Patientenzufriedenheit bei der Versorgung zahnloser Unterkiefer mit steg-, teleskop- und kugelkopfretinierten Implantat-Suprastrukturen - eine vergleichende Literaturstudie
Zusammenfassung
Bei Fragen nach der Zufriedenheit mit der Retentionsfähigkeit fällt eine geringere Zufriedenheit bei Patienten mit kugelkopfgelagerten Prothesen – vor allem in den ersten fünf Jahren – auf. Bei steggetragenen Prothesen traten gelegentlich funktionelle Einschränkungen durch die Akkumulation von Speiseresten und beim Kauen harter Nahrung auf, aber auch bei kugelkopfretinierten Prothesen beklagten 17 % der Patienten eine mäßige Kaufähigkeit. Zwischen Stegen und Kugelköpfen ergaben sich keine Unterschiede bei der Befragung nach Problemen mit dem Kauen und mit dem Sprechen.
Patienten mit Steg- und Kugelkopfverankerungen sind insgesamt gleichermaßen zufrieden. Es fehlen allerdings Angaben für Konuskronen.
Insgesamt ist die Literaturdatenlage als nicht zufriedenstellend zu bezeichnen. Es fehlen – besonders für Konuskronen – Langzeitstudien mit größeren Fallzahlen und definierten Erfolgskriterien.
Leseprobe
Zusammenfassung
In einer Literaturrecherche wurden die Ergebnisse bei der Versorgung des Unterkiefers mit steg-, kugelkopf- und konuskronenretinierten Suprastrukturen auf Implantaten ausgewertet. Es wurden 35 klinische Studien ausgewertet, von denen 80 % der Evidenzstufe IIb und 20 % der Evidenzstufe IIIb entsprachen. Als Zielkriterium wurde das Retentionsvermögen gewählt.
Bei Fragen nach der Zufriedenheit mit der Retentionsfähigkeit fällt eine geringere Zufriedenheit bei Patienten mit kugelkopfgelagerten Prothesen – vor allem in den ersten fünf Jahren – auf. Bei steggetragenen Prothesen traten gelegentlich funktionelle Einschränkungen durch die Akkumulation von Speiseresten und beim Kauen harter Nahrung auf, aber auch bei kugelkopfretinierten Prothesen beklagten 17 % der Patienten eine mäßige Kaufähigkeit. Zwischen Stegen und Kugelköpfen ergaben sich keine Unterschiede bei der Befragung nach Problemen mit dem Kauen und mit dem Sprechen.
Patienten mit Steg- und Kugelkopfverankerungen sind insgesamt gleichermaßen zufrieden. Es fehlen allerdings Angaben für Konuskronen.
Insgesamt ist die Literaturdatenlage als nicht zufriedenstellend zu bezeichnen. Es fehlen – besonders für Konuskronen – Langzeitstudien mit größeren Fallzahlen und definierten Erfolgskriterien.
Schlüsselwörter: Steg – Kugelkopf – Konuskrone – Patientenzufriedenheit
Einleitung
An Suprakonstruktionen auf dentalen Implantaten werden zahlreiche Forderungen gestellt: die exakte Passung, die gleichbleibend ausreichende Haftung ohne Lösen der Verbindung während des Kauvorganges, geringe Pfeilerbelastung, Biokompatiblität, geringe Plaqueadhäsion, gute Ästhetik, geringe Kosten und – besonders im Hinblick auf (ältere) Menschen mit eingeschränkten manuellen Fertigkeiten – einfache Handhabbarkeit beim Ein- und Ausgliedern und leichte Zugänglichkeit für Hygienemaßnahmen [63; 64].
Um diese Forderungen zu erfüllen, kommt der Verankerung der Suprakonstruktionen besondere Bedeutung zu. Es wurden bewährte Konzepte aus der konventionellen Prothetik übernommen und für die Verwendung in der Implantologie modifiziert.
Ein Verankerungselement zwischen Prothese und dentalem Implantat soll aus implantologischer Sicht zahlreiche Funktionen übernehmen [13; 57]: Retentions- oder Haltefunktion, Stütz- und Kraftverteilungsfunktion, Verblockungs- oder Schubverteilungsfunktion, Führungsfunktion sowie Kippmeiderfunktion.
