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Rationalität ist auch nicht alles

Das Prisoner's Dilemma

©2009 Hausarbeit 16 Seiten

Zusammenfassung

„Zwei Kriminelle werden von der Polizei verhört...“ Was klingt, wie der Beginn eines schlechten Witzes, beschreibt in Wirklichkeit die Ausgangssituation eines der bekanntesten und wichtigsten theoretischen Modelle der Game Theory (Spieltheorie) – dem Gefangenendilemma.

In den 1950er Jahren entwickelt, ist das Dilemma die spielerische Veranschaulichung unendlich vieler ökonomischer und gesellschaftlicher Situationen, in denen Entscheidungen, die als individuell rational empfunden werden, zu einem kollektiv schlechteren Ergebnis führen – was durch Kooperation der beteiligten Parteien hätte verhindert werden können.

Die folgende Arbeit stellt zunächst in wenigen Sätzen das Arbeitsfeld der Spieltheorie vor und legt anschließend ausführlich die Ausgangssituation des Prisoner’s Dilemma dar sowie die spieltheoretischen Überlegungen, die ihm zugrunde liegen. Sie beschreibt Besonderheiten des Dilemmas, Unterschiede beim einfachen und mehrfachen Spiel, sowie den Strategieansatz, der sich beim mehrstufigen Spiel als am erfolgreichsten erwies. Zuletzt wird die Praxisrelevanz des Dilemmas an Beispielen aus Wirtschaft, Politik und Gesellschaft verdeutlicht.

Leseprobe

INHALTSVERZEICHNIS

1. EINLEITUNG

2. KURZE EINFÜHRUNG IN DIE SPIELTHEORIE

3. DAS PRISONER’S DILEMMA
3.1 AUSGANGSSITUATION
3.2 SPIELTHEORETISCHE ÜBERLEGUNGEN
3.3 BESONDERHEITEN DES GEFANGENENDILEMMAS

4. DAS WIEDERHOLTE PRISONER’S DILEMMA
4.1 DAS ENDLICH WIEDERHOLTE PRISONER’S DILEMMA
4.2 DAS UNENDLICH WIEDERHOLTE PRISONER’S DILEMMA

5. DAS PRISONER’S DILEMMA IM ALLTAG
5.1 MEDIEN
5.2 WERBUNG
5.3 WIRTSCHAFT
5.4 INTERNET
5.5 POLITIK

6. FAZIT

7. BIBLIOGRAPHIE

ABBILDUNGSVERZEICHNIS

ABBILDUNG 1: Ereignismatrix

ABBILDUNG 2: Nutzenindex

ABBILDUNG 3: Auszahlungsmatrix

1. EINLEITUNG

„Zwei Kriminelle werden von der Polizei verhört...“ Was klingt, wie der Beginn eines schlechten Witzes, beschreibt in Wirklichkeit die Ausgangssituation eines der bekanntesten und wichtigsten theoretischen Modelle der Game Theory (Spieltheorie) - dem Gefangenendilemma.

In den 1950er Jahren entwickelt, ist das Dilemma die spielerische Veranschaulichung unendlich vieler ökonomischer und gesellschaftlicher Situationen, in denen Entscheidungen, die als individuell rational empfunden werden, zu einem kollektiv schlechteren Ergebnis führen - was durch Kooperation der beteiligten Parteien hätte verhindert werden können.

Die folgende Arbeit stellt zunächst in wenigen Sätzen das Arbeitsfeld der Spieltheorie vor und legt anschließend ausführlich die Ausgangssituation des Prisoner’s Dilemma dar sowie die spieltheoretischen Überlegungen, die ihm zugrunde liegen. Sie beschreibt Besonderheiten des Dilemmas, Unterschiede beim einfachen und mehrfachen Spiel, sowie den Strategieansatz, der sich beim mehrstufigen Spiel als am erfolgreichsten erwies. Zuletzt wird die Praxisrelevanz des Dilemmas an Beispielen aus Wirtschaft, Politik und Gesellschaft verdeutlicht.

