Zusammenfassung
Dabei gibt es durchaus Anlaß, an einer „Wende“ Konstantins zum Christentum im Oktober 312 zu zweifeln. Nicht nur, weil er seine eigene Familie in einem barbarischen Akt auslöscht, nicht nur weil er sein Volk mit einem zwölfjährigen Krieg überzieht, um die Alleinherrschaft zu erringen, sondern auch weil der Herrscher eine Fülle von Signalen aussendet, mit denen er zu verstehen gibt, dass andere Götter und nicht Christus seine Lieblingsgefährten sind.
Der wichtigtste Einwand jedoch kommt unerwartet: Das uralte Kreuzsymbol und das Sternsymbol mit Halbdiskus, später zum "Christogramm" avanciert, sind zur Zeit Konstantins noch keine christlichen Symbole.
Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
1 Einleitung
2 Konstantins Marsch auf Rom und die Nacht der "Wende" (312)
2.1 Träume, Visionen und Symbole vor der großen Schlacht
2.1.1 Laktanz und das Christus-Monogramm
2.1.2 Eusebius und die Kreuzlegende
2.2 Die Meinung der Symbolforschung
2.2.1 Das Christogramm
2.2.2 Das Kreuz-Symbol
2.3 Ergebnis
3 Konstantinische Wende ?
4 Bibliographie
4.1 Antike Quellen und Textausgaben
4.2 Kompendien und Nachschlagewerke
4.3 Literatur
1 Einleitung
"Konstantinische Wende". Sie hat sich in der gesamten theologischen und spätantiken Literatur umfassend und weitgehend unbezweifelt eingenistet. Sie sei "das einschneidende Ereignis der antiken Religionsgeschichte", meint der Düsseldorfer Althistoriker B. BLECKMANN.1 Andere Autoren sekundieren: Mit Konstantin habe "ein geschichtlicher Wendepunkt ersten Ranges", "eine welthistorische Weichenstellung", eine „epochemachende geistige Revolution“2 begonnen. E. SCHWARTZ vermeint sogar, den „dämonischen Scharfblick des Weltbezwingers“ und eine "Zeitenwende ungeheuren Ausmaßes" zu erkennen, „jäh und plötzlich [habe Konstantin] dem Steuerrad der Geschichte in die Speichen“ gegriffen3. Der Historiker EHRHARD erkennt den "Anbruch einer neuen Zeit", sogar "frei von Schmerz und Trauer" soll diese neue Zeit gewesen sein4. A. ALFÖLDI spricht vom "Glück der Menschheit"5 und der französische Althistoriker P. VEYNE kann seine überschäumende Wende-Begeisterung kaum zügeln: Die historische Bedeutung Konstantins sei „gigantisch“, seine Wendung zum Christentum „das entscheidende Ereignis [...] der Weltgeschichte“6. Der historisch- literarische Begeisterungstaumel ist also ein allgemeiner.
Dabei gibt es durchaus Anlaß, an einer „Wende“ Konstantins zum Christentum im Oktober 312 zu zweifeln. Nicht nur, weil er seine eigene Familie in einem barbarischen Akt auslöscht, nicht nur weil er sein Volk mit einem zwölfjährigen Krieg überzieht, um die Alleinherrschaft zu erringen, sondern auch weil der Herrscher eine Fülle von Signalen aussendet, mit denen er zu verstehen gibt, dass andere Götter und nicht Christus seine Lieblingsgefährten sind.
2 Konstantins Marsch auf Rom und die Nacht der „Wende“ (312)
Im Sommer des Jahres 312 nutzt Konstantin Schwierigkeiten seines in Rom residierenden Mitkaisers Maxentius, um zum Angriff auf die Alleinherrschaft im Westreich anzusetzen. Maxentius schickt ihm Teile der Elitearmee und einige kampfunerfahrene Truppenkontingente nach Norditalien entgegen, um dort strategische Positionen zu besetzen. Maxentius selbst bleibt in Rom und befragt nach guter römischer Sitte die Sibyllischen Bücher, die eine beruhigende Auskunft zu geben scheinen: Der Feind Roms, so sagen die schlauen Bücher, werde untergehen.7 Und lassen damit offen, wer der Feind Roms sei.
