Bedingungsloses Grundeinkommen. Eine Alternative zum deutschen System der sozialen Sicherung?
Zusammenfassung
Dazu wird in Kapitel 2 zunächst die Geschichte der Idee eines Bedingungslosen Grundeinkommens anhand der deutschen Debatte skizziert und dann das idealtypische Modell des Hamburgischen WeltWirtschaftsInstituts (HWWI) exemplarisch als eines der vielen
verschiedenen Konzepten zum BGE ausführlich vorgestellt. Kapitel 3 befasst sich anschließend mit dem aktuellen System der sozialen Sicherung in Deutschland und zeigt die Probleme auf, vor denen die Sozialversicherung steht und gibt eine kurze Einführung in das
Prinzip der Grundsicherung. In Kapitel 4 werden schließlich die gewonnenen Erkenntnisse gegenübergestellt, um anhand einer Diskussion der Vor- und Nachteile eines BGE nach Konzeption des HWWI zu einer Einschätzung zu gelangen, ob es sich wirklich um eine
Alternative handelt. Kapitel 5 beschließt die Arbeit und gibt einen Ausblick auf die weitere Thematik.
Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
Inhaltsverzeichnis
Abbildungsverzeichnis
Tabellenverzeichnis
Abkürzungsverzeichnis
1. Einleitung
2. Das Bedingungslose Grundeinkommen
2.1 Die deutsche Debatte
2.2 Das idealtypische Modell des Hamburgischen WeltWirtschaftsInstituts
2.2.1 Grundannahmen
2.2.2 Finanzbedarf
2.2.2.1 Variante 1A
2.2.2.2 Variante 1B
2.2.2.3 Variante 2A und 2B
2.2.3 Finanzierung
2.2.3.1 Variante 1A und 1B
2.2.3.2 Variante 2A und 2B
2.2.4 Arbeitsmarkteffekte
2.2.4.1 Arbeitsangebot
2.2.4.2 Arbeitsnachfrage
2.2.5 Zwischenfazit
3. Das bisherige System der sozialen Sicherung: Sozialversicherung und Grundsicherung
3.1 Krankenversicherung
3.2 Unfallversicherung
3.3 Rentenversicherung
3.4 Arbeitslosenversicherung
3.5 Pflegeversicherung
3.6 Probleme der Sozialversicherung
3.6.1 Demografischer Wandel
3.6.2 Atypische Beschäftigungsverhältnisse
3.7 Grundsicherung
3.8 Zwischenfazit
4. Das Bedingungslose Grundeinkommen als Alternative?
4.1 Finanzierung
4.2 Demografischer Wandel
4.3 Atypische Beschäftigungsverhältnisse
4.4 Bedürftigkeitsprüfung und Verwaltungskosten
4.5 Arbeitsmarktreaktionen
4.6 Systemübergang
4.7 Existenzsicherung
4.8 Schlussfolgerungen
5. Ausblick
Literatur- und Quellenverzeichnis
Abbildungsverzeichnis
Abbildung 1: Varianten des Bedingungslosen Grundeinkommens
Abbildung 2: Notwendiger Einkommenssteuersatz in % zur Grundeinkommensfinanzierung
Abbildung 3: Wirkungsweise einer negativen Einkommenssteuer
Abbildung 4: Wirkungsweise eines Bedingungslosen Grundeinkommens
Abbildung 5: Durchschnittliche Geburtenziffer pro Frau in Deutschland von 1960 bis 2009
Abbildung 6: Altersaufbau in Deutschland im Jahr 1960
Abbildung 7: Altersaufbau in Deutschland in den Jahren 2010 und 2050
Abbildung 8: Summe aller Sozialleistungen in % des BIP 1960 bis 2009
Tabellenverzeichnis
Tabelle 1: Varianten des Einsparpotenziales in Mrd. €
Tabelle 2: Kosten und Einsparungen verschiedener Grundeinkommensvarianten in Mrd. €
Tabelle 3: Brutto- und Nettobelastung des Einkommens bei einem BGE mit Flat Tax
Abkürzungsverzeichnis
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
1. Einleitung
