Unter welchen Voraussetzungen können Belastungsfaktoren am Arbeitsplatz zur Ausbildung einer psychischen Erkrankung führen?
Zusammenfassung
Ziel der Arbeit ist es zu zeigen, in welcher Form und unter welchen Voraussetzungen Belastungsfaktoren im Beruf die Entstehung psychischer Erkrankungen beeinflussen können. Im Fokus der Ausarbeitung stehen daher zum einen häufige berufliche Belastungsfaktoren sowie die entsprechenden Voraussetzungen, die die Ausbildung psychischer Erkrankungen begünstigen und aufgrund dessen die berufliche Leistungsfähigkeit der Betroffenen dergestalt eingeschränkt wird, dass eine weitere Beschäftigung auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt nicht mehr oder zumindest vorübergehend nicht mehr in Frage kommt und ein vorzeitiges bzw. vorübergehendes Ausscheiden aus dem Erwerbsleben die Folge ist.
Im Rahmen dieser Arbeit soll deutlich werden, in welcher Form berufliche Belastungsfaktoren ursächlich sein können für die Ausbildung einer psychischen Erkrankung, die als Folge einen vorübergehenden Ausschluss aus dem Erwerbsleben bedeuten kann. Gleichzeitig sollen die für das Entstehen der Erkrankungen verantwortlichen Ursachen dargelegt werden. Die Ergebnisse des in dieser Ausarbeitung behandelten Untersuchungsgegenstandes werden abschließend in einem Fazit aufgegriffen und zusammengefasst.
Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
1.) Einleitung
2.) Arbeitsmarkt im Wandel
2.1.) Strukturelle Änderungen
2.2.) Individuelle Bedeutung
3.) Das Stressgeschehen
3.1.) Der Stressbegriff
3.2.) Stressreaktionen
3.3.) Gesundheitliche Folgen von Stress
4.) Berufliche Belastungsfaktoren
4.1.) Physische Belastungen
4.2.) Arbeitsorganisation
4.3.) Berufliche Gratifikation
4.4.) Soziale Faktoren
5.) Entwicklungsfördernde Kriterien in Bezug auf die Entstehung psychischer Erkrankungen
5.1.) Subjektive Bewertungsmaßstäbe
5.2.) Genetische Disposition
6.) Fazit
7.) Literaturverzeichnis
1.) Einleitung
Die vorliegende Arbeit befasst sich mit Belastungssituationen von Erwerbstätigen im be- ruflichen Alltag. Diese werden hinsichtlich ihrer Auswirkungen auf die psychische Gesund- heit und auf die daraus resultierenden Folgen für die berufliche Leistungsfähigkeit der Be- troffenen untersucht werden. Ziel der Arbeit ist es zu zeigen, in welcher Form und unter welchen Voraussetzungen Belastungsfaktoren im Beruf die Entstehung psychischer Er- krankungen beeinflussen können. Die Themenwahl begründet sich auf einem persönlich- beruflichen Interesse des Autors, der in einer Werkstatt für behinderte Menschen (WfbM) tätig ist und dort psychische erkrankte Menschen betreut. Diese waren zum Teil jahr(zehnt)elang in Beschäftigungsverhältnissen des ersten Arbeitsmarktes tätig gewesen, sind dann u. a. aufgrund beruflicher Überlastung aus dem Erwerbsleben ausgeschieden und werden derzeit im Rahmen einer beruflichen Rehabilitationsmaßnahme in der WfbM betreut. Im Fokus der Ausarbeitung stehen daher zum einen häufige berufliche Belas- tungsfaktoren sowie die entsprechenden Voraussetzungen, die die Ausbildung psychi- scher Erkrankungen begünstigen und aufgrund dessen die berufliche Leistungsfähigkeit der Betroffenen dergestalt eingeschränkt wird, dass eine weitere Beschäftigung auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt nicht mehr oder zumindest vorübergehend nicht mehr in Frage kommt und ein vorzeitiges bzw. vorübergehendes Ausscheiden aus dem Erwerbsleben die Folge ist.
Dazu soll zunächst der Arbeitsmarkt in seinem strukturellen Wandel untersucht werden, um spezifische Besonderheiten herauszuarbeiten, die mitverantwortlich sind für die sich verändernden Anforderungen der Arbeitswelt und die als Begleiterscheinung dieses Wandlungsprozesses berufliche Belastungen hervorrufen können. Im weiteren Verlauf der Analyse sollen einige besonders relevante Belastungsfaktoren am Arbeitsplatz näher er- läutert und ihre negativen Folgen für den individuellen Gesundheitszustand beschrieben werden. Einige Kriterien, die die Entwicklung einer psychischen Erkrankung begünstigen werden nach der Auseinandersetzung mit den Folgen näher untersucht.