Konstantin überquert mit einem kampferprobten Heer den Col de Mongenèvre, einen Alpenpass auf 1850 Meter Höhe, nimmt die oberitalienischen Städte Susa, Turin, Mailand und Verona und marschiert, offenbar ohne weitere Feindberührung, nunmehr im Zuge der Via Flaminia, der uralten Militärstraße von Rimini nach Rom, weiter in Richtung Rom. Einen Tagesmarsch vor Rom richtet Konstantin am 27. Oktober 312 sein letztes Lager ein.
Maxentius hat sich derweil hinter der sechs Meter hohen Aurelianischen Mauer verschanzt, um den Ansturm der konstantinischen Truppen zu erwarten. Zur Verstärkung der Verteidigung läßt Maxentius die Tiberbrücke Pons Mulvius (Milvische Brücke) unterbrechen und die Stadtmauern verstärken.
2.1 Träume, Visionen und Symbole vor der großen Schlacht
In diesem letzten Feldlager des konstantinischen Heeres geschehen am 27. Oktober 312, am Vorabend der großen Schlacht also, wunderbare Dinge. Der christliche Gott, so die antiken Berichterstatter, habe sich dem Kaiser durch ein Lichtzeichen am Himmel offenbart, ihm versichert, er werde "in diesem Zeichen" siegen und gleich auch noch eine Konstruktionsanweisung für ein neues Christus-Symbol übergeben, das „Christogramm“, als ein verschlungenes X und P bekannt, später als die übereinander gelegten Anfangsbuchstaben des griechischen Namens "Christus" interpretiert.
Diese Träume und Beobachtungen, alle aus den Federn zeitgenössischer christlicher Geschichtsschreiber, spielen in der Beurteilung, ob es im Herbst 312 eine „Wende“ Konstantins zum Christentum gegeben hat, eine herausragende Bedeutung.
2.1.1 Laktanz und das Christus-Monogramm (XP)
Die Dokumentation der Ereignisse beginnt mit Laktanz (um 250-325 n.Chr.), einem offenbar gelehrten Mann christlichen Glaubens. Laktanz verfaßt verschiedene Schriften, u.a. eine kleine Schrift De mortibus persecutorum-Von den Todesarten der Verfolger, in der er die Leidens- und Todesgeschichten von zehn römischen Kaisern erzählt, die Christen besonders ausgiebig verfolgt haben sollen.8
In diesem Werk berichtet Laktanz auch über einen Traum Konstantins im Oktober 312, kurz vor der Schlacht an der Milvischen Brületter-spacing:.05pt;">Traume ermahnt, das himmlische Zeichen Gottes auf den Schildern anbringen zu lassen und so die Schlacht zu beginnen. Er kommt dem Befehle nach, und indem er den Buchstaben X waagerecht legte/durchkreuzt und die oberste Spitze umbog, zeichnete er Christus auf die Schilde. Mit diesem Zeichen gewaffnet, greift das Heer zum Schwert"9. Es handelt sich also noch nicht um die berühmte Offenbarung Gottes "In diesem Zeichen wirst Du siegen", deren Berichterstattung einem späteren Autor, dem christlichen Bischof Eusebius, vorbehalten bleibt. Vielmehr geht es um das Christogramm, das Gott dem Heiden Konstantin erklärt haben soll.
Laktanz teilt den konstantinischen Traum in zwei Abschnitte: Im ersten Absatz ist das "himmlische Zeichen Gottes" eine deutungsoffene Erscheinung, die keinerlei Interpretation hinsichtlich eines XP zuläßt. Der zweite Absatz hängt völlig in der Luft. Laktanz läßt Konstantin das indifferente „himmlische Zeichen“ ohne nachvollziehbare Rechtfertigung in ein christliches Signum überführen. Konstantin habe das Zeichen als ein griechisches "X" gedeutet, dem ersten Buchstaben des griechischen Wortes für Christus. Konstantin habe dieses "X" um 45° gedreht, so fährt Laktanz fort, so sei ein liegendes "X" entstanden, das, mit einem senkrecht geführten Strich versehen, einen sechsstrahligen Stern ergeben habe. Nun soll Konstantin eine Spitze des gedrehten und/oder mit einem Senkrechtstrich versehenen "X" nach rechts zu einem Kreis gebogen haben und schon habe er das Christus-Monogramm "XP" vor Augen gehabt.
