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Lebensplanung junger ostdeutscher Frauen unter den Bedingungen von Transformation, Modernisierung und Individualisierung

©2009 Studienarbeit 31 Seiten

Zusammenfassung

Durch die ökonomischen und sozialen Umbrüche im Osten Deutschlands wurde das Leben von Frauen nachhaltig und tiefgreifend gewandelt. Die über Jahrzehnte in der DDR entstandenen Frauenleitbilder wurden mit dem Übergang zur Marktwirtschaft zur Disposition gestellt und sind als alleinige Identifikationsmöglichkeiten untauglich geworden. Das Leben in der DDR hat in den Lebensansprüchen, Wertvorstellungen und auch Geschlechtszuschreibungen Spuren hinterlassen, die nicht einfach zu „transformieren“ sind. Eine qualitative Betrachtung der Lebensentwürfe junger ostdeutscher Frauen unter gesellschaftlich veränderten Bedingungen ist daher wissenschaftlich notwendig.
Innerhalb dieser Arbeit werden zunächst zur theoretischen Vorbetrachtung Bedingungen von Geschlechterkonstruktionen, Geschlechterdifferenzen und geschlechtsspezifischer Sozialisation vertieft.

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis

Abkürzungsverzeichnis

1. Einleitung

2. Geschlechtsdifferenzierungen und -konstruktionen im Lebensverlauf
2.1 Geschlechtskonstruktion und doing gender
2.2 Geschlechtsspezifische Sozialisation
2.3 Die doppelte Vergesellschaftung der Frau

3. Arbeit, Geschlecht und Familie im ostdeutschen Transformationsprozess
3.1 Modernisierungs- und individualisierungstheoretische Ansätze
3.2 Zum Erwerbsleben von ostdeutschen Frauen
3.3 Zur Vereinbarkeit von Beruf und Familie
3.4 Fertilität und Individualisierung

4. Zum Lebensentwurf und zur Lebensplanung junger ostdeutscher Frauen

5. Fazit

Literaturverzeichnis

Abkürzungsverzeichnis

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

1. Einleitung

Der Zusammenhang von Transformation und Lebensverhältnissen, Lebensverläufen und Lebensentwürfen kann entlang verschiedener Forschungslinien und Theorieverständnisse analysiert werden. Zu Beginn der 1990er Jahre war die Erforschung der ostdeutschen Transformation eher von Fragen der ökonomischen und politischen Konsolidierung geprägt. Die Perspektive der Frauen- und Geschlechterforschung hat sich erst innerhalb der Diskussion um die politische Partizipation der Frauen herausgebildet. Ausgangspunkt für zahlreiche Studien war die überproportionale Arbeitslosigkeit von Frauen nach dem Fall der Mauer.[1] Doch auch Handlungsmuster, Sozialisationseffekte und Bewältigungsstrategien der Transformation wurden empirisch erforscht.[2] Durch die ökonomischen und sozialen Umbrüche im Osten Deutschlands wurde das Leben von Frauen nachhaltig und tiefgreifend gewandelt. Die über Jahrzehnte in der DDR entstandenen Frauenleitbilder wurden mit dem Übergang zur Marktwirtschaft zur Disposition gestellt und sind als alleinige Identifikationsmöglichkeiten untauglich geworden. Das Leben in der DDR hat in den Lebensansprüchen, Wertvorstellungen und auch Geschlechtszuschreibungen Spuren hinterlassen, die nicht einfach zu „transformieren“ sind. Werden gesellschaftliche Rollenbilder und Wertvorstellungen neu definiert, so ist es nicht verwunderlich, dass es zu Kollisionen zwischen neuen Realitäten und einem sozialisierten Rollenverständnis führt (vgl. Menning, 1995, S. 137 f). Jede Form von sozialem Wandel oder Modernisierung unterliegt einer Unbestimmtheit hinsichtlich der Richtung der Handlungskonsequenzen und seiner Prozessdauer. Diese Unbestimmtheit in dem Ergebnis und der Richtung von sozialem Handeln ist es schließlich, die mich zur Annahme bewegt, dass insbesondere Konstruktionen des Lebensverlaufs durch einen vor allem politisch geprägten Systemwechsel nicht einfach innerhalb einer Generation einer vollständigen Kehrtwendung unterliegen können. Eine qualitative Betrachtung der Lebensentwürfe ostdeutscher Frauen unter gesellschaftlich veränderten Bedingungen ist daher wissenschaftlich notwendig. Innerhalb dieser Arbeit sollen zur theoretischen Vorbetrachtung einer solchen qualitativen Studie zunächst Bedingungen von Geschlechterkonstruktionen, Geschlechterdifferenzen und geschlechtsspezifischer Sozialisation im Vordergrund stehen. Weiterhin werden die mit der Transformation verbundenen Bedingungen des Erwerbslebens von ostdeutschen Frauen, die Vereinbarkeit von Beruf und Familie sowie Lebensentwürfe und Lebensplanungen junger ostdeutscher Frauen unter den theoretischen Ansätzen der Modernisierungs- und Individualisierungstheorie betrachtet.