Bei Betrachtung dieses umfangreichen Katalogs an Anforderungen erscheint es unwahrscheinlich, dass ein einziges Verankerungselement alle Bedingungen gleich gut erfüllen kann, zumal sich die verschiedenen Systeme deutlich in ihrer Grundkonzeption und ihren Eigenschaften unterscheiden. Daher sollen die Varianten Steg, Kugelkopf und Teleskope hier verglichen werden.
Bei Stegattachments erfolgt die Verankerung der Deckprothesen mit Hilfe von Steg-Reiter-Kombinationen auf den Implantaten, d. h. die Stege als Patrize gewährleisten eine Verbindung über Stegreitermatrizen.
Man kann nach ihrer Querschnittsform runde, ovale und parallelwandige Stege voneinander unterscheiden. Runde – und in geringerem Maße auch ovale – Stege ermöglichen in Zusammenhang mit ihren Stegreitern eine Rotation um die Stegachse, so dass eine gute Stabilität gewährleistet ist und der Kaudruck direkt auf den Kieferkamm übertragen wird. Parallelwandige Stege lassen dagegen keine Rotation zu und werden daher gewählt, wenn die Implantate eng nebeneinander stehen oder wenn rein implantatgetragene Suprakonstruktionen erwünscht sind [53; 55]. Im Vergleich mit anderen Attachmentsystemen ist nur mit Stegkonstruktionen die Möglichkeit der primären Verblockung der Implantate gegeben. Wenngleich eine solche Verblockung aus Gründen der Stabilität erwünscht sein kann, so entstehen hierdurch jedoch einerseits bereits bei Eingliederung der Prothese Spannungen im periimplantären Knochen und Belastungen der Mukosa auf der Arbeitsseite [29]. Andererseits ist es als positiv zu werten, dass vertikal einwirkende Kräfte gleichmäßiger auf die Implantate verteilt werden [22].
Im Gegensatz zu Stegen ermöglichen Kugelkopfsysteme keine primäre Verblockung, sondern sie werden sekundär durch die Implantate abgestützt. Die primäre Verblockung wird allerdings bei Unterkieferversorgungen nicht als unbedingt notwendig angesehen [38;39]. Das Kugelkopfattachment wird den beweglichen Verankerungen zugeordnet, da es Rotationsbewegungen der Prothese in eine oder mehrere Richtungen und/oder vertikale Translationsbewegungen zulässt. Durch die bewegliche Verbindung wird der Hebelarm der am Implantat angreifenden Kippkräfte verkürzt. Die Implantate müssen immer senkrecht zur Okklusalebene stehen, um eine axiale Belastung des implantats zu gewährleisten. Eine präzise Okklusionsgestaltung – balancierte Okklusion mit freedom-in-centric sowie eine optimale Gestaltung der Prothesenbasis beeinflussen ebenfalls die Stabilität der Prothese und die Verteilung der Kaukräfte [66].
Kugelkopfattachments bestehen wie Stege aus einer Patrize, dem eigentlichen Kugelkopf, und einer Matrize, die den Kugelkopf umschließt. Die früher übliche Verwendung von Gummringen („O-Ringe“) oder Kunststoffstoppern als Retentionselemente hat sich nicht bewährt [55]. Stattdessen werden moderne Matrizen aus Metall hergestellt und sind damit ausreichend stabil. Aus dem gleichen Grund werden heute große Durchmesser von etwa 3 mm verwendet. Wegen der fehlenden Verblockung ist es zweckmäßig, Kugelkopfattachments bei Prothesen auf mindestens drei Implantaten zu verwenden, um durch mehr als zwei Verankerungspunkte zu mehr Stabilität der Prothese zu gelangen [38; 39].
In der klassischen Prothetik werden Teleskopkronen („Doppelkronen“) als Verankerungselement häufig verwendet. Aus der großflächigen Umfassung der Krone mit einer Sekundärkonstruktion, d. h. durch ein Verklemmen von Außen- und Innenkrone, ergibt sich ein starker Halt [48]. Die Retentionskraft von Konuskronen wird dabei von dem Konuswinkel, der Anpresskraft, der Legierung und der Oberflächenrauigkeit beeinflusst [36].
Material und Methoden
Im Rahmen der Literaturrecherche in der medizinischen Datenbank PubMed (http://www.ncbi.nlm.nih.gov/sites/entrez) wurden bis Oktober 2007 klinische Studien zum Vergleich der drei Suprastrukturen Kugelkopfattachment, Teleskop und Steg im zahnlosen Unterkiefer gesucht.
