Lebenslanges Lernen und berufliche Bildung
Berufsbildungsbezogene Möglichkeiten zur Nutzung der Ressourcen älterer Arbeitnehmer vor dem Hintergrund des demografischen Wandels in der Bundesrepublik Deutschland
Zusammenfassung
Vorliegende Arbeit zeigt anhand ausgewählter berufsbildungsbezogener Beispiele Möglichkeiten auf, wie die Ressourcen älterer Arbeitnehmer vor dem Hintergrund des demografischen Wandels personalpolitisch genutzt werden können. Hierzu wird zunächst die Situation der älteren Belegschaftsteile betrachtet. Lernvoraus- setzungen, Ressourcen und Weiterbildungssituation werden in den Zusammen- hang des Konzepts des Lebenslangen Lernens gestellt. Anschließend werden Möglichkeiten der Personalentwicklung aufgezeigt, indem zunächst alternsgerechte Qualifizierungsmaßnahmen beschrieben und schließlich intergenerative Lernpartnerschaften sowie der Age Diversity Ansatz als Beispiele für berufsbil- dungsbezogene Konzepte zur Nutzung der Ressourcen älterer Arbeitnehmer vor- gestellt werden. Die Arbeit endet mit einem Fazit und Ausblick.
Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
1 Einleitung
2 Die Situation älterer Arbeitnehmer im Betrieb
2.1 Lernvoraussetzungen und Ressourcen älterer Arbeitnehmer
2.2 Lernen im Alter und Lebenslanges Lernen
3 Personalentwicklung unter dem Aspekt des demografischen Wandels
3.1 Alternsgerechte Qualifizierung
3.2 Ausgewählte Konzepte zur Nutzung der Ressourcen älterer Mitarbeiter
3.2.1 Intergenerative Partnerschaften
3.2.2 Age Diversity Management
4 Fazit und Ausblick
Literaturverzeichnis
Abbildungsverzeichnis
Abb. 1: Veränderungen der menschlichen Leistungsvoraussetzungen 4 (Quelle: Brandenburg/Domschke 2007, S. 83)
Abb. 2: Proaktive und reaktive Förderung der Beschäftigungsfähigkeit 8 (Quelle: Rump/Eilers 2007, S. 54, in Anlehnung an Morschhäuser/Ochs/Huber 2003, S. 65-71)
Abb. 3: Hauptschritte der Umsetzung alternsgerechter Weiterbildung 10 (Quelle: Roßnagel 2008, S. 86)
1 Einleitung
Das Statistische Bundesamt (2009, S. 5) prognostiziert in seiner 12. koordinierten Bevölkerungsvorausberechnung einen Rückgang der Bevölkerungszahl in Deutschland von circa 82 Millionen (Ende 2008) auf 65 bis 70 Millionen Men- schen im Jahr 2060. Die Gründe für diesen demografischen Wandel liegen im Geburtenrückgang, der gestiegenen Lebenserwartung sowie der Differenz zwi- schen Zu- und Abwanderung (Statistisches Bundesamt 2009, S. 5). Er bedingt erhebliche Veränderungen innerhalb der Altersstruktur der Bevölkerung: Der An- teil der Gruppe der 20-65-Jährigen an der Gesamtbevölkerung wird von 61% im Jahr 2008 auf 50% im Jahr 2060 zurückgehen, was sich besonders stark auf die Erwerbsbevölkerung auswirken wird (Statistisches Bundesamt 2009, S. 16). Das Erwerbspersonenpotenzial wird eine Altersverschiebung erleben und zu 40% aus 50- unter 65-Jährigen bestehen, wobei dieser Effekt noch durch die Erhöhung des Renteneintrittsalters auf 67 Jahre verstärkt werden wird (Statistisches Bundesamt 2009, S. 18). Berkowski und Dievernich (2008, S. 52) sprechen in diesem Zu- sammenhang von einem Anwachsen des Fachkräftemangels, bedingt durch das Schrumpfen des Angebots an jungen Nachwuchskräften bei gleichzeitiger Alte- rung der verfügbaren Arbeitskräfte. Der Unternehmenserfolg wird künftig ent- scheidend von einer Personalpolitik abhängen, der es gelingt, dieser doppelten Herausforderung mit proaktiven Maßnahmen entgegenzusteuern (Berkowski/ Dievernich 2008, S. 53). Es stellt sich die Frage inwiefern die Gruppe der Älteren auf diese Entwicklungen vorbereitet ist und wie betriebliche Personalpolitik auf die kommenden Herausforderungen reagiert (Moraal 2009, S. 34).