2. Geschlechtsdifferenzierungen und -konstruktionen im Lebensverlauf

Grundlegend für die wissenschaftliche Betrachtung von Geschlechtsdifferenzen und -konstruktionen hinsichtlich des Lebensverlaufes ist, dass sie sich diametral zum Alltagswissen der Gesellschaftsmitglieder bewegt. Die Geschlechtszugehörigkeit von Personen und damit einhergehende natürliche Vorgaben sozialen Handelns werden als nicht begründungswürdige Selbstverständlichkeiten akzeptiert und als Alltagstheorie der Zweigeschlechtlichkeit verstanden.[3] Das Geschlecht[4] wird in der Alltagswelt eine mit der Geburt festliegende und sich weder verändernde noch verschwindende Dimension von sozialer Strukturierung. Die Unterscheidung zwischen Geschlechtern prägt dabei soziale und kulturelle Arrangements einer Gesellschaft.[5] Es ist nicht schwierig zu erkennen, dass es weniger die natürlichen Bestimmungen sind, als die soziale Zuordnung, die diese typische alltägliche Geschlechtsdifferenzierung mit sich bringt. Als Sozialwissenschaftlerin stellt sich mir daher die Frage, wie Geschlecht zur Differenzierungsgröße gemacht wird und welche Auswirkungen dies für das soziale Handeln von Menschen hat. Unterschiedlichkeiten als etwas Soziales zu verstehen und damit auch als etwas Veränderliches und Variables zu betrachten, bedeutet auch seine Prozesshaftigkeit zu verstehen. Sylvia Marlene Wilz macht die Bedeutung der soziologischen Diskussion zu Geschlechtsdifferenzen deutlich, in dem sie festlegt, dass es nicht um Differenzen an sich geht, sondern um Prozesse der Differenzierung. Dabei soll es weniger um Unterschiede sondern um Unterscheidung gehen.[6] Es wird daher eine sozialkonstruktivistische Betrachtungsweise bevorzugt.