Dieses abenteuerliche Design und die geradezu willkürliche Interpretation des Traumes schreien geradezu nach der Annahme eines späteren Einschubs dieser Passage in klösterlichen Kopierstuben des frühen Mittelalters. Dennoch zweifelt die Mehrheit der Althistoriker die literarisch-historische Authentizität der Formel nicht grundsätzlich an und schließt sich dem Urteil R. EGGERS an: "Die Gestalt des Zeichens, das Laktanz meint, ist die Kombination von X und P".10 Die "unverständlichen Zeichen" seien vor der Schlacht durch "tüchtige Unteroffiziere" den Soldaten, die die "griechischer Buchstaben nicht kannten" vereinfacht erklärt worden, so dass diese lediglich die römische Zehn (X) und die römische Eins (I) malen brauchten. Das ergibt zwar nur ein Sternsymbol, bekannt als das uralte Symbol des Sonnengottes, auch dürfte es einige Probleme bereiten, mitten in der Nacht 50.000 Soldaten und mehr ein „unverständliches Zeichen“ zu erklären, aber was solls. Auch die Wissenschaft lebt von Hypothesen.
Der Althistoriker J. VOGT meint zum Traumgeschehen, man müsse "nach dem Sprachgebrauch der Zeit an das Kreuz denken" und erkennt, das Christogramm sei von Konstantin "aufgerichtet" worden, das Christogramm habe für Konstantin einen Sinn gehabt, aber "nicht für die Welt".11 Der französische Althistoriker VEYNE pflichtet bei und erkennt, das Zeichen sei von Konstantin "erfunden" worden.12
2.1.2 Eusebius und die Kreuzlegende
Der zweite Autor, der christliche Bischof Eusebius (um 260-340 n.Chr.), erwähnt in seiner dem Geschehen zeitnahen Kirchengeschichte weder eine Vision, noch ein Kreuz, noch eine Christuserscheinung. Konstantin habe vor der Schlacht lediglich gebetet.13
Die Visions-Geschehnisse werden erst Jahrzehnte nach dem Ereignis in der Vita Constantini detailliert beschrieben: "Um die Stunde der Mittagzeit, da sich der Tag schon neigte, habe er, so sagte der Kaiser, mit eigenen Augen oben am Himmel über der Sonne das Siegeszeichen des Kreuzes, aus Licht gebildet, und dabei die Worte gesehen: „Durch dieses Zeichen siege!“ [...] Da habe sich ihm nun im Schlafe der Christus Gottes mit dem am Himmel erschienenen Zeichen gezeigt und ihm aufgetragen, das am Himmel geschaute Zeichen nachzubilden und es bei seinen Kämpfen mit den Feinden als Schutzpanier zu gebrauchen". Daraufhin, so berichtet Eusebius weiter, sei "ein langer goldüberzogener Lanzenschaft [gefertigt worden, der] trug eine Querstange und hatte somit die Gestalt des Kreuzes; am oberen Rande des Ganzen war ein kunstvoll geflochtener Kranz aus Gold und Edelsteinen befestigt, in dem das Zeichen für den Namen des Erlösers angebracht war, zwei Buchstaben, die als Anfangsbuchstaben den Namen Christi bezeichneten, indem das P in der Mitte durch das X gekreuzt wurde".14
Damit verfügt der Historiker nunmehr über zwei unterschiedliche Visionsdarstellungen: Eine von Laktanz, der zunächst lediglich von einem "himmlischen Zeichen" im Traum spricht und es dann Konstantin überläßt, daraus ein christliches "XP" zu schmieden. Und eine zweite von Eusebius, der erstmalig das Kreuzsymbol als kaiserliches Emblem in die Diskussion einführt, das dann zum Christogramm mutiert und in einer weiteren Steigerung als Heeresfahne (Labarum) den römischen, immer noch heidnischen Truppen vorangetragen wird.
