Darstellung, Vergleich und Kritik der zentralen Momente der Meadschen Identitätstheorie und des Projekts 'School of lost Borders'
"Wir sind, was wir sind, durch unser Verhältnis zu anderen"
Zusammenfassung
George Herbert Mead war ein äußerst engagierter und intelligenter Mann. Pragmatiker bezogen auf die Philosophie, Sozialpsychologe bezogen auf die Wissenschaft, wird er als „Kronzeuge für gegensätzliche Positionen im sozialwissenschaftlichen Diskurs herangezogen …“ (Baumgart 2008, S. 119). Tätig war Mead zuerst an der Universität Michigan, wo er mit John Dewey zusammentraf. Aus der Begegnung beider Wissenschaftler und Philosophen entwickelte sich eine tiefe Freundschaft, die Mead sogar soweit prägte, dass er, als Dewey nach Chicago berufen wurde, ihm folgte und dort bis zu seinem Tode 1931 lehrte und die Professor für Philosophie und Sozialpsychologie an der Universität innehatte.
Mead „legte seinen Standpunkt und die Ergebnisse seiner Forschungen nie in systematischer Form dar“ (Mead 1969, S. 9). Das Werk Geist, Identität und Gesellschaft: Aus der Sicht des Sozialbehaviorismus stellt sich der Aufgabe der Strukturierung durch Studentenmitschriften, unveröffentlichten Skripten Meads und anderen Aufzeichnungen. Es stellt in meiner Arbeit demnach die Hauptliteratur dar. Doch was verstand Mead nun unter Identität? Wie ist der Titel meiner Arbeit richtig zu interpretieren?
Diese Arbeit umfasst Meads Auffassung von der Identitätsbildung und deren Komponenten, also Sprache und Gesten, das „impulsive Ich“ und das „reflektierte Ich“, sowie Spiel, Wett-kampf und der (das) verallgemeinerte Andere. Da ich mich bereits in mehreren Referaten intensiv mit Mead auseinandergesetzt habe und er mich als Persönlichkeit stark fasziniert, wählte ich das Thema gezielt aus. Da mir eine bloße, sowieso nur auszugsweise mögliche, Darstellung seiner Identitätstheorie im Sinne des sehr abwechslungsreichen Seminars nicht genügt, wende ich seine zentralen Momente im dritten Teil der Arbeit auf den Film School of lost Borders an. Des Weiteren werden die Ziele, Aufgaben und bisherigen Erfolge des Projekts vorgestellt. Ferner werden eigene kritische Überlegungen bezüglich der Identitätstheorie von Mead und des Projekts School of lost Borders geäußert. Zum Schluss erfolgt eine Zusammenfassung.
Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Zentrale Momente der Identitätsfindung nach Mead
2.1 Gesten und Sprache
2.2 Spiel, Wettkampf und der (das) verallgemeinerte Andere
2.3 Entstehung des Selbst
3. School of lost Borders
3.1 Projekt
3.2. Film
3.2.1 Analyse zur Entstehung des Selbst
3.2.2 Analyse zum Selbstfindungsprozess in der Einsamkeit
4. Eigene kritische Überlegungen
4.1 Mead
4.2 Projekt School of lost Borders
5. Schluss
Literaturverzeichnis
1. Einleitung
Viele Identitätstheoretiker prägten die Pädagogik mit ihren Werken und persönlichen Einflüssen enorm. So sind zum Beispiel Erik Erikson, Jean Heiner Keupp und George Mead mit ihren jeweiligen Theorien und pädagogischen Grundgedanken herausragende Persönlichkeiten, die sich aber doch zumindest in einem grundlegenden Punkt alle ähneln: Dem unbändigen Interesse für das Individuum, dessen Sozialisation, und welchen Einfluss darauf die Gesellschaft, aber auch das Denken und der Geist des einzelnen Menschen haben.