2.1 Geschlechtskonstruktion und doing gender

Das Werden von Frau und Mann, dass heißt der Geschlechtskategorie, ist eine zentrale Frage der feministischen Theorie. Sozialkonstruktivistische Ansätze beschäftigen sich dabei mit der Frage, wie soziale Ordnung als kollektiv produzierte Ordnung zustande kommt und wie sie den Menschen als objektiv erfahrbare Ordnung gegenübertritt. Das Paradoxon von der Gleichzeitigkeit der Konstruktion der sozialen Wirklichkeit durch den Menschen und äußerer gegebener Strukturen bestimmt maßgeblich sozialkonstruktivistische Forschung.[7] Als soziale Institution ist gender ein Prozess zur Schaffung von unterscheidbaren Ausprägungen des sozialen Status und damit der Zuweisung von Rechten und Pflichten. Über die Lebensspanne hinweg lernen Individuen in Interaktionen, was von ihnen erwartet wird und sie agieren und reagieren, wie es von ihnen erwartet wird und konstruieren damit gleichzeitig die gender -Ordnung.[8] Geschlechtsspezifische Interaktionsmuster werden in Kindheit, Adoleszenz und Erwachsenenalter in Form von Sexual, Eltern- oder Arbeitsverhalten verstärkt. Weicht ein Individuum von den sozial verordneten Normen und Erwartungen hinsichtlich der Geschlechtszuordnung ab, so erfolgen informelle Sanktionen.[9] Wenn Geschlecht für Interaktionen relevant ist, so bedeutet dies jedoch nicht, dass Individuen aufgrund ihrer Handlungen dem einen oder anderen Geschlecht zugeordnet werden, sondern vielmehr dass ihr Handeln unter der äußeren geschlechtsdifferierenden Struktur interpretiert und bewertet wird.[10] Ein Konzept der interaktionstheoretischen Soziologie zur Erklärung der sozialen Konstruktion von Geschlecht ist unter „ Doing gender “ bekannt und zielt darauf ab, Geschlechtszugehörigkeit nicht als Eigenschaft oder Merkmal von Individuen zu betrachten, sondern die sozialen Prozesse in den Blick zu nehmen in denen diese Unterscheidung hergestellt und reproduziert wird. Interaktion stellt dabei einen formenden Prozess eigener Art dar.[11] Dabei greifen auch Mechanismen der kategorialen und individuellen Identifikation hinsichtlich der Geschlechtszugehörigkeit. Im Sinne von Erving Goffman kann Geschlecht somit als ein von dem Individuum angelegter Rahmen sein, der als Mittel zur Interpretation und zum Verstehen genutzt wird. Diese Rahmung wird von Goffman als ein Prozess des Erfassens, Interpretierens, Verstehens und Definierens einer Situation verstanden.[12] Wird nun dieser Prozess betrachtet, befasst man sich automatisch ebenso mit der symbolischen Rahmung von Handlungen und der auch so entstehenden Ordnung von Interaktionen zwischen den Menschen.[13] Die interaktionstheoretische Perspektive nimmt jedoch nicht die Geschlechterteilung als stabile Grundlage der sozialen Rahmung hin, sondern fragt stattdessen, wie es zu der wechselseitigen Klassifikation von zwei Geschlechtern kommt und wie diese mit Bedeutung sinnhaft strukturiert wird.

2.2 Geschlechtsspezifische Sozialisation

Sozialisationstheorien haben sich lange an Emile Durkheims Zusammenhängen zwischen Individuum und gesellschaftlicher Ordnung im Sinne einer methodischen Sozialisation orientiert. Soziale Tatbestände werden von Durkheim als äußerlich, mit zwanghaftem Charakter, allgemein und unabhängig vom Individuum beschrieben.[14] Sie existieren also außerhalb jeder Person und sind im kollektiven Bewusstsein verankert. Sie zeigen sich innerhalb der Vorstellungen vom richtigen Handeln und Denken, welche durch den Prozess der Sozialisierung jedem Einzelnen nahe gebracht werden.[15]

In der klassischen Sozialisationstheorie intergiert Parsons die Gedanken Durkheims, aber auch Freuds und Meads, und stellt sie in den Rahmen seiner Theorie des sozialen Systems. Das Anliegen Talcott Parsons war es, eine universelle Theorie für die Beschreibung und Analyse sozialer Systeme zu entwickeln. Daneben war für seine Theorieentwicklung wichtig, das Problem der Ordnung in Gesellschaften zu erkennen. Hier geht Parsons davon aus, dass das menschliche Handeln durch drei Subsysteme geprägt ist, dem sozialen System, dem Persönlichkeitssystem und dem kulturellen System. Das soziale System ist durch soziale Interaktionen geprägt, welche wiederum durch wechselseitig aufeinander bezogene soziale Rollen geordnet werden. Das Persönlichkeitssystem entwickelt sich aus den unterschiedlichen Bedürfnisperspektiven und das kulturelle System basiert auf kulturellen Symbolen.[16] In seiner Rollentheorie entwickelt Parsons letztendlich ein Erklärungselement für die Frage nach der Integration des Individuums in die bestehende soziale Ordnung.[17]

