Die Bedeutung des Liebes-/Todestranks in Wagners „Tristan und Isolde“
Zusammenfassung
Richard Wagner hat für seine Opernrezeption die Erzählung Gottfrieds als Vorbild verwendet. Auch er bietet dem Trank-Motiv breiten Raum. Das gemeinsame Trinken ist der zentrale Wendepunkt des ersten Aktes und geht dem Liebesgeständnis von Tristan und Isolde unmittelbar voraus. Wiederholt erinnern sich die Liebenden an den Trank als Ursprung ihres emotionalen Wandels und der nachfolgenden Geschehnisse. Andererseits sind die Diskrepanzen zwischen Wagners Oper und seiner mittelalterlichen Vorlage kaum zu übersehen. Anstelle des einfachen Liebestranks, wird der Zuschauer zusätzlich mit einem Todestrank konfrontiert und die Geschichte damit kompliziert. Außerdem enthält die von Isolde berichtete Vorgeschichte Andeutungen, die darauf schließen lassen, dass der Ursprung ihrer Liebe schon vor der Einnahme des Trankes lag.
Es stellt sich deshalb die Frage, welche Funktion Wagner den beiden Tränken zukommen lässt. Ist der Liebestrank immer noch alleiniger Auslöser der Gefühle, wie er uns bei Gottfried begegnet? Oder ist seine Bedeutung weniger zentral? Und wenn Tristan und Isolde sich bereits vor der Einnahme des Trankes lieben, welche Bedeutung kommt ihm dann zu?
Ich werde mich der Beantwortung dieser Fragen auf zweierlei Weise nähern: Einerseits durch die Untersuchung des Librettos und andererseits durch die musikalische Analyse einiger für diesen Zusammenhang bedeutender Stellen der Partitur.
Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Die Situation vor dem Trank
2.1 Musikalische Analyse der „Blickszene“
3. Die Trankszene
3.1 Musikalische Analyse der Trankszene
4. Die Wirkung des Liebestranks
4.1 Die Einswerdung der Liebenden
4.1.1 Das Liebesduett
4.2 Liebe und Tod
5. Fazit
6. Literaturliste
1. Einleitung
Der Liebestrank ist in allen Versionen des Tristanstoffes ein zentrales Motiv. Das gemeinsame Trinken und der anschließende Einbruch der Liebe, die das Verhältnis von Tristan und Isolde sowohl zueinander als auch gegenüber der Gesellschaft radikal verändert, gehört zum festen Repertoire der Tristanliteratur1 und ist aus der Erzählung nicht wegzudenken. Als Symbol des Verhängnisses, der Unausweichlichkeit des Schicksals liefert der Trank vor allem in den mittelalterlichen Romanen das Alibi für eine Liebe, die rational nicht mehr verständlich ist.2 Denn extreme Gefühlseinstellungen wurden zu Zeiten Gottfrieds von Strassburg oder Thomas’ d’Angleterre häufig auf Zauber zurückgeführt.3 Auf diese Weise wurde das Unerklärliche erklärbar, die überschäumende Leidenschaft der Liebenden fassbar. Gleichzeitig erhält die unerlaubte Liebe zwischen Tristan und Isolde Vergebung. Denn durch die Einwirkung des Zaubertranks erscheint sie als unvermeidlich, durch die Liebenden selbst nicht beeinflussbar.4 Diese werden zum Spielball des Schicksals und somit indirekt von ihrer Schuld freigesprochen.
Richard Wagner hat für seine Opernrezeption die Erzählung Gottfrieds als Vorbild verwendet. Auch er bietet dem Trank-Motiv breiten Raum. Das gemeinsame Trinken ist der zentrale Wendepunkt des ersten Aktes und geht dem Liebesgeständnis von Tristan und Isolde unmittelbar voraus. Wiederholt erinnern sich die Liebenden an den Trank als Ursprung ihres emotionalen Wandels und der nachfolgenden Geschehnisse.5 Andererseits sind die Diskrepanzen zwischen Wagners Oper und seiner mittelalterlichen Vorlage kaum zu übersehen. Anstelle des einfachen Liebestranks, wird der Zuschauer zusätzlich mit einem Todestrank konfrontiert und die Geschichte damit kompliziert. Außerdem enthält die von Isolde berichtete Vorgeschichte Andeutungen, die darauf schließen lassen, dass der Ursprung ihrer Liebe schon vor der Einnahme des Trankes lag.
Es stellt sich deshalb die Frage, welche Funktion Wagner den beiden Tränken zukommen lässt. Ist der Liebestrank immer noch alleiniger Auslöser der Gefühle, wie er uns bei Gottfried begegnet? Oder ist seine Bedeutung weniger zentral? Und wenn Tristan und Isolde sich bereits vor der Einnahme des Trankes lieben, welche Bedeutung kommt ihm dann zu?
Ich werde mich der Beantwortung dieser Fragen auf zweierlei Weise nähern: Einerseits durch die Untersuchung des Librettos und andererseits durch die musikalische Analyse einiger für diesen Zusammenhang bedeutender Stellen der Partitur.
