Theoretische Fundierung in der Praxis verbreiteter Begriffe von Führungskompetenz
Zusammenfassung
Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Problem der unterschiedlichen Begrifflichkeiten
2.1. Kompetenz
2.2. Führung
2.3. Führungserfolg
3. Untersuchung von Kompetenzmodellen
3.1. Auswahl der Unternehmen
3.2. Modell-Matching
3.3. Untersuchungsergebnis
4. Wissenschaftliche Fundierung der „Top-5“ Kompetenzen
4.1. Ergebnisorientiertes Handeln
4.2. Mitarbeiterentwicklung
4.3. Kommunikationsstärke
4.4. Kundenorientierung
4.5. Integrität
5. Zusammenfassung
Literaturverzeichnis
Anhang
Erklärung
1. Einleitung
Wir leben und arbeiten in einer komplexen und dynamischen Wirtschaftswelt, die hohe Anforderungen an Unternehmen und Mitarbeiter stellt, um die, sich ändernden Heraus- forderungen erfolgreich bewältigen zu können (Hess, 2010). Um dies sicherzustellen, wird spätestens seit dem Erscheinen des Artikels „Testing for Competence Rather Than for Intelligence“ von David C. McClelland (1973) das Thema „Kompetenzen“, im Sinne von Anforderungen, in der Arbeitswelt weitverbreitet diskutiert (Sarges, 2006). Der Kompetenzbegriff wird an späterer Stelle noch näher beleuchtet. Der Leser möge die unsauber definierte Begriffsverwendung verzeihen, der Begriff wird einleitend so, wie er im alltäglichen, nicht akademischen Wirtschaftsbetrieb begegnet, verwendet. Besonders im Zusammenhang von Führung und Management scheint jeder Beitrag, laut Fredmund Malik (2006b, S.33), automatisch in die Frage nach der idealen Führungskraft und ihren Kompetenzen münden. Insbesondere das Scheitern und Ausbrennen vieler Führungs- kräfte in Folge der Wirtschaftskrise 2008/2009 lässt die Diskussion nach klaren Füh- rungskompetenzen und dem Schließen eventueller Kompetenzlücken aufleben (Kitzki, 2011; Hess, 2010). So fordert zum Beispiel der Berater Peter Kitzki (ebd., S.46): „Die Geschäftsleitung sollte für die einzelne Führungsposition einen Kompetenzkatalog definieren, in dem die Schlüsselkompetenzen definiert sind, die eine Führungskraft notwendigerweise benötigt, um einen optimalen Beitrag zur Erreichung der Abteilungs- und Unternehmensziele zu leisten.“ Hinter den Kompetenzmodellen steht die Idee, dass Kompetenz zu Leistung und somit zu Erfolg führt (Rastetter 2006, S.166). Der Kompe- tenzansatz scheint so andere Erklärungskonzepte wie z.B. Eigenschaftstheorie, Verhaltenstheorie oder situationistische Ansätze ergänzen und integrieren (ebd.). Stark vereinfacht ließe sich daraus folgern: Wenn man die richtigen Kompetenzen an Bord hat ist man erfolgreich. Und über Kompetenzmanagement haben wir die Kompetenzen, und somit die Situation im Griff.
Viele Unternehmen verfügen bereits über diese Kataloge oder sogenannte „Führungs- kompetenzmodelle“, die als Grundlage herangezogen werden, um erfolgsversprechende Führungskräfte aus dem Arbeitsmarkt zu rekrutieren, oder aus der eigenen Belegschaft zu entwickeln. Diese Modelle sind mehr oder weniger detaillierte Auflistungen mit Anforderungen und/oder Beschreibungen von Eigenschaften, Verhaltensweisen oder sonstigen Merkmalen, woran Unter-nehmen erkennen und definieren, wer eine Füh- rungskraft ist und wer nicht, bzw. welche Mitarbeiter über Führungspotential verfügen. Da Unternehmen, wie Menschen sehr unterschiedlich sind, ist es nicht verwunderlich, dass diese Kompetenzmodelle, oder –listen sehr unterschiedlich sind. Dies scheint berechtigt, da unterschiedliche wirtschaftliche und organisationale Kontexte unter- schiedliche Kompetenzen erfordern. Dennoch scheint es einige Kompetenzen zu geben, die auffallend häufig genannt werden. Diese Arbeit beschäftigt sich mit diesen, am weitesten verbreiteten, Kompetenzen und versucht der Frage nachzugehen, in wie weit es eine wissenschaftliche Fundierung dafür gibt, warum gerade diese Kompetenzen für eine erfolgreiche Führung relevant sein sollen.
