Islamic Banking - Bedeutung, Chancen und Risiken im deutschen Markt
Zusammenfassung
Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Grundsätze des Islamic Banking
2.1. Grundlagen einer islamischen Wirtschaft
2.1.1. Islam und Scharia
2.1.2. Regeln der Scharia mit wirtschaftlicher Bedeutung
2.2. Zinsverbot und Wirtschaftsordnung
2.2.1. Zinsverbot im Judentum
2.2.2. Zinsverbot im Christentum
2.2.3. Zinsverbot im Islam
2.2.4. Sonderstellung des islamischen Zinsverbots
2.3. Die Idee einer islamischen Wirtschaftsordnung und eines islamkonformen Bankwesens
2.3.1. Idealvorstellung einer islamischen Wirtschaftsordnung
2.3.2. Versuche der Verwirklichung einer islamischen Wirtschaftsordnung
3. Islamische Wirtschaftsordnung aus der Sicht der ökonomischen Theorie
3.1. Marktwirtschaft und Nutzenmaximierung
3.2. Die Funktion von Zinsen und die Alternative einer zinsfreien Wirtschaft
4. Islamic Banking
4.1. Schariakonforme Finanzprodukte: Beteiligungspapiere
4.1.1. Murabahah und Musharakah
4.1.2. Sukuk
4.1.3. Istisnaa
4.1.4. Mudarabah
4.1.5. Salam
4.1.6. Arbun
4.1.7. Ijarah
4.1.8. Quard-Hasan
4.2. Schariakonforme Finanzprodukte: Annahme von Einlagen
4.2.1 Sparbuch
4.2.2 Investmentkonto
4.3. Gegenüberstellung von Finanzinstrumenten
4.4. Besonderheit des Islamic Banking im Unterschied zum konventionellen Bankwesen
5. Islamkonforme Finanzprodukte in Europa
5.1. Überblick über islamkonforme Finanzprodukte in Europa
5.2 Marktchancen und Kunden in England und Frankreich
5.3 Beurteilung der Finanzprodukte aus ordnungspolitischer und wirtschaftsethischer Sicht
6. Chancen islamkonformer Produkte in Deutschland
6.1. Marktpotenzial des Islamic Banking in deutschsprachigen Ländern
6.2. Angebot islamkonformer Finanzprodukte und islamischer Banken in Deutschland
6.3. Chancen Islamic Banking in Deutschland
6.4. Produktchancen für die Zukunft
7. Islamic Banking: Islamkonform als Marketinginstrument
7.1. Kunden islamkonformer Produkte
7.2. Islamkonform als Etikettierung
8. Islamic Banking: Zusammenfassung und Ausblick
Literaturverzeichnis
1. Einleitung
Auf einer Sonderseite der Süddeutschen Zeitung vom 25.02.2011 findet man folgenden Titel „Geldanlagen für Christen und Muslime - Glauben oder nicht glauben". In diesem Artikel wird über Sonderformen von ETFs berichtet. In Großbritannien werden schon seit längerer Zeit spezielle Bankprodukte für islamische Zielgruppen angeboten und derartige Geschäfte haben dort bereits einen erheblichen Umfang erreicht. Für diese besonderen und in Europa neuartigen Bankgeschäfte hat sich in der Fachwelt der Ausdruck „Islamic Banking" eingebürgert. Dass auch in Deutschland Muslime leben, ist allgemein bekannt. Das ist Grund genug, nach dem Islamic Banking in Deutschland zu fragen. Die Frage ist aber nicht beschränkt auf eine islamische Zielgruppe. Denn jeder, der sich mit Banken befasst, wird beobachten, dass Finanzinstitute und ihre Kunden immer wieder aus vielerlei und verschiedenartigen, ökonomischen oder auch ethischen Gründen neue Anlageformen oder Produkte suchen. Auch hinsichtlich neuer Anlageformen oder hinsichtlich Formen des Bankgeschäfts allgemein lässt sich fragen, ob unabhängig von einer Religionsgemeinschaft Konzepte des Islamic Banking eine Rolle spielen könnten. Andererseits ist auch zu fragen, inwieweit die mit dem Islamic Banking verbundenen Ideen und Vorstellungen aus der Sicht der Wirtschaftstheorie Bestand haben.
