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Fair Trade und der Warenfetisch

Möglichkeiten des fairen Handels dem Marx'schen Warenfetisch entgegenzuwirken

©2011 Hausarbeit (Hauptseminar) 20 Seiten

Zusammenfassung

Die Fairtrade-Bewegung hat in den letzten zwei Jahrzehnten einen enormen Bedeutungszuwachs erfahren: starke Zuwachsraten, immer mehr Lebensmittelhändler, die fair gehandelte Produkte führen und ein immer größerer Bekanntheitsgrad des Fairtrade-Siegels sind klar Signale für die Entwicklung des einst belächelten Nischenprodukts. Dabei besteht das Ziel der Bewegung zuallererst in Armutsbekämpfung und der Ermöglichung sozio-ökonomischer Entwicklung von, im Welthandel ansonsten stark benachteiligten, Produzentengruppen im globalen Süden. Allerdings gehen die Erwartungen einiger Beobachter weit über Milderung von Armut hinaus. Vielmehr als der direkte Einfluss auf Löhne und Arbeitsbedingungen im globalen Süden stehen für sie die Potenziale der Fairtrade-Bewegung im Vordergrund, die Grundstrukturen des Kapitalismus selbst herauszufordern. Diese Argumentation ist nahe an das Marx‘sche Konzept des Warenfetisch angelegt. Die vorliegende Arbeit beschäftigt mit der Frage, inwiefern diese Hoffnung berechtigt ist. Können Fairtrade-Produkte tatsächlich ein angemessenes Mittel sein, dem Fetischcharakter der Ware entgegenzuwirken?

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Die Ware bei Marx

3. Der Warenfetisch
3.1 Versachlichung gesellschaftlicher Beziehungen
3.2 Die Verschleierung des Produktionsprozesses
3.3 Das Machwerk wird zum Machtwerk

4 Fairtrade und der Warenfetisch
4.1 Fairtrade-Produkte und die Versachlichung gesellschaftlicher Beziehungen
4.2 Fairtrade-Produkte und die Verschleierung des Produktionsprozess
4.3 Fairtrade-Produkte und die Kontrolle über die Wertgegenständlichkeit

5. Fazit

6. Bibliografie

1. Einleitung

„Replace Capitalism with something nice!“ (Graffiti auf einer Londoner Wand, zitiert nach Goodman, 2004: 892) Hinter dieser Londoner Straßenkunst stecken viele der Hoffnungen, die mit der sich in den letzen zwei Jahrzehnten immer breiter etablierenden Fairtrade-Bewegung verbunden werden. Dabei geht es Fairtrade-Organisationen zunächst einmal um Armutsbekämpfung. Durch „politischen Konsum“ (Fridell, 2007: 79) und die Bereitschaft von Käufern aus dem Norden, für „fair“1 und nachhaltig produzierte Güter Preise über dem Weltmarktniveau zu bezahlen, sollen gravierende Ungerechtigkeiten im Welthandel ausgeglichen und benachteiligten Produzenten aus dem Süden die Möglichkeit auf einen gerechten Lohn und sozio-ökonomische Entwicklung gegeben werden (vgl. EFTA, 2010). Dass das Hauptziel der Bewegung darin besteht, dem aktuellen Welthandelssystem etwas „Netteres“ entgegen zu setzen, liegt also auf der Hand. Und dabei ist man durchaus erfolgreich: seit 2005 sank die jährliche Zuwachsrate nicht mehr unter 20 Prozent, immer mehr Lebensmittelhändler führen fair gehandelte Produkte und allein in Deutschland erkennen fast 70 Prozent der Verbraucher das Siegel der Fair-Trade-Labelling-Organization International (FLO) (vgl. Raschke, 2010: 744)

Allerdings gehen die Erwartungen einiger Beobachter weit über Milderung von Armut hinaus. Vielmehr als der direkte Einfluss auf Löhne und Arbeitsbedingungen im globalen Süden stehen für sie die Potenziale der Fairtrade-Bewegung im Vordergrund, die Grundstrukturen des Kapitalismus selbst herauszufordern (vgl. Fridell, 2007: 87). Aus dieser Perspektive schafft fairer Handel eine neue Form der Ware und damit auch neue Formen von gesellschaftlichen Verhältnissen, Konsument-Produzenten- Verbindungen und eine neue Kontrollierbarkeit des Tauschprozesses.

