Benachteiligtenförderung in der beruflichen Bildung – Beitrag der Wissenschaft an der Forderung nach Berufsausbildung für alle
Zusammenfassung
Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Hauptteil
2.1 Definition Benachteiligung und Formen von Beeinträchtigung
2.2 Definition Übergangssystem
2.3 Darstellung der aktuellen Problemstellung in der beruflichen Benachteiligtenforschung
2.4 Qualifizierung des pädagogischen Personals
2.5 Vorstellung eines Konzepts zur individuellen Benachteiligtenförderung
3. Schluss
Literaturverzeichnis
1. Einleitung
„Wer keinen Ausbildungsplatz findet, kann entweder den Kopf in den Sand stecken. Oder man kann zusätzliche Qualifikationen erwerben und dann im nächsten Jahr allen anderen die Nase lang machen, indem man seine Traumausbildung ergattert.“[1] Dieses Zitat entstammt der Internetpräsenz der Arbeitsgemeinschaft Bildung für Deutschland, die eine Kooperation zwischen Wirtschaft, Bildungseinrichtungen und Politik forciert und ein Informationsangebot bereitstellt, um auf die Bildungsbedürfnisse in der Bundesrepublik Deutschland einzugehen. Die Aussage enthält mehrere wichtige Nachrichten. Es wird den Menschen ohne Berufsausbildung in Aussicht gestellt ihren favorisierten Beruf erlernen zu können, wenn sie sich in der Zwischenzeit zusätzliche Qualifikationen aneignen. Gleichzeitig wird sich aber auch an diejenigen gewendet, die Bildungsangebote nicht annehmen und resignieren. Das Zitat soll einerseits junge Menschen dazu motivieren sich zu qualifizieren, um eine bessere Ausgangslage bei der Bewerbung für einen Ausbildungsplatz zu erhalten. Andererseits beschönigt es aber auch die Situation der Menschen ohne berufliche Ausbildung und stellt ihre Lage sehr vereinfacht dar. Die Klientel, an die sich die Arbeitsgemeinschaft Bildung für Deutschland mit dieser Aussage richtet, unterscheidet sich in ihren Kompetenzen, Stärken, Schwächen und persönlichen Problemen. Zum einen ist diese Klientel in sich heterogen, zum anderen ist sie äußerst differenziert von einem etwaigen Durchschnitt zu betrachten. Es bedarf folglich eines speziellen Umgangs mit der Zielsetzung gesellschaftliche Benachteiligung durch eine fundierte Berufsausbildung zu sichern. Die Berufs- und Wirtschaftspädagogik forciert die Arbeit an diesem Problemfeld nicht erst seit der aufkommenden Integrationsdebatte in der Bundespolitik.
Diese Ausarbeitung soll den aktuellen Forschungsstand hinsichtlich einer Reform des sogenannten Übergangsystems, insbesondere im Bereich der Berufs- und Wirtschaftspädagogik skizzieren. Dabei soll die These verfolgt werden, dass mit Hilfe einer grundlegenden Professionalisierung des pädagogischen Personals und moderner Konzeptionen zur Benachteiligtenförderung, Menschen mit einer Beeinträchtigung ein selbstbestimmtes Leben innerhalb einer Gesellschaft ermöglicht werden kann. Neben der Aufarbeitung des aktuellen Forschungsstands, welcher die angesprochene Thematik behandelt, sollen Problemstellungen und Forschungsfragen herausgestellt werden. Dies soll durch aktuelles Zahlenmaterial unterstrichen werden. Außerdem wird ein Förderkonzept zur Umsetzung von individueller Förderung exemplarisch vorgestellt.
Beginnend mit der Schaffung einer definitorischen Grundlage für den Begriff der Benachteiligung und den verschiedenen Formen von Beeinträchtigung, soll in einem weiteren Schritt das bildungspolitische Konstrukt des Übergangssystems vorgestellt werden. Anschließend wird die Problematik, die das Übergangssystem für die Berufsbildungsforschung darstellt anhand von Zahlenmaterial aus dem Berufsbildungsbericht genauer beleuchtet. Daraufhin sollen die wissenschaftlichen Erkenntnisse bezüglich einer Reformierung der Qualifizierung des pädagogischen Personals, welches an der Betreuung, Unterrichtung und Förderung der Klientel im Übergangssystem beteiligt ist, beleuchtet werden. Im Anschluss wird ein Konzept, welches für die individuelle Förderung Benachteiligter entwickelt wurde, exemplarisch für viele moderne Bemühungen einer Reform des Übergangssystems, dargestellt. Gleichzeitig sollen die untersuchten Ansätze, die alle das Ziel verfolgen Menschen eine berufliche Ausbildung zu ermöglichen, einer kritischen Bewertung unterzogen werden. Abschließend wird im Schlussteil die Leitfrage nach dem Beitrag, den eine Professionalisierung des pädagogischen Personals und moderne Konzepte zur Benachteiligtenförderung leisten können, um Menschen ein ökonomisch gesichertes gesellschaftliches Leben zu ermöglichen, nochmals aufgegriffen und geprüft, ob sie im Hauptteil beantwortet wurde. Zudem werden die Forschungsergebnisse zusammengefasst und eine Bewertung dieser vorgenommen.