Zunächst wurde eine Schlagwortsuche mit Hilfe der Medical Subject Headings (MeSH) mit folgenden Ergebnissen durchgeführt:
- "Jaw, Edentulous"[Mesh] AND "Mandible"[Mesh] AND "Dental Implants"[Mesh] – 562 Quellen
- "Jaw, Edentulous"[Mesh] AND "Mandible"[Mesh] AND "Dental Implants"[Mesh] AND "Denture, Overlay"[Mesh] 143 Quellen
- "Jaw, Edentulous"[Mesh] AND "Mandible"[Mesh] AND "Dental Implants"[Mesh] AND "Denture, Overlay"[Mesh] AND "Clinical Trial "[Publication Type] 48 Quellen
Da für die einzelnen Attachmentsysteme keine eigenen MeSH-Schlagworte vorhanden sind, wurde die MeSH-Suche mit Freitext-Suchwörtern kombiniert:
- "Jaw, Edentulous"[Mesh] AND "Mandible"[Mesh] AND "Dental Implants"[Mesh] AND "Denture, Overlay"[Mesh] AND "Clinical Trial "[Publication Type] AND bar – 19 Quellen
- "Jaw, Edentulous"[Mesh] AND "Mandible"[Mesh] AND "Dental Implants"[Mesh] AND "Denture, Overlay"[Mesh] AND "Clinical Trial "[Publication Type] AND ball – 11 Quellen
- "Jaw, Edentulous"[Mesh] AND "Mandible"[Mesh] AND "Dental Implants"[Mesh] AND "Denture, Overlay"[Mesh] AND "Clinical Trial "[Publication Type] AND telescopic crown – 0 Quellen
Um auch Quellen zu erfassen, die nicht explizit durch die Schlagwortkennzeichnung dem zahnlosen Unterkiefer zugeordnet werden, sich aber dennoch hiermit befassen, wurde ergänzend eine Suche mit folgenden Suchkriterien durchgeführt:
- "Dental Implants"[Mesh] AND "Denture, Overlay"[Mesh] - 691 Quellen
- "Dental Implants"[Mesh] AND "Denture, Overlay"[Mesh] AND bar 173 Quellen
- "Dental Implants"[Mesh] AND "Denture, Overlay"[Mesh] AND ball 60 Quellen
- "Dental Implants"[Mesh] AND "Denture, Overlay"[Mesh] AND telescopic crown 6 Quellen
Anhand der Abstracts wurde eine Vorauswahl nach bestimmten Ein- und Ausschlusskriterien getroffen:
Einschlusskriterien:
- Therapiestudie zur Versorgung zahnloser Unterkiefer mit steg-, kugelkopf- oder teleskopretinierten Implantat-Suprastrukturen
- Klinische Studie
- Untersuchung an lebenden Menschen
- Nennung der Fragestellung und der Methodik
- Abgeschlossene Studie
Ausschlusskriterien:
- Therapiestudie über die prothetische Versorgung des Oberkiefers
- Einzelzahnimplantate
- Fallbeschreibungen
Bei der Auswertung wurden (wenn möglich) Zahlenangaben zu einzelnen Kriterien – getrennt nach Art des Retentionssystems – einander gegenübergestellt und aus Gründen der Vergleichbarkeit die Patientenzahlen, die Zahl der Implantate und die Beobachtungsdauer berücksichtigt.
Zur Beurteilung der Evidenz der klinischen Studien wurden die Kategorisierung „Levels of Evidence“ des „Oxford Centre for Evidence Based Medicine“ zugrundegelegt [52].
Ergebnisse
Es wurden insgesamt 35 Studien in die Auswertung eingeschlossen (Tabelle 1). Als Probandengut dienten in der Mehrheit 21-40 Patienten (n=18, 51 %). Lediglich 11 % der Studien befassten sich mit 81-100 und 17 % mit mehr als 100 Patienten (Abbildung 1).
In drei Studien (8,3 %) war ein Beobachtungszeitraum von lediglich drei Monaten gewählt worden. Der größte Teil der Studien erstreckte sich über 1-2 (26 %) und 3-4 (26 %) Jahre). Insgesamt acht Studien (23 %) hatten eine Dauer von 5-8 Jahren und 7 Langzeitstudien (20 %) hatten eine Gesamtbeobachtungsdauer ab neun Jahren (Abbildung 2).