Diese Argumentation ist nahe angelegt an das Konzept des Warenfetisch von Marx. Auch er geht davon aus, dass sich ein Bogen spannen lässt von der einzelnen Ware und den Besonderheiten ihrer Warenform hin zu gesellschaftlichen Klassenverhältnissen und den Grundzügen kapitalistischer Produktionsweise (vgl. Altvater et al., 1999: 13). In der Ware und der Form, in der sich Menschen auf sie beziehen, liegt quasi die Blaupause kapitalistischer Produktionsweise. Diese problematisiert er in seiner Beschreibung des Warenfetisch. Sollte sich also aus den Besonderheiten der Fairtrade-Produkte tatsächlich ein Mittel gegen den Warenfetisch ableiten lassen, wären transformative Hoffnungen aus Marx'scher Perspektive nicht unberechtigt. Vor diesem Hintergrund lautet die Fragestellung dieser Arbeit:

Sind Fairtrade-Produkte ein adäquates Mittel dem Marxschen Warenfetisch entgegenzuwirken?

Bei der Auslegung der Marx'schen Werttheorie und des Warenfetisch werde ich mich vor allem auf die „neue Marx-Lektüre“ (Heinrich, 2005: 26) beziehen.2

Um die oben genannte Fragestellung zu beantworten wird es zunächst wichtig sein, den marxschen Warenfetisch darzustellen. Dazu werde ich die Marx‘s Waren- und Werttheorie skizzieren (2.1). Anschließend werde ich den Warenfetisch anhand dreier Analysedimensionen untersuchen und charakterisieren (2.2). Im nächsten Schritt wird es nach einem kurzen Überblick über die Fairtrade-Bewegung darum gehen, diese Analysedimensionen auf Fairtrade-Produkte anzuwenden (3). Vor diesem Hintergrund soll die der Arbeit zu Grunde liegende Fragestellung abschließend diskutiert werden (4.)

2. Die Ware bei Marx

Um den Warenfetisch in seinen verschiedenen Dimensionen verstehen zu können ist es wichtig, das Wesen der Ware in der Marx‘schen Analyse des Kapitalismus zu kennen. Im Folgenden soll kurz auf die wesentlichen Merkmale der Ware, wie sie im ersten Kapitel des Kapital charakterisiert werden, eingegangen werden.

Marx beginnt seine Analyse der kapitalistischen Verhältnisse mit einer Analyse der Ware als „Elementarform des gesellschaftlichen Reichtums in kapitalistischen Gesellschaften“ (Altvater et al., 1999: 13)“. Es ist eine der Wesensmerkmale des Kapitalismus, dass ein überwiegender Teil der Güter zu Waren und der Warentausch zu einem gesellschaftsordnenden Prinzip wird. Aus der Besonderheit der Ware lassen sich daher einige der elementaren Merkmale der kapitalistischen Produktionsweise erklären (vgl. Heinrich, 2005: 37).

Für Marx ist Ware ein Gut, das getauscht wird. Sie verfügt einerseits über einen Gebrauchswert , andererseits über einen Tauschwert. Der Gebrauchswert ist der erste Gesichtspunkt, unter dem wir jede Ware betrachten. Auf dem Stuhl kann man sitzen, mit dem Auto fahren, ein Buch lesen etc. Jede Ware ist zunächst „ein äußerer Gegenstand, ein Ding, das durch seine Eigenschaft menschliche Bedürfnisse in irgendeiner Form befriedigt“ (vgl. Marx, 2009: 49). Entscheidend daran ist, dass der Gebrauchswert eine immanente, qualitative Eigenschaft jeder Ware ist.