2. KURZE EINFÜHRUNG IN DIE SPIELTHEORIE

„Gegenstand der Spieltheorie ist die Analyse von strategischen Entscheidungssituationen,“1 d.h. Situationen, „(…) in denen die Erwartungen über das Verhalten des Gegners das eigene Verhalten und das des Gegners beeinflussen….“2

Strategische Situationen finden sich in allen Lebensbereichen. Viele von ihnen ähneln sich stark in ihrer Struktur und den prinzipiellen Entscheidungsmöglichkeiten der Beteiligten und führen aufgrund ihres Aufbaus zu Konflikten und Koordinationsproblemen.3 Die Game Theory macht es sich daher zur Aufgabe, ebensolche Entscheidungssituationen in Spiele zu übersetzen, anhand derer ein allgemein gültiges Konzept zur erfolgreichen Lösung der Situation entwickelt werden kann. Dieses Konzept beurteilt alle möglichen Handlungsoptionen der Beteiligten und gibt eine Prognose ab, für welche Spielstrategie(n) die Spieler sich entscheiden werden, wenn sie rational handeln. Die in der Spieltheorie getroffenen Überlegungen und Lösungen bieten also ein Instrument zur Analyse von realen Dilemmas.4

3. DAS PRISONER’S DILEMMA

3.1 AUSGANGSSITUATION

Wie bereits erwähnt ist das Gefangenendilemma eines der wichtigsten Modelle der Spieltheorie. Ursprünglich beschreibt es die folgende Situation: Zwei Verdächtige werden von der Polizei in Gewahrsam genommen, die annimmt, dass beide zusammen ein Verbrechen begangen haben. Sie werden in getrennten Zellen festgehalten und haben weder vor ihrer Verhaftung noch während der Verhöre die Möglichkeit, miteinander zu kommunizieren. Die Polizei geht davon aus, dass jedem Verdächtigen sein eigenes Wohlergehen wichtiger ist als das seines Partners. Da die Beweislage auf Indizien beruht und eine adäquate Verurteilung ohne Geständnis beinahe unmöglich ist, stellt sie daher jeden Gefangenen getrennt vor die Wahl: Gesteht er das Verbrechen, während sein Partner den Vorfall leugnet, sichern ihm die Gesetzeshüter Straffreiheit zu, während sein Partner für 20 Jahre hinter Gitter wandert (Kronzeugenregelung). Schweigt er jedoch, während sein Partner gesteht, dreht sich die Situation um und er verbüßt eine 20jährige Haftstrafe, während sein Partner freikommt. Gestehen beide, erhalten sie aufgrund ihrer Kooperation mit der Polizei eine verminderte Strafe von jeweils 5 Jahren pro Person. Leugnen jedoch beide ihre Beteiligung an dem Verbrechen, das ihnen vorgeworfen wird, haben die Gesetzeshüter aufgrund der schlechten Beweislage lediglich die Möglichkeit, die Gefangenen zu jeweils einem Jahr Gefängnis aufgrund eines kleineren Vergehens zu verurteilen.5

Abbildung 1: Ereignismatrix

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Quelle: Encyclopedia Britannica (2006)

3.2 SPIELTHEORETISCHE ÜBERLEGUNGEN

Da die Gefangenen keine Möglichkeit haben, miteinander zu kommunizieren, aber ihr Eigenwohl dem des Partners voranstellen, muss nun jeder für sich selbst entscheiden, was er für das beste Vorgehen hält, um selbst möglichst ungeschoren davon zu kommen. Dennoch ist das Ergebnis für den Einzelnen abhängig vom Verhalten seines Mitgefangenen, das er im Vorfeld seiner eigenen Entscheidung jedoch nicht kennt. Da beide keinen Einfluss auf das Verhalten des jeweils Anderen haben, wird jeder Gefangene sich also rational gesehen für die Strategie (also gestehen oder leugnen) entscheiden, die ihm individuell in jedem Fall mehr Nutzen bringt, egal für welche Strategie der Partner sich letztendlich entscheidet. Diese Strategie bezeichnet man in der Spieltheorie als dominante Strategie.6