Vorliegende Arbeit zeigt anhand ausgewählter berufsbildungsbezogener Beispiele Möglichkeiten auf, wie die Ressourcen älterer Arbeitnehmer vor dem Hintergrund des demografischen Wandels personalpolitisch genutzt werden können. Hierzu wird zunächst die Situation der älteren Belegschaftsteile betrachtet. Lernvoraus- setzungen, Ressourcen und Weiterbildungssituation werden in den Zusammen- hang des Konzepts des Lebenslangen Lernens (LLL) gestellt. Anschließend wer- den Möglichkeiten der Personalentwicklung aufgezeigt, indem zunächst alternsge- rechte Qualifizierungsmaßnahmen beschrieben und schließlich intergenerative Lernpartnerschaften sowie der Age Diversity Ansatz als Beispiele für berufsbil- dungsbezogene Konzepte zur Nutzung der Ressourcen älterer Arbeitnehmer vor- gestellt werden. Die Arbeit endet mit einem Fazit und Ausblick.
2 Die Situation älterer Arbeitnehmer im Betrieb
„Beim Übergang von der Industrie- in die Wissensgesellschaft wird Wissen zum entscheidenden Produktionsfaktor“ - Wissenserwerb, Wissensvermittlung sowie die Bewältigung der anstehenden Veränderungsprozesse rücken zunehmend ins Zentrum des Interesses der betrieblichen Personalentwicklung (Zahn-Elliott 2001, S. 9). Es gilt die Innovationsfähigkeit der Unternehmen zu erhalten und zu för- dern. Möglich wird dies durch den Aufbau heterogener Altersstrukturen im Un- ternehmen, die Förderung von Wissenstransfers zwischen älteren und jüngeren Arbeitnehmern, die „systematische Nutzung der komplementären altersspezifi- schen Fähigkeiten Jüngerer und Älterer“ sowie die konsequente Nutzung des Er- fahrungswissens Älterer im Innovationsprozess (Buck/Kistler/Mendius 2002, S. 49). In vielen Unternehmen sind die heute mittleren Altersgruppen zahlenmäßig stark vertreten, was eine Alterung „en bloc“ und eine „komprimierte Altersstruk- tur“ zur Folge hat (Buck/Kistler/Mendius 2002, S. 49f.). Beim Ausscheiden dieser Altersgruppen droht ein entscheidender Verlust von Erfahrungswissen das es gilt an jüngere Mitarbeiter zu transferieren (Buck/Kistler/Mendius 2002, S. 50).
Heinze und Naegele (2008, S. 23) bemängeln in diesem Zusammenhang die nach wie vor bestehenden Diskriminierungen älterer Arbeitnehmer in Form einer al- tersselektiven Personalpolitik, die sich beispielsweise in einer Alterssegmentie- rung bei Aufgabenzuweisungen, betrieblicher Weiterbildung oder in Bezug auf innerbetriebliche Aufstiegsprozesse zeige. Die Arbeitspraxis ist noch immer nicht am Potenzial älterer Arbeitnehmer orientiert (Friebe/Jana-Tröller 2008, S. 14), zudem halten sich negative Altersbilder auch gesamtgesellschaftlich hartnäckig, einzelne Berufsbilder ausgenommen (Faltermaier et al. 1992, S. 157f.).
Im folgenden Kapitel sollen daher die tatsächlichen Lernvoraussetzungen und Ressourcen älterer Mitarbeiter näher beleuchtet werden.