Im Rahmen dieser Arbeit soll deutlich werden, in welcher Form berufliche Belastungsfak- toren ursächlich sein können für die Ausbildung einer psychischen Erkrankung, die als Folge einen vorübergehenden Ausschluss aus dem Erwerbsleben bedeuten kann. Gleich- zeitig sollen die für das Entstehen der Erkrankungen verantwortlichen Ursachen dargelegt werden. Die Ergebnisse des in dieser Ausarbeitung behandelten Untersuchungsgegen- standes werden abschließend in einem Fazit aufgegriffen und zusammengefasst. Im Be- sonderen soll hier nochmals auf die Voraussetzungen eingegangen werden, die aufgrund von beruflicher Belastung zum Ausbrechen einer psychischen Erkrankung führen. Ent- sprechend den Ergebnissen und Bezug nehmend auf die Ausgangsfrage wird am Ende dieser Ausarbeitung eine Hypothese formuliert werden.
2.) Der Arbeitsmarkt im Wandel
Psychische Erkrankungen werden von unterschiedlichen Faktoren hervorgerufen und in ihrer Entstehung beeinflusst. Einen wesentlichen Anteil daran haben die unterschiedlichen Belastungen am Arbeitsplatz. Im DAK-Gesundheitsreport des Jahres 2002 wird diese Tat- sache aufgegriffen und eine Zunahme von Arbeitsunfähigkeit aufgrund seelischer Erkran- kungen postuliert.1 Drei Jahre später, im Jahre 2005, hat sich diese Entwicklung sogar noch erheblich verstärkt. Wieder im DAK-Gesundheitsbericht wird hier eine deutliche Zu- nahme von psychischen Erkrankungen verzeichnet und ein möglicher Zusammenhang mit den strukturellen Entwicklungen des Arbeitsmarktes vermutet.2 Das folgende Kapitel wird sich diesen Entwicklungsprozessen des Arbeitsmarktes aus verschiedenen Blickwinkeln annähern. Zunächst sollen grundlegende strukturelle Veränderungen beschrieben wer- den, die die Dynamik des Arbeitsmarktes in seiner Gesamtheit maßgeblich mitbestimmen. Zudem werden die davon abhängigen, veränderten beruflichen Anforderungen, hervorge- rufen durch eben jene strukturellen Wandlungsprozesse, beschrieben. Daneben soll die subjektive Bedeutung dieser Arbeitsmarktentwicklung für die Erwerbstätigen herausge- stellt werden.
2.1.) Strukturelle Veränderungen des Arbeitsmarktes
Der Arbeitsmarkt in Deutschland und anderen modernen Industrienationen hat sich seit dem Ende der 1980er Jahre in seinem strukturellen Aufbau stark verändert.3 Die Gründe hierfür sind vielschichtig. Zum einen wurden diese Änderungen von jenen Entwicklungen beeinflusst, die den wirtschaftlichen und politischen Zusammenbruch der Ostblockstaaten herbeigeführt und dadurch eine komplette Umgestaltung dieser ehemals planwirtschaftlich organisierten Wirtschafts- und Marktsysteme hervorgerufen haben. Dadurch erfolgte eine Öffnung wichtiger, für viele kapitalistische Industriestaaten bis dahin schwer zugänglicher Märkte. Im Rahmen der Erweiterung globaler Handelsbeziehungen führte dies zu großflächigeren Vernetzungen zwischen den einzelnen Ländern sowie deren Märkten, was den Globalisierungstendenzen enormen Vorschub geleistet hat.
