Martin Luther
Die Systematik der Zwei-Reiche-Lehre
Zusammenfassung
Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
1.1 Themendarstellung
1.2 Martin Luther und seine Zeit
2. Entstehungsbedingungen der Zwei-Reiche-Lehre
2.1 Historischer Kontext
2.2 Luthers Obrigkeitsschrift
3. Die Systematik der Zwei-Reiche-Lehre
3.1 Augustin: Vom Gottesstaat
3.2 Die Zwei-Reiche-Lehre Martin Luthers
3.3 Der Staat in der Zwei-Reiche-Lehre
4. Luther und das Widerstandsrecht
5. Abschließende Betrachtungen
6. Anhang
6.1 Literaturverzeichnis
1. Einleitung
1.1 Themendarstellung
Das Thema dieser Hausarbeit ist die Zwei-Reiche-Lehre des Dr. Martin Luther. Dabei ist der Begriff Lehre unscharf, da es sich nicht um eine Systematik im engeren Sinne handelt. Es handelt sich eher um die Summe vieler Schriften, die alle im Bezug zu Fragen der weltlichen Obrigkeit stehen. Zeitlich ist das Thema am Übergang vom Mittelalter zur Neuzeit einzuordnen. Eine allgemeine Emanzipation von göttlicher Ordnung, vor allem durch die aufkommenden Natur- und Geisteswissenschaften, ist zeittypisch. Im Mittelpunkt von Humanismus und Renaissance stand der Begriff der Vernunft. Es ging unter anderem darum, den Staat ohne Gott als weltliche Organisation reiner Zweckdienlichkeit zu legitimieren. In diesem Sinne kann man die Reformation folgerichtig als hermeneutischen Streit um die Auslegung der Bibel deuten. Glaubensfragen wurden nun mit Mitteln der Vernunft beantwortet.
Ein Beispiel dafür ist nun die Zwei-Reiche-Lehre. Luthers Modell basiert auf der Erbsünde. Das Paradies war der Normalzustand, nach dem Sündenfall zerfiel die Welt in eine irdische und ein geistliche Ebene. Diese Ordnung ist vorläufig, da am Tage des jüngsten Gerichts die irdische Welt zerstört und die geistliche Welt von Christus an Gott übergeben wird. Es entsteht dann das regnum gloriae. Den Weg dorthin schildert Luther in seiner Zwei-Reiche-Lehre.
Diese Hausarbeit beginnt mit einem kurzen Abriss zu Luthers Biographie und der Zeit, in der er lebte. Es folgt dann eine Darstellung des historischen Kontexts, in dem die Zwei-Reiche-Lehre entstand. Im ersten Hauptteil wird dann anhand von wichtigen Textstellen Luthers Obrigkeitsschrift, die Hauptquelle zur Interpretation der Zwei-Reiche-Lehre, dargelegt. Im zweiten Hauptteil soll dann die Systematik der Lehre interpretiert werden. Dazu erscheint auch ein Rückgriff auf Augustin, bei dem sich ähnliche Ansätze finden lassen, sinnvoll. Weiterhin sollen dann Luthers Einstellungen zum Staat und darauf aufbauend seine Einstellung zum Widerstandsrecht bzw. zur Gehorsamspflicht herausgearbeitet werden. Ein Fazit rundet dieses Thema schließlich ab.
1.2 Martin Luther und seine Zeit
Martin Luther wurde am 10. November 1483 in Eisleben geboren und starb auch dort am 18. Februar 1546. Luther entstammte einer aufstrebenden Unternehmerfamilie.[1]
Zwischen 1501 und 1505 studierte er in Erfurt und machte seinen Abschluss als Magister Artium an der philosophischen Fakultät. Auf Wunsch seines Vaters wollte er dann seine Laufbahn mit einem Studium der Rechtswissenschaften fortsetzen. Aufgrund einer religiösen Eingebung trat er aber noch im Juli 1505 in das Erfurter Kloster der Augustinereremiten ein. 1507 wurde er dort zum Priester geweiht. Im selben Jahr begann er das Studium der Theologie, fünf Jahre später erhielt er die Doktorwürde.
Als eines der bedeutendsten Ereignisse der frühen Neuzeit gelten dann Luthers 95 Thesen. Anlass war der häufige Missbrauch des Ablasshandels seitens der katholischen Kirche, die vor allem dem Bau des Petersdoms in Rom finanzieren wollte. Luther soll diese Thesen direkt an das Portal der Schlosskirche in Wittenberg angeschlagen haben. Die Erfindung des Buchdruckes mit beweglichen Lettern ist eine Erklärung dafür, warum sich die Thesen und später die Reformation so schnell und sprunghaft verbreitet haben.