George Herbert Mead war ein äußerst engagierter und intelligenter Mann. Pragmatiker bezogen auf die Philosophie, Sozialpsychologe bezogen auf die Wissenschaft, wird er als „Kronzeuge für gegensätzliche Positionen im sozialwissenschaftlichen Diskurs herangezogen …“ (Baumgart 2008, S. 119). Tätig war Mead zuerst an der Universität Michigan, wo er mit John Dewey zusammentraf. Aus der Begegnung beider Wissenschaftler und Philosophen entwickelte sich eine tiefe Freundschaft, die Mead sogar soweit prägte, dass er, als Dewey nach Chicago berufen wurde, ihm folgte und dort bis zu seinem Tode 1931 lehrte und die Professor für Philosophie und Sozialpsychologie an der Universität innehatte.
Mead „legte seinen Standpunkt und die Ergebnisse seiner Forschungen nie in systematischer Form dar“ (Mead 1969, S. 9). Das Werk Geist, Identität und Gesellschaft: Aus der Sicht des Sozialbehaviorismus stellt sich der Aufgabe der Strukturierung durch Studentenmitschriften, unveröffentlichten Skripten Meads und anderen Aufzeichnungen. Es stellt in meiner Arbeit demnach die Hauptliteratur dar. Doch was verstand Mead nun unter Identität? Wie ist der Titel meiner Arbeit richtig zu interpretieren?
Diese Arbeit umfasst Meads Auffassung von der Identitätsbildung und deren Komponenten,also Sprache und Gesten, das „impulsive Ich“ und das „reflektierte Ich“, sowie Spiel, Wett-kampf und der (das) verallgemeinerte Andere. Da ich mich bereits in mehreren Referaten in-tensiv mit Mead auseinandergesetzt habe und er mich als Persönlichkeit stark fasziniert, wähl-te ich das Thema gezielt aus. Da mir eine bloße, sowieso nur auszugsweise mögliche, Darstel-lung seiner Identitätstheorie im Sinne des sehr abwechslungsreichen Seminars nicht genügt,wende ich seine zentralen Momente im dritten Teil der Arbeit auf den Film School of lost Borders an. Des Weiteren werden die Ziele, Aufgaben und bisherigen Erfolge des Projektsvorgestellt. Ferner werden eigene kritische Überlegungen bezüglich der Identitätstheorie vonMead und des Projekts School of lost Borders geäußert. Zum Schluss erfolgt eine Zusammen-fassung.
2. Zentrale Momente der Identitätsfindung nach Mead
Meads gebündelte, aber nie systematisch aufgeschriebene Gedanken sind weit mehr als eine Identitätstheorie. Der Anspruch ist über den Sozialbehaviorismus hinweg nicht viel bescheidener als der der Hegelschen Logik, welche versucht „die soziale Welt als Ganzes im Rahmen einer Theorie zu explizieren“ (Jörissen 2000, S. 59). So steht für Mead in erster Linie im Vordergrund, inwieweit sich Identität in Abhängigkeit von dem Verhältnis zwischen Individuum und Gesellschaft, eingebettet in der Welt als Ganzes, entwickelt und welche Interaktionsformen dazu beitragen, eine Identität zu bilden.
Da eine umfassende und ausführliche Erläuterung dieser soziologischen Identitätstheorie nach Mead den Rahmen dieser Hausarbeit sprengen würde, beschränke ich mich auf die zentralen Momente der Identitätsfindung gemäß seiner Theorie. Demnach entsteht die Identität durch drei Formen: durch Sprache, Spiel und Wettkampf, der Übernahme von allgemeinen Positionen und dem Zusammenspiel aus Me und I.
2.1 Gesten und Sprache
Der Verweis auf die Hegelsche Logik macht schon deutlich, dass es sich bei Mead nicht nur um ein einfaches Reiz-Reaktion-Modell handelt, sondern er den Zwischenablauf zwischen Reiz und Reaktion näher zu analysieren versucht. Entwicklung und Form dieses Zwischenablaufs bezeichnet er als handlungssteuernd und koordiniert. Den Ausgangspunkt bildet hierbei die Kommunikation durch Gesten (vgl. Garz 2008, S. 43).
