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Klimawandel und Sicherheit

Zurück zum Realismus?

©2011 Seminararbeit 22 Seiten

Zusammenfassung

Im Gegensatz zur wissenschaftlichen Debatte um Klimasicherheit, die sich sozialkonstruktivistischer oder komprehensiver Sicherheitsverständnisse bedient, bringen Staaten die Bedrohungen durch den Klimawandel häufig mit ihrer nationalen Sicherheit in Verbindung und propagieren Strategien, die dem Erhalt ihrer relativen Macht im internationalen System am zuträglichsten erscheinen. Ziel der vorliegenden Arbeit ist abseits der Neudefinition und Versicherheitlichung des Klimawandels eine alternative analytische Betrachtung der Klimasicherheit unter Zuhilfenahme realistischer Ansätze und besonderer Berücksichtigung der Staatenpraxis aufzuzeigen. Diese realistische Perspektive kann bei wenigen Modifikationen einen Mehrwert für die Analyse der Klimasicherheit schaffen. Zeitgleich sollen jedoch exemplarisch Grenzen und Schwächen einer realistischen Bearbeitung der Klimasicherheit aufgezeigt werden.

Leseprobe

Inhalt

ABKÜRZUNGEN

TABELLENVERZEICHNIS

ABSTRACT

A. EINFÜHRUNG

B. KLIMAWANDEL UND SICHERHEIT: GRUNDZÜGE DES DISKURSES
I. Versicherheitlichung des Klimawandels
II oder Erweiterung des Sicherheitsbegriffs?

C. STAATENPRAXIS: ZURÜCK ZUR NATIONALEN SICHERHEIT?
I. Klimasicherheit im Realismus - ein Oxymoron?
II. Typologisierung der Bedrohungen
III. Eine US-amerikanische Perspektive
IV. Eine europ ä ische Perspektive
a. Klimawandel und knappe Ressourcen
b. Polit-ökonomische Auswirkungen des Klimawandels
c. Die Rolle menschlicher Sicherheit in der Klimasicherheit

D. ZURÜCK ZUM REALISMUS?

E. SCHLUSSFOLGERUNGEN

LITERATUR

ABKÜRZUNGEN

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

TABELLENVERZEICHNIS

Tabelle 1: Sicherheitsbegriff im Wandel, eigene Darstellung

Tabelle 2: Dimensionen von Sicherheit nach PARIS (2001: 98), eigene Darstellung

ABSTRACT

Im Gegensatz zur wissenschaftlichen Debatte um Klimasicherheit, die sich sozialkonstruktivistischer oder komprehensiver Sicherheitsverständnisse bedient, bringen Staaten die Bedrohungen durch den Klimawandel häufig mit ihrer nationalen Sicherheit in Verbindung und propagieren Strategien, die dem Erhalt ihrer relativen Macht im internationalen System am zuträglichsten erscheinen. Ziel der vorliegenden Arbeit ist abseits der Neudefinition und Versicherheitlichung des Klimawandels eine alternative analytische Betrachtung der Klimasicherheit unter Zuhilfenahme realistischer Ansätze und besonderer Berücksichtigung der Staatenpraxis aufzuzeigen. Diese realistische Perspektive kann bei wenigen Modifikationen einen Mehrwert für die Analyse der Klimasicherheit schaffen. Zeitgleich sollen jedoch exemplarisch Grenzen und Schwächen einer realistischen Bearbeitung der Klimasicherheit aufgezeigt werden.

