Voids - Die Leere im Jüdischen Museum Berlin
Zusammenfassung
Diese und ähnliche Fragen möchte ich im Folgenden erörtern, wobei mein Schwerpunkt in der Erarbeitung der Hohlräume – den sogenannten voids – liegt. Hierbei sollen Leser und Leserinnen nicht nur ein Verständnis für diese architektonische Besonderheit im Jüdischen Museum Berlin bekommen, sondern deren Stellung in der Museumsstruktur verstehen lernen.
Jedoch können die Hohlräume unmöglich unabhängig vom Museum bearbeitet werden, so dass im ersten Kapitel ein kleiner Gesamtüberblick über die Räumlichkeiten des Jüdischen Museums Berlin gegeben wird, bevor das zweite Kapitel sich ausschließlich mit den voids befassen wird. Dabei wird einerseits auf den void als den leeren Raum im Jüdischen Museum Berlin per se eingegangen, als auch andererseits auf eine damit in Relation stehende Museums- und Lernerfahrung, die mittels des voids im Museumsbesuchenden erzeugt werden könnte.
Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
Einleitung
1. Rundgang durch das Jüdische Museum Berlin
1.1 Scheinbar getrennte Gebäude: Altbau und Libeskind-Bau
1.2 Drei Achsen: Kontinuität, Emigration und Shoah
1.3 Leerstelle des Gedenkens
1.4 Glassskulpturen in der Dauerstausstellung
1.5 Glassinnenhof
2. Voids im Jüdischen Museum Berlin
2.1 Leere Räume
2.2 Leere als Museumserfahrung
2.3 Leere als Lernerfahrung von „Innen“ und „Außen“
3. Schlussbetrachtung
4. Literatur
5. Links
Für die einen ist es „Prozeßarchitektur“[1], für den Architekten selbst ist es „ein Gebäude ohne Vorbild, doch kein avantgardistischer Bau“[2]. Selten hat ein Museum so unterschiedliche Interpretationsmöglichkeiten geboten wie das Jüdische Museum Berlin.
Jedoch was macht die Faszination dieses Gebäudes aus? Sein Konzept, seine Architektur oder doch sein Inhalt? Wenn letzteres die Anziehungskraft auf Besuchende aus aller Welt ausübt, was beinhaltet dieses Museum? Welches der beiden Gebäude ist eigentlich das Jüdische Museum Berlin – Alt- oder Neubau? Und allem voran: Warum gibt es leere Räume im Museum? Soll die Leere der Räume etwas symbolisieren oder gar dekonstruieren?
Diese und ähnliche Fragen möchte ich im Folgenden erörtern, wobei mein Schwerpunkt in der Erarbeitung der Hohlräume – den sogenannten voids – liegt. Hierbei sollen Leser und Leserinnen nicht nur ein Verständnis für diese architektonische Besonderheit im Jüdischen Museum Berlin bekommen, sondern deren Stellung in der Museumsstruktur verstehen lernen.
Jedoch können die Hohlräume unmöglich unabhängig vom Museum bearbeitet werden, so dass im ersten Kapitel ein kleiner Gesamtüberblick über die Räumlichkeiten des Jüdischen Museums Berlin gegeben wird, bevor das zweite Kapitel sich ausschließlich mit den voids befassen wird. Dabei wird einerseits auf den void als den leeren Raum im Jüdischen Museum Berlin per se eingegangen, als auch andererseits auf eine damit in Relation stehende Museums- und Lernerfahrung, die mittels des voids im Museumsbesuchenden erzeugt werden könnte.
Die vorliegende Hausarbeit ist im Rahmen des Blockseminars „Philosophie und Kunst im Zeichen der Erinnerung an die Shoah“ des Instituts für Philosophie an der Universität Potsdam entstanden. Im Laufe des Seminars setzte ich mich dezidiert im Themenblock „Kunst und Shoah“ mit dem Jüdischen Museum Berlin auseinander. Infolgedessen finden sich unter den von mir verwendeten Publikationen Monographien und Sammelbände aus den Bereichen Philosophie, Kunst- und Geschichtswissenschaft sowie kulturtheoretische und kulturwissenschaftliche Schriften und Abhandlungen. Insbesondere waren mir zur Erschließung der Thematik Libeskinds eigene Ansichten[3] bezüglich seiner architektonischen Leistung wichtig, sodass ich den Versuch gewagt habe, diese Auffassungen – obgleich Libeskind Architekt ist – als philosophische zu begreifen und zu behandeln.
