Lernen innerhalb des Erziehungssystems - Der Begriff des Lernens nach Niklas Luhmann
Zusammenfassung
Die Arbeit gliedert sich in vier Abschnitte: Im ersten Teil erfolgt eine kurze Einführung in das Funktionssystem Erziehung (Erziehungssystem). Es soll ein Überblick über die Rahmenbedingungen, in denen das Lernen stattfindet, gegeben werden.
Im zweiten Teil wird der Begriff Sozialisation in Abgrenzung zur Erziehung erläutert, um zu zeigen, dass Lernen innerhalb des Erziehungssystems in verschiedenen Di-mensionen stattfindet. Die Erziehung, insbesondere die Absicht der Erziehung, wird ausführlich erläutert, um die Differenz zwischen Erziehen und Lernen darzustellen. Diese Differenz ist ein Kernpunkt der Luhmannschen Auseinandersetzung zum The-ma Lernen.
Der dritte Teil widmet sich dann explizit der Auffassung des Lernens nach Niklas Luhmann. Zunächst wird Lernen als sozialer Mechanismus erklärt und abschließend das Ziel des Lernens dargestellt: die Lernfähigkeit und das Lernen des Lernens.
Im letzten Abschnitt „Interaktionssystem Unterricht“ werden die Bedingungen des Lernens in der Schule vorgestellt. Denn durch Unterricht nimmt der Nachwuchs aktiv am Erziehungssystem teil und lernt das Lernen des Lernens. Der Nachwuchs wird somit auf den Prozess des lebenslangen Lernens vorbereitet.
Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
Einleitung
1. Das Funktionssystem Erziehung
2. Erziehung und Sozialisation im Erziehungssystem
2.1 Die Absicht der Erziehung
3. Lernen als sozialer Mechanismus
3.1 Lernfähigkeit und Ziel des Lernens
4. Lernen im Interaktionssystem Unterricht
4.1 Selektion innerhalb des Erziehungssystems
Fazit
Literaturverzeichnis
Einleitung
Das Ziel dieser Arbeit soll eine systemtheoretische Auseinandersetzung mit dem Thema Lernen auf der Grundlage der Schriften Niklas Luhmanns sein. Es soll darge- stellt werden, wie Lernen durch Erziehung und Sozialisation im Erziehungssystem wirksam wird.
Die Arbeit gliedert sich in vier Abschnitte: Im ersten Teil erfolgt eine kurze Einführung in das Funktionssystem Erziehung (Erziehungssystem). Es soll ein Überblick über die Rahmenbedingungen, in denen das Lernen stattfindet, gegeben werden. Im zweiten Teil wird der Begriff Sozialisation in Abgrenzung zur Erziehung erläutert, um zu zeigen, dass Lernen innerhalb des Erziehungssystems in verschiedenen Di- mensionen stattfindet. Die Erziehung, insbesondere die Absicht der Erziehung, wird ausführlich erläutert, um die Differenz zwischen Erziehen und Lernen darzustellen. Diese Differenz ist ein Kernpunkt der Luhmannschen Auseinandersetzung zum The- ma Lernen.
Der dritte Teil widmet sich dann explizit der Auffassung des Lernens nach Niklas Luhmann. Zunächst wird Lernen als sozialer Mechanismus erklärt und abschließend das Ziel des Lernens dargestellt: die Lernfähigkeit und das Lernen des Lernens. Im letzten Abschnitt „Interaktionssystem Unterricht“ werden die Bedingungen des Lernens in der Schule vorgestellt. Denn durch Unterricht nimmt der Nachwuchs aktiv am Erziehungssystem teil und lernt das Lernen des Lernens. Der Nachwuchs wird somit auf den Prozess des lebenslangen Lernens vorbereitet.