Hierzu werden, nicht repräsentativ, 21 Kompetenzmodelle aus der Wirtschaft aufge- griffen und auf Gemeinsamkeiten und Entsprechungen hin untersucht. Aufgrund des unterschiedlichen, organisationsspezifischen Wordings der Kompetenzen wurde ver- sucht diese in eine standardisierte Kompetenzen zu über-setzen. Hierfür diente als Grundlage die Kompetenzbibliothek des von der US-amerikanischen Beratungsfirma Bigby, Havis & Associates entwickelten Tools ASSESS® deren deutscher Lizenzträger die Scheelen AG ist. Die Kompetenzen aus den untersuchten Modellen und Listen werden auf den Kompetenzen der ASSESS® Bibliothek transkribiert. Kompetenzen, die in der bestehenden Bibliothek nicht enthalten sind, werden als neue Kompetenz erfasst. Die mit Abstand am häufigsten genannten Kompetenzen werden dann auf einen wissen- schaftlichen Hintergrund hin untersucht.
2. Problem der unterschiedlichen Begrifflichkeiten
In der Untersuchung zeigte sich, wie bereits einleitend erwähnt, dass die Definitionen und Umschreibungen der Begriffe Kompetenz, Führung und Führungserfolg sehr hetero- gen sind. Die uneinheitlich gewillkürte Verwendung derselben führt bisweilen zur Ver- wirrung und Fehlentwicklungen, was insbesondere Fredmund Malik in seinen Publika- tionen immer wieder anprangert (Malik, 2006a; Malik, 2006b; Malik, 2007). Im Folgenden sollen daher kurz die unterschiedlichen Begriffsdefinitionen näher betrachtet werden.
2.1. Kompetenz
Das Wort „Kompetenz“ entstammt dem lateinischen Verb „competere“ ab, das für
„zusammentreffen“, „zusammenkommen“ und „zustehen“ steht (Erpenbeck & Rosenstiel, 2007), darüberhinaus erfuhr das Nomen „competetia“ das ursprünglich für das „Zusammentreffen“ (z.B. von Gestirnen, Konstellationen) stand, wobei die Verwendung des Begriffes im Sinne von „ Eignung “ bereits in der mittellateinischen Zeit, d.h. zwischen 6. und 15. Jahrhundert nach Christus, auftrat (Pertsch, 1983).
Auf dem Weg zur modernen, arbeitsteiligen, gewaltengeteilten und funktionalen Gesellschaft, hat der Kompetenzbegriff in den unterschiedlichen gesellschaftlichen Systemen (Wirtschaft, Politik, Bildung, …), verschiedene Prägungen erfahren wie Erpenbeck und Rosenstiel (2007) in ihrer Einführung sehr schön darstellen. So steht z.B. Kompetenz im Staatsrecht für „Zuständigkeit“, „Befugnis“ oder „Rechtmäßigkeit“ (ebd. S.XVIII).
In der Betriebswirtschaftslehre stehen die „Kernkompetenzen“ eines Unternehmens für die Fähigkeiten (im engl. Original: skills), die ein Unternehmen in die Lage versetzen, wesentlichen Kundennutzen zu liefern (Prahalad, C.K. & Hamel, G., 1990).