1. Rundgang durch das Jüdische Museum Berlin
Trotz der strukturbildenden Hohlräume, den sogenannten voids, mit denen die Besuchenden des Berliner Jüdischen Museums im Laufe ihres Museumsrundgangs immer wieder konfrontiert werden, ist es hilfreich das Museum als solches zu verstehen, bevor man sich dem Spezifikum der Hohlräume zuwendet.
1.1 Scheinbar getrennte Gebäude: Altbau und Libeskind-Bau
Das Jüdische Museum in Berlin besteht aus zwei scheinbar getrennten Gebäuden, welche sich auf den ersten Blick weder in ihrer Architektur noch in ihrer Funktionalität zu vereinen scheinen lassen. Auf der einen Seite ein gelblich-barocker Altbau und auf der anderen Seite ein moderner Zinkbau, der oftmals – nach seinem Architekten Daniel Libeskind – als Libeskind-Bau betitelt wird. Letzterer besticht durch neuartige Fensterformationen und eine bläulich-metallische Außenverkleidung.
Die offensichtliche Zusammengehörigkeit beider Gebäudekomplexe eröffnet sich am Ein-/Ausgang des Jüdischen Museums, welcher mit dem Ein-/Ausgang des Altbaus identisch ist. Das heißt, dass der einzig legale Weg für Besuchende des Jüdischen Museums über den Altbau führt. Der Altbau, welcher sich als das Berlin Museum entpuppt, macht deutlich, dass die Geschichte des Judentums mit der Stadt Berlin verflochten ist. Folglich wird den Besuchenden in der Verbindung beider Häuser, eine Verschmelzung der jüdischen Geschichte mit der Stadtgeschichte Berlins offeriert; sodass das Jüdische Museum in Berlin eine historische Verbindung mit seinen Berliner Juden und Jüdinnen dokumentiert und geschichtlich nachzeichnet.
Diese „integrierte Geschichte“[4] der Hauptstadt Berlins – mit der Geschichte der Berliner jüdischen Bevölkerung – lässt sich bis in die Anfänge des Jüdischen Museums zurückverfolgen. Schon der ehemalige Gebäudekomplex in der Oranienburger Straße, dessen Eröffnung im Jahre 1933 und dessen Zerstörung und Plünderung im Jahre 1938 erfolgte, als auch die Eröffnung einer „jüdische[n] »Abteilung« im Berlin Museum“[5] im Jahre 1975, betonten den integrativen Charakter innerhalb ihrer Ausstellungs- beziehungsweise ihrer Museumskonzeption. Dementsprechend wurde der Wettbewerb für das Jüdische Museum Berlin ursprünglich als „Erweiterung des Berlin Museums mit Abteilung Jüdisches Museum“ ausgeschrieben.[6]
Jedoch ist das konzeptionelle Neuartige am Jüdischen Museum in Berlin, das im Jahr 1999 eröffnet wurde, dass die Verbindung wortwörtlich unterirdisch angelegt ist. In dieser buchstäblich erbauten Metapher wird den Besuchenden nicht nur sichtbar, sondern auch begehbar gemacht, dass – gleichsam der schwarzen Schiefertreppe, über die Museumsbesuchende hinabsteigen, um die Räume des Jüdischen Museums betreten zu können – die Verbindung unter der Erdoberfläche liegt und oberflächlich – im doppelten Sinne gemeint – nicht ersichtlich wird. In dem Akt der Bewegung wiederholen die Museumsbesuchenden die Konzeption der Verflochtenheit, indem sie sich als lebende Wesen vom Altbau zum Libeskind-Bau bewegen und somit einen Zusammenhang zwischen der Stadtgeschichte Berlins mit der jüdischen Kultur und der ihr zugehörigen Berliner Juden und Jüdinnen herstellen.
1.2 Drei Achsen: Kontinuität, Emigration und Shoah
Dieses konzeptionelle Aufleben – wie ich es an dieser Stelle nennen möchte – lässt sich in der Museumsgestaltung fortführen. Im Folgenden ist der/ die Besuchende mit drei möglichen Pfaden konfrontiert, sich das Museum zu erschließen.
