Der Wiener Entwicklungstest als Instrument der Schulfähigkeitsdiagnostik
Zusammenfassung
Es gibt zum Einen Allgemeine Entwicklungstests, „die zur Ermittlung des Entwicklungsstandes des Gesamtverhaltens angewendet werden kann“ (Quaiser-Pohl & Rindermann, 2010, S. 318). Im Gegensatz dazu stehen reguläre Entwicklungstests, die als „wissenschaftliche Routineverfahren zur Untersuchung eines oder mehrerer Entwicklungsmerkmale mit dem Ziel einer möglichst quantitativen Aussage über den relativen Grad der individuellen Merkmalsausprägung“ zu verstehen sind (Quaiser-Pohl & Rindermann, 2010, S. 318). Der im dritten Kapitel beschriebene Wiener Entwicklungstest (WET) stellt einen Entwicklungstest dar, der auf seine schulfähigkeitsdiagnostische Eignung hin geprüft werden soll.
Leseprobe
Inhaltverzeichnis
1. Einführung
2. Begriffsbestimmung im Kontext der Schulfähigkeit
3. Der Wiener Entwicklungstest (WET)
3.1 Auswertung
3.2 Gütekriterien
3.3 Ergebnisse der Stichprobe (Heiss, 2009)
4. Ausblick
Literaturverzeichnis
1. Einführung
Die Einschulung ist für jedes Mädchen und jeden Jungen, aber auch für die Eltern ein großes Ereignis, welches auch mit vielen Neuerungen und Unsicherheiten behaftet ist. Etwa ein halbes Jahr vor der regulären Einschulung wird mit speziellen Tests die Schulfähigkeit der Kinder diagnostiziert. Gegenwärtig existieren alleine für den deutschsprachigen DACH-Bereich mehrere Dutzend solcher normierten Entwicklungs- und Schulfähigkeitstests. Diese differieren in verschiedenen Merkmalen, sind von der Grundstruktur jedoch ähnlich angelegt und dadurch gut miteinander vergleichbar. Zunächst muss jedoch geklärt werden, an welchen Kriterien Schulfähigkeit bemessen werden kann. Durch Definition und Differenzierung des Begriffs Schulfähigkeit von dem Begriff der Schulbereitschaft wird eine erste Eingrenzung der in Frage kommenden Tests ermöglicht.
Es gibt zum Einen Allgemeine Entwicklungstests, „die zur Ermittlung des Entwicklungsstandes des Gesamtverhaltens angewendet werden kann“ (Quaiser-Pohl & Rindermann, 2010, S. 318). Im Gegensatz dazu stehen reguläre Entwicklungstests, die als „wissenschaftliche Routineverfahren zur Untersuchung eines oder mehrerer Entwicklungsmerkmale mit dem Ziel einer möglichst quantitativen Aussage über den relativen Grad der individuellen Merkmalsausprägung“ zu verstehen sind (Quaiser-Pohl & Rindermann, 2010, S. 318). Der im dritten Kapitel beschriebene Wiener Entwicklungstest (WET) stellt einen Entwicklungstest dar, der auf seine schulfähigkeitsdiagnostische Eignung hin geprüft werden soll. Dafür werden die Erkenntnisse von C. Heiss (2009) dargestellt, da die dort aufgeführten Werte der von ihr vorgenommenen Stichprobe von 27 Eltern und Kindern Aufschluss über die Korrelationen der einzelnen Subtests mit den im Schulalter gezeigten Leistungen gibt. Um Schulfähigkeit oder eventuellen Förderbedarf zu diagnostizieren, gilt es jedoch nicht nur die Leistung bei der Durchführung solcher Tests zu beurteilen, sondern auch andere Aspekte in Betracht zu ziehen, daher muss der bisherige Entwicklungs- und Lernprozess der Kinder unter den Gesichtspunkten der neu gewonnenen Erkenntnis erneut reflektiert werden.