Etwa zur selben Zeit hatte Luther, wie er es selbst beschreibt, ein Schlüsselerlebnis. Das sogenannte Turmerlebnis. Die Erkenntnis, dass die Rechtfertigung der Menschen vor Gott allein durch den Glauben entsteht.
Die Kurie reagierte schnell und wollte Luther wegen seiner postulierten Thesen nach Rom zitieren. Dieser lehnte ab und verlangte eine Anhörung auf deutschem Gebiet. Er fand im Kurfürsten von Sachsen einen Unterstützer. Der Papst musste dem aus politischen Gründen nachgeben. Eine neuerliche Kaiserwahl stand bevor und Papst Leo X. wollte die Wahl des Habsburgers Karl I. von Spanien verhindern. Vor allem wohl wegen dessen Besitz in Italien, der den Kirchenstaat von mehreren Seiten bedrohte.
So kam es in einem Hause der Fugger in Augsburg zu einem recht fruchtlosen Disput ohne Ergebnis. Um Spannungen mit Kursachsen zu vermeiden, ließ die Kurie den Prozess ruhen. Als 1519 Karl I. von Spanien letzten Endes doch als Karl V. zum Kaiser des Heiligen Römischen Reiches gewählt wurde, nahm die Kurie den Prozess gegen Luther im Juni selben Jahres wieder auf.
Im Jahre 1520 wurde eine Bannbulle gegen Luther verhängt, die den Ausschluss aus der Kirche zur Folge haben sollte, falls Luther seinen Standpunkt nicht widerrufe. Die Bulle wurde 1520 in Wittenberg durch Luther verbrannt und er wurde daraufhin im Januar 1521 exkommuniziert. Die politischen Folgen kamen im Mai 1521 in Form des Wormser Ediktes. Gegen Luther wurde die Reichsacht verhängt, sodass er zwischen Mai 1521 und März 1522 auf der Wartburg Unterschlupf finden musste. Hier erfolgte die Übersetzung des Neuen Testamentes ins Deutsche.
Um 1525 verlor dann die voranschreitende Reformation immer mehr den Charakter einer Volksbewegung. Die nach dem Niederschlagen der Bauernkriege gestärkten Reichsfürsten instrumentalisierten die Reformation mehr und mehr um die zentralen Bezugspunkte der Zeit – Kaiser und Papst – zu schwächen. Die Reaktion darauf war, dass auf dem zweiten Reichstag in Speyer 1529 die partielle Duldung Andersgläubiger aufgehoben wurde. Es folgte eine Protestation der entsprechenden Reichsstände. Seit diesem Zeitpunkt spricht man von Protestanten. Der nächste Schritt war der Reichstag von Augsburg. Angedroht wurde die Reichsacht gegen alle, die die Lehren Luthers vertraten. Reaktion der Protestanten war die Gründung des Schmalkaldischen Bundes im Jahre 1530. Im sogenannten Nürnberger Anstand stimmte dann der Kaiser einem temporären Religionsfrieden zu, wohl vor allem wegen der prekären äußeren Lage des Reiches im Kampf gegen Türken und Franzosen.
Zwischen 1532 und 1540 kamen unter anderem Dänemark, Württemberg, die Herzogtümer Sachsen und Brandenburg auf die Seite der Protestanten. Waffenhilfen dieser gegen Gegner Karls waren keine Seltenheit.
1546 starb dann zum einen Luther und zum anderen kam es zum Schmalkaldischen Krieg, den die Protestanten verloren. Die Unruhen waren aber nicht beendet. Unter Moritz von Sachsen erhoben sich die Protestanten erneut und zwangen Karl zur Flucht. Karls Bruder Ferdinand I. handelte schließlich mit den protestantischen Fürsten einen Frieden aus, der 1555 im Augsburger Religionsfrieden bestätigt wurde. Die Rechte der Protestanten waren gesichert. Die einfache Formel lautete: „cuius regio, eius religio“. Wessen Land, dessen Religion. Diese Formel tauchte so nicht im Originaltext des Vertrages auf. Es handelt sich vielmehr um die Interpretation des Vertrages durch Rechtsgelehrte nach Abschluss des Vertrages.