2.1 Lernvoraussetzungen und Ressourcen älterer Arbeitnehmer
Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) spricht vom „aging worker“ ab 45 Jah- ren und die OECD bezeichnet „Ältere“ als „Personen, die in der zweiten Hälfte ihres Berufslebens stehen, aber das Pensionsalter noch nicht erreicht haben sowie gesund und arbeitsfähig sind“ (Brandenburg/Domschke 2007, S. 63). Ältere Men- schen sind jedoch nicht als homogene Gruppe zu betrachten, auch der Alterungs- prozess selbst verläuft individuell und mehrdimensional (Faltermaier et al. 1992, S. 163f.). Das Bild der Älteren in Gesellschaft und Unternehmen verändert sich nur langsam, obwohl Defizitmodelle, die von negativen Altersbildern ausgehen und eine im Alter stark abnehmende Lernfähigkeit implizieren als weitgehend widerlegt gelten (Schöpf 2007, S. 10). Sie wurden im Zuge der Diskussion um den demografischen Wandel von Kompetenzmodellen abgelöst, die auf die Poten- ziale und Fähigkeiten der einzelnen Altersgruppen fokussieren (Priebe 2006, S. 27). Es lässt sich vielmehr eine „Umstrukturierung der Lernfähigkeit“ feststellen d.h. die feststellbare Verlangsamung der Lerngeschwindigkeit Älterer kann durch eine gesteigerte Lerngenauigkeit ausgeglichen werden (Drees 2010, S. 168). Die Lernfähigkeit selbst hängt stark vom persönlichen Hintergrund, der Bildungs- und Berufsbiografie und der Motivationslage des Einzelnen ab. So erscheint es unab- dingbar den Lernprozess auf den gesamten Erwerbsverlauf zu beziehen um Still- stand und Brüche zu vermeiden (Rump/Eilers 2007, S. 44).
Bei der Betrachtung der Intelligenz im Alter wird unterschieden zwischen kristal- lisierter und fluider Intelligenz. Kristallisierte Intelligenz meint die Menge an Wissen, die ein Mensch im Lauf seines Lebens ansammelt, sie kann sich mit zu- nehmendem Alter vergrößern. Fluide Intelligenz beschreibt die Fähigkeit zu log- sich-abstraktem Denken und beinhaltet die Geschwindigkeit der Informationsver- arbeitung und die Aufmerksamkeit. Sie nimmt im Alter in der Regel ab (Branden- burg/Domschke 2007, S. 84f.).
Nach Rump und Eilers (2007, S. 45) entwickelt sich die Innovations- und Wettbewerbsfähigkeit eines Unternehmens aus dem Zusammenspiel von fluider und kristallisierter Kompetenz, die sich aus den Intelligenzformen ableitet. Entsprechend klassifizieren auch Brandenburg und Domschke die Veränderung menschlicher Leistungsvoraussetzungen mit zunehmendem Alter:
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abb. 1: Veränderungen der menschlichen Leistungsvoraussetzungen (Quelle: Brandenburg/Domschke 2007, S. 83)
Kompetenzen und Leistungsvoraussetzungen älterer Mitarbeiter nehmen im Alter also keineswegs ab, sie vergrößern sich eher. Die sich daraus ergebenden Ansatzpunkte sollen nun dargestellt werden.
2.2 Lernen im Alter und Lebenslanges Lernen
Die Vorzüge älterer Arbeitnehmer hinsichtlich ihrer Lebens- und Berufserfahrung, ihres Expertenwissens, sowie hinsichtlich Kontinuität, Solidität und Pflichtbe- wusstsein sind nicht von der Hand zu weisen und werden von den Unternehmen als betriebliches Potenzial erkannt. Einschränkungen werden eher im Bereich der körperlichen Leistungsfähigkeit gesehen (Axhausen et al. 2002, S. 14f., BAuA 2009, S. 16). Zum Problem und Kostenfaktor werden alternde Belegschaften erst wenn Qualifikation, Motivation und Gesundheit nicht mehr ausreichen um die Arbeitsanforderungen zu bewältigen (Seyfried 2011, S. 10f.).
Ein Abbau an Lernfähigkeit älterer Arbeitnehmer kann in diesem Zusammenhang nicht auf den Faktor „Alter“ an sich zurückgeführt werden, sondern wird gefördert durch ungünstige Arbeitsbedingungen und fehlende Weiterbildungsmöglichkeiten im Unternehmen. Die Folge dieser Einengungen sind „intellektuelle und manuelle Vereinseitigung“ (Schöpf 2007, S. 22).