Der deutsche Sozialstaat hat eine lange Tradition und durchlebte verschiedene Phasen der Intensität. Nach der Konstitutionsphase im Anschluss an den zweiten Weltkrieg, folgte eine Expansionsphase in Zeiten des Wirtschaftswunders in Deutschland. Anknüpfend an die Weltwirtschaftskrise in den Jahren 1974 und 1975 befand er sich in einer Konsolidierungsphase. Nach der Wiedervereinigung kam es dann kurzfristig zu einer erneuten Expansion, aber seit Mitte der 1990er-Jahre befindet sich der Sozialstaat in einer bis heute fortwährenden Krisenphase.1 Denn neben der durch die starke Expansion der Sozialausgaben schwieriger gewordenen Finanzierung, tritt nun auch vermehrt der demografische Wandel mit seinem Bevölkerungsrückgang und der Alterung der Gesellschaft als Problem auf.2 Auch atypische Beschäftigungsverhältnisse und die Globalisierung zwingen den Sozialstaat dazu, neue Lösungen zu finden und womöglich tiefgreifende Veränderungen durchzusetzen.3
Ein Lösungsvorschlag für die Probleme und Herausforderungen des Sozialstaates ist das Bedingungslose Grundeinkommen (BGE). Bereits in den 1980er-Jahren wurde während einer ersten Sozialstaatskontroverse in Deutschland über diesen Vorschlag diskutiert.4 Im neuen Jahrtausend hat die Debatte über den Sozialstaat neuen Schwung erfahren und es wurden viele unterschiedliche Konzepte zum Bedingungslosen Grundeinkommen entwickelt.5
Ein Bedingungsloses Grundeinkommen ist definiert als „ein Einkommen das von einem politischen Gemeinwesen an alle seine Mitglieder individuell ohne Bedürftigkeitsprüfung und ohne Gegenleistung ausgezahlt wird.“6 Es soll im in dieser Arbeit dargelegten Fall die Grundsicherung und die Sozialversicherung in Deutschland ersetzen. Im Gegensatz zur bisherigen Grundsicherung7 wird deutlich, dass das BGE viel weiter gefasst ist. Anstelle der Bedürftigkeitsprüfung tritt eine Bedingungslosigkeit und anstelle eines engen Bezieherkreises tritt eine Öffnung für alle Individuen. Für Deutschland bedeutet dieser Ansatz, dass jeder Einwohner unabhängig von seinem Status monatlich oder jährlich ein staatlich zur Verfügung gestelltes Grundeinkommen erhält. So soll ein Leben in Würde und über dem Existenzminimum gesichert und die Dekommodifizierung8 durch Ersatz der auf Erwerbstätigkeit ausgerichteten Sozialversicherung verstärkt werden.
Die vorliegende Arbeit untersucht, ob der vermehrt aufgegriffene Lösungsvorschlag eines Bedingungslosen Grundeinkommens tatsächlich eine Alternative zum bisherigen deutschen System der sozialen Sicherung mit seinen Komponenten Grundsicherung und Sozialversicherung darstellt oder ob es sich lediglich um immense Verschiebungen im Sozialbudget handelt, die ohne große Auswirkungen auf die vorhandenen Probleme bleiben. Dazu wird in Kapitel 2 zunächst die Geschichte der Idee eines Bedingungslosen Grundeinkommens anhand der deutschen Debatte skizziert und dann das idealtypische Modell des Hamburgischen WeltWirtschaftsInstituts (HWWI) exemplarisch als eines der vielen verschiedenen Konzepten zum BGE ausführlich vorgestellt. Kapitel 3 befasst sich anschließend mit dem aktuellen System der sozialen Sicherung in Deutschland und zeigt die Probleme auf, vor denen die Sozialversicherung steht und gibt eine kurze Einführung in das Prinzip der Grundsicherung. In Kapitel 4 werden schließlich die gewonnenen Erkenntnisse gegenübergestellt, um anhand einer Diskussion der Vor- und Nachteile eines BGE nach Konzeption des HWWI zu einer Einschätzung zu gelangen, ob es sich wirklich um eine Alternative handelt. Kapitel 5 beschließt die Arbeit und gibt einen Ausblick auf die weitere Thematik.