Die Überlegung des Einzelnen sieht also folgendermaßen aus: „Mein Partner hat, ebenso wie ich, nur die Möglichkeit zu schweigen oder zu gestehen. Schweige ich, während er gesteht, gehe ich für 20 Jahre ins Gefängnis, gestehe ich jedoch ebenfalls verringert sich meine Zeit hinter Gittern auf 5 Jahre. Schweige ich während er ebenfalls schweigt, muss ich ein Jahr einsitzen; gestehe ich in dieser Situation jedoch, komme ich ohne Haftstrafe davon. Folglich ist es für mich am sinnvollsten, wenn ich in jedem Fall gestehe, da ich dadurch - egal was mein Partner macht - immer besser davonkomme.“

Gestehen bringt jedem der Gefangenen also einen höheren persönlichen „Nutzen“ bzw. eine höhere „Auszahlung“ (payoff); je weniger Jahre der Einzelne im Gefängnis verbringen muss, desto höher ist dieser Payoff.7 Der hinter diesen Überlegungen stehende Nutzenindex des Gefangenendilemmas kann beispielsweise so aussehen:

Abbildung 2: Nutzenindex

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten8

Quelle: In Anlehnung an Stanford Encyclopedia of Philosophy (2007a), Wikipedia (2009a)

Als Auszahlungsmatrix ergibt sich (entsprechend der obigen Abbildung) folgendes Bild:

Abbildung 3: Auszahlungsmatrix

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Quelle: in Anlehnung an Stanford Encyclopedia of Philosophy (2007a), Sieg (2000), S.4; Holler/Illing (1996), S.4

Da der oben beschriebene Gedankengang für beide Gefangenen identisch ist - für beide also „gestehen“ die dominante Strategie ist -, geht die Spieltheorie davon aus, dass beide Gefangenen auch tatsächlich gestehen werden, da dies die individuell rationalste Entscheidung für sie ist.9 Diese Situation, in der keine Partei ihre Auszahlung (also ihren Nutzen) mehr durch eine Strategieänderung erhöhen kann, ohne, dass die andere Partei ebenfalls ihre Strategie ändert, bezeichnet man als Nash-Gleichgewicht.10

3.3 BESONDERHEITEN DES GEFANGENENDILEMMAS

Interessant am Prisoner’s Dilemma ist jedoch, dass das Nash-Gleichgewicht nicht pareto-effizient (pareto-optimal) ist, d.h. das Geständnis beider Gefangener ist nicht der Zustand des Spiels, in dem eine Verbesserung der Position eines Verbrechers nur durch eine Verschlechterung der Position seines Partners möglich wäre. Wie man sowohl an Abbildung 1, als auch an der obigen Auszahlungsmatrix deutlich erkennt, wären beide Gefangenen durch eine gegenseitige Kooperation besser gestellt (könnten also eine Pareto-Verbesserung erzielen) und würden nur für jeweils ein Jahr ins Gefängnis gehen, während ein Geständnis beider Krimineller ihnen jeweils fünf Jahre hinter Gittern einbringt. Während die individuell rationale Entscheidung also wäre, in jedem Fall zu gestehen, wäre es kollektiv gesehen besser für beide, zu schweigen.11

Die pareto-effiziente Lösung des Spiels ist jedoch aus folgendem Grund kein Nash-Gleichgewicht: Angenommen, die beiden Angeklagten hätten sich vor ihren Verhören abgesprochen und gemeinsam entschieden, jeweils ihre Beteiligung am Verbrechen zu leugnen, also miteinander zu kooperieren. Sobald beide wieder in ihren Zellen sind, haben sie keine Garantie mehr, dass der jeweils Andere sich wirklich an die vorher getroffene Abmachung hält, da sie keine Möglichkeit haben, einen Vertrauensbruch zu ahnden.12 Beide Kriminelle könnten daher lediglich darauf hoffen, dass der jeweils Andere die Vereinbarung würdigt und schweigt. Geht ein Gefangener davon aus, dass der Partner sich wirklich an die Absprache hält, wäre seine rationale Entscheidung jedoch wieder, den anderen zu betrügen, da er selbst dann völlig straffrei ausgehen würde. Da auch hier der Gedankengang beider Gefangener wieder gleich ist, würde also selbst eine Kooperationsvereinbarung letztendlich zu gegenseitigem Verrat und damit wieder zur schlechtesten gemeinsamen Situation führen.13

