Das Konzept der defekten Demokratie
Vorstellung und Kritik - Vergleich mit anderen Demokratiemesskonzepten
Zusammenfassung
Das Konzept der defekten Demokratie wurde entwickelt, um Regime klassifizieren zu können, die sich in einer Grauzone zwischen Demokratie und Autokratie befinden. Diese so genannten hybriden politischen Regime konnten in der Transformationsforschung, vor allem bezüglich deren Typisierung, selten eindeutig und noch weniger einstimmig, eingeordnet werden. Das von Merkel, Puhle, Croissant, Eicher und Thiery entwickelte Konzept versucht dieses Problem zu lösen und bietet die Möglichkeit solche Grauzonenregime einordnen und typologisieren zu können.
Hierbei gehen sie von der Methodik der „diminished subtypes“ von Collier und Levitsky aus. Die defekte Demokratie wird als „unvollständiger“ Subtyp definiert. Um dies zu präzisieren, werden defekte Demokratien in vier weitere Subtypen unterschieden (vgl. Merkel et al. 2003: S.291).
Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Terminologie
Diminished subtypes
Hybride Regime
Autokratien
Polyarchie
Liberal (-rechtsstaatliche) Demokratie
3. Demokratiekonzept
4. Konzept der embedded democracy
5. Das Konzept der defekte Demokratie
6. Typologie defekter Demokratien
6.1 Exklusive Demokratie
6.2 Illiberale Demokratie
6.3 Delegative Demokratie
6.4 Enklavendemokratie
7. Messung defekter Demokratien
8. Kritik am Konzept der defekten Demokratie
9. Vergleich mit anderen Messkonzepten
Freedom-House-Index
Bertelsmann-Transformation-Index
Fazit
10. Schlusswort
11. Literaturverzeichnis
Verzeichnis der Tabellen und Abbildungen
Tabelle 1: Typen defekter Demokratien
Tabelle 2: Klassifikation der Defekte
Abbildung 1: Embedded democracy
Abbildung 2: Dimensionen, Teilregime, Kriterien der embedded democracy
1. Einleitung
Im Vordergrund dieser Arbeit soll die Vorstellung des Konzepts der defekten Demokratie stehen, deshalb nimmt dessen Vorstellung großen Raum ein, um so eine spätere Kritik fundiert nachvollziehen zu können. Der Vergleich mit anderen Demokratiemesskonzepten wird gemacht, um die unterschiedlichen Ansätze der Messungen auf zu zeigen.
Das Konzept der defekten Demokratie wurde entwickelt, um Regime klassifizieren zu können, die sich in einer Grauzone zwischen Demokratie und Autokratie befinden. Diese so genannten hybriden politischen Regime konnten in der Transformationsforschung, vor allem bezüglich deren Typisierung, selten eindeutig und noch weniger einstimmig, eingeordnet werden. Das von Merkel, Puhle, Croissant, Eicher und Thiery entwickelte Konzept versucht dieses Problem zu lösen und bietet die Möglichkeit solche Grauzonenregime einordnen und typologisieren zu können.
Hierbei gehen sie von der Methodik der „diminished subtypes“ von Collier und Levitsky aus. Die defekte Demokratie wird als „unvollständiger“ Subtyp definiert. Um dies zu präzisieren, werden defekte Demokratien in vier weitere Subtypen unterschieden (vgl. Merkel et al. 2003: S.291).
Inhaltlich werden zuerst grundlegende Begrifflichkeiten erläutert. Danach wird im dritten Kapitel auf das Demokratiekonzept der Autoren eingegangen. Hierauf wird die Konzeption der embedded democracy beschrieben. Danach soll im vierten Teil der Arbeit das Konzept der defekten Demokratie erläutert werden. Anschließend werden die verschiedenen Subtypen defekter Demokratien vorgestellt, woran sich die Beschreibung der Messung anschließt. Schließlich soll dann die Kritik am Konzept der defekten Demokratie beschrieben werden. Zuletzt soll das Konzept der defekten Demokratie mit anderen Messkonzepten, Freedom House und dem Bertelsmann Transformation Index, verglichen werden.
2. Terminologie
2.1 Diminished subtypes
Der Begriff der „diminished subtypes“ wurde von Collier und Levitsky geprägt (Collier/Levitsky 1997: S.437ff). Bei diesen wörtlich übersetzten „verminderten“ (Wiest 2006: S.1) oder auch „reduzierten“ Subtypen (Merkel et al. 2003: S.36) handelt es sich nicht um klassische Untertypen der Demokratie, sondern die Besonderheit besteht darin, dass wichtige Definitionsmerkmale der Demokratie verletzt werden. Trotzdem handelt es sich immer noch um Demokratien, nicht um autoritäre Regime (Wiest 2006: S.1). Nach Collier und Levitsky gibt es hunderte solcher Subtypen (Collier/Levitsky 1997: S.431). Eines der im deutschsprachigen Raum bekanntesten Konzepte ist das der defekten Demokratie (Wiest 2006: S.1).