Es stellt sich also die Frage nach Bedeutung, Chancen und Risiken des Islamic Banking in Deutschland.
Die folgende die Arbeit erläutert die Grundlagen und die Praxis des Islamic Banking bei den Moslems. Die vielfältigen Finanz- und Anlageprodukte des Islamic Banking werden dargestellt, um die Adaption einiger Ansätze des islamischen Konzepts im deutschen Retailgeschäft untersuchen zu können. Schließlich werden einige neue Produktkonstruktionen mit integrierten Ideen des Islamic Banking präsentiert und erörtert, die vielleicht ebenso gute Ertragschancen für die deutsche Bankenwelt bieten können wie die explizit islamkonformen Produkte bei Moslems.
2. Grundsätze des Islamic Banking
2.1. Grundlagen einer islamischen Wirtschaft
2.1.1. Islam und Scharia
Für Muslime, also für die, die sich zum Islam bekennen, ist der Koran die Offenbarung Gottes bzw. das authentische Wort Gottes. Es handelt sich um eine Sammlung von versartigen göttlichen Offenbarungstexten (Suren), die zwischen 610 und 632 n. Chr. von Mohammed in arabischer Sprache empfangen wurden. Neben dem Koran hält sich ein Muslim auch an die Sunna, in der eine an strenge Kriterien gebundene Überlieferung von Taten und Aussagen des Propheten Muhammad festgehalten ist.
„Die Scharia (wörtlich der gerade Weg zur Wasserstelle ) kann als Gesamtheit aller von Allah gegebenen Ge- und Verbote, die in Koran und Sunna zu finden sind, bezeichnet werden"[1] Zur Scharia gehören noch weitere Rechtsquellen. Das „Rechtssystem des Islam, die Schari’a genannt, ist somit das Ergebnis der Verschmelzung verschiedener, unter der arabischen Führung zur Einheit gewachsener islamisierter Völker."[2] Eine der Rechtsquellen der Scharia ist der Konsens unter Rechtsgelehrten oder Richtern, der unter Zuhilfenahme von Koran und Sunna gefunden wird. Damit ist, wie islamische Autoren betonen,[3] eine Weiterentwicklung der Scharia bis in die Gegenwart möglich, ähnlich wie auch in Deutschland neben Gesetzestexten wie BGB oder StGB auch Gerichtsurteile Teil des Rechts sind. Denn es existieren Unterschiede in der Auslegung der Gebote und Verbote des Korans und der Sunna, da sich nach dem Tod Muhammads verschiedene „Rechtsschulen" entwickelt haben. Mit der Trennung in sunnitische und schiitische Muslime hat die Scharia auch unterschiedliche Interpretationen gehabt. Daher ist die Scharia in Malaysia nicht gleich wie die Scharia in Dubai, eine völlig einheitliche Scharia gibt es nicht. Dabei ist aber wichtig: „Die Unterschiede in den Schulen sind [...] als Bereicherung zu sehen. Differenzen bestehen nicht in Glaubensgrundsätzen, sondern lediglich in Feinheiten".[4] Ob also eine Weiterentwicklung in nennenswertem Umfang stattgefunden hat, ist fraglich. Sicherlich war es in Bereichen, in denen in Koran und Sunna keine eindeutigen Regeln existieren, möglich, dass eine Anpassung an moderne Situationen stattfand und dass „eine Reihe von islamischen Staaten [...] säkularisierte Gesetze übernahmen bzw. ein System zu entwickeln versuchten, in dem moderne Gesetze die Scharia - Ordnung ergänzten bzw. ersetzten."[5] Entscheidend blieben aber immer Koran und Sunna.