2.2 Kritische Untersuchung: Die Meinung der Symbolforschung
Christliche Symbole spielen in der Konstantin-Forschung eine herausragende Rolle. Gleich ob die Visionen Konstantins am Vorabend der Schlacht an der Milvischen Brücke am 28. Oktober 312, gleich ob das angebliche Bekenntnis des Kaisers auf einer Silbermünze von 315, gleich ob Kreuzzeichen auf Münzen oder ein angebliches Kreuzszepter der Konstantin-Statue oder die Grablege Konstantins in einer "Kreuzkirche" (LEEB), die christlichen Symbole stehen im Mittelpunkt der Konstantin- Forschung. Und wie immer, wenn es um religiöse Grundsatzpositionen geht, wird dabei in die Debatte viel Spekulatives und Weltanschauliches eingeflochten und so kann es nicht verwundern, dass der Streit mit großem Engagement geführt wird.
Bemerkenswert ist dabei, dass die deutschen Nachkriegs-Autoren versäumen, die Forschungsgeschichte über die Entstehung und Überlieferung besagter christlicher Symbole zu integrieren.15 Diese Abstinenz der Nachkriegs-Althistoriker von für die Sachfrage fundamentalen Forschungsergebnissen ist um so überraschender, da das Thema nicht neu ist. Denn seit Anfang des 20. Jahrhunderts gibt es eine ausführliche Diskussion zu Herkunft und Besonderheiten der christlichen Symbole und Monogramme.16
Als Folge dieses Verzichtes gehen nahezu alle Autoren althistorischer Werke davon aus, dass die Kreuzsymbole und Monogramme zur Zeit Konstantins als christliche Zeichen zu interpretieren sind. A. ALFÖLDI gilt als Trendsetter dieser Richtung. Er glaubt 1932, die christliche Symbolik erkennen zu können, denn das "X" sei "die einfachste Bezeichnung des Namens Christ" gewesen und "oft als christliches Symbol auf Münzen und Medaillen" der konstantinischen Zeit vorgekommen.17 Die These ist sachlich falsch. Denn bei dem "X" auf den konstantinischen Münzen handelt es sich, wie Bergmeier völlig zu Recht anmerkt, lediglich um ein Beizeichen der Prägeanstalten zur Identifizierung unterschiedlicher Münzemissionen ohne jeglichen religiösen Bezug.18 Meist wird jedoch überhaupt nicht nachgefragt und schlicht davon ausgegangen, dass bereits zu Beginn des vierten Jahrhunderts das Kreuz und das Christogramm als christliche Symbole in den christlichen Gemeinden verbreitet gewesen sind.
2.2.1 Das Christogramm (XP)
Das XP-Symbol hat hellenistische und orientalisch-heidnische Vorläufer. Der Paläograph und Althistoriker GARDTHAUSEN untersucht 1966 die Überlieferung der XP- Ligatur in einer detailreichen Studie19 und liefert eine Fülle von Belegen für den heidnischen Ursprung. Er verweist auf den mehrstrahligen Stern mit darüber gesetzten Diskus der Sonne, in Abwandlung des Vollkreises auch mit einen rechts oder links orientierten Halbkreis, als ein "uraltes Symbol des Orients" und belegt, dass das Kreuz/Stern-Monogramm mit dem nach rechts geöffneten Halbkreis im "alten Orient als Urquell allen Lebens verehrt" wird. Er zitiert zahlreiche Beispiele für die Verwendung der XP-Ligatur in vorchristlichen Inschriften und auf ägyptischen und griechischen Münzen, so dass die heidnische Herkunft als gesichert gelten kann.