Als Grundlagenwerke zum BGE dienten die Publikation des HWWI9 und die Veröffentlichungen von Blaschke/Otto/Schepers10, Opielka/Vobruba11 sowie von Vanderborght/Van Parijs12. Alle zusammen geben einen guten Überblick über das weite Feld des Bedingungslosen Grundeinkommens und sind zur grundlegenden Lektüre empfohlen, sollte mit der vorliegenden Arbeit das Interesse an dem Themenfeld geweckt worden sein. Zum Thema Sozialstaat seien zuallererst die Abhandlungen von Bäcker13, Butterwegge14 und Lampert/Althammer15 nahe gelegt. Die Literaturauflistung stellt jedoch lediglich einen kleinen Teil der umfassenden Literatur zu diesem gesamten Themenkomplex dar, wobei es sich um eine subjektive Wertung des Verfassers handelt. Unter anderen Betrachtungswinkeln können auch andere Werke durchaus sinnvoller erscheinen.
Im weiteren Verlauf dieser Ausarbeitung werden die Begriffe Bedingungsloses Grundeinkommen, Grundeinkommen und BGE synonym verwendet.
2. Das Bedingungslose Grundeinkommen
Um einen Überblick über die Entwicklung der Idee eines Bedingungslosen Grundeinkommens zu geben, wird nachfolgend die deutsche Debatte kurz abgebildet, die in den 1980er-Jahren aufkam und ihre Fortsetzung im neuen Jahrtausend fand. Anschließend wird das Grundeinkommens-Modell des HWWI vorgestellt und in seinen Einzelheiten erläutert.
2.1 Die deutsche Debatte
Die Idee eines Bedingungslosen Grundeinkommens ist ein immer wiederkehrender Vorschlag in der Sozialpolitik. Seine Ursprünge reichen sogar, in abgewandelter Form, bis in die Zeit des antiken Sparta zurück.16 In Deutschland wurde über ein BGE, angetrieben durch sozioökonomische Veränderungen, erstmals in den 1980er-Jahren debattiert.17 1984 schlägt beispielsweise Gorz18 eine lebenslange Grundeinkommensgarantie vor, die er mit einer Umverteilung von Arbeitszeit kombinieren möchte. Dabei verzichtet er jedoch auf eine weitergehende Dekommodifizierung.19 Schmid bezeichnet im selben Jahr das Bedingungslose Grundeinkommen als „neue, soziale und politische Idee“.20 Dahrendorf schließt sich dem an und plädiert mit seinem Aufsatz für „Ein garantiertes Mindesteinkommen als konstitutionelles Anrecht“.21 Opielka und Vobruba fassen die erste Debatte 1986 zusammen, betrachten sie aus verschiedenen Blickwinkeln und bringen auch die internationale Perspektive ins Gespräch.22
Die neuere Grundeinkommensdebatte etablierte sich rund um die Agenda 2010, als durch die damalige Regierung große sozialpolitische Einschnitte angekündigt wurden.23 Lessenich spricht in diesem Zusammenhang von einer „unverhofften Renaissance der Debatten [...]“.24
Vobruba analysiert, dass die neue Debatte vor allem auf die Problemfelder Arbeitslosigkeit und Armut abzielt und im Gegensatz zur vorangegangenen Debatte eine breitere Basis aufbauen konnte, etwa durch das Netzwerk Grundeinkommen.25
2.2 Das idealtypische Modell des Hamburgischen WeltWirtschaftsInstituts
Das Hamburgische WeltWirtschaftsInstitut ist eine unabhängige Beratungs- und Forschungseinrichtung, welche von der Universität Hamburg und der Handelskammer Hamburg getragen wird. Bekannt ist das HWWI vor allem für seine Konjunkturprognosen und für Analysen ökonomischer und sozioökonomischer Trends.26
2007 veröffentlichten Ingrid Hohenleitner und Thomas Straubhaar (Direktor des HWWI) ihre Publikation „Bedingungsloses Grundeinkommen und Solidarisches Bürgergeld - mehr als sozialutopische Konzepte“.27 Auch sie sehen den Sozialstaat vor massiven Problemen und plädieren daher für einen Systemwechsel. Dieser soll in Form eines Bedingungslosen Grundeinkommens vonstattengehen, welches in der Publikation als idealtypisches Konzept entwickelt wird. Es wird hierbei von einer „sozialpolitischen Revolution“28 gesprochen.