2. Hauptteil
2.1 Definition Benachteiligung und Formen von Beeinträchtigung
Ehe man sich mit dem Ermöglichen einer gesellschaftlichen Teilhabe benachteiligter Menschen durch gezielte Förderung beschäftigt, muss eine Definitionsbasis für den Begriff Benachteiligung geschaffen werden. Zusätzlich sollen einige der untergeordneten Formen von Beeinträchtigung kurz angerissen und vorgestellt werden, um einen Einblick in das weite Feld der Herausforderungen im Bereich der Benachteiligtenförderung in der Berufsbildung zu gewähren. Im Folgenden soll ein einheitliches Verständnis von Benachteiligung und den eingeschlossenen Formen geschaffen werden, welches als Grundlage für die Beschreibung der untersuchten Klientel in dieser Ausarbeitung dienen soll.
Der Begriff Benachteiligung wurde erstmals wissenschaftlich, als auch politisch durch das Benachteiligtenprogramm des damals bestehenden Bundesministeriums für Bildung und Wissenschaft diskutiert.[2] Der Begriff gilt heute als fester gesetzlich verwendeter Begriff. So definiert das Sozialgesetzbuch „individuell beeinträchtigte und sozial benachteiligte junge Menschen“[3] als Zielgruppe der Jugendsozialarbeit. Benachteiligung kann jedoch nicht den Anspruch erfüllen das eigentlich „gemeinte Gegenstandsfeld“[4] vollends zu erfassen. Die Berufspädagogik sieht sie als ein offenes Forschungsfeld an, welches weit gefasst Jugendliche ohne Berufsausbildung beschreibt. Der Begriff kann sich einer differenzierten als auch kritischen Einschätzung nicht entziehen, da er diskriminierend wirken könnte. Für diese Ausarbeitung soll Benachteiligung und deren Förderung als die Gesamtheit, der auf den Beruf bezogenen schulischen, betrieblichen und außerschulischen Fördermaßnahmen und deren Träger, Akteure und Institutionen gelten. Auch wenn die Wissenschaft unterschiedliche Termini benutzt, so gilt als allgemein anerkannt, dass sich Fördermaßnahmen den Schwierigkeiten einer Gruppe von Jugendlichen annehmen, die aufgrund individueller Probleme oder ungünstigen sozialen Lebensverhältnissen existent sind.[5] Die Benachteiligtenforschung fasst sämtliche „wissenschaftliche und gedankliche Forschungsaktivitäten“[6] innerhalb und zu diesem Feld zusammen.
Die Benachteiligung umschließt auch das Begriffsfeld der Beeinträchtigung. Als beeinträchtigt werden Jugendliche bezeichnet, in deren Leben äußere Rahmenbedingungen und individuelle Voraussetzungen negativ zusammenwirken.[7] Beeinträchtigungen, die durch äußere Einflüsse hervorgerufen werden, sollen an dieser Stelle nicht fokussiert werden und daher nur exemplarisch vorgestellt werden. So stellt beispielsweise ein Mangel an Ausbildungsplätzen einen Einfluss durch den Arbeitsmarkt dar, ein unterdurchschnittlicher Hauptschulabschluss zählt zu den Einflüssen des Schulsystems oder das Auswahlverfahren eines Ausbildungsbetriebs zu den betrieblichen Einflüssen. Vielmehr sollen die individuellen Voraussetzungen behandelt werden, die zu einer fehlenden „Bindungsstabilität“[8] führen, die wiederum „negative Gefühle“[9] hervorrufen, welche in ein Misstrauen gegenüber den eigenen Fähigkeiten und dem arbeitsbezogenen Umfeld münden. Diese Faktoren können dann zu lernbezogenen, personenbezogenen und motivationsbezogenen Beeinträchtigungen führen, welche wiederum einem ökonomisch gesicherten und in einer Gesellschaft partizipierenden Leben im Wege stehen können. Die drei angesprochenen Formen von Beeinträchtigung dürfen dabei nicht getrennt voneinander betrachten werden, sondern in einem reflexiven Verhältnis. Die Ursachen für eine Beeinträchtigung als auch die Form ihrer Ausprägung sind so verschieden, wie die Individuen selbst.