Als Hauptursache für die strukturellen Änderungen des Arbeitsmarktes hingegen sind die technischen Innovationen im Bereich der Computertechnologie innerhalb der letzten 30 Jahre anzuführen.4 Die Entwicklung immer leistungsfähigerer und gleichzeitig immer kos- tengünstigerer Telekommunikationsmittel und Computersysteme hat vor allem in den 1990er Jahren die Kommunikationsmöglichkeiten innerhalb von Firmen erheblich erwei- tert und vereinfacht. Die durch das Internet öffentlich verfügbaren Datenmengen sowie die erweiterten und beschleunigten Wege der Informationsübertragung zwischen Geschäfts- partnern und deren Unternehmen wurden durch die technischen Neuerungen in ihrer Form wesentlich beeinflusst und verändert. Davon haben vor allem global tätige Bran- chenbereiche profitieren können. Aber auch für die auf nationaler Ebene agierenden Fir- men sind diese technologischen Entwicklungen von hohem Nutzen und haben dadurch die strukturelle Ausgestaltung des Arbeitsmarktes entscheidend verändert, denn durch die effizienteren Kommunikationsstrukturen wird das Spektrum der Kooperations- und Hand- lungsmöglichkeiten extrem erweitert und die Firmenpräsenz am Markt aufgrund der welt- weiten Vernetzung durch das Internet deutlich erhöht.5 Nach der Einführung genannter technischer Neuerungen war jedoch auch eine Umgestaltung der betrieblichen Organisati- on notwendig. Aufgabenbereiche sind weggefallen bzw. neu entstanden und mussten ent- sprechend neu generiert und besetzt werden. Demnach stellt der Einsatz moderner Infor- mations- und Kommunikationstechnologien eine wesentliche Ursache für die betriebsin- ternen Reorganisationsprozesse dar, welche sich letztlich ebenfalls auf die Struktur des Arbeitsmarktes auswirken.6 Das erweiterte Handlungspotential wirkt sich jedoch nicht nur begünstigend auf den Handlungsspielraum der einzelnen Firmen aus. Die globale Vernet- zung und die daraus resultierenden gesteigerten Kommunikationsmöglichkeiten beteiligen eine immer größere Zahl an Firmen und Anbietern am nationalen und globalen Marktge- schehen und führt dadurch zu einem schärferen Konkurrenzkampf zwischen diesen um entsprechende Kundschaft. Dieser Konkurrenzkampf wird durch verschiedene Marktregu- larien bestimmt, so z. B. durch die Ausgestaltung kundenfreundlicherer Endverbraucher- preise bzw. durch effizientere Produktionsverfahren. Dadurch können sich in erster Linie diejenigen Unternehmen am ehesten durchsetzen und am Markt halten, die ihre Produkti- onskosten auf ein Minimum absenken bzw. ihre Herstellungsverfahren am effizientesten gestalten. Auch hier werden wiederum technische Neuerungen eingesetzt, die die menschliche Arbeitskraft im Bereich sich wiederholender Arbeitsabläufe, z. B. auf Fertigungsstraßen der Automobilindustrie, ersetzten. Die dadurch freigewordenen Kapazitäten können somit auf andere Bereiche umgelegt oder aber komplett abgebaut und eingespart werden, wodurch den jeweiligen Firmen enorme Kostenvorteile entstehen.7
Ein weiterer Grund für die verschärften Rahmenbedingungen sind die rasant ansteigen- den Technologiesprünge mit immer kürzeren Produktzyklen sowie immer individuelleren Kundenwünschen, welche die verschiedenen Firmen am Markt einem nicht zu unterschät- zenden Innovationsdruck aussetzen.8 Dies wiederum fördert eine Verschärfung der be- reits erwähnten Konkurrenzprozesse. Für sämtliche, mit am Markt operierenden Unter- nehmen einer Branche erhöht dies den wirtschaftlichen Druck und erzwingt eine ständige Anpassung an das Marktgeschehen, um langfristig wettbewerbsfähig bleiben zu können. Wirtschaftliches Gewinnstreben und die Konkurrenzfähigkeit am Markt haben dabei für die verschiedenen Unternehmen oberste Priorität. Der Preis, der dafür zu zahlen ist, ist je- doch hoch und äußert sich in einer zunehmenden psychischen Belastung der Mitarbeiter mit all den daraus resultierenden Negativfolgen für die körperliche und seelische Gesund- heit sowie für die berufliche Leistungsfähigkeit.9