2.2.1 Grundannahmen
Hohenleitner und Straubhaar orientieren sich bei ihrem Modell an der Definition eines Grundeinkommens durch Vanderborght und Van Parijs.29 Es beinhaltet demnach die vier wesentlichen Bestandteile Einkommen, Individualität, keine Bedürftigkeitsprüfung und keine geforderte Gegenleistung.
Im Detail lässt sich das idealtypische Konzept folgendermaßen beschreiben30 :
Das Bedingungslose Grundeinkommen des HWWI ist eine Transferzahlung des Staates. Sie wird ein Leben lang ausgezahlt und soll die Höhe des soziokulturellen Existenzminimums erreichen. Es ist dabei unerheblich, ob das BGE monatlich oder jährlich ausgezahlt wird, jedoch wird eine monatliche Auszahlung präferiert, damit ein regelmäßiges Einkommen vorhanden ist.
Anspruchsberechtigt sind im Einklang mit der Bedingungslosigkeit alle deutschen Staatsbürger sowie alle in Deutschland lebenden Ausländer. Um einen möglichen Grundeinkommenstourismus zu verhindern, ist hier jedoch eine Einschränkung vorgesehen. Erst nach zehn Jahren legalen Aufenthaltes in Deutschland erhalten Ausländer die volle Höhe des Grundeinkommens ausbezahlt. Für jedes Jahr weniger Aufenthalt werden 10 % von der Grundeinkommenshöhe abgezogen.
Die Höhe des BGE soll sich wie zuvor beschrieben am soziokulturellen Existenzminimum orientieren. Im Modell gibt es daher zwei Varianten mit unterschiedlicher Höhe. Variante 1 liegt bei 600 € monatlich und orientiert sich mehr an der Höhe der heutigen Grundsicherung und dem steuerrechtlichen Existenzminimum. Variante 2 liegt bei 800 € und somit näher am derzeit gültigen schuldrechtlichen Existenzminimum.31 Beide Varianten haben jedoch gemeinsam, dass sie die Kranken- und Unfallversicherung inkludieren. Der Beitrag von 200 € ist in den 600 bzw. 800 € enthalten und wird als Versicherungsgutschein ausgegeben. Da weiterhin eine Grundversicherungspflicht besteht, müssen diese Gutscheine eingelöst werden und können nicht anderweitig verwendet werden. Für die Krankenkassen und Versicherungen bestehen ein Diskriminierungsverbot und ein Kontrahierungszwang.
Da das BGE eine staatliche Transferzahlung ist, wird es auch staatlich finanziert. Dies geschieht über den allgemeinen Staatshaushalt und dort über direkte und indirekte Steuern, insbesondere die Einkommenssteuer. Die Finanzierung über Steuern betrifft jedoch nicht das Grundeinkommen als solches. Dieses bleibt unabhängig von sonstigem Einkommen und Einkünften immer steuerfrei.