I. SCHWARZ-WINKLHOFER und H. BIEDERMANN unterstützen 1972 Gardthausen: "Das Monogramm [ist] sicher vorchristlichen Ursprungs. Es erscheint bereits auf attischen Tetradrachmen, auf Münzen der Ptolemäer und auf einer der Isis geweihten Inschrift 137/138 v.Chr.". W. O. MOELLER zitiert 1973 zahlreiche Quellen und Belege für den vorchristlichen Ursprung des "XP" und verweist seinerseits auf H.R. ENGLER, der das "XP" in allen Varianten als eine Kombination von Sonne und verschiedenen solaren Kreuzen belegt. Der schottische Neutestamentler L. W. HURTADO weist im Jahre 2006 auf die vorchristliche Verwendung des "XP" als Abkürzung für XPONOS, dem Vater des Zeus, und für andere Begriffe hin. Und der Münchner Kunsthistoriker J. DECKERS belegt noch im Jahre 2007, dass das "XP" "spätestens seit hellenistischer Zeit als Monogramm für Namen", die mit diesen beiden Buchstaben beginnen, verwendet worden sei. Ähnlich hatte sich bereits A. HARNACK 1906 geäußert, der in "Mission und Ausbreitung des Christentums" den "längst bestehenden Argwohn" bestärkt sieht, dass "das Christus-Monogramm fremden Ursprungs ist". Die Experten lassen also kaum Raum für Zweifel, dass das "XP" eine vorchristliche solare Vergangenheit hat. Eine "Erfindung" durch Konstantin (P. VEYNE) im Jahre 312 war also nicht von Nöten.
Natürlich bricht die Überlieferung des Stern/Sonnen-Symbols mit dem Aufkommen des Christentums nicht ab. Das Stern-Symbol mit aufgesetztem HalbDiskus ist auch in der Zeit des frühen Christentums als heidnisches Zeichen nachweisbar und wird sogar, wie GARDTHAUSEN belegt, von den Christen als Symbol des Lichtes übernommen. Dagegen ist das "XP" als christliches Namenskürzel weder in Form einer verschlungenen Ligatur noch als Kürzel für XPICTOC (lat. Christus) noch in den frühen Textfragmenten des Neuen Testamentes nachweisbar.
Wann die Umwandlung dieses heidnischen Symbols in eine christliche XP- Ligatur erfolgt, ist nicht eindeutig ermittelbar. Aber angesichts der Komplexität der verschlungenen Ligatur und der Größe des Imperium Romanum darf wohl davon ausgegangen erden, dass die Übernahme des heidnischen Monogramms in die christliche Symbolik zögerlich erfolgt. V. SCHÖNEBECK vermutet, dass das XP-Symbol eine "spätrömische Formel" gewesen sei, "die sich im Reich erst relativ spät durchsetzt". Der Schweizer Kunstgeschichtler B. BRENK berichtet von einer Katakomben-Inschrift "mit dem ältesten Christus-Monogramm" aus den Jahren von 308-312. J. DECKERS, Experte für frühchristliche und byzantinische Kunst, meint, das Christusmonogramm habe sich im zweiten Drittel des 4. Jahrhunderts allgemein durchgesetzt. Der Theologe W. WISCHMEYER bezeichnet einen Fund unter dem Fußboden von S. Lorenzo in Rom aus dem Jahr 323 als die "älteste datierte Inschrift mit dem Christogramm".