Erst seit den 1980er Jahren wurde der Prozess der Sozialisation zunehmend aus der Sicht des Individuums betrachtet. Vor allem aber wie die Individuen untereinander in Beziehung treten und dabei soziale Formen ausbilden, also auch Gesellschaft herstellen, waren neue Fragen der Sozialisationstheorie. Insbesondere die Perspektive der Sozialisation im Lebensverlauf betont langfristige Prozesse und stellt Entwicklung und Sozialisation in spezifischen Lebensphasen in den breiten Kontext der Lebensspanne. Sozialisation ist in diesem Sinne als ein ständig ablaufender Prozess zu verstehen, da sich Individuen immer in sozialen Strukturen bewegen und immer sozial handeln. Durch ihr eigenes Handeln eignen sie sich die gesellschaftliche Wirklichkeit an und gestaltet sie auch gleichzeitig.[18] Grundmann betont dabei, dass Sozialisation immer auch Interaktion voraussetzt und das Sozialisationstheorien auch auf Dispositionen des Menschen zur Reflexion, zur Koordinierung und zur Verständigung aufbauen müssen.[19] Daraus folgt, dass sich Sozialisation vornehmlich aus Beziehungen zwischen Handlungssubjekten, also intersubjektiv, konstatiert. Sozialbeziehungen gehen dabei immer mit Ambivalenzen einher, d. h. aus Erfahrungen von Subjektdifferenzen (z. B. Geschlecht, Lebensalter usw.) und der Gleichzeitigkeit von Unterschieden der Akteure aufgrund von Alters- und Generationendifferenzen.[20] Der eigentliche Sozialisationsprozess ist die soziale Praxis, dass aufeinander Beziehen und aneinander Binden von Individuen. Für die Formulierung einer allgemeinen Theorie der Sozialisation ist es demnach wichtig herauszuarbeiten, wie sich Menschen in ihrem Zusammenleben aufeinander beziehen und dabei Fähigkeiten des Umgangs erwerben, die es ihnen ermöglichen, sich in ihrem Zusammenleben wechselseitig zu ergänzen und zu unterstützen.[21] In der sozialwissenschaftlichen Forschung wird sich dabei auf wichtige Sozialisationsinstanzen bezogen, die einen Zugang zu den Interaktionsformen und -qualitäten bieten. In der Kindheit ist nach zeitlicher Dauer und Intensität die Familie die wichtigste Instanz. Später werden Gleichaltrigengruppen (peer-groups) und der Interaktions- und Sozialisationsraum Schule betrachtet.[22] Doch Sozialisation als Entwicklungsprozess zur gesellschaftlichen Eingliederung geht weit über das Kindes- und Jugendalter hinaus. Sozialisation kann nicht nur als Erziehungsprozess bezeichnet werden, sondern ist ein lebenslanger Lernprozess des Menschen. So ist Sozialisation auch ein Bestandteil des Erwachsenenalters. Sozialisation ist dabei mit jedem Erlernen einer neuen Rolle, mit Eingliederungen in neue Gruppen und mit Übergängen in (neue) institutionalisierte Gesellschaftsformen verbunden. Darunter kann berufliche Sozialisation, der Eintritt in ein Universitätsstudium oder aber auch Heirat und Familiengründung verstanden werden.[23]

