folgenden referiert werden; die ersten beiden Perspektiven werden, da sie nicht Gegenstand dieser Arbeit sind, außer Acht gelassen. Es sei nur zusammenfassend erwähnt, dass gesellschaftliche und technologische Veränderungen wie erhöhte Qualitätsansprüche, ökonomische Optimierungsansprüche, ein erhöhter Wettbewerbsdruck, Änderung von Gesetzesvorgaben und damit vertraglicher Grundlagen eine steigende Komplexität und veränderte Anforderungen an Unternehmen und Arbeitnehmer stellen. Es resultieren Umstrukturierungen und gravierende Einschnitte in die Sozialstrukturen (Fusionen, Outsourcing, Offshoring, Expansion, Termindruck). Unternehmerische Veränderungen haben in der Folge Auswirkungen auf den konkreten Arbeitsplatz beispielsweise in Form von Ausweitungen von Arbeitszeiten, Personalabbau, Zunahme der

Arbeitsverdichtung, steigender Verantwortung und abnehmenden Ressourcen.

Bevor nun einige Originalarbeiten erwähnt werden, die Einzelaspekte der Aufgabengestaltung mit der seelischen Beeinträchtigung in Zusammenhang bringen, sollen einige theoretische Ansätze beschrieben werden, da diese den arbeitspsychologischen Studien oft zu Grunde gelegt werden.

2.4. Theoretische Modelle

Die arbeitspsychologische Forschung hat einige wichtige theoretische Modelle erarbeitet, die zeigen sollen, wie sich bestimmte Arbeitsbedingungen auf das Individuum auswirken.

2.4.1. Belastungs- Beansprungungskonzept

Nach Rohmert und Rutenfranz (1975, rezitiert nach Uhlich, 1998) werden als "Belastungen" objektive, von außen auf den Menschen einwirkende Größen und Faktoren bezeichnet, als "Beanspruchungen" deren Auswirkungen auf den Menschen. Uhlich ergänzt, dass hiermit aber nicht das einfache Reiz-Reaktions-Modell gemeint ist, sondern "dass Vermittlungs- und Rückkopplungsprozesse die Beziehungen zwischen Belastung und Beanspruchung vielfältig beeinflussen" (Uhlich, 1998 S. 413). Belastungsfaktoren können unterschiedlicher Natur sein (Hettinger, 1997): physisch (Belastung durch muskuläre Aktivität), physikalisch oder chemisch (Belastung durch Hitze, Lärm, Gase, Stäube usw.) und psychosozial (Betriebsklima, Kommunikation und Kooperation). Während man in früheren Studien besonders die physikalischen Belastungen betrachtete, hat sich die Aufmerksamkeit hin zu psychosozialen Belastungsfaktoren verlagert (v. Rosenstiel, 2003 S. 59). Psychische Belastungen und Beanspruchungen sind durch eine DIN Norm definiert: "Psychische Belastung wird verstanden als die

Gesamtheit der erfassbaren Einflüsse, die von außen auf den Menschen zukommen und auf ihn psychisch einwirken" und psychische "Beanspruchung wird verstanden als die individuelle, zeitlich unmittelbare und nicht langfristige Auswirkung der psychischen Belastung im Menschen in Abhängigkeit von seinen individuellen Voraussetzungen und seinem Zustand" (DIN 33405 rezitiert nach Wiendieck, 1994, DIN EN ISO 10075-1, 2000, Nachreiner und Schultetus, 2002). Das bedeutet also, dass Belastungen auch in Hinblick auf deren Verarbeitung hin zu betrachten sind: Ob eine Belastung zur Fehlbeanspruchung wird, hängt sowohl von externen als auch von internen Ressourcen und Bewältigungsmöglichkeiten ab.

Eine Weiterentwicklung erfuhr das Belastungs-Beanspruchungs-Modell durch Richter und Hacker (1998), die betonten, dass sich das Individuum mit den Belastungen (Aufträgen) in vielfältiger Weise auseinandersetzt und von einer Wechselwirkung zwischen Auftrag und Individuum auszugehen ist: "Sie [Anforderungen] entstehen insbesondere aus der kognitiven, emotionalen Stellungnahme sowie aus der aktiven und dabei antizipierten Auseinandersetzung des zielgerichtet und überlegt kalkulierenden und arbeitenden Menschen mit seinem Auftrag oder seiner Aufgabe" (Richter und Hacker, 1998 S. 37).

Wenn Beanspruchungen nicht bewältigt werden - entweder weil deren Intensität zu hoch ist oder die subjektiven Leistungsvoraussetzungen oder die externe Unterstützung nicht gegeben sind - haben sie längerfristige Auswirkungen und sind Fehlbeanspruchungen.