Beide, westliche und islamische Autoren betonen, dass der Islam äußerst konservativ ist. Bei westlichen Autoren wird das eher negativ bewertet. Sie weisen auf die Erstarrung des Islam seit 1150 nach Christus hin. Damals wurde Ansätzen, neben Koran und Sunna auch griechische Lehren oder Philosophie zu berücksichtigen, wie es zum Beispiel der persische Arzt Ibn Saud (lat. Avicenna) um 1000 n. Chr. getan hatte,
mit Bücherverbrennungen durch den Kalifen von Bagdad ein Ende gesetzt. „Um 1200 wandte sich der Islam, parallel zum Sinken seiner politischen Macht, von Ansätzen eigenständigen philosophischen Denkens ab, und Vertreter der Strenggläubigkeit gewannen dominierenden Einfluss." [6]
2.1.2. Regeln der Scharia mit wirtschaftlicher Bedeutung
Um das Grundgerüst des Islam zu skizzieren, werden von Muslimen fünf Kernelemente genannt: Bezeugen der Existenz nur eines Gottes und die Anerkennung Muhammeds als seines Propheten, das Gebet, eine rituelle Sozialabgabe (Zakat) , rituelles Fasten und die Pilgerfahrt nach Mekka. Von diesen fünf Säulen des Islam ist offensichtlich nur Zakat von wirtschaftlicher Bedeutung. Da Koran und Sunna bzw. die Schari’a in der islamischen Welt eine Ordnung herstellten, die „ Fragen der Religion, der Gesellschaft, der Wirtschaft und des Staates untrennbar miteinander verband und darüber hinaus Normen für das religiöse und gesellschaftliche Verhalten [...] in sehr detaillierter Form entwickelte", sind aber noch weitere Grundsätze mit wirtschaftlicher Bedeutung zu finden, die von fast allen islamischen Rechtsgelehrten und Rechtsschulen anerkannt und als verbindlich angesetzt werden.[7] Wichtiges gemeinsames Merkmal dieser Regeln sind sozialethische Grundsätze wie etwa die Solidarität zwischen den Glaubensbrüdern oder die Gerechtigkeit oder die Gleichheit. Ähnliche Grundsätze sind allerdings auch in fast allen anderen Religionen zu finden. Diese Grundsätze sind hilfreich, wenn man einzelne Regeln in moderne Begriffe übersetzt oder überträgt. In Anlehnung an Imran sollen einige Regeln genannt werden: Anerkennung des Eigentums und des Gewinnstrebens innerhalb bestimmter Grenzen, Mäßigung im Konsum, Verurteilung von Geiz und Horten, Verbot von Lüge und Betrug, Verurteilung von Verschwendung, Forderung nach Ehrlichkeit und Kongruenz beim Vertragsabschluss. Ähnliche Regeln finden sich auch in anderen Religionen, im Judentum oder im Christentum. Das gilt auch für eine besonders wichtige Regel: das Verbot von Zinsen (arabisch riba). Während aber das Zinsverbot im Christentum vor ca 300 Jahren mit der Entstehung der westlichen ökonomischen Theorie verschwunden ist, scheint das islamische Zinsverbot in einigen islamischen Ländern an Bedeutung zuzunehmen.
2.2. Zinsverbot und Wirtschaftsordnung
2.2.1. Zinsverbot im Judentum
In Ägypten oder in Babylonien wurden bereits um 1750 vor Christus Zinsen verlangt, wie es der Codex des Hammurabi zeigt.[8] Als die bis dahin (halb)nomadischen Stämme Israels sesshaft wurden, kamen sie erstmals in Kontakt mit professionellen Geldverleihern, Babylonier oder Assyrer, die zum Teil Zinsen bis 120% verlangten. Eine solche Praxis widersprach der vom Gemeinschaftsgefühl geprägten israelitischen Stammesgesellschaft. Und so wird im 9. Jhd. v. Chr. im Alten Testament folgende Regel formuliert: „Wenn du Geld leihst einem aus meinem Volk, der arm ist bei dir, sollst du ihn nicht zu Schaden bringen und keinen Wucher an ihm treiben" (Exodus 22, 24). Im 5. Buch Mose heißt es im Kapitel 23 Vers 20 - 21 „Du sollst von deinem Bruder nicht Zinsen nehmen, weder mit Geld noch mit Speise noch mit allem, womit man wuchern kann". Einige Historiker meinen, dass mit diesen Vorschriften nur das Zinsnehmen für bestimmte Kredite verboten war, nämlich für Konsumentenkredite an notleidende Mitbürger. Im Unterschied dazu seien Kredite und Zinsen für Investitionsdarlehen erlaubt gewesen. Zur damaligen Zeit waren die Israeliten überwiegend in der Landwirtschaft und die Fremden im gewerblichen Bereich (Handel) tätig. Die Kreditvergabe an Gleichgesinnte bzw. Brüder waren meistens „Konsumentenkredite und die an Fremde vergebenen Kredite eher gewerbliche Kredite."[9] Romic hält diese Unterscheidung für bedeutungslos. Denn auch jemand, der Zinsen für einen Investitionskredit zahlen muss, kann durch die Zinszahlungen in Not geraten, wenn die Investition keine Früchte trägt.[10] Das Zinsverbot im Judentum hatte noch eine Besonderheit: Es war in Verbindung mit der Solidaritätsmoral eines Stammes, einer Bruderschaft entstanden und diente zugleich auch der Abgrenzung gegen die Fremden, die Assyrer, die Babylonier usw. Deshalb war es erlaubt, Zinsen von Fremden bzw. Andersgläubigen zu nehmen.