Im Gegenzug zur Transferzahlung werden je nach Variante (fast) alle steuer- und abgabefinanzierten Sozialleistungen abgeschafft, da sie durch das monatliche Grundeinkommen unwiederbringlich ersetzt werden. Somit wird auch das bisherige System der sozialen Sicherung mit den Sozialversicherungen abgeschafft. Die gesetzlichen Versicherungen für Arbeit, Pflege und Rente entfallen und werden durch die Zahlung des Grundeinkommens kompensiert. Private Versicherungen bleiben weiterhin erhalten. Die Kranken- und die Unfallversicherung bleiben durch die Versicherungsgutscheine ebenfalls bestehen, wenn auch in anderer Form. Durch die Abschaffung der Sozialversicherungen entfallen schließlich die entsprechenden Beiträge, welche Arbeitnehmer und Arbeitgeber vom Arbeitslohn zahlen müssen. Dadurch sinken die Lohnnebenkosten erheblich.
Außerdem werden im Konzept alle staatlichen Regulierungen des Arbeitsmarktes gestrichen, die sozialpolitisch motiviert sind. Das Grundeinkommen bietet einen garantierten staatlichen Schutz, weshalb Kündigungsschutz, Flächentarifverträge und Mindestlöhne abgeschafft werden sollen.
2.2.2 Finanzbedarf
Wie in Kapitel 2.2.1 erwähnt gibt es im HWWI-Modell zwei Varianten des Grundeinkommens, die sich in ihrer Höhe unterscheiden. Zusätzlich gibt es jedoch noch zwei Varianten, welche sich in der Reduzierung der Transferleistungen unterscheiden. In Variante A werden einige wenige Leistungen nicht ersetzt. Variante B hingegen ersetzt alle Transferleistungen. Abbildung 1 verdeutlicht diese vier Varianten noch einmal anschaulich.
Abbildung 1: Varianten des Bedingungslosen Grundeinkommens
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Quelle: Eigene Darstellung.
Um welche Leistungen es sich dabei genau handelt, wird in den weiteren Ausführungen zum Finanzbedarf deutlich.
2.2.2.1 Variante 1A
Der Finanzbedarf für ein Grundeinkommen ergibt sich zunächst aus einer einfachen Rechnung. Das monatliche Grundeinkommen muss auf ein Jahr hochgerechnet werden und wird dann mit der Zahl der Empfänger multipliziert. Das Ergebnis ergibt dann den Bruttofinanzbedarf.
Hohenleitner und Straubhaar haben jedoch Einschränkungen bei den Empfängern vorgenommen, indem Ausländer zwar empfangsberechtigt sind, jedoch die Auszahlung zeitlich gestaffelt ist.32 Um die Rechnung nicht unnötig zu erschweren, wird im Modell jedoch darauf verzichtet, diese Unterscheidung vorzunehmen. Vielmehr wird mit der gesamten deutschen Wohnbevölkerung gerechnet, welche die Ausländer beinhaltet. Daraus ergibt sich, dass der Finanzbedarf nur einer Schätzung entspricht und keiner exakten Hochrechnung.
In der Variante 1A beträgt das monatliche BGE 600 € im Monat inklusive Versicherungsgutschein. Bezogen auf ein Jahr macht dies 7200 €. 2005 betrug die Wohnbevölkerung in Deutschland 82,464 Mio. Menschen.33 Somit ergibt sich ein Bruttofinanzbedarf von 593,74 Mrd. €.