Können die Kosten durch den Einsatz produktionssteigernder Technologien nicht oder nicht in ausreichendem Maß gesenkt werden, kommt mitunter alternativ zu genannten Vorgehensweisen eine Verlagerung der Produktionsmittel ins Ausland in Frage. Umstruk- turierungen sowie die Auslagerung von Arbeitsplätzen, sogenanntes Outsourcing, welche im Zuge der Globalisierung und der Internationalisierung des Wettbewerbs immer häufiger stattfinden, verstärken in Unternehmen den Druck auf die Angestellten und somit die Pro- blematik psychischer Belastungen der Beschäftigten.10 Entsprechende Maßnahmen sind jedoch immer mehr eine Voraussetzung für die Etablierung am Markt und die Durchset- zung gegenüber der Konkurrenz. Die Unternehmen sind also in höherem Maße gefordert, sich dem aktuellen Marktgeschehen anzupassen und flexibel auf Änderungen zu reagie- ren. Dies kann jedoch nur gelingen, wenn innerhalb der Firmenpolitik entsprechend früh- zeitig auf Entwicklungen am Markt reagiert wird und die eigenen Planungsprozesse stän- dig optimiert werden.11 Diesen Anforderungen des Marktes muss jedoch ebenfalls seitens der Erwerbstätigen mit einer größeren Mobilität und Flexibilität begegnet werden, um ent- sprechend auf die dynamischen Entwicklungsprozesse der Wirtschaft und damit auch des Arbeitsmarktes reagieren und um sich gegenüber konkurrierenden Anbietern von Arbeits- kraft behaupten bzw. durchsetzen zu können.12 Diese Flexibilitätsanforderungen beziehen sich vor allem auf Maßnahmen der beruflichen Weiterbildung, aber auch auf Betriebs- und Arbeitsplatzwechsel bis hin zu einer vollkommen neuen beruflichen Orientierung.13
2.2.) Individuelle Bedeutung der Arbeitsmarktentwicklung
Die im vorangegangenen Kapitel dargestellten Entwicklungsprozesse des Arbeitsmarktes haben signifikante Auswirkungen auf die individuelle Wahrnehmung im Rahmen der eige- nen beruflichen Rolle. Der Grund dafür liegt im besonderen Wesen von Erwerbsarbeit in- nerhalb moderner Industriegesellschaften. Von besonderer Bedeutung ist diese hinsicht- lich der individuellen Persönlichkeitsentwicklung. Erwerbsarbeit ist demzufolge nicht bloß Mittel zum Zweck bzw. auf den Aspekt der Sicherung des Lebensunterhalts zu reduzieren. Vielmehr werden u.a. gesellschaftliche Zugehörigkeit sowie sozialer Status über Arbeits- verhältnisse definiert. Zudem wird durch Erwerbsarbeit das menschliche Leben im sozio- logischen Kontext in verschiedene Phasen und somit in einen vorhersehbaren Ablauf, in eine Erwerbsbiografie untergliedert.14 Aufgrund der Flexibilisierungstendenzen und den dadurch notwendigen erhöhten Anforderungsprofilen an die Gruppe der Erwerbstätigen besteht eine solche gleichmäßige Arbeitsmarktstruktur jedoch kaum noch. Vielmehr ist diese einem beschleunigten Wandlungsprozess unterworfen. Dabei ist die Geschwindig- keit, mit der sich diese Struktur verändert hat bzw. noch immer verändert, historisch ein- malig.15 Die überwiegende Zeit in der Menschheitsgeschichte, ca. 3,5 Millionen Jahre lang, haben Menschen in Stammesverbänden als Jäger und Sammler gelebt. Nach dem Sesshaft-werden stellte ein bäuerliches bzw. handwerklich geprägtes Arbeitsleben über Jahrhunderte hinweg das Hauptbetätigungsfeld der Menschen dar. Dies änderte sich erst mit der industriellen Revolution im 18. und 19. Jh. Hier entstand eine neue Form der Ar- beit, die Lohn- bzw. Erwerbsarbeit, bei der die individuelle Ware Arbeitskraft im Mittelpunkt stand und gegen Entlohnung auf einem Markt, dem Arbeitsmarkt, angeboten werden musste. Diese Entwicklung liegt erst 200 Jahre zurück, hat jedoch den Arbeitsmarkt ent- scheidend verändert.16 Gleichwohl haben sich die gravierendsten Wandlungsprozesse erst in den letzten 30 Jahren vollzogen. Der Dienstleistungsbereich mit den informationsverarbeitenden Tätigkeitsprofilen gewinnt seither immer mehr an Bedeutung. Dies bewirkt eine deutliche Veränderung der Anforderungs- und Belastungsfaktoren am Arbeitsplatz17. Bestimmte Gruppen sind davon in besonderem Maße betroffen; darauf wird im nachfolgenden Kapitel Bezug genommen.