2.2.2. Zinsverbot im Christentum
Im Neuen Testament findet sich nur im Lukas-Evangelium (Lukas 6, 35) eine eher undeutliche Stelle zum Zinsnehmen: „Mutuum date, nihil inde sperantes" „Gebt ein Darlehen, aber erhofft euch keine Gewinne davon!".[11] Vom frühen Christentum sind kaum entschiedene Aussagen zum Zins überliefert. Wer gegen den Zins war, hat sich wohl eher vom Alten Testament oder von der Philosophie des Plato oder des Aristoteles leiten lassen. Der griechische Denker Aristoteles hatte den Zins abgelehnt, weil er das Geld nur als Tauschmittel definiert hatte. Nach Aristoteles sollte beim Handel die Höhe des Geldes unverändert bleiben, Geld sollte nur zu Tauschzwecken dienen. „Denn das Geld ist um des Tausches willen ...erfunden worden, durch den Zins vermehrt es sich aber durch sich selbst."[12] Bei Aristoteles und verstärkt bei Plato steht daneben ein völlig anderes Argument gegen den Zins. Das Zinsnehmen verstößt dann gegen das Ziel des richtigen Lebens, wenn dadurch materielle Ziele im Übermaß wichtig werden. Beide Argumentationen werden in der christlichen Tradition wieder aufgenommen. Ab 300 n. Chr. verstärkt sich im Christentum die Diskussion über Zinsen. Bemerkenswert ist, dass christliche Geistliche darauf hinweisen, dass ein Christ auch von Fremden keine Zinsen nehmen soll. Das ist ein wichtiger Unterschied zum Zinsverbot im Judentum. Die Ablehnung der Zinsen sollte auch in Zusammenhang mit der damaligen ökonomisch-rechtlichen Situation im römischen Reich gesehen werden. Die Schuldengesetze waren sehr hart, hohe Zinsen führten zur grausamen Verarmung einerseits, zur Akkumulation von großem Reichtum andererseits. Seitens der christlichen Kirche wurde das Zinsnehmen zuerst nur den Geistlichen und schließlich auch allen Gläubigen untersagt. Nachdem die Kirche mit dem Staat enger verbunden war, wurden Zinsverbote ab 800 n. Chr. auch in die weltliche Gesetzgebung eingeführt. Anfangs war das Zinsnehmen also nur den Geistlichen verboten, vermutlich weil sie ein Vorbild des christlichen Lebens sein sollten. Das zeigt, welche Gründe hinter dem Zinsverbot stecken. Zinsen zu nehmen, das widerspricht dem Gebot der Nächstenliebe. Die Ablehnung des Zinses ist im Grunde ein Verwerfen von Wucher, Geldgier und Habsucht. „Zinsnehmen ist Ausdruck der Habgier und mangelnder Nächstenliebe, damit als schwere Sünde eingeordnet."[13]
2.2.3. Zinsverbot im Islam
„Die welche Zins verzehren sollen nicht anders dastehen als einer, den Satan erfasst.