2. Die Situation vor dem Trank
Um die Bedeutung des Liebestranks beurteilen zu können, stellt sich zunächst die Frage, von welcher Art die Beziehung der Hauptfiguren vor seiner Einnahme war. Eine eventuell schon vorher bestehende gegenseitige Zuneigung würde auch bedeuten, dass die Funktion des Trankes anders einzuschätzen ist, als oft angenommen.
Auf den ersten Blick weist jedoch nichts auf eine enge Bindung zwischen Tristan und Isolde hin. Im Gegenteil befindet sich Isolde zu Beginn der Oper in einem Zustand höchsten emotionalen Aufruhrs. Ihre Wut richtet sich gegen Tristan, dem Mörder ihres Verlobten Morold, der sie als Braut für seinen König gewonnen hatte. Um diesem Schicksal zu entgehen, und sich für den Tod Morolds zu rächen, fasst Isolde einen Plan: Sie entschließt sich zum gemeinsamen Selbstmord mit Tristan, indem sie ihm einen tödlichen Trank vorsetzt, den sie als Sühnetrank ausgibt.6 Dass es nicht soweit kommt, ist nur Isoldes Vertrauter Brangäne zu verdanken, die in ihrer Verzweiflung den Todestrank mit dem Liebestrank vertauscht.7
Zunächst scheint der Handlungsablauf damit klar, wenn es nicht immer wieder Hinweise gäbe, die auf einen anderen Verlauf der Geschichte deuten würden. Als Ausgangspunkt kann hier eine Szene der Vorgeschichte gelten, von der Isolde Brangäne berichtet. Der schwer verletzte Tristan hatte sich nach der Erschlagung von Isoldes Verlobten unerkannt in ihre Obhut begeben, um sich von ihr heilen zu lassen.8 Isolde, die sich schon bald über die wahre Natur ihres Patienten klar wird, beschließt, sich zu rächen.9 Als sich jedoch die Gelegenheit dazu bietet, ist sie nicht imstande, Tristan zu töten:
„Von seinem Lager blickt er her - nicht auf das Schwert, nicht auf die Hand - er sah mir in die Augen. Seines Elendes jammerte mich! - Das Schwert - ich ließ es fallen!“10
In der Vergangenheit hätte Isolde also Gelegenheit gehabt, Tristan zu töten, brachte es aber nicht über sich. Dass es sich dabei nicht nur um eine Geste des Mitleids handelte, macht schon allein die Wortwahl dieser Szene deutlich. Denn wenn sie sagt, sie habe den Kranken „als Tristan … bald erkannt“11 und ihn „als Tantris unerkannt … entlassen“12 ist damit die erotische Semantik von „erkennen“ gemeint13: Der Blick Tristans ist Auslöser ihrer gemeinsamen Liebe; aus heimlicher Leidenschaft schenkt sie ihm das Leben.14
Umso erstaunlicher ist jedoch das Verhalten Tristans. Kaum ist er genesen, bemüht er sich nicht nur darum, Distanz zu Isolde zu halten, sondern sie auch als Braut für König Marke zu gewinnen.15 Grund dafür kann nur sein ritterliches Ehrgefühl sein.16 Um Standesgrenzen zu wahren und seine Ehre aufrechtzuerhalten kommt er dem Auftrag der Brautwerbung trotz seiner Gefühle für Isolde nach. Er ist hin- und hergeworfen zwischen dem fremdbestimmten Anspruch, ein ritterlicher Held zu sein und der inneren Bestimmung, Isolde zu lieben.17
Die Wut Isoldes hat also einen anderen Grund, als bisher angenommen. Rache für Morold ist nicht der eigentliche Antrieb ihrer Tötungsabsicht.18 Und nicht umsonst fragt auch Tristan verwundert: „Müht euch die?“19 (die Rache). Denn er ist sich ihrer Gefühle durchaus bewusst. Ihr Hass entspringt vielmehr aus dem Gefühl der Zurückstoßung durch die Brautwerbung Tristans, mit der er ihre Liebe verrät. Der Verschmähung durch den Geliebten begegnet Isolde mit einem Rachezorn, der sie beide ins Verderben ziehen möchte. Und mit ihrem Selbstmord würde Isolde gleichzeitig einem Leben in trennender Nähe zu Tristan entgehen - einem Leben, das sie ohne die Liebe Tristans nicht mehr führen will und dessen Erfüllung sie nur in einer gemeinsamen Vereinigung im Tode sieht.20
Obwohl Tristan und Isolde also nicht voneinander loskommen, emotional miteinander verbunden sind, gestehen sie sich ihre Liebe nicht ein. Die uneingestandene Liebe ist sodann Ursprung des folgenden Konflikts, der in der Einnahme des Todes-/Liebestranks gipfelt. Ein Blick auf die musikalische Ausgestaltung einiger Ausschnitte des ersten Akts wird zeigen, ob diese Sichtweise bestätigt werden kann.