Das heißt, dass sich das christliche XP-Symbol gemeinsam mit der Liberalisierung der staatlichen Religionspraxis, im vierten Jahrhundert, nicht vor 308/312 beginnend, parallel zu dem durch die Liberalisierung geförderten Aufwuchs des Christentums, entwickelt und ausbreitet und das Symbol Jahrzehnte lang vermutlich in beiden Formen, der heidnischen und christlichen, nebeneinander existiert. GARDTHAUSEN deutet daher das XP-Symbol bis 312 n.Chr. als ein heidnisches Sonnensymbol und bis 337 n.Chr. als ein Symbol im "heidnisch-kaiserlich-christlichen" Übergang. Zur Unterstützung seiner Analyse führt GARDTHAUSEN eine Reihe von Gelehrten der 19./20. Jahrhundertwende an, deren Forschungen seine Annahme hinreichend zuverlässig belegen. Und selbst die Theologie ist sich einig, dass die XP- Ligatur als christliches Symbol fr ü hestens 315 in Erscheinung tritt.20 Wobei man anmerken muß, dass die Jahreszahl "315" offensichtlich an Hand des angeblich "ersten christlichen Monogramm" (ALFÖLDI) auf dem Silbermedaillon von 315 ermittelt worden ist, zu dem noch einiges, an anderer Stelle, zu sagen wäre.21
2.2.2 Das Kreuz-Symbol
In der christlichen darstellenden Kunst spielt das Kreuz in den ersten Jahrhunderten keine Rolle.22 Denn die Christen verwenden als Wandbilder oder als Skulpturen auf den Sarkophagen bis tief in das vierte Jahrhundert hinein alt- und neutestamentarische Ereignisse, daneben auch Bilder, wie den Anker, die Taube mit einem Ölzweig, das Schiff und den Fisch (Ichthys), ein frühes, weit verbreitetes Fruchtbarkeitssymbol, das später als Christus-Symbol verwendet wird. Wenn die Christen ein Kreuz-Symbol verwenden, dann mit einem erklärenden Zusatz.
Es geht also um die Frage, wann diese populären christlichen Bildsymbole durch das Kreuz-Symbol abgelöst worden sind und ob das uns heute als "Lateinisches Kreuz" bekannte Symbol bereits im Jahre 312 als christliches Sieges- oder gar Leidenssymbol anerkannt gewesen ist, so dass Konstantin dies als solches - sei es in einer Vision, sei es im Traum - überhaupt hat erkennen und im christlichen Sinne deuten können. In althistorischen Wissenschaftskreisen wird diese Frage kaum debattiert.23 Stattdessen schwankt die Kreuz-Debatte unschlüssig zwischen einer verdeckten Anerkennung des mystisch-religiösen Kreuzgeschehens im Oktober 312 und dem Versuch, mit Hilfe astronomischer Phänomendeutungen, etwa einer bestimmten Sternenkonstellation und mit Hilfe naturwissenschaftlicher Erklärungsmodelle24 die historische Zuverlässigkeit der eusebischen Berichterstattung zu belegen und Konstantin damit zu unterstellen, als Trendsetter die Christlichkeit des Kreuzes erkannt und in die Gesellschaft eingeführt zu haben. Sie halten mehrheitlich eine Licht-Erscheinung grundsätzlich für möglich und folgern unzulässig, dass Konstantin diese im Sinne eines christlichen Kreuzes beobachtet habe. Damit wird stillschweigend unterstellt, dass das christliche Kreuz zu dieser Zeit bereits so verbreitet gewesen ist, dass es dem Kaiser, dem Hof und wenigstens einem Teil der Bevölkerung bekannt gewesen ist.25
Die Verifizierung dieser Hypothese ist natürlich für die Glaubwürdigkeit der konstantinischen "Bekehrung" vor der Schlacht an der Milvischen Brücke von großer Bedeutung. Und so versucht W. WISCHMEYER einen frühen Bekanntheitsgrad des christlichen Kreuzes mit Hilfe von Laktanz zu belegen, der von der Stirnbekreuzigung als unsterbliches Zeichen gesprochen haben soll26 ; ein Irrtum, denn Laktanz spricht lediglich davon, dass sich "Diener, die den Herrn kannten und die ihm beim Opfer zur Seite standen, auf ihre Stirne das unsterbliche Zeichen" machen. Von einem Kreuz oder gar einem christlichen Zeichen spricht Laktanz nicht.