Der Begriff der geschlechtsspezifischen Sozialisation impliziert nun die These, dass Sozialisation je nach Geschlecht spezifisch oder typisch verläuft.[24] Zwar wird die alltägliche Handlungspraxis mit der biologischen Geschlechtszugehörigkeit begründet, jedoch gelten erst jene Handlungen als geschlechtsspezifisch, welche einen sozialen Geschlechtsbezug herstellen. Die rein biologische Geschlechtsbestimmung ist somit nur Ausgangspunkt eines Prozesses zur Herstellung des gesellschaftlichen Geschlechts. Geschlechterdifferenzierungen werden dabei in eher subtilen, alltäglichen Praktiken, die an Regelsystemen gekoppelt sind, transportiert. In historischer Tradition ist eine geschlechtsspezifische Verhaltensanforderung an festgesetzten „Lebensaufgaben“, wie Kindsgeburt und Erziehung oder der Ernährung und Verteidigung der Familie gebunden. In einer inzwischen mehr oder weniger individualisierten Lebenslage gibt es hinsichtlich der Verhaltens- und Rollenzuschreibungen Variationsmöglichkeiten.[25] Aber auch wenn, vor allem im Bildungsmilieu, Eltern versuchen eine geschlechtstypische Erziehung und damit verbundene Einstellungen zu vermeiden, so sind doch die familiären Handlungssituationen nicht ausgeschlossen von sozialen Einflüssen. Gesellschaftlich tradierte Vorstellungen können nicht einfach verändert werden, da der Bezug zur sozialen Umwelt, also die soziale Integration der Familie nicht gefährdet werden darf.[26] Wie oben beschrieben ist die Sozialisation eines Kindes stark abhängig von der Interaktion und Kommunikation zwischen ihm selbst und den sozialisierenden Personen. Bedeutungen und Interpretationen von Handlungen erschließen sich dem Einzelnen nur durch die Einbettung in einen strukturierten Rahmen sozialer Kommunikation. Im Zuge soziokultureller Beziehungspraktiken etablieren sich kulturelle Muster von Geschlechteridentifikationen und -differenzen. Daraus resultieren Erfahrungen der Zugehörigkeit zu einem Geschlecht, welche sowohl die selektive Wahrnehmungs- und Deutungsmuster geschlechtsspezifischen Verhaltens als auch Selbstzuschreibungen zur Folge haben.[27] Die Zweigeschlechtlichkeit wirkt als heimlicher Code zum intersubjektiven Verständigen, aber auch der Herausbildung der subjektiven Identität. Das „Jungesein“ oder „Mädchensein“ wird als symbolisches Deutungsmuster für gesellschaftliche Verhaltensregeln sehr früh auf die eigene Wirklichkeit und Selbstwahrnehmung bezogen und zieht sich durch die gesamte Lebensspanne.[28]

Innerhalb der wissenschaftlichen Diskussion zur These der zweigeschlechtlichen Sozialisation laufen zwei Diskurslinien zusammen: die der Sozialisationsforschung und die der geschlechtertheoretischen Debatte. Damit einher gehen zwei grundlegende Problematiken. Zum einen unterliegt allein schon der Begriff der Sozialisation einem eigentlichen Theoriedefizit. Wie oben beschrieben sind Sozialisationsbedingungen auf mehreren Ebenen zu betrachten, auf Seiten des Individuums und auf seitens der Gesellschaft. Ein eigentlich zusammengehörendes System wird in der Theoriedefinierung zunehmend getrennt, was sich auch in der Wissenschaft durch getrennte Disziplinen, wie der Soziologie und der (Sozio-)Psychologie widerspiegelt. Zum anderen tragen zahlreiche empirische Studien zur geschlechtsspezifischen Sozialisation weniger zu einer Theoriegenerierung als eher zur Überprüfung vorhandener Sozialisationsparadigmen bei.[30] Daher ist die Forderung einer Erforschung von geschlechtsspezifischen Sozialisationsbedingungen hinsichtlich gesellschaftlicher Subjekte in ihren historisch-sozialen Verhältnissen, die wiederum reflexiv in konkreten gesellschaftlichen Kontexten Identität und Zugehörigkeit konstruieren, für die wissenschaftliche Weiterentwicklung zentral.

2.3 Die doppelte Vergesellschaftung der Frau

Zur Begriffserläuterung muss zunächst zwischen Vergesellschaftung und Sozialisation differenziert werden. Vereinfacht kann zunächst gesagt werden, dass Vergesellschaftung ein Prozess ist, der aus Individuen Gesellschaftsmitglieder macht. Dies vollzieht sich klassen-, ethnie- und geschlechtsspezifisch und unterliegt verändernden sozialhistorischen Bedingungen. Vermittelt wird die Vergesellschaftung durch Wissensformen, Arbeit, kulturelle Praktiken, Generativität und politische Partizipationsmöglichkeiten. Somit schließt Vergesellschaftung Sozialisation mit ein, geht jedoch noch weiter bis hin zu individuellen Bestreben, wie z. B. lebenslangem Lernen, Disziplinierungsformen, Selbst- und Fremdbestimmung und Veränderung von Lebensumständen.[31]