2.2 Hybride Regime
Hybride Regime sind Mischformen, die sich weder der Demokratie noch der Autokratie eindeutig zuordnen lassen, sondern Elemente beider Regimetypen kombinieren (vgl. Merkel et al. 2003: S.33). Lauth definiert ein hybrides Systems allgemein als solches, das die Merkmale unterschiedlicher Regimetypen aufweist, also beispielsweise autoritäre und demokratische Züge besitzt (Lauth 2005: S.11). Meyns Definition konkretisiert dies: Hybride Regime seien eine
„spezifische Kombination demokratischer und autokratischer Herrschaftspraktiken […]. Wesentlich für die Abgrenzung zu autokratischen Wahlsystemen ist, ob die Wahlen kompetitiv sind, d.h. ob die Möglichkeit eines Regierungswechsels gegeben ist, und, verbunden damit, das Maß an staatlicher Gewalt und Repression, das zur Erhaltung der bestehenden Macht eingesetzt wird“ (Meyns 2006).
2.3 Autokratie
Die Autokratie bildet das Gegenmodell, den Gegensatz zur (liberal-rechtsstaatlichen) Demokratie, weswegen diese Herrschaftsform im Weiteren dargelegt werden soll. Nach Schmidts Definition aus dem Wörterbuch zur Politik, ist Autokratie der
„Fachbegriff […] für eine Herrschaft, in der alle wesentlichen Entscheidungsbefugnisse einem einzigen Machtträger (Autokrat) obliegen, der selbstherrlich, weder personell, noch institutionell beschränkt, insb. ohne Mitwirkung, Zustimmung und Kontrolle seitens der Beherrschten, […] regiert.“ (Schmidt 2004: S.65).
2.4 Polyarchie
Der Begriff der Polyarchie wurde von Dahl maßgeblich geprägt und ist ein Synonym für die real existierenden Demokratien. Nach Dahl existieren keine vollkommenen demokratische Systeme, sondern nur Polyarchien, die sich dem Ideal der Demokratie nur annähern können. Polyarchie bezeichnet also eine Idealvorstellung von Demokratie (vgl. Lauth 2005: S.5).
2.5 Liberale (-rechtsstaatliche) Demokratie
Der Demokratietypus der liberal-rechtsstaatlichen Demokratie wird von Merkel u.a. als Idealtypus der Demokratie vorgestellt. Nach Schmidt ist dieser Typ deckungsgleich mit dem der konstitutionellen Demokratie, beziehungsweise mit dem des demokratischen Verfassungsstaats (vgl. Schmidt 2004: S.415). Wenn in dieser Arbeit von Demokratie die Rede ist, ist hiermit stets die liberal-rechtsstaatliche Demokratie gemeint.
3. Demokratiekonzept
Im Folgenden wird das Konzept der defekten Demokratie erläutert. Dies erfolgt auf Basis der Vorstellung des Konzeptes durch die Begründer desselbigen: Merkel, Puhle, Croissant, Eicher und Thiery in ihrem ersten Band (Band 1: Theorie) zur defekten Demokratie (Merkel/Puhle/Croissant/Eicher/Thiery 2003).
Es gibt zahlreiche Demokratiekonzepte. Hier soll auf jenes eingegangen werden, welches die Begründer des Konzepts der defekten Demokratie, in Anlehnung an Dahls Demokratiekonzeption, entwickelt haben. Sie gehen von einem dreidimensionalen Idealtypus der rechtsstaatlichen liberalen Demokratien aus, um anhand dessen die Kriterien für das Konzept der embedded democracy herauszuarbeiten.