Etwas geschickter gehen andere Numismatiker und Althistoriker vor: So meint A. ALFÖLDI 1932/1939: "the presence of the immortal signum ... [auf den Münzen sei] decisive" und die Kreuze auf den in Ticinum (Pavia/Italien) geprägten Scheidemünzen des Jahres 314 seien "mit Zustimmung des Hofes" geprägte christliche Symbole27. K.M. GIRARDET verliert sich in seitenlangen Erklärungen über kreuzförmige Naturphänomene, die er zum Teil selbst beobachtet habe, ohne jedoch der Frage auf den Grund zu gehen, ob die christlichen Gemeinden im Jahre 312 das Kreuz überhaupt als ein christliches Symbol anerkannt haben28. Der renommierte französische Althistoriker P.VEYNE glaubt, der „Übereifer von Münzmeistern, die ohne Zweifel [?] Christen waren“, habe dazu geführt, dass christliche Symbole auf den Münzen auftauchen. Eine originelle Erklärung, die die Ausgestaltung des kaiserlichen Propagandamittels in das Belieben der Münzmeister stellt29. Im übrigen bliebe nachzufragen, woher VEYNE weiß, dass die Münzmeister "ohne Zweifel" christlich gesinnt gewesen sind.
[...]
1 Eusebius von Caesarea. De Vita Contantini, hg. von H. Schneider, Einl. von B. Bleckmann, 2007, S. 7.
2 R. EGGER, Das Labarum, die Kaiserstandarte der Spätantike, 1960, S. 3; H. SCHLANGE-SCHÖNINGEN (Hg.), Konstantin und das Christentum, 2007, S. 8; E. KORNEMANN, Geschichte der Spätantike, 1978, S. 31; F. VITTINGHOFF, Staat, Kirche und Dynastie beim Tode Konstantins, 1989, 1-28, S. 2. Ähnlich die Althistoriker GIRARDET, BRANDT, CLAUSS in diversen Konstantinschriften.
3 E. SCHWARTZ, Kaiser Konstantin und die christliche Kirche, 1913/1936, S. 2, 63, 66.
4 A. EHRHARD, Das Christentum im Römischen Reiche bis Konstantin, 1911, S. 21.
5 H. KRAFT, Hoc signo victor eris, S. 245.
6 P. VEYNE, Als unsere Welt christlich wurde (312-394), 2008, S. 11/57.
7 Laktanz, de mortibus persecutorum 44,1.
8 Vgl. dazu Laktanz, de mortibus persecutorum 21.
9 Laktanz, de mort.pers. 44.
10 R. EGGER, Das Labarum. Die Kaiserstandarte der Spätantike, 1960, S. 6.
11 J. VOGT, Die Bedeutung des Jahres 312 für die Religionspolitik Konstantins des Großen, in: KRAFT (Hg.), Konstantin der Große, 1974, 267.
12 P. VEYNE, Als unsere Welt christlich wurde (312-394), 2008, S. 180, 7.
13 Eusebius, Kirchengeschichte 9,9,2.
14 Eusebius, Vita Constantini 1,28-32. Der nicht nachvollziehbare Sprung in der eusebischen Schilderung von einem "Kreuz" zum "XP" (= Christogramm) wird in der Forschungsliteratur sehr ernsthaft diskutiert (Vgl. dazu R. BERGMEIER, Kaiser Konstantin und die wilden Jahre des Christentums, 2010,
S. 109 ff. Die Frage, ob die wirre Visionsgeschichte im Laufe der Überlieferung ergänzt und verändert worden und somit verwirrend geworden ist, wird überhaupt nicht geprüft.
15 J. BLEICKEN ist wohl der einzige Nachkriegs-Historiker, der - wenngleich kurz - auf die Symbolforschung hinweist und seine Zweifel an der christlichen Interpretation der Symbole anmeldet (Constantin der Große und die Christen, 1992, S. 33).
16 Detaillierter Quellennachweis bei R. BERGMEIER, Kaiser Konstantin und die wilden Jahre des Christentums, 2010, S. 116, FN 260.
17 A. ALFÖLDI, The Initials of Christ, Journal of Roman Studies 1932, S. 9-23.
18 R. PUDILL glaubt, das "+" sei als ein Symbol der Sonne (Sonnenrad) zu verstehen (Die Götter Roms und der Weg zum Christentum, Köln 2006, S. 30).