Geschlecht als soziale Kategorie hat nicht nur identitätsbestimmende Wirkungen, sondern ist eng verbunden mit gesellschaftlichen Statuszuschreibungen und dazu entsprechenden Verhaltensnormen. Das bipolare Klassifikationssystem der Geschlechtlichkeit ist jedoch in der sozialen Praxis unmittelbar ineinander verwoben und bildet den Stützpfeiler sozialer Aufgabenteilung und -trennung. Wenn von einer doppelten Vergesellschaftung die Rede ist, so ist damit die Sozialisation in zwei Praxisbereiche, die des Haushaltes oder der Familie und die des Erwerbslebens gemeint. Eine Dopplung kann jedoch auch von zwei sozialen Kategorien, nämlich Geschlecht und sozialer Herkunft, ausgehen. Beide Perspektiven sind verantwortlich für eine spezifische Lebensplanung von Frauen, die zum einen die Anpassung an kulturelle Normen der Geschlechterordnung und zum anderen aber auch deren bewusste Übertretung abverlangen.[32]

[...]


[1] Vgl., Fischer (2004), S. 437; Beckmann et al. (1994); Behringer (1995).

[2] Vgl., Dölling et al. (1995); Fischer-Rosenthal et al. (1995); Hoerning (1995); Fischer et al. (2002)

[3] Vgl., Wetterer (2004), S. 122.

[4] Das Geschlecht gilt als ein Kriterium der Einteilung der Bevölkerung in weibliche und männliche Individuen. Das Geschlecht ist dabei neben dem Alter eine mit der Geburt festliegende Dimension von sozialer Strukturierung und ein Bezugspunkt der Zuweisung von sozialem Status. Die Geschlechterrolle umfasst dabei zwei verschiedene Dimensionen. Zum einen die soziale Strukturrolle, die in der Wissenschaft als gender bezeichnet wird, und zum anderen die sexuelle Rolle, welche sich allein auf die biologischen Körperausprägungen begründet (sex). Vgl. dazu Schäfers (2003), S. 107 f..

[5] Vgl., Ostner (2003), S. 107.

[6] Vgl., Wilz (2008), S. 7 ff..

[7] Vgl., Villa (2007), S. 20 f..

[8] Vgl., Lorber (1999), S. 78 f..

[9] Vgl., Lorber (1999), S. 79.

[10] Vgl., Gildemeister (2007), S. 64 f..

[11] Vgl., Gildemeister (2008), S. 172 ff..

[12] Vgl., Goffman (1994), S. 105 f..

[13] Vgl., Münch (2007), S. 284.

[14] Vgl., Kaessler et al. (2000), S. 96.

[15] Vgl., Abels (2001), S. 133.

[16] Vgl., Parsons (1986), S. 43 ff..

[17] Vgl., Abels (2007), S. 233.

[18] Vgl., Faltermaier (2008), S. 158.

[19] Vgl., Abels (2007), S. 233.

[20] Vgl., Grundmann (2004), S. 317 f..

[21] Vgl., Abels (2007), S. 243.

[22] Vgl., Peukert et al. (2006), S. 266 ff..

[23] Vgl., Weymann (2004), S. 17 f..

[24] Vgl., Bilden et al (2006), S. 7.

[25] Vgl., Zimmermann (2006), S. 176 f..

[26] Vgl., Gildemeister et al (2008), S. 38 ff..

[27] vgl. Grundmann (2006), S. 101 f.

[28] Vgl., Zimmermann (2006), S. 178.

[29] Vgl., Dausin (2006), S. 18 f..

[30] Vgl., Dausin (1999), S. 220.

[31] Vgl., Becker-Schmidt (2003), S. 2.

[32] Vgl., Becker-Schmidt (2004), S. 67 f..

Details

Seiten
31
Jahr
2009
ISBN (eBook)
9783640981144
ISBN (Paperback)
9783640981137
DOI
10.3239/9783640981144
Dateigröße
594 KB
Sprache
Deutsch
Institution / Hochschule
Universität Bremen
Erscheinungsdatum
2011 (August)
Note
1,3
Schlagworte
ostdeutsche Frauen Transformation Lebensentwurf Lebensplanung Frauen Individualisierung Modernisierung Ostdeutschland gender Sozialisation Geschlechtskonstruktion
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