Zu den negativen psychischen Beanspruchungsfolgen zählen Ermüdung, Monotonie, Sättigung und Stress (Richter, 2000). Gerade letztere Beanspruchung wird mit der Entwicklung psychosomatischer Störungen als Langzeitfolgen in Zusammenhang gebracht. Danach sind längerfristige Auswirkungen die Beeinträchtigung des Wohlbefindens, psychosomatische Beschwerden, kritisches Gesundheitsverhalten (Suchtentwicklung) und ein verringertes allgemeines Aktivitätsniveau.

2.4.2. Stressmodell

Unter Stress versteht man eine arbeitspsychologische

Fehlbeanspruchung. Stress kann unterschiedlich definiert werden: als Stimulus (Reiz, der für eine Spannungsreaktion im Individuum verantwortlich ist), als Response (Reaktion des Individuums auf einen äußeren Reiz) oder interaktiv (wenn man davon ausgeht, dass die Reaktion auf einen bestimmten Reiz personenspezifisch ist). Das Stressmodell von Lazarus und Launier (zitiert nach Kals, 2009) definiert Stress als Interaktion von Umwelt und Individuum. Es unterscheidet drei Bewertungs- bzw. Bewältigungsprozesse, auf deren Basis eine Reaktion gestaltet wird. Primär wird eingeschätzt, ob eine Situation eine Gefährdung darstellt, sekundär wird eingeschätzt, welche Möglichkeiten zur Bewältigung vorhanden sind, und endlich erfolgt die neue Bewertung der Situation.

Nach Greif (1997) geht Stress einher mit einem negativen emotionalen Befinden, von der Norm abweichender biochemischer und kardiovaskulärer Parameter und einer Effizienzminderung. Nach v. Rosenstiel (2003) gibt es fünf arbeitspsychologische Belastungsgruppen, die geeignet sind, eine Stressreaktion auszulösen: die Arbeitsaufgabe (Schwierigkeit, Belastung), die Arbeitsrolle (Rollenkonflikte), die soziale Situation (Enge, personelle Unterbesetzung), die physikalische Arbeitsumgebung (Lärm, Hitze), und die sozialen Arbeitsumgebungen (zwischenmenschliche Beziehungen, Isolation). Dem gegenüber stehen die persönlichen, sozialen und unternehmensspezifischen Ressourcen.

Die europäische Agentur für Sicherheit und Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz berichtet, dass geschätzt 50 - 60 % der Fehlzeiten auf Stress zurückzuführen sind. 28 % der Arbeitnehmer seien einer Umfrage zufolge davon betroffen. Kontrollverlust scheint eine besonders belastende Bedingung zu sein, das Verhalten der Führungskraft wird im Sinne einer möglichen Einflussnahme für besonders wichtig gehalten (Kommission der Europäischen Gemeinschaft, 2005).

2.4.3. Gratifikationskrisen

Das Modell der beruflichen Gratifikationskrise (Siegrist, 1996 & 2009) beschreibt das Verhältnis zwischen beruflichen Anforderungen (Effort) und erhaltener Anerkennung (Reward). Danach führen ausbleibende

Anerkennung, ungerechte Bezahlung und mangelnde

Aufstiegsmöglichkeiten bei hoher beruflicher Verausgabung zu einer so genannten Gratifikationskrise bzw. zu lang anhaltenden Stress. Kommt eine übersteigerte Verausgabungsbereitschaft hinzu, was als Spezifikum der Person gewertet wird, wird das Problem verschärft. Diese Annahme konnte vielfach bestätigt werden, das Modell wurde mehrfach empirisch belegt: Bei Arbeitnehmern, die sich subjektiv in einem Zustand mangelnder Gratifikation befanden, konnte ein sechsfach höheres Risiko für die Entwicklung einer Depression gefunden werden (Larisch et al, 2003). Die Bedeutung dieses Ansatzes für die Entstehung einer Depression belegt Siegrist (2007) mit einer Übersichtsarbeit, nach der das relative Risiko, an einer Depression zu erkranken, um das 1,5 - 4,6-fache steigt, sofern eine Gratifikationskrise vorliegt. Als vermittelnde Mechanismen nennt er selbstschädigendes Verhalten und neurochemische Reaktionen auf die psychosoziale Belastung.