2.1 Musikalische Analyse der „Blickszene“
Ein wichtiges Kennzeichen der Musik von „Tristan und Isolde“ ist ihre Unabhängigkeit gegenüber der Sprache. Die Musik hat nicht nur eine untermalende, den Text unterstützende Funktion, sondern besitzt eine inhaltliche Eigenständigkeit, die sie dem gesprochenen Wort als mindestens gleichberechtigt gegenüberstellt. Dies ist vor allem der Leitmotivtechnik Wagners zu verdanken, einem Verfahren, das einem bestimmten dichterischen Moment (z.B. einem Gefühl oder einer Idee) eine prägnante musikalische Gestalt zuordnet.21 Diese erscheint dann immer, wenn das dramatisch-poetische Moment dargestellt werden soll. Das Leitmotiv kann entweder direkt auf das Geschehen hinweisen oder aber indirekt kommentierend, psychologisch motivierend oder analysierend einbezogen werden.22 Es garantiert somit eine starke Selbstständigkeit der Musik, die bei der Frage nach der Bedeutung des Liebestranks hilfreich sein kann.
Wie ich bereits erörtert habe, lässt sich der Liebesbeginn zwischen Tristan und Isolde mit Hilfe der Textgrundlage auf die „Blickszene“ festlegen, also dem Moment, in dem Isolde, durch den Blick Tristans ergriffen, ihr Schwert sinken lässt. Ein Blick auf die musikalische Umsetzung dieser Szene wird nun zeigen, ob sich diese Interpretation bestätigt. Der Abschnitt ist eingebettet in das relativ schnelle Tempo der Erzählung Isoldes, das sich allmählich reduziert. Es folgt ein kurzes Orchestervorspiel (S. 92/7-9)23 und die entscheidende Aussage Isoldes „er sah mir in die Augen.“.
[...]
1 Vgl. Rosenband, Doris: Das Liebesmotiv in Gottfrieds „Tristan“ und Wagners „Tristan und Isolde“, Göppingen 1973, S. 21
2 Vgl. Sagave, Pierre-Paul: Die Metaphysik der Liebe in Richard Wagners „Tristan und Isolde“, in: Anmerkungen zu Richard Wagner, hg. v. Hans Mayer, Frankfurt am Main 1966
3 Vgl. Rosenband (wie Anm. 1) 34-35
4 Vgl. Carmatin, Iso: „Gewürzter Wein“, in: „O, sink hernieder Nacht der Liebe“. Tristan und Isolde - der Mythos von Liebe und Tod, hg. v. Sabine Borris und Christian Krautscheid, Berlin 1998, S. 22
5 Vgl. Textbuch „Tristan und Isolde, in: Wagner, Richard: Tristan und Isolde. Texte, Materialien, Kommentare, hg. v. Attila Csampai und Dietmar Holland, Reinbek 1983, S. 66, 87-88
6 Vgl. Textbuch (wie Anm. 5) 50-52
7 Vgl. Texbuch (wie Anm. 5) 55
8 Vgl. Textbuch (wie Anm. 5) 39
9 Vgl. Textbuch (wie Anm. 5) 39-40
10 Textbuch (wie Anm. 5) 40
11 Textbuch (wie Anm. 5) 39
12 Textbuch (wie Anm. 5) 40
13 Vgl. Hörisch, Jochen: Gott, Geld und Glück. Zur Logik der Liebe, Frankfurt am Main 1983, S. 183
14 Vgl. Rosenband (wie Anm. 1) 36
15 Vgl. Textbuch (wie Anm. 5) 40-42
16 Zur großen Bedeutung, die Tristan den Geboten der Sitte zumisst, vgl. Textbuch (wie Anm. 5) 48. Außerdem Rosenband (wie Anm. 1) 39-40, Perschmann, Wolfgang: Weltatem der Liebe: Tristan und Isolde. Versuch einer Vertrautmachung, Graz 1989, S. 11
17 Vgl. Urmoneit, Sebastian: Tristan und Isolde - Eros und Thanatos. Zur „dichterischen Deutlichkeit“ der Harmonik von Richard Wagners „Handlung“ Tristan und Isolde, Rieden im Allgäu 2005, S. 32
18 Dem widerspricht Perschmann, der meint, dass Isoldes diesbezügliche Äußerungen ernst zu nehmen sind.
Diese These lässt sich meiner Meinung nach aber nicht ausreichend am Text belegen, schließlich hat Isolde eine Gelegenheit zur Rache für Morold schon einmal ungenutzt gelassen. Vgl. Perschmann (wie Anm. 16) 57
19 Textbuch (wie Anm. 5) 49
20 Vgl. Perschmann (wie Anm. 16) 57
21 Vgl. Brockhaus Riemann Musiklexikon, Bd. 3, hg. v. Carl Dahlhaus und Hans Heinrich Eggebrecht, Mainz 2001, S. 27
22 Vgl. Brockhaus Riemann Musiklexikon (wie Anm. 21) 27
23 Ich berufe mich mit meinen Angaben auf die Partitur „Tristan und Isolde von Richard Wagner, Eulenburg, Mainz etc. o. J.“