Hierzu beschreibt Mead eine Situation zwischen zwei kämpfenden Hunden, die sich wechselseitig beeinflussen und aufeinander reagieren. Dieses Beispiel verläuft jedoch noch ohne Sinnstrukturierung. Anders beim Sport, wie zum Beispiel beim Fechten oder Boxen. Dort gibt es ähnliche Interaktionen, die jedoch mit einer Aktionseinschätzung des Gegenübers und einer unbewussten Handlung einhergehen:
„Es handelt sich um eine Reihe von Haltungen und Bewegungen dieser Wesen, die zu denAnfängen von Handlungen gehören, welche die Reize für die ablaufenden Reaktionen sind.Der Anfang einer Reaktion wird zum Reiz für das erste Wesen, seine Haltung zu ändern,anders zu handeln. Der Begriff, ‚Geste‘ kann mit jenen Anfängen gesellschaftlicher Hand-lungen gleichgesetzt werden, die als Reize für die Reaktionen anderer Wesen dienen“(Mead 1969, S. 82f).
Funktion der Geste ist also, einfach ausgedrückt, Reaktionen hervorzurufen, die zu Verände-rungen im eigenen Handeln führen, bis letztendlich eine gesellschaftliche Handlung verwirk- 4 licht wird, so zum Beispiel in der Eltern-Kind-Beziehung. Das Kind schreit, die Eltern ant- worten und der Schrei des Kindes verändert sich. Die gegenseitigen Anpassungen und Interaktionen der Akteure führen zu einer gemeinsamen gesellschaftlichen Handlung, die als Sorge für das Kind wichtig und notwendig ist (vgl. ebd.).
Der Unterschied zwischen Sprache und Gesten ist nicht etwa lediglich der Gebrauch von ver-balen Komponenten, sondern, dass das Gesagte die gleiche Bedeutung für den Empfänger wieauch für den Sender hat. Sprache wird somit zu einem „signifikanten Symbol“ (ebd., S. 85).Dieser Gebrauch von Symbolen ist es, was den Mensch nach Mead vom Tier unterscheidet(vgl. Jörissen 2000, S. 60) und den Ausgangspunkt für den menschlichen Geist darstellt (vgl.Garz 2008, S. 44). „Nur durch Gesten qua signifikante Symbole wird Geist oder Intelligenzmöglich“ (Mead 1969, S. 86). Auch das „nach innen verlegte oder implizite Gespräch“ (ebd.)ist ein Indikator für Geist und Menschsein, denn wir sagen nicht, dass Tiere denken. Sie besit-zen nicht die Fähigkeit der Empathie.
Eine weitere Besonderheit der Sprache ist, dass wir, wenn wir über einen bestimmtem Sach-verhalt sprechen, nicht nur bei anderen eine bestimmte Reaktion auslösen, sondern auch beiuns selbst: „Wenn man also zu einer anderen Person über einen Hund spricht, löst man in sichdie gleiche Reaktionsreihe aus wie im anderen Menschen“ (Mead, S. 1969, S. 111).Nur dieses wechselseitige Erleben und die empathische Fähigkeit abzuschätzen, inwieweitmeine Handlungen Auswirkungen auf die des Gegenübers hat, lassen die Entwicklung einesGeistes und somit Identität zu: „… die gemeinsame Reaktion der eigenen Identität und deranderen Person, die wiederum zum Reiz für die eigene Identität wird“ (ebd., S. 113).