... Und den Kauf hat Allah erlaubt, aber das Zinsnehmen verboten". Das ist die Übersetzung von Sure 2, Vers 276 des Koran.[14] bei westlichen Übersetzern des Koran allerdings wird die Bedeutung des arabischen Worts riba enger verstanden und lediglich mit Wucher gleichgesetzt. Ullmann zum Beispiel übersetzt dieselbe Stelle folgendermaßen: Die, welche vom Wucher leben, werden einst wieder auferstehen als Besessene, vom Satan berührt. ... Gott hat den Handel erlaubt und den Wucher verboten.".[15] Es gibt auch einige wenige islamische Autoren, die unter riba lediglich Wucherzinsen verstehen, aber die große Mehrheit der Islamgelehrten war und ist der Meinung, dass im Koran jede Art von Zinsen verboten wird. Ein abschließendes Urteil ist wohl nicht möglich. Arabisch riba bedeutet nach Imran „jegliche Art von Zuwachs, Vermehrung, Überschuss oder Aufschlag".[16] Die sozioökonomischen Bedingungen um 600 n. Chr. waren in Medina wohl so, dass zum einen bei Handelsgeschäften und Darlehen sehr hohe Aufschläge verlangt wurden (100 Prozent), dass andererseits Darlehen gerade Notleidenden gegeben wurden, für die auch niedrige Zinsen nicht bezahlbar waren. Die Ablehnung der Zinsen durch die Scharia unterscheidet sich kaum von der Ächtung des Zinsnehmens im Judentum oder im Christentum, wobei im Islam wie im Christentum auch das Zinsnehmen bei Fremden oder Ungläubigen geächtet war. Denn Habgier ist in beiden Religionen eine Sünde, gleichgültig, ob sie sich gegenüber Gläubigen oder Ungläubigen zeigt.
2.2.4. Sonderstellung des islamischen Zinsverbots
Vermutlich gibt es hinsichtlich der Frage des Zinses noch weitere Parallelen und Unterschiede zwischen den Religionen. Es wäre auch noch genauer zu klären, was jeweils unter Zins verstanden wurde und wie sich das Zinsverbot in der Vergangenheit jeweils in Theorie und Praxis entwickelt hat. Es sei dabei auch auf die oft erwähnten Untersuchungen Max Webers zur Verschiedenheit der Entwicklung von islamischen und westlichen Gesellschaften hingewiesen.[17] Und es wäre durchaus interessant, zu vergleichen, welche ethischen, rechtlichen oder ökonomischen Begründungen jeweils gegeben wurden.
Damit würde sich eine Fülle von Fragen eröffnen. Dabei könnte es sich um den Vergleich von Wirtschaftssystemen und konkret realisierten Wirtschaftsordnungen handeln, vor allem aber um Fragen der Geschichte, der Gesellschaftsgeschichte, der Wirtschaftsgeschichte. Darauf wurde in dieser Arbeit weitgehend verzichtet. Einmal, weil das weit über den Rahmen der vorliegenden Arbeit hinausgeht. Zum anderen, weil das Zinsverbot des Islam anders als die Zinsverbote im Judentum und im Christentum keine Angelegenheit der Geschichte ist. Vielmehr wird das Zinsverbot der Scharia von vielen islamischen Autoren auch in der Gegenwart als unstrittige gültige Handlungsnorm für die Muslime angenommen. Dabei ist zu beobachten, dass das Zinsverbot als Teil einer angestrebten islamischen Wirtschaftsordnung seit den 60iger Jahren des letzten Jahrhunderts mit großem publizistischem Einsatz gewissermaßen wiederbelebt wird, was sich rein äußerlich schon in der wachsenden Menge der Literatur zu diesem Thema zeigt. Dabei wird das Zinsverbot grundsätzlich nicht in Frage gestellt, es wird aber sehr wohl im Zusammenhang mit ethischen, rechtlichen und ökonomischen Grundsätzen im Koran oder in anderen Religionen gesehen. Und es wird durchaus in Kenntnis „westlicher“ ökonomischer Theorie und sogar im Hinblick auf aktuelle wirtschaftliche Ereignisse diskutiert oder dargestellt.
2.3. Die Idee einer islamischen Wirtschaftsordnung und eines islamkonformen Bankwesens
2.3.1. Idealvorstellung einer islamischen Wirtschaftsordnung
Wenn man die Vorschriften der Scharia anwendet und dabei den Zusammenhang und den überlieferten Sinn dieser Vorschriften beachtet, ergibt sich das Gerüst eines Wirtschaftssystems und einer Wirtschaftsordnung.