Eine Achse ist die Achse des Exils, deren schwarzer Boden leicht ansteigt und an deren Wänden Namen mögliche “Ausreisestationen“ geschrieben stehen, soll ein Schwindelgefühl im Organismus der Museumsbesuchenden hervorrufen. Das entstehende Gefühl eines Balanceverlustes mündet am Ende des Ganges im Garten des Exils, der zum Gefühl der aufgekommenen Unsicherheit noch das der Orientierungslosigkeit hinzufügen soll.[7] Der Garten des Exils besteht aus 49 schräg gebauten Sichtbeton-Pfeilern, von denen 48 Stelen mit Berliner Erde gefüllt worden sind und für die Staatsgründung Israels 1948 stehen sollen und eine Stele, der 49. Pfeiler, mit Jerusalemer Erde gefüllt worden ist und für die Stadt Berlin steht. Die aus diesen Pfeilern erwachsenen Pflanzen sind Ölbaumweiden, die die Hoffnung symbolisieren. Der von einem Rosenheim[8] umgebende, offene Garten befindet sich außerhalb des Gebäudes und bietet die einzige Möglichkeit, das Museum oberirdisch „über eine gepflasterte Rampe“[9] zu verlassen.
Offensichtlich bedient sich der Garten des Exils, der auch E.T.A.-Hoffmann-Garten genannt wird, symbolischer Assoziationen, die sich gut in das kollektive Gedächtnis der Museumsbesuchenden einprägen lassen. Hierbei ist das Interessante, dass die Besucher und Besucherinnen unterschiedlicher Nationen angehören und verschiedene Sprachen sprechen, sodass sie nach dem Museumsbesuch aus dem Kollektiv der Museumsbesuchenden austreten und die Erinnerung an das Gesehene in ihren Kulturkreis tragen. Freilich mögen in jedem Individuum unterschiedliche Denkstrukturen und Emotionslagen vorherrschen, jedoch kann dies nicht die Konzeption des Museums negieren, sodass der/ die Besuchende zum Zeugen/ Zeugin des konzeptionellen Auflebens wird und die Erinnerung an den Museumsbesuch sich in die unterschiedlichen kulturellen Gedächtnisse einreihen kann.
Dieses nahezu globale Gedächtnis mag zwar in jedem Kulturkreis bestimmte Ausprägungen und Konzentrationspunkte beinhalten, dessen ungeachtet beinhaltet es aber auch gewisse Schnittpunkte. Diese Schnittpunkte können durch technische Geräte wie dem Audioguide hergestellt werden, indem in acht unterschiedlichen Sprachen der Erde[10] inhaltlich deckungsgleiche Informationen übermittelt werden. Diese ökonomische Wissensvermittlung schafft – rein theoretisch für jede/n mehrsprachige/n Weltbürger/in, die/ der es sich leisten mag – eine pseudo-demokratische Wissensbasis, die in den Erfahrungshorizont des globalen Gedächtnis einfließen kann.
Hierbei ist das Spiel der Assoziationen von höchster Bedeutung, welches sich in einer anderen Achse, der Achse des Holocaust, erleben lässt. Dieser Weg ist eine schmaler werdende Sackgasse, die in dem fünfkantigen Holocaust-Turm mündet. Tod und Vernichtung der (Berliner) Juden und Jüdinnen durch die Nationalsozialisten werden einerseits mittels des leeren und begehbaren Raums, und andererseits mittels hervorgerufener Assoziation wie Gaskammer oder Schornstein der Krematorien erweckt. Das heißt, dass das Subjekt im Holocaust-Turm mit kulturellen Assoziationen, die als Bilder im Kopf fungieren, konfrontiert wird. Das zuvor erworbene Wissen kann eine Assoziationsflut hervorrufen, die die Vernichtung der europäischen Juden und Jüdinnen in ihrer Leere spürbar macht.
Der Holocaust-Turm, der von Libeskind als „voided void“[11] bezeichnet worden ist und deren Inneres ausschließlich über einen Deckenspalt mit Sonnenlicht beleuchtet wird, wird zu einem Ort der Leere, der selbst ohne zuvor erworbenes Wissen über die Shoah ein Gefühl von Kälte, Abwesenheit und Fremdheit im Individuum hervorrufen kann. Die glatten, grauen, nackten Betonwände verstärken das unheimliche Gefühl[12], dass sich einstellt, sobald das Subjekt den Turm betritt. Dieser Ort ist ungemütlich und lädt nicht dazu ein, dort für länger zu verweilen. Daran wird deutlich, dass der Ort die Raumleere haptisch erfahrbar macht, indem sich beispielsweise mittels des Streichens über die Betonwände ein paradoxes Spürbarmachen der Leere in den Besuchenden einstellt.