1. Das Funktionssystem Erziehung
Die Gesellschaft besteht, aus systemtheoretischer Betrachtungsweise, aus differen- zierten Funktions- bzw. Subsystemen, die sich gegenseitig zur Umwelt haben und nach jeweils eigenen Logiken funktionieren. Die Einheit der modernen Gesellschaft, der funktional differenzierten Gesellschaft, ist die Differenz dieser Funktionssysteme. Die Hauptfunktion der einzelnen Systeme besteht dabei in der Reduktion von Kom- plexität, da die Gesamtgesellschaft durch die Subsysteme geordnet wird und Aufga- ben so zielgerichtet verteilt werden können. Eines dieser Funktionssysteme der Ge- sellschaft ist das Erziehungssystem.[1]
Systeme haben nach Luhmann drei Systemreferenzen: Funktion, Leistung und Re- flexion. Im Erziehungssystem ist mit dem Funktionsaspekt der Bezug auf die Gesell- schaft gemeint, mit dem Leistungsaspekt der Bezug auf andere Systeme und mit Re- flexion der Bezug des Systems auf sich selbst. Die Leistung des Erziehungssystems besteht insbesondere darin, psychische Systeme so zu verändern, dass sie zu Teil- nehmern aller anderen Funktionssysteme werden können. Luhmann bezeichnet das als Inklusion.[2] Die Kommunikation, die innerhalb eines Subsystems, also auch inner- halb des Erziehungssystems, stattfindet, ist durch binäre Codes organisiert. Im Funk- tionssystem Erziehung wird in die Gegensätze „besser“ und „schlechter“ selektiert.
Den Ursprung des Erziehungssystems bilden, nach Luhmann, das Religionssystem und das Familiensystem; sie sind die „Herkunftsbereiche der Ausdifferenzierung ei- nes autonomen Erziehungssystems.“[3] Vor dieser Ausdifferenzierung eines autono- men Erziehungssystems war zwangsläufig auch die Gesellschaft selbst anders orga- nisiert. Jegliche Prozesse der Sozialisation haben durch den Übergang zu funktiona- ler Differenzierung eine weit reichende Veränderung erfahren.[4] Der Nachwuchs wird jetzt in einem Sondersystem für andere Systeme erzogen. Von Herkunft wird auf Zu- kunft umgestellt; die Bindung eines Menschen an seine soziale Schicht tritt in den Hintergrund, es kommt auf die schulischen Leistungen an, die erbracht werden. Erst in diesem Stadium der gesellschaftlichen Entwicklung, wird die Erziehung eines Menschen als „universale Spezialfunktion“[5] relevant: „Es beginnt eine Entwicklung, die am Ende die Gesamtbevölkerung in doppelter Weise am Erziehungsprozess be- teiligt: Jeder Einzelne wird selbst in einem ausdifferenzierten Erziehungssystem er- zogen, und jeder Einzelne kann im Kontakt mit jedem anderen voraussetzen, dass auch dieser erzogen worden ist.“[6]
Das Thema des Erziehungssystems ist, nach Luhmann, das Lernen. Zur Konkretisie- rung liefert er systemtheoretische Beschreibungen von Bedingungen, die das Lernen organisieren und beobachtet die Ausführung dieser Organisation. Weiterführend be- trachtet Luhmann auch, wie diese Organisation von jenen aufgefasst wird, die sie betreiben. Das Thema des Erziehungssystems ist aber auch die Erziehung selbst. Denn innerhalb des Erziehungssystems unterscheidet Luhmann zwischen sozialem System (Kommunikation[7] ) und psychischem System (Bewusstsein). Es besteht also eine Differenz zwischen Erziehen und Lernen. Lernen gehört zum psychischen, Er- ziehen, als soziale Inszenierung, zum sozialen System. Diese Differenz ist von ent- scheidender Bedeutung in der systemtheoretischen Auseinandersetzung mit dem Thema Lernen. Nicht die Einheit von Erziehen und Lernen, sondern gerade die Diffe- renz charakterisiert Luhmanns Auffassung. Sie ist somit ein zentraler Faktor seiner Theorie zum Lernen innerhalb des Erziehungssystems.