Das Bedingungslose Grundeinkommen ersetzt jedoch auch steuer- und beitragsfinanzierte Sozialleistungen. Für Variante 1A sind dies zum einen monetäre Sozialleistungen der Sozialversicherung mit Ausnahme der Unfallversicherung und zum anderen monetäre Sozialleistungen der Gebietskörperschaften. Hier bleiben nur Wohngeld, soziale Sachleistungen und Hilfe in besonderen Lebenslagen unangetastet.34 Tabelle 1 listet die einzelnen Posten auf und zeigt, dass in der Sozialversicherung durch das Grundeinkommen 281,92 Mrd. € und bei den Leistungen der Gebietskörperschaften 88,86 Mrd. € eingespart werden. Außerdem werden Beamtenpensionen abzüglich der Abgaben auf soziale Leistungen mit einem Gesamtwert von 47,98 Mrd. € gestrichen. Summa summarum ergibt sich in der gemäßigten Variante ein Einsparvolumen von 337,55 Mrd. €. Diese werden nun vom Bruttofinanzbedarf des Grundeinkommens 1A abgezogen und es ergibt sich ein Nettofinanzbedarf von 256,19 Mrd. €. Dies entspricht 15,44 % des Volkseinkommens von 2005.35
Tabelle 1: Varianten des Einsparpotenziales in Mrd. €
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Quelle: Eigene Darstellung nach Hohenleitner/Straubhaar (2007), S. 21.
2.2.2.2 Variante 1B
Bei Variante 1B werden, im Gegensatz zu Variante 1A, alle Transferleistungen ersetzt. Der Bruttofinanzbedarf bleibt jedoch in beiden Varianten gleich, da sich an den Auszahlungen nichts verändert. Durch die höheren Einsparungen verringert sich jedoch der Nettofinanzbedarf. Betrachtet man in Tabelle 1 die zusätzlichen Einsparpositionen genauer, so fällt auf, dass diese ein sehr hohes Potenzial besitzen. Größter Einsparposten mit 286,07 Mrd. € sind die sozialen Sachleistungen. Diese sind so hoch, da sie aus den Kosten der Kranken- und Pflegeversicherung heraus gerechnet wurden. In Variante 1B wird nun davon ausgegangen, dass durch die gewährten Versicherungsgutscheine und die damit verbundene lückenlose Versicherung diese Kosten massiv abnehmen.36 In Variante 1A wurde auf diese Annahme verzichtet. Im Ergebnis zeigt sich, dass das Grundeinkommen in Variante 1B durch die großen Einsparungen keinen zusätzlichen Nettofinanzbedarf hat, sondern dass der Finanzbedarf um 39,30 Mrd. € niedriger liegt, als im bisherigen System. Dies entspricht einer Verbesserung von 2,37 % im Verhältnis zum Volkseinkommen.
2.2.2.3 Variante 2A und Variante 2B
Sowohl bei Variante 2A als auch bei Variante 2B beträgt das monatliche BGE 800 € im Monat inklusive Versicherungsgutschein. Bezogen auf ein Jahr macht dies 9600 € oder 2400 € mehr als bei Variante 1. Hochgerechnet ergibt sich in beiden Fällen ein Bruttofinanzbedarf von 791,65 Mrd. €. Wie zuvor gibt es nun noch die beiden Varianten der Einsparung. Hier bleiben die Werte identisch zu denen aus Tabelle 1. Demnach ergibt sich für Variante 2A ein Nettofinanzbedarf von 454,10 Mrd. € bzw. 27,38 % des Volkseinkommens und für Variante 2B ein Nettofinanzbedarf von 158,61 Mrd. € bzw. 9,56 % des Volkseinkommens.37
Die in Tabelle 2 noch einmal gegenübergestellten Zahlen zeigen, wie unterschiedlich der Finanzbedarf je nach Variante ausfällt. Zwischen der besten Variante 2B und der schlechtesten Variante 1A liegt eine Differenz von 493,4 Mrd. €. Diese große Differenz lässt sich zum einen durch die unterschiedliche Höhe der Auszahlungen (600 vs. 800 €) und zum anderen durch die Einsparpotenziale erklären. Variante A markiert dabei die Untergrenze des Einsparpotenzials und Variante B die Obergrenze.38 Die Zahlen zeigen, dass eine Schätzung des Finanzbedarfs je nach Ausgestaltung des Modells sehr schwierig ist. Im idealtypischen Modell sollte man jedoch davon ausgehen, dass die Einsparungen eher zur Obergrenze tendieren und somit der Finanzbedarf zum geringeren Wert tendiert.