2.4.4. Anforderungs-Kontroll-Modell

Ein wichtiges theoretisches Modell zur Beschreibung Stress auslösender Arbeitsplatzbedingungen ist das Anforderungs-Kontroll- Modell nach Karasek und Theorell (Karasek, 1979, rez. nach Frese 1997, S. 275 ff.). Die Autoren konnten empirisch belegen, dass Arbeitsanforderungen insbesondere dann zu Stressreaktionen führen, wenn der Entscheidungsspielraum und die Kontrolle gering sind.

Karasek entwickelte sein Demand-Control-Modell zusammen mit dem Kardiologen Theorell. Unter Entscheidungsspielraum (Kontrolle) verstehen die Autoren die Verfügbarkeit von Fähigkeiten und Ressourcen am Arbeitsplatz (Aufgabenvielfalt, Routine, Entscheidungsvollmacht, Freiheitsentscheidungen zu treffen, Wahlmöglichkeiten bei der Tätigkeitsausführung, Partizipation) und als dysfunktionale Anforderungen eine Überlastung durch Arbeit, Konflikte, ein ungenügendes Zeitbudget, erhöhte Arbeitsgeschwindigkeit und Arbeitsschwere. Sind die Kontrollmöglichkeiten über die eigene Tätigkeit gering und ist der Arbeitnehmer gleichzeitig hohen Anforderungen ausgesetzt, trägt dies zu Depression und psychosomatischen Beschwerden, sowie zu kardiovaskulären Problemen bei.

2.4.5. Ressourcenkonzept

Allerdings können Belastungen besser toleriert werden, wenn zu deren Bewältigung genügend Ressourcen zur Verfügung stehen. Ein für die vorliegende Arbeit bedeutsames Konzept hierzu ist das der Salutogenese. Die Salutogeneseforschung betrachtet Gesundheit und Krankheit als zwei Zustände auf einem Kontinuum und erarbeitet Faktoren, die dem Prozess der Krankheitsentstehung entgegenwirken (Antonovsky, 1997). Hierzu gehören Ressourcen, die im Individuum verankert sind (Kohärenzgefühl bzw. SOC) und Ressourcen der Umwelt (z. B. Unterstützung). Das Kohärenzgefühl, das als Kernstück des salutogenetischen Ansatzes bezeichnet werden kann, setzt sich aus drei Komponenten zusammen:

1. dem Gefühl von Verstehbarkeit (sense of comprehensibility), d. h. der Möglichkeit, Ereignisse als strukturierte Informationen verarbeiten zu können,

2. dem Gefühl von Handhabbarkeit (sense of manageability), d. h. der

Erwartung, dass es geeignete Ressourcen zur Bewältigung der Anforderung gibt und

3. dem Gefühl von Sinnhaftigkeit (sense of meaningfulness), d. h. der Bewertung, dass Ereignisse in einem übergeordneten Zusammenhang Sinn machen (Antonovsky, 1997).

Letzteres ist eine Perspektive, auf der das betriebliche Gesundheitsmanagement begründet ist. Zu den im betrieblichen Zusammenhang identifizierten Ressourcen gehören laut Fuchs (2006):

- die aktive Vermeidung von Stressoren durch präventives Gesundheits- und Vorsorgeverhalten
- die Verfügungbarkeit materieller Ressourcen
- soziale Unterstützung (Kollegen, Vorgesetzte)
- Partizipationsmöglichkeiten
- Kontrollmöglichkeit hinsichtlich der Aufgabengestaltung

Die oben beschriebenen theoretischen Ansätze sind gut nachvollziehbar. Im folgenden sollen einige empirische Arbeiten zitiert werden, die sich mit einzelnen Arbeitsbedingungen befassen. Diese einzelnen Faktoren erläutern und konkretisieren diese Modelle.

2.5. Psychische Belastungsfaktoren und Ressourcen

Zahlreiche Studien lagen der Entwicklung der o.g. Modellbildungen zugrunde, umgekehrt dienen diese Modelle jedoch auch zur theoretischen Fundierung weiterer Arbeiten. Im folgenden sind einige Originalarbeiten zusammengestellt, die zu einzelnen

Arbeitsbedingungen und deren Auswirkungen Stellung nehmen.

[...]

Details

Seiten
60
Jahr
2011
ISBN (eBook)
9783640941124
ISBN (Paperback)
9783640940943
DOI
10.3239/9783640941124
Dateigröße
1 MB
Sprache
Deutsch
Institution / Hochschule
FernUniversität Hagen – Arbeits- und Organisationspsychologie
Erscheinungsdatum
2011 (November)
Note
2,0
Schlagworte
arbeitsbelastungen patienten praxis
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Titel: Arbeitsbelastungen bei depressiven Patienten in der psychotherapeutischen Praxis