Das Ziel der Erziehung ist es, den Nachwuchs kommunikationsfähig zu machen. Luhmann nennt das „Erziehung zur Person“: „Menschen werden geboren. Personen entstehen durch Sozialisation und Erziehung.“ [8]
Die Gesellschaft besteht im Sinne Luhmanns nicht aus Menschen, sondern aus Kommunikationen.[9] Diese muss gelernt werden, damit das Individuum am Gesellschaftsprozess überhaupt erst teilnehmen kann. Die Kommunikationsfähigkeit gilt als unabdingbare Voraussetzung für Inklusion.
2. Erziehung und Sozialisation im Erziehungssystem
Wahrnehmen, Lernen und Verhalten sind psychische Grundformen, die durch Sozia- lisation und Erziehung ausgeprägt und schließlich wirksam werden. Durch Sozialisation werden natürliche wie auch soziale Verhaltensbedingungen dem Nachwuchs als Selbstverständlichkeiten vermittelt. Das wiederum kann im sozialen System zu Schwierigkeiten oder gar zu Konflikten führen, wenn man erfährt, dass ein bestimmtes Verhalten bei dem einen als selbstverständlich gilt und einem anderen als nicht korrekt gilt. Durch Erziehung wird „der Nachwuchs besser auf die Varietät von Verhaltensbedingungen vorbereitet, mit der ihn die Gesellschaft konfrontieren wird.“[10] Der Nachwuchs erfährt somit, dass ein bestimmtes Verhalten zwar richtig sein kann, aber auch durchaus anders möglich ist.
Sozialisation bereitet also auf ein Leben in permanenter Unsicherheit vor. Durch Erziehung wird ergänzt oder korrigiert, was als Ergebnis von Sozialisation zu erwarten ist. Sozialisation ist ein die Erziehung ständig begleitender Prozess, wobei Sozialisation ein reziprokes Geschehen ist, das sowohl auf den Sozialisanden, als auch auf den Sozialisationsagenten zurückwirkt.[11] „Diejenigen, die Verhaltensmuster auf den Nachwuchs übertragen, werden als Sozialisationsagenten bezeichnet. Wenn dies absichtsvoll geschieht […] heißen sie Erzieher.“[12] Luhmann weist in diesem Kontext darauf hin, dass man selbstverständlich nicht erwarten könne, dass jede Bemühung in dieser Hinsicht, auch erfolgreich ablaufen werde.
Der Begriff Erziehung bezeichnet psychische Auswirkungen von Kommunikation, und dabei im Unterschied zur Sozialisation, absichtsvoll und zur Verbesserung gemeinte Veränderungen psychischer Systeme. Der Begriff bezeichnet nach Luhmanns Auffassung einen kausalen Zusammenhang, der soziale und psychische Systeme auf beabsichtigte, planmäßige, kontrollierbare Weise miteinander verknüpft, auch wenn die Bemühungen nicht immer erfolgreich sind.[13]
2.1 Die Absicht der Erziehung
Luhmann weist darauf hin, dass Erziehung eine intentionale Tätigkeit ist, die sich darum bemüht, „Fähigkeiten von Menschen zu entwickeln und in ihrer sozialen Anschlussfähigkeit zu fördern.“[14]
Luhmann definiert den Begriff Erziehung nicht inhaltlich, da teleologische Definitio- nen zur Konsequenz führen, dass eine Erziehung, die ihr Ziel nicht erreicht, keine gewesen ist. Deshalb ist für Luhmann das Essentielle der Erziehung, die Absicht zu erziehen. Absichtslose Erziehung ist damit immer Sozialisation. Die Erziehung er- gänzt oder korrigiert somit, was als Resultat von Sozialisation zu erwarten ist. „Als Erziehung haben alle Kommunikationen zu gelten, die in der Absicht des Erziehens in Interaktionen aktualisiert werden. Damit ist klargestellt, was durch den Begriff der Erziehung ausgeschlossen werden soll, nämlich absichtslose Erziehung, also Sozia- lisation.“[15]
Luhmanns Ansatz beruht also auf der Absicht der Erziehung, die im Mittelpunkt steht.[16] Die Bedingungen, die nach Luhmann vorhanden sein müssen, damit eine Absicht plausibel in Anspruch genommen und zugeschrieben werden kann, sind im Folgenden aufgelistet:
- Eine Rollenasymmetrie muss vorhanden sein, es muss also geklärt sein, wem die Absicht zugeschrieben wird und wem nicht. Der pädagogischen Absicht entspricht die Vorstellung eines hilfebedürftigen Gegenübers. Das impliziert zudem eine doppelte Kontingenz, denn der Erzieher mag damit rechnen, dass der Zögling sich seiner Einwirkung entzieht, nicht aber damit, dass der Zögling mit Gegenerziehung reagiert.