2.2 Spiel, Wettkampf und der (das) verallgemeinerte Andere
Neben der Sprache gelten das Spiel und der Wettkampf als gesellschaftliche Voraussetzun-gen, um Identität zu bilden. Mead beschreibt den Akt und die Entwicklung des Spiels wiefolgt:
Kinder spielen im Kindergarten mit unsichtbaren Spielgefährten, die sie in ihrer Fantasie kre-ieren. „… vage Personen in ihrer Umwelt, die sie beeinflussen und von denen sie abhängigsind“ (Mead 1969, S. 195). Dabei übernehmen sie die unterschiedlichsten Rollen und lernendie bereits angesprochene Empathiefähigkeit, sowie Rollenübernahme und Konformität. Abereben nur im Rahmen einzelner Personen, den signifikanten Anderen und haben somit noch„keinen definitiven Charakter, keine definitive Persönlichkeit“ (ebd., S. 201). Das macht nachMead den „Charme als auch die Mängel der Kindheit aus“ (ebd.), denn man kann nie sicher sein, dass alles wie vorhergesehen geschieht. Kinder sind unberechenbar, und vorangegange- ne Aktionen bestimmen nicht die nachfolgenden (vgl. ebd.).
Beim Wettkampf allerdings muss „das Kind die Haltung aller anderen Beteiligten in sich ha-ben …“ (ebd., S.196). Die gemeinte Haltung ist die Gemeinschaft als Ganzes. Diese ist wie-derum davon abhängig, in welcher Zeit, Kultur und Abhängigkeit das Individuum auf- undheranwächst. Als Einzelnes regelt es sein eigenes Verhalten gemäß den Umständen und derGruppe, der es angehört, und inkorporiert somit sämtliche gesellschaftliche Erwartungen.Diese organisierte Gesellschaft, „die dem Einzelnen seine einheitliche Identität gibt, kann ‚der(das) verallgemeinerte Andere‘ genannt werden“ (ebd.). Als Beispiel hierfür führt Mead dasBaseballspiel an.
Durch Abschätzung der Handlungen des Mitspielers werden eigene Handlungen überdacht und gegebenenfalls geändert. Ein Baseballspieler ist nicht nur ein Baseballspieler, sondern gleichzeitig auch jedes andere Mitglied der Mannschaft, die ihn dazu bringen, seine eigenen Tätigkeiten im Spiel zu ändern, und somit seine eigenen subjektiven Haltungen bedingen. Durch diesen Zustand bündelt ein einzelner Spieler die Haltungen aller Personen, die an dem Prozess (hier dem Baseballspiel) beteiligt sind (vgl. ebd.).
Doch alleine die Übernahme des Denkens und Handelns der verallgemeinerten Anderen reichtnicht aus. Es bedarf nämlich auch eines selbstaktiven Teils des Individuums. Es muss bei ge-sellschaftlichen Projekten, die es zum derzeitigen Zeitpunkt gibt, mitwirken und versuchen,die Ziele der Gesellschaft zu verwirklichen. Denn Erfahrungen, die die Sozialstruktur zu demgemacht hat, was sie ist, bergen einen enormen Wissensfortschritt für jeden Einzelnen. „…nur insoweit er die Haltungen der über der organisierten, auf Zusammenarbeit beruhendengesellschaftlichen Tätigkeit, mit der sich diese Gruppe befasst, annimmt, kann er eine voll-ständige Identität entwickeln und die, die er entwickelt hat, besitzen“ (ebd., S. 197).
Inwieweit diese gesellschaftlichen Umstände in dem Individuum Platz einnehmen und es in seiner Handlungsfreiheit einschränken, wird im nächsten Abschnitt beschrieben.
2.3 Entstehung des Selbst
Bei Mead spielt die wechselseitige Beeinflussung von Me und I eine zentrale Rolle bei derEntstehung von Identität. Ich verwende im folgenden Verlauf meiner Arbeit die Begriffe, „diephilosophisch gesprochen für die Kategorien Freiheit bzw. Determination stehen“ (Garz 2008, S. 47) gemäß der deutschen Übersetzung von Meads Geist, Identität und Gesellschaft: Aus der Sicht des Sozialbehaviorismus: Ich und ICH.
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