2. Entstehungsbedingungen der Zwei-Reiche-Lehre
2.1 Historischer Kontext
Die Entstehung von Luthers Zwei-Reiche-Lehre kann nur im eben dargelegten historischen Kontext vollkommen nachvollzogen werden.
Es waren zwei Ereignisse, die ihn veranlasst haben, eine ausführliche Diskussion über das Wesen der Obrigkeit anzugehen.[2] Zum einen eine Schrift des Juristen Johann Freiherr von Schwarzenberg[3] an Luther, in der dieser argumentierte, dass eine Vereinbarkeit von Schwert und Evangelium durchaus möglich sei. Zum anderen das von Herzog Georg ausgesprochene Verbot der Verbreitung von Luthers September-Testament in den Territorien des Herzogtums Sachsen im Verbund mit der Forderung, bereits angeschaffte Exemplare umgehend der Obrigkeit auszuliefern. Beide Ereignisse stehen synonym für das Vermischen von weltlicher und geistlicher Macht im ausgehenden Mittelalter.
Dass Luther dieses Thema zu diesem Zeitpunkt bereits für sich erschlossen hatte, zeigen zwei seiner Schriften. Erstens der 1520 verfasste Text „An den christlichen Adel deutscher Nation von des christlichen Standes Besserung“[4] und zweitens ein Brief Luthers an Philipp Melanchthon vom 13. Juli 1521[5].
In ersterer legitimiert Luther bereits die generelle Notwendigkeit von weltlicher Obrigkeit, indem er Petrus (1. Petr. 2, 13) zitiert: „Seid Untertan allen menschlichen Ordnungen um Gottes Willen, der es so haben will“[6]. Weiterhin wird schon hier angedeutet, dass die weltliche Gewalt gleichgestellt zur christlichen ist. Luther sagt: „Drum sollte ein Priesterstand in der Christenheit nichts anderes sein als ein Amtmann“[7]. Auch der Gedanke der Trennung beider Gewalten ist schon hier angelegt gewesen, da er argumentierte, dass „weltliche christliche Gewalt ihr Amt frei unbehindert üben [soll], ungesehen, obs Papst, Bischof oder Priester sei, den sie trifft.“[8]
An Melanchthon schreibt er im Widerspruch zu Schwarzenberg: „Über die Gewalt des Schwertes denke ich noch so wie früher. […] Darin halte ich es völlig mit dir, dass es im Evangelium weder ein Gebot noch ein Rat für ein derartiges Recht gibt. Es würde sich auch auf keine Weise ziemen, da das Evangelium ein Gesetz der Freiwilligen und Freien ist, die nichts mit dem Schwert oder dem Recht des Schwertes zu schaffen haben.“[9] Aber gleichzeitig legitimiert er das Recht und die Notwendigkeit des Schwertes auf Erden durch ein Zitat von Johannes dem Täufer (Luk. 3, 141), der sagt: „Lasst euch begnügen an eurem Solde“[10] und so die Existenz des Schwert führenden Soldaten gutheißt.
Auf die Grundgedanken dieser beiden Schriften gestützt hielt Dr. Martin Luther dann am 24. und 25. Oktober des Jahres 1522 zwei Predigten in Weimar über Fragen bezüglich weltlicher und geistlicher Regierung. Der dort anwesende Herzog Johann von Sachsen bat Luther schließlich um Veröffentlichung der Predigten. Luther begann noch im Dezember desselben Jahres mit der Abfassung eines solchen Textes, den er dann im März 1523 unter dem Titel „Von weltlicher Obrigkeit, wie weit man ihr Gehorsam schuldig sei“ veröffentlichte.