Unter dem Überbegriff „Beeinträchtigung im Lernbereich“[10], der alle durch Lernschwierigkeiten benachteiligte Jugendliche betrifft, lassen sich die Begriffe Lernbehinderung, Lernschwäche, Teilleistungsschwäche und schließlich die lernbezogene Beeinträchtigung bzw. Lernbeeinträchtigung zusammenfassen. Die Lernschwäche kann als eine „qualitative Stufe einer Lernstörung“[11] angesehen werden, bei der die Störung weder umfassend noch anhaltend erfolgt. Innerhalb eines geschwächten Milieus oder aufgrund des Ausbleibens einer Förderung kann sich eine Lernschwäche zu einer Lernbeeinträchtigung oder gar einer Lernbehinderung ausweiten. Eine Lernbeeinträchtigung teilt man in leichtgradig und mittelgradig ein. Eine leichtgradige Lernbeeinträchtigung hat keine lange Dauer, wirkt aber umfänglich, wohingegen eine mittelgradige länger anhält, in ihrer Wirkung aber nicht umfassend ist. Eine Teilleistungsschwäche beschreibt kognitive Beeinträchtigungen und Entwicklungsstörungen in einzelnen Funktionsbereichen. Beispiele dafür können Lese- bzw. Rechtschreibschwächen, wie die Legasthenie oder die Dyskalkulie sein. Ihre Ausprägungen können in ihrer Intensität variieren. Der Begriff der Lernbehinderung umfasst dagegen schwere Fälle von Lernbeeinträchtigungen, bei denen Lernprozesse und -ergebnisse einer schweren und dauerhaften Beeinträchtigung unterliegen. Die Ursachen für Lernbehinderung sind sozialer und biologischer Natur. Dafür sind wiederum beispielsweise das Milieu, in dem Jugendliche aufwachsen oder genetische Voraussetzungen verantwortlich. Diese Faktoren beeinflussen sich zudem gegenseitig. Häufig sind Schwächen innerhalb eines Faches die Symptome für tiefergehende Probleme bei abstrakten Denk- und Transferleistungen.[12] Als Indikator für eine lernbezogene Beeinträchtigung können eine nur schwach ausgeprägte Wissensbasis und ein geringeres Wissensbewusstsein herangezogen werden. Daraus resultierende negative Schulerfahrungen lassen die Lernleistung für den Betroffenen als determiniert erscheinen, woraufhin sich lernbeeinträchtigte Jugendliche „häufig passiv, ziellos und unmotiviert“[13] verhalten.
Personenbezogene Beeinträchtigungen werden durch Einflüsse, wie Migrationshintergrund, soziale Herkunft oder schulische Vorbildung hervorgerufen. Wirken solche Faktoren kombiniert aufeinander, so führt dies häufig zu sprachlichen Defiziten, Lernbeeinträchtigungen oder Verhaltensstörungen. In der Berufsbildung können unter anderem folgende Personengruppen als personenbezogen beeinträchtigt eingeschätzt werden: Drogenabhängige, ehemals Straffällige, ausländische Jugendliche mit Sprachdefiziten oder sozialen Eingewöhnungsschwierigkeiten und psychologisch diagnostizierte verhaltensauffällige Auszubildende.
Ein weiteres „zentrales Element pädagogischer Bemühungen“[14] ist der Ansatz der Motivationssteigerung. Um das Ziel zu erreichen einen anerkannten Berufsabschluss zu erreichen, müssen die Jugendlichen ein gewisses Maß an Motivation aufbringen. Doch gerade diejenigen, die bereits eine lern- oder personenbezogene Beeinträchtigung aufweisen, sind häufig weniger motiviert. Dies kann dann wiederum zu einer verminderten Leistungsbereitschaft und Ausbildungs- bzw. Schulabbrüchen führen. Eine motivationsbezogene Beeinträchtigung tritt auf, wenn das „gesetzte Anspruchsniveau“[15], welches durch schulische oder betriebliche Anforderungen bzw. eigene Ansprüche konstruiert wird, als nicht erreichbar erscheint. Diese Form der Beeinträchtigung kann zu einer unzureichenden Wahrnehmung und Einschätzung der eigenen Kompetenzen führen. Jugendliche, die sich aufgrund dessen als nicht selbstständig genug und einem sozialen Fatalismus ausgesetzt fühlen, benötigen dementsprechende Betreuung durch pädagogisches Personal, um Perspektiven neu erkennen und neue Motivation aufbringen zu können.[16]
Die ausgeführte Definition von Benachteiligung und die skizzierten Formen von Beeinträchtigung sollen als Grundlage dienen, um im weiteren Verlauf der Ausarbeitung nachvollziehen zu können, warum eine Reformierung der Ausbildung des pädagogischen Personals sowie die Erarbeitung neuer Förderkonzepte dazu beitragen können jungen Menschen ein selbstbestimmtes Leben zu ermöglichen.