Hier entsteht das eigentliche Dilemma der Gefangenen, denn die individuell rationale Analyse der Situation und die darauf folgende Durchsetzung ihres jeweiligen Eigeninteresses führt nicht zum optimalen Ergebnis; beide Kriminellen kommen schlechter davon als wenn sie kooperiert hätten. Die Gefahr eines Vertrauensbruches bei Kooperation ist jedoch aufgrund fehlender Strafmechanismen so groß, dass Kooperation für den Einzelnen irrational ist. Beide Gefangenen haben also paradoxerweise keinen Grund vom Nash-Gleichgewicht abzuweichen, obwohl dieses nicht die pareto-effiziente Lösung des Spiels ist.14

Es wird also deutlich, wie wichtig Kommunikation, sowie funktionierende Strafmechanismen und die Möglichkeit der Vergeltung eines Verrats für die Entscheidungen der spielenden Personen sind. Beim oben beschriebenen einmaligen Spiel lohnt es sich, den Partner zu belasten, da der Einzelne keinerlei negative Konsequenzen (in Form von Vergeltung) für seine Entscheidung zu erwarten hat und das Verhalten seines Partners durch seine eigenen Entscheidungen ohnehin nicht beeinflussen kann.

[...]


1 Holler/Illing (1996), S.1

2 Sieg (2000), S.2; vgl. auch Mankiw (2004), S.380

3 vgl. Holler/Illing (1996), S.1

4 vgl. Holler/Illing (1996), S.1/2; Sieg (2000), S.6

5 vgl. Riechmann (2008), S.42/43; Mankiw (2004), S.381; Sieg (2000), S.3; Holler/Illing (1996), S.2 4

6 vgl. Mankiw (2004), S.382; Sieg (2000), S.4; Holler/Illing (1996), S.6

7 vgl. Sieg (2000), S.4; Holler/Illing (1996), S.4

8 Die Wahl der Nutzenindexzahlen erfolgt willkürlich, wobei der Nutzen der einzelnen Auswahlmöglichkeiten für jeden Gefangenen jedoch jeweils T>R>P>S sein muss, da eine kürzere Gefängniszeit natürlich einen höheren Nutzen für den Verbrecher hat. - vgl. Holler/Illing (1996), S.4; Stanford Encyclopedia of Philosophy (2007a)

9 vgl. Sieg (2000), S.4

10 vgl. Sieg (2000), S.12; Stanford Encyclopedia of Philosophy (2007a)

11 vgl. Riechmann (2008), S.42/43; Holler/Illing (1996), S.6; Sieg (2000), S.4

12 Es handelt sich beim Prisoner’s Dilemma also um ein nicht-kooperatives Spiel, bei dem keine bindenden Absprachen möglich sind. - vgl. Holler/Illing (1996), S.3

13 vgl. Mankiw (2004), S.382; Riechmann (2008), S.42/43; Sieg (2000), S.4; Holler/Illing (1996), S.6 6

14 vgl. Stanford Encyclopedia of Philosophy (2007a)

Details

Seiten
16
Jahr
2009
ISBN (eBook)
9783656048336
ISBN (Buch)
9783656047988
DOI
10.3239/9783656048336
Dateigröße
473 KB
Sprache
Deutsch
Institution / Hochschule
Hochschule der Medien Stuttgart
Erscheinungsdatum
2011 (November)
Note
1,0
Schlagworte
prisoner dilemma prisoner's dilemma
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