Dieser Entwicklung kann zum einen mit dem Konzept des LLL entgegengesteuert werden. Nach Hof (2009, S. 24f.) ist die Entwicklung des Konzeptes des LLL vor dem Hintergrund der Anforderungen einer modernen Wissensgesellschaft und der damit verbundenen Veränderungen der Berufsstruktur zu verstehen. Dewe und Weber (2007, S. 39) sprechen hier vom Prozess der „Entdifferenzierung von bio- grafischen Phasen“ und vom „allmählichen Verschwinden von Lebensphasen- übergängen“. Hof (2009, S. 30f.) sieht LLL zeitlich nicht an bestimmte Lebens- phasen gebunden, sondern auf den gesamten Lebenslauf bezogen. Zudem handelt es sich nicht nur um formales Lernen, sondern immer auch um nicht-formales und informelles Lernen. Hier werden Lerninhalte nicht didaktisch strukturiert, sondern situatives Wissen vermittelt (Hof 2009, S. 68f.).
Vor diesem Hintergrund erscheint eine Ausweitung betrieblicher Weiterbildung als Bestandteil des LLL dringend erforderlich, zumal die dritte europäische Erhe- bung über die berufliche Weiterbildung in Unternehmen (Continuing Vocational Training Survey, CVTS3) zeigt, dass die betriebliche Weiterbildung in Deutsch- land stagniert und teilweise sogar rückläufig ist (BIBB 2008, S. 6). Die Weiterbil- dungsbeteiligung der Altersgruppe 55+ fällt in Europa sehr unterschiedlich aus. Deutschland belegt hier im europäischen Vergleich mit einer Beteiligung von 21% nur Platz 16 (Moraal et al. 2009, S. 9). 64% der bei der CVTS3- Zusatzerhebung befragten weiterbildenden Unternehmen erwarten aus dem Rückgang des Arbeitskräfteangebots Nachteile für ihr Unternehmen, jedoch nur 7% dieser Unternehmen bieten für ihre älteren Mitarbeiter auch tatsächlich Weiterbildungsmaßnahmen an (Moraal 2009, S. 35ff.).
Einerseits engagieren sich ältere Mitarbeiter aufgrund des nahenden Ruhestands weniger in der Weiterbildung als Jüngere, andrerseits werden ihre speziellen Lernbedürfnisse und ihr biografischer Lernhintergrund zu wenig wahrgenommen. Ohne entsprechende Weiterbildungsmaßnahmen für ältere Belegschaftsteile sind diese Potenziale jedoch - gerade im Hinblick auf die neuen Technologien - für Unternehmen nicht zu nutzen (Friebe/Jana-Tröller 2008, S. 15f.). Der absehbare künftige Fachkräftemangel und die Strukturveränderungen in den Belegschaften können ohne die Weiterbildung älterer Belegschaftsteile nicht bewältigt werden (Rump 2008, S. 34).
Ältere Menschen verfügen also über ausreichende Ressourcen und Voraussetzun- gen für ein Lebenslanges Lernen. Dies wird nur möglich, wenn es einerseits kon- tinuierlich geschieht und andererseits die entsprechenden Rahmendbedingungen von Gesellschaft und Betrieben geschaffen werden (Hof 2009, S. 30f.). Auch der Abbau physischer Leistungsfähigkeit ist unter dem Gesichtspunkt der Möglichkei- ten von Gesundheitsschutz, Gesundheitsförderung und Anpassung der betriebli- chen Arbeitsbedingungen zu betrachten (Heinze/Naegele 2008, S. 17).
In Kapitel 3 erfolgt nun eine Darstellung alternsgerechter Qualifizierungsansätze sowie die exemplarische Beschreibung intergenerativer Partnerschaften, die eher auf einen Wissens- und Erfahrungstransfer abzielen und des Age Diversity Ma- nagement, das an der Nutzung der Gesamtheit der Potenziale des Unternehmens orientiert ist.
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