Der Linguist Noam Chomsky (1981), auf den sehr oft in der pädagogischen Literatur verwiesen wird, betrachtet als Kompetenz als „… das System von Regeln und Prinzipien, von denen wir annehmen, dass sie auf gewisse Weise in einer Person , die eine Sprache kennt, mental repräsentiert sind und dass sie dem Sprecher im Prinzip ermöglichen, einen beliebigen Satz, der seinen Gedanken ausdrückt hervorzubringen.“ (S.203 zit. nach Reichertz, J.2010 S.259). Diese Regeln besitzen einen generativen Charakter, d.h. mit einer begrenzten Anzahl von Regeln eine unbegrenzte Zahl von Sätzen selbstorganisier t gebildet werden (Erpenbeck & Rosenstiel 2007). Weinert (2002) versteht im (Aus-) Bildungskontext unter Kompetenzen „…die bei Individuen verfügbaren oder durch sie erlernbaren kognitiven Fähigkeiten und Fertigkeiten, um bestimmte Probleme zu lösen, sowie die damit verbundenen motivationalen, volitionalen und sozialen Bereitschaften und Fähigkeiten, um die Problemlösungen in variablen Situationen erfolgreich und verantwortungsvoll nutzen zu können“ (Weinert, 2002, S.27-28).
Entwicklungspsychologisch ist Kompetenz nach Leontjew (1979) „… das System innerpsychischer Voraussetzungen, das sich in der Qualität sichtbarer Handlungen niederschlägt“ (S.42 zit. nach Kirchhöfer 2004, S.63). Dietrich Dörner (2005) umschreibt Kompetenz als „…das Ausmaß, in dem ich in der Lage bin, mit dem Problem in einem Realitätsbereich fertig zu werden“ (Dörner 2005, S. 346), was schon eine starke kultu- relle Färbung trägt, im Sinne Käsers (1997) von Kultur als Strategie zur Daseinsbewälti- gung. In dieselbe Richtung weißt auch ein soziologische Beitrag aus jüngerer Zeit, so versteht Vonken unter kompetentem Handeln, das autonome, kreative, selbstorganisie- rende, flexible Treffen von Entscheidungen zur Reduktion von Komplexität (Vonken, M. 2010).
Nach Pfadenhauer (2010) setzt sich Kompetenz, ebenfalls im soziologischen Sinne, aus den Komponenten Befähigung, Bereitschaft und Befugnis zusammen.
In der Unternehmenspraxis und der Management-Ratgeber Literatur wird unter dem Kompetenzbegriff meistens eine wilde Mischung aus Persönlichkeitsmerkmalen, Motiven, Werten, Verhaltensweisen, Einstellungen, Leistungsvariablen, Fertigkeiten, Wissensbeständen usw. subsumiert (Sarges 2006), was sowohl die untersuchten Modelle widerspiegeln, als auch schon Boyatzis (1982) in seiner Kompetenzdefinition gewürdigt hat (vgl. ebd. S.22). Die praktischen Vorteile dieser weiten Definition sieht Sarges (2006) in einer größeren Nähe zur Alltagssprache, die wiederum der Verständ- lichkeit und Anwendbarkeit im nichtakademischen Unternehmensumfeld gereicht. So lassen sich leicht Verbindungen zum Unternehmensleitbild, den strategischen Ziel- stellungen und der eigenen Position herstellen (ebd., vgl. auch Abb. 1 auf der nächste Seite), die dem Mitarbeiter sinnhaft erscheinen, und somit eine motivierende Wirkung darstellen (Böckmann 2009).
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abb. 1: Das Lufthansa Kompetenzmodell im Einklang mit Unternehmenswerten
(Lufthansa 2007)
Als weiteren Vorteil erhält die Personalabteilung (überhaupt) ein Instrument zur Bewer- tung der Führungskräfte und als Entscheidungshilfe für Personalmaßnahmen, das einer- seits eine allgemein verständliche Sprache verwendet und somit eine hohe Akzeptanz genießt, andererseits dennoch (oder beabsichtigter weise) gewisse Interpretations- spielräume offen lässt. Um eine gangbare Brücke zwischen Wissenschaft und Praxis zu schlagen, sei im Folgenden die Kompetenzdefinition von Erpenbeck und Rosenstiel (2007, S. XII) dargelegt, die den meisten Unternehmenskontexte gerecht wird:
„Kompetenzen schließen Fertigkeiten, Wissen und Qualifikationen ein, lassen sich aber nicht darauf reduzieren. Bei Kompetenzen kommt einfach etwas hinzu, das die Hand- lungsfähigkeit in offenen, unsicheren, komplexen Situationen erst ermöglicht, beispiels- weise selbstverantwortete Regeln, Werte und Normen als „Ordner“ des selbstorga- nisierten Handelns.“
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abb. 2: Definition und Abgrenzung von Kompetenzen (Erpenbeck, J. & Rosenstiel, L. 2007, S.XII)
2.2. Führung
Ebenso wie für den Kompetenzbegriff gibt es sehr viele Definitionen für „Führung“ im Organisationskontext. Alleine Neuberger (2002) widmet den unterschiedlichen Defini- tionen vier Seiten (ebd. 12-15), ohne alle Definitionen dargestellt zu haben. Nach v.
