Essay über Rilkes erste Duineser Elegie
Über die dichterische Darstellung des Unaussprechlichen
Zusammenfassung
Leseprobe
Essay über Rilkes erste Duineser Elegie und die dichterische Darstellung des Unaussprechlichen
Rilkes erste Duineser Elegie entwirft die Grundthematik für den gesamten Zyklus, der aus zehn Gedichten besteht.
Sie erfüllt die Erwartungen, die der Begriff ‚elegisch’ erweckt: Vom ersten aussichtslosen und deshalb nur theoretisch bemühten Aufschrei („Wer, wenn ich schriee, hörte mich denn aus der Engel / Ordnungen...“) an entwickelt sich eine Klage über das Menschsein auf Erden.
Rilkes Lyrisches Ich erfährt sich in der ersten Duineser Elegie als fremd, allein, einzeln und begrenzt. Getrennt von einer heiligen Welt ersehnt es Einheit mit dem Numinosen, das so groß, erhaben und unfassbar ist, dass es nur in Abgrenzung zum bekannten Menschlichen formuliert werden kann:
„[...] und gesetzt selbst, es nähme mich einer ans Herz: ich verginge von seinem stärkeren Dasein. Denn das Schöne ist nichts als des Schrecklichen Anfang, den wir noch grade ertragen, und wir bewundern es so, weil es gelassen verschmäht, uns zu zerstören. Ein jeder Engel ist schrecklich.“
Eine direkte Erfahrung der den Menschen transzendierenden Welt ist naturgemäß nicht möglich; ein Abglanz dieser Erfahrungen scheint das Höchste zu sein, was die Menschen erhoffen können.
Die Ausdehnung vom ‚ich’ auf das ‚wir’ schließt alle anderen Menschen mit in die Klage ein. Das Leiden am Dasein ist nun nicht mehr individuell, sondern wird zum allgemein menschlichen Prinzip erhoben. (Dieses Hinausgehen über sich selbst ist äußerst problematisch: Während manche Leser sofort begründeten Anlass sehen, sich ganz in dieses ‚wir’ zu integrieren, mögen es andere im Gegenteil dazu benutzen, das ganze Gedicht in Frage zu stellen - wirkt es doch überaus besserwisserisch, anmaßend und arrogant.)
Die Verbindung zwischen den Individuen beruht auf dem Dasein in der „gedeuteten Welt“, das anderen Wesenheiten (wie z.B. die „Engel“ und „Tiere“) nicht zugänglich ist. Die scheinbare Notwendigkeit des Menschen, sich seine Welt durch Interpretation zu eigen zu machen, verdeutlicht die Spaltung, die zwischen Mensch und Welt besteht:
Kein Mensch ist bei Rilke in der Welt beheimatet, und jegliches Bemühen, diese Spannung aufzulösen, wird als Illusion entlarvt: „Ist sie [die Nacht] den Liebenden leichter? / Ach, sie verdecken sich nur miteinander ihr Los.“
Erst an späterer Stelle zeigt sich, dass das Deuten für den Menschen tatsächlich der falsche Weg sei: „Aber Lebendige machen / alle den Fehler, dass sie zu stark unterscheiden.“.
Doch auch mit dieser Erkenntnis bleibt die Frage nach der ‚rechten’, d.h. dem Menschen innewohnenden Existenz bestehen. Eine Heimat klingt noch nicht an, denn alles ist im Fließen begriffen: Rilke umreißt eine Vielzahl von Möglichkeiten, nur um auch gleichzeitig deren Grenzen aufzuzeigen. Keine Haltung, kein Entschluss, keine Tat können dem Menschen Sicherheit, Beständigkeit und Klarheit im Dasein bringen. Folgerichtig erscheint daraufhin die Konklusion, dass das Schweben selbst der Ort sei, der dem Menschen zur Heimat werden kann:
„Sollen nicht endlich uns diese ältesten Schmerzen fruchtbarer werden? Ist es nicht Zeit, daß wir liebend uns vom Geliebten befrein und es bebend bestehn: wie der Pfeil die Sehne besteht, um gesammelt im Absprung mehr zu sein als er selbst. Denn Bleiben ist nirgends.“
Im Anschluss an diese grundlegende Erkenntnis, die Rilke aber ganz still und einfach in vier schlichten Worten ‚fest stellt’, folgt die eindringliche Aufforderung, den fremden Gesetzen der transzendenten Welt zu folgen:
„Stimmen, Stimmen. Höre, mein Herz, wie sonst nur Heilige hörten: daß sie der riesige Ruf aufhob vom Boden; sie aber knieten, Unmögliche, weiter und achtetens nicht: So waren sie hörend. Nicht, daß du Gottes ertrügest die Stimme, bei weitem. Aber das Wehende höre, die ununterbrochene Nachricht, die aus Stille sich bildet.“
Nur indem sich der Mensch innig dem Unaussprechlichen anheim gibt, kann er bei Rilke eine Ahnung des Immer Seienden erfahren.
Der unmittelbare menschliche Zugang zur jenseitigen Welt ist der Tod. Unumgänglich steht er jedem Menschen bevor. Obgleich sich Diesseits und Jenseits bei Rilke zu durchdringen scheinen, bedarf der Zugang zur metayphysischen Welt eines Tores, das in diesem Falle durch den Tod gegeben ist: Die Nachricht, die das innig lauschende Lyrische Ich in Rilkes Gedicht nun empfängt, stammt von den Toten.
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