Das gilt wiederum nicht für den Tauschwert. Für Marx ist er keine natürliche Eigenschaft, sondern besteht nur im gesellschaftlichen Zusammenhang. Nur in Gesellschaften, in denen Güter getauscht werden, erhalten sie einen Tauschwert (vgl. Sweezy, 1970: 41). Dieser ist zunächst „das quantitative Verhältnis, die Proportionen, worin sich Gebrauchswerte einer Art gegen Gebrauchswerte anderer Art austauschen“ (vgl. Marx, 2009: 50). Wenn aber zwei Waren mit qualitativ völlig unterschiedlichen Gebrauchswerten, wie beispielsweise Buch und Auto, gegeneinander getauscht werden können, dann muss das Austauschverhältnis, soweit es nicht völlig beliebig ist, auf irgendeine Gemeinsamkeit zurückzuführen sein. Für Marx besteht diese Gemeinsamkeit aller Waren darin, dass sie Produkte menschlicher Arbeit sind. Entscheidend für den Tauschwert einer Ware ist das Maß an menschlicher Arbeit, die für ihre Herstellung aufgewendet wurde. Wenn ein Tisch gleichviel Wert hat wie drei Stühle, so liegt das daran, dass für die Produktion von einem Tisch genauso viel menschliche Arbeit gebraucht wird wie für drei Stühle (vgl. Heinrich, 2005: 39). Wertbildend dabei ist aber nicht die individuelle Arbeit des einzelnen Produzenten (dann wäre der Stuhl eines langsamen Tischlers wertvoller als der eines schnelleren), sondern die gesellschaftliche notwendige Arbeitszeit. Sie ist „Arbeitszeit, erheischt um irgendeinen Gebrauchswert mit den vorhandenen gesellschaftlich-normalen Produktionsbedingungen und dem gesellschaftlichen Durchschnittsgrad von Geschick und Intensität der Arbeit darzustellen“ (Marx, 2009: 53). Um zu beschreiben was den Tauschwert erzeugt, abstrahiert Marx noch weiter: entscheidend ist das Maß an „abstrakter Arbeit“ (Marx, 2009: 57). Für den Wert einer Ware ist unerheblich ob es sich bei der verausgabten Arbeit um Schneiderei oder Softwareprogrammierung handelt, er wird unabhängig von allen qualitativen Unterschieden allein durch das quantitative Maß an menschlicher Arbeitszeit gebildet (vgl. Altvater et al., 1999: 23). Der Wert eines Produktes ist also die darin geronnene abstrakte Arbeitszeit. Wo getauscht wird, werden Produkte auf die Vergegenständlichung menschlicher Arbeit schlechthin reduziert (Altvater et al., 1999: 51).

Dabei ist wichtig, dass es sich beim Tauschwert bzw. bei der Wertgegenständlichkeit von Gütern nicht um wirkliche Eigenschaften handelt. Marx spricht in diesem Zusammenhang von einer „gespenstigen Gegenständlichkeit“ (Marx, 2009: 52) der Wertgegenständlichkeit von Waren. Kein Gut kann für sich selbst einen Wert besitzen, dieser kommt ihm nur im Austausch mit anderen Gütern zu. Der Tausch erst macht ein Gut zur Ware und nur im Moment des Tauschs gegen eine andere Ware kommt ihre Wertgegenständlichkeit zum Vorschein. Außerhalb des Tauschs besitzt das Gut keinen „Wert“, dieser kann vom Produzenten nur mehr oder weniger gut abgeschätzt werden (vgl. Heinrich, 2005: 53 f.).

3. Der Warenfetisch

Der Warenfetisch wird von Marx am Ende des ersten Kapitel im Anschluss an die oben kurz skizzierte Werttheorie unter dem Titel „Der Fetischcharakter der Ware“ beschrieben. Um bewerten zu können, inwiefern Fairtrade Produkte ein Mittel sein könnten, ihm entgegenzuwirken wird der Warenfetisch im Folgenden in drei Analysedimensionen unterteilt werden.