A. EINFÜHRUNG

Der anthropogene Klimawandel ist heute eine Tatsache, die längst Eingang in den sicher- heitspolitischen Diskurs gefunden hat. Während in der Debatte um Klimasicherheit das traditio- nelle Sicherheitsverständnis für unzureichend befunden worden ist und eine Ausweitung des Be- griffs bis hin zur menschlichen Sicherheit mit allen Policy -Implikationen, die aus dem ultimativen Ziel - die Beseitigung aller Ursachen der Bedrohungen menschlichen Existenz - propagiert wer- den, verharrten die Staaten in einem sehr engen Sicherheitsverständnis und im „Primat national- staatlicher Interessen“ (vgl. BRUNNENGRÄBER 2009: 2). Häufig werden auch Sicherheitsbedro- hungen durch den Klimawandel auf nationale Interessen zurückführt und Strategien empfohlen, die stark an längst vergessene offensiv und defensiv realistisch motivierte Maßnahmen zur Siche- rung der eigenen Macht erinnern. Ziel dieser Arbeit ist es mit Blick auf die Staatenpraxis (Schwerpunkt: EU1 ) zu untersuchen, in welchem Rahmen eine auf die Maximierung von Macht zum Überleben in einer anarchischen Welt fokussierte Theorie einem Phänomen wie dem Kli- mawandel überhaupt gerecht werden kann. Es wird hierbei gezeigt, dass unter Rückführung der schwersten Bedrohungen durch den Klimawandel auf die nationale Sicherheit von Staaten durch- aus realistische Konzepte einen Mehrwert in der Analyse bieten können, diese jedoch insbeson- dere zur Erklärung von Kooperation, die weit über die Motivation des Erhalt des Status Quo hinausgeht, keine plausible Erklärung liefern können.

Im nächsten Abschnitt sollen zunächst Grundzüge des Diskurses um die Inkorporation des Klimawandels in die Debatte um internationale Sicherheit durch Versicherheitlichung und Aus- weitung des Sicherheitsbegriffs vorgestellt werden, woraufhin im dritten Abschnitt vor dem Hin- tergrund der Wahrnehmung des Klimawandels durch die USA und die EU und die perzipierten ultimativen Bedrohungen untersucht wird, inwieweit sich Klimasicherheit auch in den Analyse- rahmen der realistischen Schule einbetten lässt. Im vierten Abschnitt gilt es die Ergebnisse der Untersuchung kritisch zu evaluieren und zu eruieren, inwieweit sich der Klimawandel tatsächlich einer Bearbeitung durch die realistische Schule zugänglich ist und wo diese an ihre Grenzen stößt. Der letzte Abschnitt dient abschließenden Bemerkungen zur vorhergegangenen Analyse.

B. KLIMAWANDEL UND SICHERHEIT: GRUNDZÜGE DES DISKURSES

Im Wesentlichen herrschten bisher zwei Herangehensweisen vor, um den Klimawandel konzeptionell für einen sicherheitspolitischen Diskurs fruchtbar zu machen. Einerseits wurde versucht, den Klimawandel zu „versicherheitlichen“ und andererseits Sicherheit neu zu definieren bzw. das Sicherheitsverständnis zu erweitern (BROCK 1997), wobei häufig auch beide Ansätze verknüpft werden. Der Diskurs zielte allem voran darauf ab, die Analyseperspektive auch auf solche Gegenstände auszuweiten, für die die traditionelle polit-militärische Perspektive als unzu- reichend begriffen wird, da sie der Komplexität „neuer“ Sicherheitsbedrohungen nicht ausrei- chend Rechnung trägt (MEDICK-KRAKAU 1994; DYER 1996). Die zwei wesentlichen Strömungen innerhalb des Diskurses um sicherheitspolitische Implikationen des Klimawandels sollen in die- sem Abschnitt in Kürze vorgestellt werden.

I. Versicherheitlichung des Klimawandels...

Der Ansatz der Securitization („Versicherheitlichung“) beschreibt, wie bestimmte Themen- komplexe auf die sicherheitspolitische Agenda gelangen. Er geht auf O. WÆVER (1989) zurück und erfuhr in der nachfolgenden Zeit Weiterentwicklung und Präzisierung (WÆVER 1995; idem, BUZAN und DE WILDE 1998). Die Kopenhagener Schule hinterfragt die Objektivität des Sicher- heitsbegriffs und geht von einem sozialkonstruktivistischen und intersubjektiven Sicherheitsbe- griff aus, in dem der Prozess der Versicherheitlichung einerseits ein „Sprechakt“ (speech act) eines versicherheitlichenden Akteurs ist (ibid.: 26), jedoch weiterhin voraussetzt, dass das Publikum die Versicherheitlichung des Phänomens akzeptiert (ibid.: 25). Auf Grundlage dieser stillschweigen- den Anerkennung können extraordinäre Maßnahmen ergriffen werden (ibid.: 25). Die Versicherheitlichung eines Themenkomplexes ist mit gesteigerter öffentlicher Wahrnehmung und höherer Bereitschaft für die Bereitstellung von Ressourcen verbunden, wobei nicht notwendi- gerweise auf „traditionelle“ sicherheitspolitische Maßnahmen zurückgegriffen werden muss.