Tabelle 2: Kosten und Einsparungen verschiedener Grundeinkommensvarianten in Mrd. €
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Quelle: Eigene Darstellung nach Hohenleitner/Straubhaar (2007), S. 22.
2.2.3 Finanzierung
Nach Vorschlag von Hohenleitner und Straubhaar soll das Bedingungslose Grundeinkommen über die Einkommenssteuer finanziert werden. Dabei plädieren sie für das Prinzip der Flat Tax, welches besagt, dass jedes Einkommen mit Ausnahme des steuerfreien BGE an der Quelle erfasst wird und dann mit einem einheitlichen Steuersatz besteuert wird.39 In den vorangegangenen Kapiteln wurde bereits erläutert, welchen Anteil der jeweilige Nettofinanzbedarf der Varianten am Volkseinkommen des Jahres 2005 beträgt. Anders gesagt, zeigen uns diese Anteile die nötige Höhe einer Einkommenssteuer an, um den zusätzlichen Nettofinanzbedarf zu decken. Demnach wären zusätzliche Einkommenssteuern zwischen rund 10 und 27% zu erheben oder in einem Fall die vorhandene Steuer um rund 2 % zu senken. Hierbei ist zu beachten, dass diese Steuern auf die bisher geltende Einkommenssteuer aufgeschlagen werden. Denn laut des Konzeptes des HWWI ist geplant, nicht nur das Grundeinkommen über die Einkommenssteuer zu finanzieren, sondern auch die gesamten Staatsausgaben.40
2.2.3.1 Variante 1A und Variante 1B
Für Variante 1A wurde in Kapitel 2.2.2.1 berechnet, dass der Nettofinanzbedarf des BGE 15,44 % des Volkseinkommens entspricht. Daher ist ein zusätzlicher Einkommenssteuersatz von 15,44 % nötig, um die 256,19 Mrd. € zu finanzieren. Um wie geplant die Staatsausgaben aus dem Jahr 2005 in Höhe von 1049,25 Mrd. € ebenfalls mit der Einkommenssteuer zu finanzieren, müssen die rund 15 % auf den Anteil der Staatsausgaben am Volkseinkommen aufgeschlagen werden. Dieser beträgt rund 64 % zzgl. den 15 %, also 79 %. Von diesem Wert müssen nun noch indirekte Steuern im Wert von 203,94 Mrd. € abgezogen werden, die im Modell als zusätzliche Finanzierungsquelle erhalten bleiben. Somit ergibt sich im Endeffekt ein Nettoergebnis von 1101,50 Mrd. €. Dieses vollkommen finanziert durch die Einkommenssteuer ergibt letztendlich einen Bruttosteuersatz bzw. eine Flat Tax von 66 %.41 Für Variante 1B, welche die Obergrenze der Einsparungen darstellt, ergibt sich beim Bruttosteuersatz ein deutlich freundlicheres Bild. Die Staatsausgaben inklusive Nettokosten des BGE liegen bei „nur“ 1009,95 Mrd. €. Abzüglich der indirekten Steuern wird in diesem Fall eine Flat Tax von 49 % fällig.42
2.2.3.2 Variante 2A und Variante 2B
Die Varianten 2A und 2B haben durch das höhere monatliche Grundeinkommen selbstverständlich auch höhere Nettokosten zu verkraften. Es ist daher nicht verwunderlich, dass die notwendigen Einkommenssteuersätze höher liegen, als in der jeweiligen vergleichbaren Variante 1. Variante 2A zeigt die Untergrenzen im Einsparpotenzial auf, die Staatsausgaben inklusive der Grundeinkommenskosten sind hier am höchsten. Würden die indirekten Steuern nicht berücksichtig, müssten alle Einkommen mit rund 91 % besteuert werden. Dies ist ein exorbitant hoher Wert. Erst durch die Einbeziehung der indirekten Steuern kann der notwenige Steuersatz auf 78 % gesenkt werden.43
Auch beim höheren BGE zeigt sich bei der zweiten Variante durch die größeren Einsparungen ein besseres Bild. Ohne indirekte Steuern müsste die Einkommenssteuer bei 73 % liegen, mit jedoch „nur“ noch bei 61 %.44
Abbildung 2 veranschaulicht noch einmal die notwendigen Einkommenssteuersätze. Die Steuersatzdifferenz zwischen Ober- und Untergrenze der Varianten des Einsparpotenzials betragen jeweils 17 Prozentpunkte. Zwischen der insgesamt besten und schlechtesten Variante liegt ein Einkommensunterschied von 29 Prozentpunkten. Bemerkenswert ist, dass Variante 2B trotz des höheren monatlichen Grundeinkommens aufgrund der Einsparungen dennoch 5 Prozentpunkte billiger zu finanzieren ist, als Variante 1A.