Rosenstiel (2003) ist „Führung … die bewusste und zielbezogene Einflussnahme auf Menschen.“ Und Wunderer (2009) bringt mit seiner Definition noch stärker die Kom- plexität und Vielschichtigkeit des Begriffes zum Ausdruck: “Führung wird verstanden als wert-, ziel- und ergebnisorientierte, aktivierende und wechselseitige soziale Beeinflus- sung zur Erfüllung gemeinsamer Aufgaben in und mit einer strukturierten Arbeitssitua- tion. Mitarbeiterführung gestaltet die Einflussbeziehungen in führungsorganisatorisch differenzierten Rollen im Rahmen von Arbeitsverträgen“ (ebd. S.4). Im englisch- sprachigen Raum wird Führung mit leadership wiedergegeben. In international tätigen Unternehmen wird Führung oft mit Management und in jüngerer Zeit auch häufiger mit Leadership wiedergegeben. Mit dem Buch „A force for change: how leadership differs from management“ von John P. Kotter (1990), das die Leadership Diskussion in ein breieteres Publikum transportierte, ist die Definition von Führung nicht einfacher geworden, da nun zwischen Management und Leadership unterschieden wird. Kotter selbst bezeichnet als Management das Übernehmen der klassischen Aufgaben des „Management-Zyklus“ die aus Planung, Organisation, Durchführung und Kontrolle bestehen (vgl. ebd. S.4), während unter Leadership eher das entwickeln weitreichender Zukunftsvisionen und -strategien, das Mitnehmen, Begeistern und Einschwören von Mitarbeitern zur Verfolgung dieser Visionen unter Berücksichtigung ihrer individuellen Bedürfnisse, Werte und Emotionen (ebd. S.5). Andere Autoren (Bertocci, D.I. 2009 und Sadler, P. 2003) unterscheiden über die Dimension transaktionale-transformationale Führung, wobei Management für die transaktionale Führung, Leadership für die transformationale Führung stehen soll. Malik wiederum hält von dieser Aufteilung und der Diskussion darüber gar nichts, da er in den Diskussionen immer wieder darauf stößt, dass schlechtes Management mit guter Leadership verglichen wird (Malik 2006b, S.48- 49) und eine Gefahr sieht, dass sich die Leadership Diskussion auf eine „Great-Man- Theory“ reduziert (ebd. S.47). Sein Konzept der professionalisierten, wirksamen Führung beinhaltet Elemente beider Dimensionen. Manchmal ist auch ein Blick in andere Dis- ziplinen wertvoll. So definiert sich in der technischen Mechanik „Führung“ schon seit jeher als Maschinenelement (z.B. Buchse, Schiene) oder Zwangskraft (Zentripetalkraft, Gravitation), die einen bewegten Körper (Zylinder, Lokomotive, Planeten) in einer (vor-) definierten Bahn hält (vgl. Weisbach, J. (1850), S. 314 und S.337). Übertragen auf Organisationen könnte man die Maschinenelemente als strukturelle Führung (Aufbau- und Ablauforganisation) bezeichnen, die dem Terminus der transaktionalen Führung sehr nahe steht. Der Zwangskraft könnte man die transformationale Führung zuordnen, die den Zug auf den Schienen hält (über Erdanziehung) und auch dann wirkt, wenn keine „Führungsschienen“ da sind (der Zug wird nicht abheben, sondern zum Stehen kommen und dadurch Reisewillige veranlassen, weitere Schienen in Richtung des gewünschten Zieles zu verlegen). In Unternehmen werden die Führung, Management und Leadership größtenteils synonym verwendet und inhaltlich nicht so stark differenziert, wie in der „wissenschaftlichen“ Diskussion.
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