In Bezug auf den Klimawandel wurde zunächst Umwelt als durch beispielsweise Verlust der Biodiversität oder Desertifikation existenziell bedrohtes Referenzobjekt mit legitimem Anspruch auf Fortbestand begriffen. WÆVER et al. statuieren gar, dass „...the ultimate referent object of environmental security is the risk of losing achieved levels of civilization […] while apparently being able to prevent doing so” (WÆVER, BUZAN und DE WILDE 1998: 75). Dies ließe sich auch auf die EU übertragen, die durch den Klimawandel internationale Stabilität, die Weltwirtschaft und Energiesicherheit gefährdet sieht, die nicht nur Auswirkungen auf die natürliche Umwelt, sondern auch auf die europäische Bevölkerung hätten (EUROPÄISCHE KOMMISSION 2008: 3; BRITO 2009: 6). Die in der EU am Prozess beteiligten Akteure waren insbesondere Europäische Kommission, Parlament sowie Rat der EU, die dem Thema nicht zuletzt auf Druck zahlreicher NGOs auf europäischer Ebene zur Wahrnehmung verhielfen.2 Zur Bekämpfung des Klimawandels wird auch auf nicht-traditionelle sicherheitspolitische Maßnahmen zurückgegriffen, beispielsweise durch die Setzung von Emissionszielen (BRITO 2009: 18ff).

II oder Erweiterung des Sicherheitsbegriffs?

Das in den 1950er und 1960er Jahren dominante enge Sicherheitsverständnis erfuhr mit dem Auftreten erster wirtschaftlicher Krisenerscheinungen zunächst eine Erweiterung um die wirt- schaftliche Dimension, die in den 1970er Jahren imminent wurde. Mit den 1980er Jahren gerieten auch zusehends massive Umweltzerstörungen in den Fokus des Sicherheitsverständnisses (WORLD COMMISSION ON ENVIRONMENT AND DEVELOPMENT 1987: 19). In der nachfolgenden Zeit wurden die ökologischen Dimensionen von nationaler und internationaler Sicherheit vielfäl- tig diskutiert (RENNER 1989; MYERS 1989). Dabei wurde schon früh darauf verwiesen, dass mas- sive Zerstörungen der Umwelt potentiell Konflikte bedingen oder befördern könnten (TUCHMAN 1989: 166). Die Einbettung der ökologischen Dimension und des Klimawandels in den sicher- heitspolitischen Diskurs führt in dieser Debatte jedoch nicht notwendigerweise zu einer Militari- sierung der Umweltpolitik, vielmehr war den Autoren daran gelegen zu zeigen, dass die Zerstö- rung der Umwelt ähnliche Auswirkungen haben kann wie eine militärische Bedrohung (DAASE 2010: 7). ULLMAN (1983) führt die Erweiterung des Sicherheitsbegriffs auf eine neue Bedro- hungswahrnehmung zurück: Eine Bedrohung der nationalen Sicherheit sei demnach „eine Hand- lung oder eine Reihe von Ereignissen, die (1) innerhalb eines relativ kurzen Zeitraums drohen, die Lebensqualität für die Bewohner eines Staates drastisch zu verringern; oder (2) die politischen Optionen einer staatlichen Regierung oder privater, nicht-regierungsnaher Einheiten (Personen, Gruppen, Unternehmen) innerhalb eines Staates signifikant einzuschränken drohen“ (ULLMAN 1983, 133; DAASE 2010: 6). Das Zugrundelegen dieser Bedrohungsperzeption erlaubt es jedoch auch, den Klimawandel als eine Bedrohung der nationalen Sicherheit aufzufassen.