Ebenfalls kann das Realisieren von Abwesenheit in diesem einzig begebaren void im Museum über die Akustik erfolgen. Sowohl das Sprechen im Turm als auch die Geräusche außerhalb, die über den Deckenspalt hineingelangen, erzeugen ein Echo, die die Leere des Turms erfüllt und gleichzeitig das Subjekt entrückt. An diesem Ort möchte man nicht sprechen, sondern allenfalls hören. Jedoch erinnert das Hören von Geräuschen die Besuchenden daran, dass sie als Individuen ihrer Umwelt entfremdet sind und ebenjene Möglichkeit zur Partizipation innerhalb der Gesellschaft in diesem Moment verwehrt wird. Nichts desto trotz haben Besuchende die Entscheidungsgewalt darüber, wie lange sie in der Dunkelheit des Turmes verbringen möchten. Das Verlassen des Holocaust-Turms hebt die Konservierung der Zeit, in der ausschließlich die Wahrnehmung der Raumleere das Elementare war, auf und distinguiert die Museumsbesucher/innen zu Augenzeugen dieser Ortserfahrung.
Dessen ungeachtet könnte diese Erfahrung ebenfalls am Ende des Museumsbesuchs erlebt werden, indem sich Besuchende von Anbeginn auf die leicht ansteigende Achse der Kontinuität begeben. Dieser Pfad ist der längste der drei Achsen und setzt nach Betreten des Museums ein. Folgen Besuchende dieser Achse, auf deren Weg schon zu Beginn die Möglichkeit besteht, von diesem Pfad abzugehen und das Rafael Roth Learning Center zu betreten, so gelangen sie in die Dauerausstellung des Museums und zum Memory Void.
1.3 Leerstelle des Gedenkens
Der Hauptpfad, die Achse der Kontinuität, führt zur Sackler Treppe, die nach der gleichnamigen Familie benannt wurde, die dem Museum eine finanzielle Unterstützung zu Teil werden ließ. Bevor diese Haupttreppe bis zum Ende bestiegen werden kann, haben Besuchende die Wahl abzubiegen und sich zur Leerstelle des Gedenkens – dem sogenannten Memory Void – zu begeben. Wie schon der Name vermuten lässt, findet eine Auseinandersetzung mit der deutsch-jüdischen Vergangenheit statt. Allerdings sollten die Begriffe „Erinnerung“ und „Leere“, welches als „Abwesenheit“ verstanden werden sollte und sogleich mit „Vergessen“ gleichgesetzt werden könnte, nicht in einer Dichotomie beider Wörter sondern in ihrer Kooperation begriffen werden.
Diesen Duktus verstand Menashe Kadishman in seiner Installation Shalechet aufzunehmen. Das gefallene Laub – so die Übersetzung von „Shalechet“ – zeigt kreisförmige Gesichterformationen, die sich durch einen weit geöffneten Mund auszeichnen. Die Besuchenden haben die Möglichkeit über das “Laub“ zu gehen und erleben ein lautes, metallisch klingendes Geräusch, das fernab von jeder Herbstromantik ist und die Besuchenden eher mit ihrem bestialischen Tun konfrontiert, dass sie auf (schreiende oder rufende) Gesichter treten.
1.4 Glassskulpturen in der Dauerstausstellung
Das Ende der Sackler Treppe im Zweite Obergeschoss ist gleichbedeutend mit dem Anfang der Dauerausstellung. Die Räumlichkeiten der Dauerausstellung verweisen im Allgemeinen auf eine langjährige deutsch-jüdische Beziehung und im Besonderen auf eine Kontinuität einer deutsch-jüdischen Geschichte. In diesem Sinne findet eine erneute Betonung der Museumsstruktur und seiner Konzeption statt, die die Dauerausstellung bewusst mit der Achse der Kontinuität verbindet. Obgleich die Ausstellung eine chronologische Abfolge beinhaltet, wird den Museumsbesuchenden kein exakter Museumsrundgang aufgezwungen, vielmehr thematisieren einzelne Teile der Ausstellung bestimmte historische, kulturelle und religiöse Aspekte des Judentums, bei denen deutsche Jüdinnen und Juden im Vordergrund stehen wie auch geschichtliche Ereignisse und Debatten vor und nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten.