19 V. GARDTHAUSEN, Das Alte Monogramm, 1924/1966, S. 77-83 und Anlage. Weitere Quellennachweise siehe R. BERGMEIER, 2010, S. 119 ff.
20 Evangelisches Kirchenlexikon 1986-1997, "Monogramm Christi", Bd. 3/8, 532-533.
21 Vgl. BERGMEIER, 2010, S. 285 ff.
22 Die frühchristliche Geschichte der Kreuzsymbolik ist ziemlich verwirrend. Denn die Bibel bezeichnet das Hinrichtungswerkszeug, an dem Christus starb, als staur ó s und x ý lon. Staurós wird aber in erster Linie mit Pfahl oder Pfosten erklärt und xýlon mit Holz, Baum oder Balken übersetzt. Die Apostel Petrus/Paulus verwendeten das Wort x ý lon, also einen aufrechtstehender Stamm ohne Querbalken. Das lateinische Wort ist crux, was gemäß Livius (59 v.Chr. - 17 n.Chr.), lediglich Pfahl bedeutet. Es muß also offen bleiben, ob Jesus - soweit überhaupt von einer Historizität Jesu auszugehen ist - an einem Pfahl oder an einem Kreuz, so wie wir es heute kennen, gestorben ist.
23 Lediglich einzelne Konstantin-Autoren, wie J. VOGT beschäftigen sich mit der Entwicklung der Kreuz- Symbolik (Die Bedeutung des Jahres 312 für die Religionspolitik Konstantins des Großen, in: H. Kraft (Hg.), Konstantin der Große, 1974, S. 267, S. 270-271)
24 Vermutlich der älteste Versuch einer naturwissenschaftlichen Erklärung ist der des Historikers Fabricius (17. Jh.), der einen Hof an der Sonne vermutet (Dazu H. SCHROERS, Konstantins des Großen Kreuzerscheinung, 1913, S. 1-2). Vgl. auch eine mehrseitige, ungesicherte Spekulation von K.M. GIRARDET (Hg.) in: Kaiser Konstantin der Große, 2007, S. 32-38; ebenso HEILAND, Die astronomische Deutung der Vision Kaiser Konstantins, 1948, 11-19. Eine phantasievolle Erklärung von M. DIMAIO/
J. ZEUGE/ N. ZOTOV: Die Autoren behaupten, der Kaiser habe in den Nachthimmel (Eusebius spricht vom Tag) hinaufgeschaut und eine Konjunktion von Mars, Saturn, Jupiter und Venus in den Konstellationen Steinbock und Schütze gesehen. Seine zumeist heidnischen Soldaten hätten dies als schlechtes Omen gesehen, doch es gelang Konstantin, eine positive Bedeutung zu konstruieren, indem er erklärte, die Konjunktion habe die Form von Chi-Rho und sei daher ein Glück verheißendes Zeichen (Ambiguitas Konstantiniana: The Caeleste Signum Dei of Konstantine the Great , Byzantion, 1988 ). P. WEISS versucht, die Vision mit Hilfe einer ringförmigen Lichterscheinung um die Sonne zu erklären (so schon im 17. Jh. Fabricius; Die Vision Konstantins, in: J. BLEICKEN (Hg.), Colloquium zum Anlaß des 80. Geburtstages von Alfred Heuss, 1993, S. 143-169).
25 So O. DÖRING, Christliche Symbole, 1940, S. 39.
26 Vgl. Laktanz, de mort.pers 10,2; W. WISCHMEYER, Christogramm und Staurogramm, S. 542.
27 A. ALFÖLDI, The Helmet of Konstantine with the Christian Monogramm, Journal of Roman Studies 22 (1932), 14-15; ders.: Hoc signo victor eris. Beiträge zur Geschichte der Bekehrung Konstantins des Großen, in: H. Kraft (Hg.), Konstantin der Große, 1974, S.226.
28 K.M. GIRARDET (Hg.), Konstantin der Große, 2007, S. 32 f.
29 P. VEYNE, Als unsere Welt christlich wurde, 2008, S. 207.