Die insgesamt hohen Steuersätze kommen dadurch zustande, dass sich Hohenleitner und Straubhaar mit ihrem Modell zum Ziel gesetzt haben, dass kein Staatsdefizit entsteht.
Abbildung 2: Notwendiger Einkommenssteuersatz in % zur Grundeinkommensfinanzierung
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Quelle: Eigene Darstellung.
[...]
1 Vgl. Butterwegge (2006), S. 64.
2 Vgl. Kaufmann (2009), S. 347 ff.
3 Vgl. Bäcker u.a. (2008), S. 75f.
4 Vgl. Opielka/Vobruba (1986) und Schmid (1986).
5 Vgl. Blaschke (2010), S. 301-382 und Kapitel 5.
6 Vanderborght/Van Parijs (2005), S. 37.
7 Siehe dazu auch Kapitel 3.7 .
8 Vgl. zur Dekommodifizierung auch Esping-Andersen (1990).
9 Vgl. Hohenleitner/Straubhaar (2007).
10 Vgl. Blaschke/Otto/Schepers (2010).
11 Vgl. Opielka/Vobruba (1986).
12 Vgl. Vanderborght/Van Parijs (2005).
13 Vgl. Bäcker u.a. (2008).
14 Vgl. Butterwegge (2006).
15 Vgl. Lampert/Althammer (2007).
16 Vgl. Weber (2009), S. 4.
17 Vgl. Thimm (2010), S. 53f.
18 Vgl. Gorz (1984).
19 Vgl. Opielka/Vobruba (1986), S. 11.
20 Schmid (1986), S. 7.
21 Vgl. Dahrendorf (1986).
22 Vgl. Opielka/Vobruba (1986).
23 Vgl. Thimm (2010), S. 54.
24 Lessenich (2009), S. 7.
25 Vgl. Vobruba (2007), S. 177-190.
26 Vgl. www.hwwi.org.
27 Vgl. Hohenleitner/Straubhaar (2007).
28 Hohenleitner/Straubhaar (2007), S. 2.
29 Vgl. Kapitel 1.
30 Vgl. für die ganze Darstellung Hohenleitner/Straubhaar (2007), S. 17f.
31 Vgl. Hohenleitner/Straubhaar (2007), S. 19.
32 Vgl. Kapitel 2.2.1 .
33 Die Datenbasis für Hohenleitner/Straubhaar war die VGR 2005.
34 Vgl. Hohenleitner/Straubhaar (2007), S. 19.
35 Volkseinkommen 2005: 1.658,4 Mrd. € nach Hohenleitner/Straubhaar.
36 Vgl. Hohenleitner/Straubhaar (2007), S. 21.
37 Vgl. Hohenleitner/Straubhaar (2007), S. 22.
38 Ebd.
39 Vgl. Hohenleitner/Straubhaar (2007), S. 22.
40 Vgl. Hohenleitner/Straubhaar (2007), S. 23.
41 Vgl. Hohenleitner/Straubhaar (2007), S. 22.
42 Ebd.
43 Vgl. Hohenleitner/Straubhaar (2007), S. 22.
44 Ebd.