Die klassischen physischen Belastungsfaktoren, die aufgrund ungünstiger Umgebungs- einflüsse am Arbeitsplatz sowie aufgrund harter körperlicher Arbeit in früheren Epochen gehäufter auftraten, sind, zumindest in Europa, rückläufig. Weiche Belastungsfaktoren, welche zusammenhängen mit der Arbeitsorganisation, der Arbeitsaufgabe, Zeit- und Ter- mindruck sowie negativen sozialen Einflüssen am Arbeitsplatz haben sich jedoch verstärkt ausgebildet.18 Diese veränderten Anforderungen wirken sich im Rahmen verschiedener Lebenszusammenhänge aus. Insbesondere in Bezug auf die bereits angesprochene Un- beständigkeit der Erwerbsbiografie wird dies deutlich. Hier wurde die klassische, eher starre Aufteilung der einzelnen Phasen innerhalb der Erwerbsbiografie (Ausbildung, Ar- beitsleben, Rente) zwangsläufig durch einen flexibleren Phasenwechsel abgelöst, welcher durchaus auch von Diskontinuitäten und Unterbrechungen der Erwerbstätigkeit gekenn- zeichnet sein kann. Daher entsprechen die wenigsten Arbeitsbiografien heute noch einer klassischen Einteilung. War es noch bis weit ins 20 Jh. nicht ungewöhnlich, das gesamte Erwerbsleben in der selben Branche, mitunter sogar im selben Unternehmen tätig zu sein, wird den Erwerbstätigen heute wesentlich mehr Flexibilität abverlangt. Ein möglicherweise mehrfacher beruflicher Wechsel innerhalb der eigenen Erwerbsbiografie wird, im Gegen- satz zu früher, als dies ein eher negativ behafteter Punkt im Berufsleben war, vielmehr als ein Zeichen beruflichen Erfolgs gewertet.19 Diskontinuitäten innerhalb der Erwerbsbiogra- fie treten heutzutage entsprechend häufiger auf. Hier zeigt sich jedoch eine für das Indivi- duum wesentliche Problematik der heutigen Arbeitswelt: die Unsicherheit des Arbeitsplat- zes. Für viele Erwerbstätige bedeutet dies, dass sie sich, um den ständig steigenden Anforderungen gerecht zu werden und um flexibel auf arbeitsmarktabhängige Entwicklun- gen reagieren zu können, beständig reorganisieren, beständig weiter bilden müssen. Be- sonders offensichtlich wird dies an den bereits dargestellten produktbezogenen Innovati- onszyklen und dem daraus resultierenden Sachverhalt, dass sich der Wissensstand gerade in Bezug auf technische Neuentwicklungen ständig erweitert, wodurch die Halb- wertzeit des beruflichen Fachwissens für viele Berufe, gerade im technischen Bereich, bei nur noch wenigen Jahren liegt.20 Die Entstehung neuer und das Aussterben alter Berufs- bilder ist daher besonders in dieser Branche keine Seltenheit. Nicht immer ist dadurch zwar eine komplette berufliche Neuorientierung der Betroffenen notwendig. Aufbauend auf bereits vorhandenes Fachwissen können Zusatzqualifikationen für ein weiterbestehendes Arbeitsverhältnis ausreichend sein. Für einige Berufe, wie z. B. Schriftsetzer, die es bis in die Mitte der 1990er Jahre gab oder aber einige Berufsgruppen der ehemaligen DDR aus dem Bereich der Landwirtschaft, die durch technische Neuentwicklungen bzw. politische Veränderungen plötzlich nicht mehr benötigt wurden, bestanden entsprechende Möglich- keiten jedoch nur sehr eingeschränkt. Hier war dann, um weiterhin den Anforderungen des Marktes zu entsprechen, oftmals eine berufliche Neuorientierung notwendig. Z. T. be- standen diese Möglichkeiten, gerade für Betroffene älterer Kohorten jedoch nicht, was Ur- sache war für lange Phasen der Erwerbslosigkeit. In diesem Sinne stellen berufliche Un- beständigkeiten oftmals eine individuelle Belastungserfahrung dar, denn diese Tendenzen werden dem Individuum durch die strukturelle Beschaffenheit des Arbeitsmarktes, die ver- schiedenen beruflichen Anforderungen im Rahmen von ständig zu erweiterndem Wissen und durch eine entsprechend geforderten Flexibilität hinsichtlich der Arbeitsplatzwahl ge- radezu aufgezwungen.21
[...]
1 Vgl. Unger/ Kleinschmidt 2006, S.13
2 ebd.
3 Vgl. Jansen 2002, S.7
4 Vgl. Bellmann 2002, S.59
5 Vgl. Jansen 2002, S.8
6 Vgl. Bellmann 2002, S.3ff
7 Vgl. Jansen 2002, S.8
8 Vgl. Kabel 2007, S.2
9 Vgl. Rudow 2004, S.4
10 Vgl. Oppolzer 2009, S.10, http://www.infoline-gesundheitsfoerderung.de,
11 Vgl. Kabel 2007, S.3
12 Vgl. Jansen 2002, S.8
13 Vgl. Jansen 2002, S.12
14 Vgl. Nerdinger 2008, S.514
15 Vgl. Rudow 2004, S.6
16 Vgl. Rudow 2004, S.4
17 ebd.
18 Vgl. Oppolzer 2009, S.7, http://www.infoline-gesundheitsfoerderung.de,
19 Vgl. Pfennighaus 2000, S.61
20 Vgl. Rudow 2004, S.7
21 ebd.