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Abbildung 1: Übersicht über die Patientenzahlen der ausgewerteten Studien
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Abbildung 2: Beobachtungsdauern der ausgewerteten Studien
Bezüglich der Studienqualität wurden 28 von 35 Studien (80 %) der Evidenzklasse IIb („Einzelne Kohortenstudie/RCT mit methodischen Mängeln“) und die restlichen sieben (20 %) der Evidenzklasse IIIb („Einzelne Fall-Kontroll-Studie, retrospektive Studie“) zugeordnet. Für keine Studie traf das Kriterium „Einzelne randomisierte kontrollierte Studie mit engem Konfidenzintervall“ (Evidenzklasse Ib) zu.
Tabelle 1: Übersicht über die in der vorliegenden Untersuchung verwendeten klinischen Studien (n Pat. = Gesamtzahl der eingeschlossenen Patienten, P = Anzahl Patienten, I = Anzahl Implantate, Dauer = Beobachtungsdauer, * = Kontrollgruppe mit Magnetattachments, ** = Kontrollgruppe mit konventioneller Prothese)
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Allgemeine Patientenzufriedenheit
Unabhängig von der Art des verwendeten Attachments bejahten im ersten Jahr nach der prothetischen Versorgung alle Patienten der 10-Jahres-Studie von Naert et al. [37] die Frage „Würden Sie die gleiche Behandlung wiederholen?“. Auch in den Folgejahren wären fast alle Patienten dazu bereit gewesen: Lediglich jeweils ein Patient aus der Gruppe mit Stegverankerung und aus der Gruppe mit Kugelkopfattachment verneinten die Frage.
In der Untersuchung von Geertman et al. [14] fiel die Zufriedenheit der Patienten in zwei Gruppen mit Stegverankerungen auf einem oder zwei Implantaten gleich groß aus (Tabelle 2). Im Verlauf von zehn Jahren nahm die Zufriedenheit in der Studie von Meijer et al. mit zunehmender Tragedauer der stegretinierten Prothese geringgradig ab. Auch Naert el al. [37] stellten im Verlauf von zehn Jahren keinen statistisch signifikanten Unterschied in der allgemeinen Zufriedenheit bei Patienten mit steg- oder kugelkopfverankerten Prothesen fest (Abbildung 3).
Dagegen fielen die Ergebnisse bei einem Vergleich zwischen Kugelkopf und Steg bei Karabuda et al. [23] deutlich unterschiedlich aus. Hier bezeichneten sich 88,9 % der Patienten mit Stegverankerung als zufrieden, aber nur 66,7 % der Patienten mit Kugelkopfretinierung. Allerdings ist eine Vergleichbarkeit durch unterschiedliche Beobachtungsdauern nicht unbedingt gegeben (Tabelle 2).
Zur Patientenzufriedenheit mit Konuskronen liegen keine Ergebnisse vor.
Tabelle 2: Zufriedenheit der Patienten
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
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Abbildung 3: Allgemeine Zufriedenheit der Patienten mit einer Unterkieferprothese auf zwei Implantaten mit Steg- und Kugelkopfattachment (Score von 1 = sehr schlecht bis 9 = exzellent) im Zeitraum von zehn Jahren (Daten aus Naert et al. 2004 [37])
Beschwerden
Unter Anwendung eines vierstufigen Scores konnten Cune et al. [7] keinen Unterschied bezüglich allgemeiner Beschwerden zwischen Patienten mit kugelkopf- oder stegverankerten Prothesen ermitteln. Außerdem führten die Autoren eine Befragung mittels visueller Analogskala durch, die die Kriterien Beschwerden beim Tragen der Ober-/Unterkieferprothese, physiognomische und ästhetische Mängel oder Probleme mit dem veränderten, engeren Platzangebot in der Mundhöhle umfasste. Auch hier wurde keine unterschiedliche Bewertung von Patienten mit kugelkopf- oder stegverankertem Zahnersatz angegeben [7].
In einer 5-Jahres-Untersuchung von Davis und Packer [8] über 26 Patienten mit kugelkopfretinierten Prothesen hatten 52 % keine Beschwerden und 45 % nur leichte Probleme. Große Beschwerden wurden von 3 % der Patienten angegeben.
Visser et al. [60] stellten bei Befragungen von 60 Patienten mit Unterkieferprothesen auf zwei oder vier Implantaten auf Stegen keine statistisch signifikanten Unterschiede bezüglich der Zufriedenheit nach fünf Jahren fest.
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