2. Begriffsbestimmung im Kontext der Schulfähigkeit
Das Einschulalter in Deutschland ist je nach Bundesland unterschiedlich geregelt und liegt gegenwärtig bei fünf bis sieben Jahren. Wenn das Kind vor dem 30. Juni das sechste Lebensjahr vollendet, muss es dann den nächstmöglichen Einschulungstermin des Jahres wahrnehmen. Selbstverständlich gibt es Ausnahmeregelungen, welche an dieser Stelle jedoch nicht detaillierter beschrieben werden. Maßgeblich für eine entwicklungsgerechte Einschulung ist der gesundheitsdienstliche Einschulungs- oder Schuleingangstest, der die Schulfähigkeit prognostiziert. Dieser ist gesetzlich vorgeschrieben und ebenfalls auf Landesebene geregelt. Das Niedersächsische Schulgesetz (1998) definiert die Reglements zur „Untersuchung“ in § 56:
„(1) Kinder sind verpflichtet zur Teilnahme an Schuleingangsuntersuchungen nach § 5 Abs. 2 des Niedersächsischen Gesetzes über den öffentlichen Gesundheitsdienst sowie an anerkannten Testverfahren, an ärztlichen Untersuchungen und an Untersuchungen, die für ein Sachverständigengutachten benötigt werden, wenn die Testverfahren und Untersuchungen
1. zur Feststellung der Schulfähigkeit oder
2. zur Feststellung, ob eine Schülerin oder ein Schüler einer sonderpädagogischen Förderung in einer Schule oder in einer außerschulischen Einrichtung bedarf, erforderlich sind.
Die Erziehungsberechtigten und die Kinder sind verpflichtet, die für Untersuchungen nach Satz 1 erforderlichen Auskünfte zu erteilen.
(NSchG, 1998, § 56)
Die Schulfähigkeit eines Kindes lässt sich mit verschiedenen Tests zur physischen und psychischen Entwicklung diagnostizieren. Im Gegensatz zu früheren „Schulreifeprüfung“, bei der vor allem die körperliche Entwicklung des Kindes ausschlaggebend war, gilt heute sowohl die kognitiven und motorischen, als auch die sozial-emotionalen Fähigkeiten zur Bewältigung des Schulalltags zu erfassen. Die Mädchen und Jungen müssen in der Lage sein, Zusammenhänge und Unterschiede zu Erkennen und mit Hilfe der in der Schule vermittelten Methoden die gestellten Aufgaben erfolgreich zu bewältigen.
„Ein Kind ist schulreif, wenn es aufgrund seines körperlichen und seelisch-geistigen Entwicklungsstandes in der Lage ist, am Schulleben teilzunehmen und die von der Schule vorgesehenen Bildungsinhalte und Fertigkeiten nach den eingeführten Methoden im Klassenunterricht zu erwerben.“ (Frankfurter Schulreifetest, 1968, S. 4)
Der Begriff Schulfähigkeit ist allerdings keineswegs mit dem der Schulreife gleichzusetzen, da bei letzterem der Fokus auf die biologischen Reifungsprozesse gerichtet ist und soziale Entwicklungsprozesse dementsprechend keine Rolle spielen, wie u.a. Langfeldt & Tent (1999) und Stipek (2002) hervorheben (vgl. Rindermann & Kwiatkowski, 2010, S. 228). Während in den 1950er Jahren noch dieser reifungstheoretische Ansatz vorherrscht, kann in den 1960ern eine erhöhte Wahrnehmung für Bildungs- und Entwicklungsprozesse vernommen werden. Dadurch wird der Ansatz der Schulreife durch den lerntheoretischen Ansatz der Schulfähigkeit ersetzt (vgl. Rindermann & Kwiatkowski, 2010, S. 228.; Schenk-Danziger 1969). Schulfähigkeit wird bei Büchin-Wilhelm & Jaszus (2006, S. 37) als „Summe aller psychischen, kognitiven, sozialen und körperlichen Merkmale [definiert], die ein Kind befähigen, den Bildungsgang einer Schulart erfolgreich zu absolvieren“ und
„umfasst u.a. die Bereiche allgemeine Lernfähigkeit, körperliche Reife, Sozialfähigkeit (arbeiten, lernen in einer Klassengemeinschaft), metakognitive Fähigkeiten wie z.B. Selbststeuerung und Planung sowie die Fähigkeit, Aufgaben anzunehmen und durchzuführen“ (Büchin-Wilhelm & Jaszus, 2006, S. 37).