2.2 Definition Übergangssystem
Um Jugendlichen in Deutschland durch eine umfassende berufliche Ausbildung die Basis für gesellschaftliche Teilhabe zu sichern, müssen ausreichend angemessene Ausbildungsplätze zur Verfügung gestellt werden. Diesem Ziel wird man jedoch zum momentanen Zeitpunkt nicht gerecht. Gründe dafür sind beispielsweise ein Mangel an ausbildenden Institutionen, steigende Erwartungen an die Auszubildenden und eine wachsende Zahl an Jugendlichen, welche die Anforderungen aufgrund von Beeinträchtigungen nicht mehr ohne Weiteres erfüllen können. Um Jugendlichen ohne einen Ausbildungsvertrag eine Perspektive jenseits der Arbeitslosigkeit zu bieten, gibt es das sogenannte berufliche Übergangsystem, welches das Pendant zu dem dualen System der Berufsbildung bildet.
Das berufliche Übergangssystem umfasst eine Vielzahl von nicht-berufsqualifizierenden Möglichkeiten, die zu einer Verbesserung der Allgemeinbildung, einer Berufsorientierung bzw. -vorbereitung oder einer Teilqualifizierung für den Übergang in das duale System beitragen sollen.[17] Es beinhaltet „(Aus-) Bildungsangebote, die unterhalb einer qualifizierten Berufsausbildung liegen bzw. zu keinem anerkannten Ausbildungsabschluss führen, sondern auf eine Verbesserung der individuellen Kompetenzen von Jugendlichen zur Aufnahme einer Ausbildung oder Beschäftigung zielen und zum Teil das Nachholen eines allgemein bildenden Schulabschlusses ermöglichen.“[18] Die Bildungsgänge des Übergangssystems überbrücken zwischen dem allgemeinbildenden Schulsystem auf der einen Seite und der dualen Berufsausbildung bzw. der Schulberufsausbildung, die zu einer beruflichen Qualifikation führen sollen auf der anderen Seite. Dazu zählen neben „teilqualifizierende[n] Berufsfachschulen, das schulische Berufsvorbereitungs- und vollzeitschulische Berufsgrundbildungsjahr, berufsschulischer Unterricht für Schüler ohne Ausbildungsvertrag, […] sowie die berufsvorbereitenden Maßnahmen der Bundesagentur für Arbeit“[19]. Strittig ist die Zugehörigkeit der Schulformen der Fachoberschule und des Fachgymnasiums, die formal zum Erwerb der Studienberechtigung führen. Sie werden jedoch von vielen Jugendlichen besucht, die mit einem mittleren Schulabschluss nach erfolglosen Ausbildungsplatzbewerbungen ihre Erfolgsaussichten im dualen System verbessern wollen, dabei aber kein Interesse an einem Fachhochschulstudium haben. Das Übergangssystem dient zudem denjenigen, die sich über ihre berufliche Zukunft noch nicht im Klaren sind. Sie können innerhalb von einem Jahr über ihren Wunschberuf entscheiden und gleichzeitig bereits zusätzliche Qualifikationen erwerben.
Zusammenfassend lässt sich konstatieren, dass die Bildungsangebote innerhalb des beruflichen Übergangssystems selbst zu keinem Berufsabschluss führen und sich an Jugendliche richten, deren Bildungsniveau sich nicht über einen mittleren Schulabschluss beläuft.
[...]
[1] Arbeitsgemeinschaft Bildung für Deutschland 2009.
[2] Vgl. dazu BIBB 2005, S. 5.
[3] Fühlbier 2001, S.1.
[4] Bojanowski, et. al. 2005, S. 11.
[5] Vgl. dazu Bojanowski, et. al. 2005, S. 11.
[6] Ebenda
[7] Vgl. dazu BMBF 2002
[8] Küfner, et. al. 2010, S. 11.
[9] Ebenda
[10] BMBF 2005, S. 17.
[11] Ebenda
[12] Vgl. dazu BMBF 2005, S. 17
[13] Küfner, et. al. 2005, S. 13.
[14] Ebenda, S. 14.
[15] Küfner, et. al. 2005, S. 14.
[16] Vgl. dazu ebenda
[17] Vgl. dazu Arbeitsgemeinschaft Bildung für Deutschland 2009.
[18] Nationaler Bildungsbericht 2006 zit. n. Ulrich 2008, S. 2.
[19] Ulrich 2008, S. 2.