Das Privateigentum wird anerkannt und gilt als wertvoll. Privatinitiative, Gewinnstreben und jede Form der privaten wirtschaftlichen Tätigkeit wird bejaht. Jeder Moslem ist verpflichtet, für sich selbst zu sorgen und einer Beschäftigung nachzugehen. „Die Einstellung des Islam zum Handel und zu gewerblichen Aktivitäten ist eindeutig positiv."[18] Vertragsfreiheit, Rechtssicherheit und Vertragstreue sind wichtige Werte. Ebenso anerkannt ist die Gewerbefreiheit. Hier gibt es Einschränkungen. Direkte oder indirekte Beteiligung an Unternehmen, die mit Gütern oder Dienstleistungen zu tun haben, die dem Gläubigen verboten sind, ist untersagt.[19] Da die Welt, Grund und Boden, Bodenschätze, bewegliche und unbewegliche Güter, da also alles, was ein Moslem besitzt oder erwerben kann, letztlich Allah gehört, handelt der Mensch nur als Treuhänder. Der Mensch kann und soll über Eigentum verfügen, aber das Verfügungsrecht ist eingeschränkt. Eigentum dient dazu, den Lebensstandard zu sichern. Das Horten von Gütern und die Akkumulation von Vermögenswerten oder Geld um ihrer selbst willen ist abzulehnen. Deshalb sollen Abgaben und Almosen gegeben werden.
Aus diesen Teilen des Koran leiten einige islamische Ökonomen die Idee der sozialen Marktwirtschaft ab. Das leuchtet in Grundzügen durchaus ein, da die Scharia Privateigentum, Markt, Vertragsfreiheit einerseits, Solidarität und Orientierung am Gemeinwohl bei der Nutzung des Privateigentums andererseits fordert oder akzeptiert. Weniger einleuchtend ist es, wenn die Verpflichtung zum schonenden Umgang mit Ressourcen aus dem Koran abgeleitet wird.[20] Problematisch sind auch andere Konstruktionen, wenn etwa behauptet wird, dass nicht nur mit dem Besitz von Boden und Kapital Einkommen erzielt werden darf, sondern dass die Produktionsfaktoren in die Realwirtschaft eingesetzt werden müssen, dass ungenutzter Boden also verstaatlicht werden darf. Noch fragwürdiger ist es, wenn aus dem Prinzip des Gemeinwohls eine sozialistische Wirtschaftsordnung mit Verstaatlichung der Produktionsmittel abgeleitet wird. „Das Eigentumsrecht an Produktionsmitteln, das in den sozialistisch orientierten islamischen Staaten diskutiert wird, ist dem Scharia-Recht unbekannt, da seine Konzipierung bereits im 2. Jahrhundert nach islamischer Zeitrechnung abgeschlossen wurde."[21]
Betrachtet man die Darstellungen zu einer islamischen Wirtschaftsordnung, erhält man den Eindruck, dass nirgends ein schlüssiges System oder ein Modell einer Wirtschaft existiert, das Grundlage für die Ausgestaltung zu einer islamischen Wirtschaftsordnung sein könnte. Es existier lediglich ein Gerüst mit sehr wenigen Elementen, das nur ein Ziel hat: Das Ziel einer islamischen Wirtschaftsordnung ist es, dem gläubigen Moslem die Einhaltung der verschiedenen religiösen Verhaltensnormen zu ermöglichen.[22] Da nun bei den wirtschaftlich bedeutsamen Verhaltensnormen der Scharia das Zinsverbot die weitaus wichtigste Norm ist, stehen die Konzeptionen einer islamischen Wirtschaftsordnung vor der vermutlich unlösbaren Aufgabe, ein Wirtschaftssystem logisch und argumentativ zu entwickeln, in dem ökonomische und andere Gründe für das Zinsverbot plausibel miteinander verbunden sind.
Wie nun lässt sich das Zinsverbot erklären oder begründen? Es lässt sich ethisch begründen, das heißt, es werden Wertvorstellungen als Voraussetzungen gegeben, die auch in anderen Kulturen und auch in Konzeptionen einer Wirtschaftsordnung eine Rolle spielen:
Die Zinszahlungen bei Konsumentenkrediten wurden als eine Umverteilung der Geldmitteln verstanden, da meistens die Kreditnehmer die wirtschaftlich schlechter Gestellten waren (Armen ) und die Kreditgeber in der Regel die besser Gestellten (Reichen). Man nahm an, dass die Konsumentenkredite nur zu Konsumzwecken genommen wurden und dass daraus keinerlei Wohlstandssteigerung entstand und zu einer noch größeren Verarmung der ohnehin schon armen Bevölkerungsschichten kommen führen würde. Durch das Zinsverbot wurde diese Entwicklung gebremst, da Schulden nicht zur Vermehrung der Armut führten. Andererseits war der Verarmung durch die Zakatpflicht des Muslim auch aktiv entgegen zu wirken. Eine zunehmende Ungleichheit verstößt gegen die Verhaltensnormen Brüderlichkeit und gegen den islamischen Gemeinschaftsgedanken.