Zunächst blieb innerhalb der Debatte der Staat Referenzobjekt der Betrachtung; deutlich sichtbar wird jedoch die sukzessive Abkehr vom politischen Realismus, wenngleich ULLMAN noch versuchte, die Bedrohungen auf die nationale Sicherheit zurückzuführen. Mit dem Ende des Ost-West-Konfliktes war dieser Ansatz jedoch scheinbar hinfällig, da zusehends auch der Schutz des Individuums und elementarer Menschenrechte im sicherheitspolitischen Diskurs an Bedeu- tung gewann (vgl. Tabelle 1, UNDP 1994) und damit auch das durch den Klimawandel bedingte Schicksal Einzelner, z.B. das der klimabedingten Flüchtlinge, in den Mittelpunkt der Debatte rückte.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Tabelle 1: Sicherheitsbegriff im Wandel, eigene Darstellung.

Befürworter des Konzepts menschlicher Sicherheit verweisen darauf, dass traditionell lediglich die staatliche und allenfalls die gesellschaftliche Ebene Berücksichtigung fand. In der Debatte um human security („menschliche Sicherheit“) verschiebt sich das Referenzobjekt jedoch hin zum Individuum. Damit sollen alle Gefährdungen der menschlichen Existenz beseitigt werden, wobei auch über die Staatsgrenzen hinausgehende Bedrohungen wie klimabedingte Migrationsbewegungen oder sich ausbreitende Infektionskrankheiten erfasst werden sollen,3 etwas, das das realistische Sicherheitsverständnis nicht im Ansatz zu leisten vermag.

Betont wurde in der anschließenden Debatte insbesondere auch die Mehrdimensionalität des Sicherheitsbegriffs (vgl. Tabelle 2; PARIS 2001).

[...]


1 Die EU wird im Folgenden vereinfachend als einheitlicher Akteur in der Klimapolitik begriffen und mit dem neorealistischen Begriffs des „Staats“ analogisiert.

2 Vgl. BRITO (2009, 6ff) mit weiteren Nachweisen, zur breiten öffentlichen Wahrnehmung vgl. etwa EUROPÄISCHE KOMMISSION (2008b: 65), in letzterer Studie nannten 62% den Klimawandel und die globale Erwärmung als größtes Problem der Weltgemeinschaft, womit die Europäer die Bedrohung durch den Klimawandel etwa höher einschätzten als die des Terrorismus (53%).

3 Diese Ausführungen folgen dem weiten Ansatz menschlicher Sicherheit als freedom from fear und freedom from want, wie er durch das UNDP (1994) begründet wurde, dort wörtlich: „Human security can be said to have two main aspects. It means, first, safety from such chronic threats as hunger, dis- ease and repression. And second, it means protection from sudden and hurtful disruptions in the pat- tern of daily life” (UNDP 1994: 23). Dem steht ein engeres Konzept des HUMAN SECURITY CENTRES (2005: VIII) gegenüber, welches sich auf freedom from fear fokussiert, hier wörtlich: „The broader view of security has many adherents - and it is easy to see why. Few would dispute the desirability of protecting people from malnutrition, disease and natural disasters as well as from violence […]. For both pragmatic and methodological reasons, however, the Human Security Report uses the narrow concept”.

Details

Seiten
Jahr
2011
ISBN (eBook)
9783656080572
ISBN (Paperback)
9783656080688
DOI
10.3239/9783656080572
Dateigröße
665 KB
Sprache
Deutsch
Institution / Hochschule
Technische Universität Dresden – Lehrstuhl für Internationale Politik
Erscheinungsdatum
2011 (Dezember)
Note
1,0
Schlagworte
Klimasicherheit Neorealismus Solana-Papier Versicherheitlichung Securitization erweiterter Sicherheitsbegriff menschliche Sicherheit knappe Ressourcen polit-ökonomische Auswirkungen des Klimawandels
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Titel: Klimawandel und Sicherheit