Als ein weiterer Begriff in diesem Kontext ist der der Schulbereitschaft anzuführen. Dieser unterscheidet sich von der bereits beschriebenen Schulfähigkeit und Schulreife dahingehend, dass soziale und motivationale Aspekte eine wesentliche Rolle für die erfolgreiche Schullaufbahn darstellen. An dieser Stelle wird betont, dass jedoch nicht nur die Motivation der Kinder selbst Einfluss auf weiteren Entwicklungsprozess nimmt, sondern auch die Bereitschaft der Lehrerinnen und Lehrer, mit einer solchen „Fähigkeitsheterogenität umzugehen“ (vgl. Rindermann & Kwiatkowski, 2010, S. 229). Ist ein Kind einer für die individuelle Entwicklung unpassenden Umgebung ausgesetzt und werden keine intervenierenden Maßnahmen ergriffen, kann sich dies massiv auf den weiteren Entwicklungsverlauf auswirken. Besonders problematisch in diesem Kontext ist, dass gerade das soziale Umfeld eine erhebliche Rolle für das seelische Wohlbefinden spielt, und damit auch eine Voraussetzung zur Lernbereitschaft selbst darstellt. Selbstverständlich gibt es eine Vielzahl von Faktoren, die auf die Schulfähigkeit eines Kindes einwirken, gleichzeitig können diese Einflussfaktoren auch als Prädiktoren für die spätere Schulleistung herangezogen werden. Während sich individuelle Eigenschaften und Fähigkeiten des Kindes im Laufe der Zeit relativ stabil ausprägen, sind interessegeleitete Motive als individuellen Prädiktoren, wie familiäre, oft instabil, da sie primär von Gefühlen beeinflusst sind (vgl. Heiss, 2009, S.70). Dementsprechend gilt es die Gesamtheit der Einflussfaktoren in ihren kontextuellen und situationsübergreifenden Zusammenhängen zu erfassen.
Die folgenden Ausführungen dieses Abschnitts beziehen sich auf das von Nickel (1990, in Rindermann & Kwiatkowski, 2010, S. 229) entwickelte „ökologische Schulreifemodell“, bei dem drei Teilsysteme herausstellt werden, die auf die Schulreife einwirken. Diese sind zum einen der Schüler selbst, zum anderen das System Schule, aber auch weitere Umwelten werden in das Modell miteinbezogen. Dieses Modell berücksichtigt einen gesamtgesellschaftlichen Hintergrund mit allgemeinen Ziel- und Wertevorstellungen, geteilten sozialen und ökonomischen Strukturen und Einstellungen zum Leistungsvorhaben. Das System Schule hat eine außerordentliche Stellung im Gesamtsystem der Gesellschaft. Die dort gestellten Anforderungen gelten für alle Mädchen und Jungen, die sich in der Schulpflicht befinden. Die Lehrpläne und Richtlinien für die Leistungsbeurteilung werden vom Kultusministerium des jeweiligen Bundeslandes erstellt und sind somit für alle sich im Schulsystem befindlichen Personen verbindlich. Die Auslegung der Lehrpläne steht jedoch in der Verantwortung der Lehrer und Lehrerinnen, die jeweils einen eigenen Unterrichtsstil pflegen und somit die Organisation des Lernens variiert. Der Schüler bzw. die Schülerin erfüllt zunächst sowohl die körperlichen (z.B. Entwicklungs- und Gesundheitsstand), als auch die geistigen Voraussetzungen. Auch die Wahrnehmung des Schülers oder der Schülerin und das Lern- und Denkvermögen beeinflusst die Schulreife bzw. Schulfähigkeit. Soziale Voraussetzungen wie Motivationsbereitschaft, Anstrengungsbereitschaft und das soziale Verhalten in der Gruppe wirken ebenfalls auf die Schulreife bzw. Schulfähigkeit ein. Einen großen Einfluss haben zudem das familiäre und das vorschulische Umfeld. Zum einen bestimmt die Familie die soziale Situation des Kindes und zeichnet sich durch ihren Anregungsgehalt aus. Ähnlich verhält es sich mit dem vorschulischen Umfeld, deren Strukturen und pädagogische Konzeptionen letztendlich ebenfalls auf die Schulfähigkeit einwirken. Beide Umwelten tragen maßgeblich zur weiteren Entwicklung des Kindes bei, da die dort gemachten Erfahrungen besonders prägend sind. (vgl. Nickel, 1990, in Rindermann & Kwiatkoski, 2010, S. 229)
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