Die Zinszahlungen bei Investitionskrediten waren auch nicht erlaubt, da der Kreditnehmer (Unternehmer) aufgrund des Wettbewerbsdrucks nicht vorhersehen kann, ob die geplante Investition auch erfolgreich wird. Daher war es unvorstellbar einen vorher festgelegten Zins zu verlangen. Die Lösung war aus Fairness das „Profit- and-loss-sharing" also dass Kreditgeber und Kreditnehmer sich das Risiko von Gewinn und Verlust teilen.
Das Zinsverbot kann auch mit ökomischen Argumenten erklärt werden: Die Funktion des Geldes wurde von islamischen Volkswirten als Tauschmittel und Wertmesser verstanden.[23] Nach deren Auffassung sollte die Wertaufbewahrungsfunktion des Geldes das Wesen des Geldes als Tauschmittel nicht verändern, Werte sollten durch Geld vorübergehend aufbewahrt werden können, um später Tauschzwecken zu dienen. Die Geldsumme selbst sollte nicht durch den Zins mit der Zeit zunehmen.[24] Wenn die Aufbewahrung von Geldmitteln zum Horten diente, war das eine Verfehlung. Im Koran heißt es: „Aber wer da Gold und Silber aufspeichert und es nicht spendet in Allahs Weg, ihnen verheiße schmerzliche Strafe" (Sure 9:34). Für Geldmittel sollte man auch keine Zinsen als Verzichtsprämie für Liquidität erhalten. Geldmittel sollten verwendet werden, denn nur durch Investition in die Realwirtschaft und durch unternehmerische Tätigkeit sind sie produktiv. „Value is a market phenomenon and not an intrinsic property of money capital".[25] Der Anleger wird bei einer Investition seiner Spareinlage in eine Unternehmung auch gleichzeitig die ethische Norm „islamischer Gemeinschaftgedanke" erfüllen und nach „Profit-and-loss-sharing" Prinzip sich am unternehmerischen Risiko des Partners beteiligen.
2.3.2. Versuche der Verwirklichung einer Islamischen Wirtschaftsordnung
Es gab seit den 60iger Jahren einige Versuche, eine islamkonforme Wirtschaftsordnung einzuführen. Aber heute kann man sagen: „Eine islamische Wirtschaftsordnung ist in keinem modernen Staat der muslimischen Welt praktisch implementiert worden, vielleicht mit Ausnahme von Sudan und Iran."[26] Das liegt auch daran, dass das Gerüst, das die Scharia bietet, für die Ordnung einer modernen Wirtschaft nicht ausreicht. Bemerkenswert ist, dass selbst dort, wo als islamische Wirtschaftsordnung nicht als umfassende Regelung der Wirtschaft sondern vor allem als Einführung eines scharia-konformen Bankwesens versucht wurde, diese Versuche gescheitert sind. Besonders bekannt geworden ist das Beispiel Pakistan. Im Jahr 1980 fand dort eine Umstrukturierung der Wirtschaft und des Bankensektors entsprechend islamischen Richtlinien statt. Eine vollständige Islamisierung der Wirtschaft wurde im Jahr 2002 aufgegeben. Die pakistanische Landesbank versuchte Anfang 1981 das islamische Modell des Bankensystems, also „ Islamic Banking" komplett zu etablieren. Die Produktpalette bestand aus den Produkten Musharakah Finanzierung, Zertifikaten und Mudarabah. Trotz dieser angebotenen Produkte gelang es nicht, eine Alternative zum Zins durch Zahlung von Dividenden in großem Umfang einzuführen. Es gelang nicht, obwohl in Pakistan mit über 165 Millionen Einwohnern die Bewohner muslimischen Glaubens etwa 97 Prozent der Gesamtbevölkerung ausmachen.