Die Kernbedeutung des Begriffes Demokratie liege in der Verbindung von Volkssouveränität, den Prinzipien politischer Gleichheit, der Freiheit und der Herrschaftskontorolle, so die Autoren (Merkel et al. 2003: S.40). Volkssouveränität bedeutet, dass das Volk sich entweder selbst regiert oder über die grundlegenden Herrschaftsstrukturen und die Auswahl der Herrschenden die letzte Entscheidung trifft. In den heutigen Territorialstaaten spielt dieses Ausgangsprinzip der direkten Ausübung der Herrschaftsgewalt durch das Volk keine große Rolle mehr, denn die direkte Partizipationsmöglichkeit ist durch die Repräsentation des Volkes in Form von gewählten Vertretern eingeschränkt. In den heutigen modernen Demokratien bedeutet Volkssouveränität, dass es keine höhere Instanz zur Legitimierung von Herrschaft gibt als das Volk. Politische Gleichheit bedeutet den Verfassern nach, dass alle Staatsbürger im politischen Entscheidungsprozess prinzipiell gleichbehandelt werden. Ein gleiches und allgemeines Wahlrecht muss demnach gewährt sein (vgl. Merkel et al. 2003: S.41). Politische Freiheit kann nur durch ein Mindestmaß an Gleichheit ermöglicht werden, deshalb müssen politische Freiheitsrechte, vor allem Meinungs-, Vereinigungs-, Versammlungs-, Informations- und Kommunikationsfreiheit von der Demokratie garantiert werden. Diese Rechte umfassen also sowohl die freiheitlichen, als auch die demokratischen Grundrechte. Politische Freiheit sei notwendig, damit die Bürger ihr „demokratisches Recht auf Beeinflussung der öffentlichen Angelegenheiten und Kontrolle über Entscheidungsprozesse“ (Merkel et al. 2003: S.42) beständig wahrnehmen können. Folglich können die Bürger Herrschaftskontrolle nur dann ausüben, wenn sie selbst, oder gewählte Vertreter, das Souverän sind und die demokratischen und freiheitlichen Grundrechte gewährleistet sind.
Daraus entwickeln die Autoren ihren dreidimensionalen Demokratiebegriff, welcher die Prinzipien der Freiheit, Gleichheit und Kontrolle umfasst, und formulieren diesen wie folgt:
„‚Demokratie’ […] soll definiert sein als ein Set institutioneller Minima, das erstens eine vertikale Dimension demokratischer Herrschaft bezeichnet, nämlich vertikale Machtkontrolle, universelles aktives und passives Wahlrecht und die effektive Gewährleistung der damit verbundenen grundlegenden politischen Partizipationsrechte; zweitens eine horizontale Dimension, also Herrschaftskontrolle im Rahmen der gewaltenteiligen Organisation der Staatsgewalt und der rechtsstaatlichen Herrschaftsausübung; drittens eine transversale Dimension, also die effektive Zuordnung der Regierungsgewalt zu den demokratisch legitimierten Herrschaftsträgern.“ (Merkel et al. 2003: S.47).
Dabei wird von einem demokratischen Herrschaftssystem mit einer mehrdimensionalen politischen Ordnung ausgegangen, welches aus unterscheidbaren Komplexen von Funktionsregeln, den so genannten Teilregimen, besteht. Diese Teilregime definieren die Voraussetzungen, die das Funktionieren einer Demokratie ermöglicht, was jedoch nur gemeinsam gewährleistet werden kann, das heißt erst durch die wechselseitige institutionelle Einbindung wird dies garantiert. Gleichzeitig bedeutet die wechselseitige Einbindung auch, dass im Falle einer Beeinträchtigung eines Teilregimes, dies Auswirkungen auf die Funktionsweise der übrigen Teilregime und somit auch auf das Gesamtregime hat (vgl. Merkel et al. 2003: S.48).
4. Konzept der embedded democracy
Das Konzept der embedded democracy bildet das „root concept“, die analytische Basis, von welcher ausgehend das Konzept der defekten Demokratie entworfen wird (Merkel et al. 2003: S.65). Ausgehend von dem im vorherigen Kapitel definierten Begriff der Demokratie und die Einführung der Teilregime haben die Autoren für dieses „Konzept der rechtsstaatlichen Demokratie als eine Einheit independenter und interdependenter Teilregime“ (Merkel et al. 2003: S.48) den Begriff der „embedded democracy“ gewählt. Übersetzt mit „eingebundener Demokratie“ lässt sich schon rein begrifflich erkennen, dass sich die Teilregime gegenseitig bedingen und nur bei Einbindung aller Teilregime von einer funktionierenden Demokratie die Rede sein kann.
Das Konzept der embedded democracy lässt sich am Anschaulichsten mit einer Abbildung erläutern, in welcher die notwendigen Teilregime und die Funktionsbedingungen festgehalten sind.
Abbildung 1: embedded democracy
Abbildung in dieserLeseprobenichtenthalten
Quelle: Merkel et al. 2003: S.50 (eigene Darstellung)
Quelle: Merkel et al. 2003: S.50 (eigene Darstellung)
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