3.1 Versachlichung gesellschaftlicher Beziehungen

Die kapitalistische Produktionsweise ist durch privat produzierende Arbeitsteilung gekennzeichnet. Die Arbeit jedes Einzelnen erfolgt privat, hat dabei aber schon immer einen gesellschaftlichen Charakter, eben weil er keinen direkten Gebrauchswert für sich selbst erstellt, sondern für andere (vertreten durch „den Markt“) produziert (vgl. Heinrich, 2005: 71). Dieser Zusammenhang realisiert sich allerdings erst dann, wenn der Privatproduzent seine Waren auf den Markt trägt. Die Produktion erfolgt in kapitalistischen Verhältnisse also ungesellschaftlich. Die einzelnen Produzenten beziehen sich erst im Austausch aufeinander und dann nur dadurch, dass sie ihre Produkte aufeinander beziehen (vgl. Haug, 2005: 160). Im Austausch, also innerhalb der Marktbeziehungen, ist der Einzelne aber allein über seinen Warenbesitz bestimmt. „Die Personen existieren hier nur füreinander als Repräsentanten von Waren und daher als Warenbesitzer“ (Marx, 2009: 96). Das gesellschaftliche Verhältnis von Menschen erscheint als ein Verhältnis der Dinge: es sind nicht Menschen die in einer Beziehung zueinander stehen, sondern die Waren (vgl. Heinrich, 2005: 71). Den Produzenten „erscheinen daher die gesellschaftlichen Beziehungen ihrer Privatarbeiten als das was sie sind, d. h. nicht als unmittelbare gesellschaftliche Verhältnisse der Personen in ihren Arbeiten selbst, sondern vielmehr als sachliche Verhältnisse der Personen und gesellschaftliche Verhältnisse der Sachen“ (Marx, 2009: 85).

Eine erste Dimension des Marx‘schen Warenfetisch ist daher die Entpersönlichung der produktiven Beziehungen. Als Warenrepräsentanten begegnen sich die ansonsten isolierten Privatproduzenten nur vor dem Hintergrund, möglichst viele fremde Waren gegen die eigene austauschen zu können. Das eigentlich gesellschaftliche Verhältnis der Arbeitsteilung wird verdrängt, die Produzenten im Produktionsprozess voneinander getrennt und in Kontakt zueinander treten sie allein als Warenträger (vgl. Sweezy, 1970: 51). In der Versachlichung ihrer Beziehung wird dann der möglichst profitable Austausch der eigenen Waren gegen andere zum einzigen Kriterium bei Bewegungen auf dem Markt (vgl. Fridell, 2007: 83).

3.2 Die Verschleierung des Produktionsprozesses

Eine zweite Dimension des Marx‘schen Warenfetisch ist eng mit der Versachlichung der gesellschaftlichen Verhältnisse verknüpft. Wenn sich die Menschen im Tausch bzw. auf dem Markt als reine Repräsentanten von Waren begegnen, dann heißt das auch, dass die Ware im Tauschprozess das einzig sichtbare ist. Was die für Wertgegenständlichkeit der Ware im Tausch entscheidend ist, ist das Maß an menschlicher Arbeit, das in ihrer Produktion verausgabt wurde. Dabei zählt aber das Maß an abstrakter Arbeit, bei der Wertbestimmung wird also von allen wirklichen Ungleichheiten der verschiedenen Arbeiten abstrahiert (vgl. Marx, 2009: 86). Im Tausch erscheint dann jeder als bloßer Eigentümer von Waren, unabhängig davon ob er Grundbesitzer, Kapitalist oder Arbeiter ist. „Als Eigentümer von Waren stehen sie alle auf vollkommen gleicher Ebene, ihre Beziehungen untereinander sind nicht Herr-Knecht-Beziehungen innerhalb eines Regimes persönlicher Bindungen, sondern sie scheinen als vertragliche Beziehungen freier und gleicher menschlicher Wesen“ (Sweezy, 1970: 55).

[...]


1 Wenn im Folgenden von fairem Handel, fairen Produkten etc. gesprochen ist, bezieht sich das immer auf Produkte, die den Kriterien der FLO entsprechen.

2 Zu Charakterisierung und Überblick über diese Schlagrichtung der Marx-Interpretation siehe Ingo Elbe, 'Zwischen Marx, Marxismus Und Marxismen - Lesarten Der Marxschen Theorie', (2003).

Details

Seiten
Jahr
2011
ISBN (eBook)
9783656083955
ISBN (Paperback)
9783656083887
DOI
10.3239/9783656083955
Dateigröße
447 KB
Sprache
Deutsch
Institution / Hochschule
Freie Universität Berlin – Otto-Suhr-Institut
Erscheinungsdatum
2011 (Dezember)
Note
1,0
Schlagworte
Fair Trade Warenfetisch Marx
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Titel: Fair Trade und der Warenfetisch
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