- Die Erziehung muss in guter Absicht erfolgen. Der Ausschluss von feindseli- gem Verhalten, Schädigungsabsicht und eigennützigem Handeln muss vorlie- gen.
- Eine Kommunikation wird nur dann als Erziehung angesehen, „wenn sie in ei- nem System der Interaktionen unter Anwesenden stattfindet. Damit ist garan- tiert, dass die Erziehung nicht nur verbale Kommunikation ist, sondern zu- gleich immer auch im Modus der Wahrnehmung des Wahrgenommenwerdens abläuft.“[17]
An der Absicht zu erziehen, lässt sich die Erziehung als Erziehung erkennen. „Die Absicht zu erziehen ist vor allem an Handlungen erkennbar, mit denen der Erzieher versucht, Wissen und Können an jemanden zu vermitteln, der darüber noch nicht verfügt.“[18]
[...]
[1] „Das System der modernen Gesellschaft ist durch funktionale Differenzierung charakterisiert. Das heißt: es bildet seine primären (keineswegs alle!) Subsysteme durch Bezug auf spezifische Funktionen. Das Erziehungssystem ist eines dieser Funktionssysteme.“ Luhmann, N. 2002 13/14
[2] „Inklusion heißt also nicht: Mitgliedschaft in der Gesellschaft, sondern heißt als Modus vollwertiger Mitgliedschaft: Zugang eines jeden zu jedem Funktionssystem.“ Luhmann/ Schorr S.31
[3] Luhmann, N./ Schorr, K.E. 1979 S.68
[4] Vgl. Luhmann, N./ Schorr, K.E. 1979 S.25
[5] Luhmann/ Schorr S.28
[6] Ebd. S. 28
[7] Luhmann betrachtet Kommunikation, also das soziale System, als geschlossenes, autopoietisches System, womit gemeint ist, dass im Erziehungssystem nur pädagogisch relevante Operationen ver- wendet werden können und diese in einem rekursiven Netzwerk solche Operationen selbst erzeugen. Siehe 2002 S.114
[8] Luhmann, N. 2002 S.38
[9] „Wie kann man ernsthaft behaupten, die Gesellschaft bestehe aus Menschen, wenn der Bestand innerhalb einer relativ kurzen Zeit, die sich nach der Lebensdauer der Menschen bemisst, komplett ausgewechselt wird?“ Ebd. S.48
[10] Luhmann, N. Ebd. S.53
[11] Luhmann, N 2004 S.111
[12] Ebd. S.111
[13] Vgl. Ebd. S.159
[14] Luhmann, N. 2002 S.15
[15] Ebd. S.54
[16] „Als Erziehung haben alle Kommunikationen zu gelten, die in der Absicht des Erziehens in Interaktionen aktualisiert werden.“ Ebd. S.54
[17] Ebd. S. 56
[18] Ebd. S. 59