2.2 Luthers Obrigkeitsschrift
Der auch als Obrigkeitsschrift bekannte Text „Von weltlicher Obrigkeit, wie weit man ihr Gehorsam schuldig sei“[11] stellt das Grundgerüst zur Interpretation Luthers Zwei-Reiche-Lehre und ihrer Systematik dar. Die Niederschrift ist in drei Abschnitte gegliedert. Der erste Teil beinhaltet zunächst die grundsätzliche Trennung der Menschen in zwei Teile. „Hier müssen wir Adams Kinder und alle Menschen in zwei Teile teilen: die ersten zum Reich Gottes, die anderen zum Reich der Welt. Die zum Reich Gottes gehören, das sind alle Rechtgläubigen in Christus und unter Christus. […] Diese Menschen bedürfen keines weltlichen Schwertes noch Rechts. […] Zum Reich der Welt oder unter das Gesetz gehören alle, die nicht Christen sind.“[12] Außerdem unterscheidet Luther zwei Regimente, also zwei Regierungsweisen Gottes. „Das geistliche, welches durch den heiligen Geist Christen und fromme Leute macht, unter Christus, und das weltliche, welches den Unchristen und Bösen wehrt, dass sie gegen ihren Willen äußerlich Frieden halten und still sein müssen“[13]. Eine Trennung der beiden Regimente, die in den jeweiligen Reichen wirken, ist für Luther unablässig: „Deshalb muss man diese beiden Regimente mit Fleiß voneinander scheiden und beides bleiben lassen: eines, das fromm macht, das andere, das äußerlichen Frieden schaffe und bösen Werken wehret. Keines ist ohne das andere genug in der Welt.“[14] Aus der Notwendigkeit des Schwertes wird dann die Notwendigkeit der Obrigkeit als solcher abgeleitet. Luther zitiert hierfür Paulus, Röm. 13, 1: „Jedermann sei Untertan der Obrigkeit, die Gewalt über ihn hat. Denn es ist keine Obrigkeit ohne von Gott, wo aber Obrigkeit ist, ist die von Gott verordnet.“[15] Luther schränkt weiterhin das Nutzen des Schwertes ein. Er sagt, dass ein Christ dieses nicht „für sich und seine Sache führen noch anrufen [soll], sondern für einen anderen kann und soll ers führen und anrufen, damit der Bosheit gesteuert und die Rechtschaffenheit geschützt werde.“[16] Ein Christ soll also das eigene Dasein betreffend verzeihen, dulden und opfern können. Das Miteinander der Menschen wird aber durch Recht geregelt, indem Grenzen gegen das Böse gesetzt werden.[17] Teil eins steht somit für die Begründung der Unterscheidung in zwei Reiche und zwei Regimente sowie die Legitimierung der weltlichen Obrigkeit.
Teil zwei befasst sich dann mit der Zuständigkeit der weltlichen Obrigkeit, also wie weit die „weltliche Obrigkeit [sich] erstrecke“[18]. Auch hier spielt Luther wieder auf die schon erwähnte Vermischung von geistlicher und weltlicher Ebene an: „Denn meine ungnädigen Herren, Papst und Bischöfe, sollen Bischöfe sein und Gottes Wort predigen. Das lassen sie und sind weltliche Fürsten geworden und regieren mit Gesetzen, die nur Leib und Gut betreffen.“[19] Luther spricht sich hier eindeutig für eine Trennung aus. Weltliche Gesetze sollen über Leib und Gut bestimmen, über Angelegenheiten der Seele aber Gottes Wort allein. Weiterhin kritisiert Luther auch den Amtsmissbrauch von kirchlichen Würdenträgern, vom Priester bis zum Papst: „Was sind denn die Priester und Bischöfe? Antwort: ihr Regiment ist nicht eine Obrigkeit oder Gewalt, sondern ein Dienst und Amt. Denn sie sind nicht höher noch besser vor anderen Christen.“[20]
[...]
[1] Ausführlichere biografische und historische Darstellungen finden sich in Bainton (1980) und Aland (2002), S. 9-213
[2] Cf. Bornkamm (1960), S. 7f
[3] 1463 geboren, 1528 gestorben. Bedeutendster Jurist der Zeit. Hofmeister des Erzbi- schofs von Bamberg. Schloss sich früh der Sache Luthers an. Zwischen 1522 und 1524 Mitglied des Reichsregimentes und in dieser Funktion auch Statthalter des Reiches in Abwesenheit von Karl V.
[4] Aland (2002), S. 1324-1348 [= WA6, 405-415]
[5] Op. cit., S. 7324-7330 [= WA Br 2, 348f]
[6] Op. cit., S. 1334
[7] Op. cit., S. 1331
[8] Op. cit., S. 1334
[9] Op. cit., S. 7225
[10] Op. cit., S. 7224f
[11] Op. cit., S. 4349-4423 [= WA11, 246-280]
[12] Op. cit., S. 4356f
[13] Op. cit., S. 4359
[14] Op. cit., S. 4361
[15] Op. cit., S. 4364
[16] Op. cit, S. 4378
[17] Cf. Bornkamm (1960), S. 9
[18] Aland (2002), S. 4381
[19] Op. cit, S. 4387
[20] Op. cit, S. 4399