[27] Dennoch ist die Praxis des Islamic Banking in Südasien und in Südostasien gut vertreten. In Pakistan sind sechs private islamische Banken etabliert. Außerdem existieren in Bangladesch sechs islamische Banken neben den konventionellen Banken. In Malaysia wurden innovative Islamic Banking Produkte konstruiert und in Singapur gibt es einen großen Markt für den Sukuk-Verkauf. Auch außerhalb Asiens findet man islamische Banken, die ausschließlich scharia-konform handeln, etwa im Sudan oder in Saudi-Arabien. Fast jede islamische Bank hat einen Scharia Board, die als religiöser Aufsichtsrat tätig sind, um die religiösen Interessen der Anleger zu vertreten. Westliche Finanzinstitutionen wie ABN AMRO, Citibank (heutige Targobank) oder Goldman Sachs haben schariakonforme Filialen oder Produkte. Eine rein islamische Bank, die einen Schariaboard hat und ausschließlich schariakonforme Geschäfte treibt, könnte in Deutschland wohl nur in der Rechtsform eines Finanzdienstleisters als Vermittler tätig sein, eine Bankenlizenz wäre wohl nicht erhältlich. Es wäre auch nicht vorstellbar, dass sich in Deutschland eine Unternehmung als Bank bezeichnet, wenn man dort keine Zinsen für Einlagen erhalten kann. Das führt erneut zur Frage, ob es nur an der mangelnden Unterstützung durch Behörden liegt,[28] dass Islamic Banking nicht weiter verbreitet ist, oder ob es daran liegt, dass sich ein Zinsverbot, aus welchen Gründen auch immer, nirgends und niemals allgemein durchsetzen kann und konnte.
3. Islamische Wirtschaftsordnung aus der Sicht der ökonomischen Theorie
3.1. Marktwirtschaft und Nutzenmaximierung
Die Annahmen in der Neoklassischen Theorie eines rational handelnden „Homo Oeconomicus", der eigennützige Nutzenmaximierung als Leitlinie hat, bedeutet, dass jeder nach Steigerung des egoistischen Wohls strebt. Wenn jeder frei handelt und wenn es freie Märkte gibt, erhöht sich der Wohlstand von allen. So formulierte schon der schottische Begründer der modernen Ökonomie, Adam Smith, im Jahre 1776 die unsichtbare Hand des Marktes mit den berühmten Worten: „This is not from the benevolence of the butcher, the brewer, or the baker, that we expect our dinner, but from their regard to their own interest led by an invisible hand to promote an end which was not part of his intention.
[...]
[1] Imran S. 16
[2] Ghaussy S. 240
[3] vgl. etwa Imran S. 16
[4] Imran S. 17
[5] Ghaussy S. 240
[6] Schumann S. 178
[7] Ghaussy S. 240
[8] vgl. dazu und zum Folgenden: Romic S. 59 ff
[9] vgl. Schuhmann, S.151
[10] Romic S. 63 u 64
[11] Vgl. Mahlknecht M. , S. 19
[12] Aristoteles, Politik 1258b 1-8, zitiert nach Schuhmann S. 156
[13] Schumann S. 153
[14] vgl. Mahlknecht M., S. 275
[15] Ullmann S.46
[16] Imran S. 158
[17] Zur Diskussion über den Zusammenhang von Zinsverbot und Rückständigkeit orientalischer Regionen vgl. etwa El-Shagi, E.-S., Islamische Wirtschaftsordnung - ein Entwicklungshemmnis
[18] Ghaussy S. 246
[19] Also zum Beispiel Beteiligung an einem Schweinemastbetrieb oder Warentermingeschäfte, da sie als Glückspiel anzusehen sind
[20] Wie etwa bei Imran S.24
[21] Ghaussy S. 245
[22] vgl. Gassner S. 30
[23] vgl. Schumann S. 188
[24] Es ist ja tatsächlich recht geheimnisvoll, dass ein Wertmesser, also Geld, sich allein dadurch verändern kann, dass man diesen „Meterstab“ einem anderen ausleiht. Und es ist auch nicht ohne weiteres einsichtig, wenn man das Geld als Tauschmittel sieht, dass man dann durch das Verleihen des Tauschmittels den Wert des Tauschmittels erhöht.
[25] Siddiqi 1983, S.72
[26] Nienhaus S.81
[27] vgl. Khan M. /Bhatti Ishaq S.177
[28] Was etwa Khan für das Scheitern eines rein islamischen Bankensystems anführt