Daran wird ersichtlich, dass die Dauerausstellung – wie auch das Jüdische Museum Berlin – die Shoah nicht zum Ausgangspunkt ihrer Betrachtungen macht und die deutsch-jüdische Geschichte retrospektiv zeigt, sondern die Vernichtung der Juden und Jüdinnen zur Zeit des Dritten Reiches als ein historisches Ereignis in der deutsch-jüdischen Geschichte einreiht. Dabei handelt es sich freilich keineswegs um eine Form der Abmilderung dieses geschichtlichen Moments in der deutschen und in der Menschheitsgeschichte, sondern eher um eine Relativierung von möglichen Denkmustern gegenwärtig und zukünftig lebender Menschen, die die Shoah zum Anfangspunkt einer deutsch-jüdischen Geschichte machen und das europäische Judentum quasi erst mit der Verfolgung und Vernichtung “entdecken“ könnten.
Natürlich gab es Berliner Juden und Jüdinnen lange vor und nach der Shoah. Dennoch ist der entscheidende Punkt, dass mit der Shoah ein Bruch in der deutsch-jüdischen Beziehung einsetzte, der mit dem schier euphemistischen Terminus „Abwesenheit“ bezeichnet werden könnte. Die gewesenen Berliner jüdischen Familien sind abwesend. In der Verwendung von Wörtern wie „Abwesenheit“ oder „Verschwinden“ wird einerseits eine nüchterne Tatsachenbeschreibung und resignierte Fassungslosigkeit über den Verbleib der Gewesenen kundgetan, als auch andererseits eine mögliche Rückkehr suggeriert. Ähnlich einer Vermisstenanzeige wird nach dem verlorenen Menschen und seinen Habseligkeiten gesucht. Der Mensch fehlt und über ein mögliches wieder finden seiner Besitztümer, kann der Mensch zwar nicht zum Leben erweckt werden, aber performativ wiedergeboren werden.[13] Diese performative Wiedergeburt, die nichts anderes als das aktive Wachhalten einer Erinnerung an einen Menschen darstellt, könnte auf Objekte übertragen und angewendet werden, sodass der Gegenstand zwar für immer verloren sein mag, aber an seine vormalige Existenz als Ding einer besitzenden Person erinnert wird.
[...]
[1] Young 2002: 191.
[2] Jüdisches Museum Berlin (Hg.) 1999: 30.
[3] Seine Ansichten entnehme ich einem Interview, das von Doris Erbacher und Peter Paul Kubitz mit Daniel Libeskind geführt wurde. Zu finden in: Jüdisches Museum Berlin (Hg.) 1999: 14-45.
[4] Friedländer 2007.
[5] Young 2002: 186.
[6] Trotz dem Konzept einer „integrierten Geschichte“ wurde letztendlich „vor der endgültigen Fertigstellung des Baus [...] das integrative Modell, die konzeptionelle und institutionelle Verklammerung mit der Stiftung Stadtmuseum, aufgegeben und das Jüdische Museum als eigenständige Einrichtung außerhalb des Berliner Stadtmuseums etabliert. Gegenüber der Verschränkung mit der Stadtgeschichte Berlins sollte nun vor allem die nationale, europäische und globale Dimension der jüdischen Geschichte im Vordergrund des Museumskonzeptes stehen und dafür der Erweiterungsbau in Gänze dem Jüdischen Museum zur Verfügung stehen.“ (Schneider 1999: 24.)
[7] „Der E.T.A.-Hoffmann-Garten steht für den Versuch, den Besucher vollständig zu desorientieren, für einen Schiffbruch der Geschichte. Man tritt ein, und es überkommt einen ein Gefühl des Schwindels, das ist verstörend. Man empfindet eine gewisse Übelkeit beim Hindurchgehen, doch das ist recht so, denn so aus den Fugen geraten, fühlt sich die vollkommene Ordnung an, wenn man als Exilant die Geschichte Berlins hinter sich läßt.“ (Jüdisches Museum Berlin (Hg.) 1999: 41.)
[8] „So ist zum Beispiel der Rosenheim um den E.T.A.-Hoffmann-Garten mit Bedacht gewählt. Die Rose, Zeichen des Lebens, verletzt und versöhnt. Rosen waren im antiken Jerusalem die einzigen in der Stadt zugelassen Pflanzen.“ (Schneider 1999: 40.)
[9] Ebd.: 33.
[10] Der Audioguide des Jüdischen Museums Berlin bietet Fassungen in acht Sprachen: Deutsch, Englisch, Französisch, Hebräisch, Italienisch, Japanisch, Russisch und Spanisch. (http://www.jmberlin.de/main/DE/00-Besucherinfo/01-fuehrungen/04-audioguide.php.)
[11] „„Voided void“, der Holocaust-Turm, wie er jetzt im Jüdischen Museum genannt wird, ist jener Raum, der die Geschichte gewissermaßen beendet, jene alte Geschichte Berlins. Sie fängt bei den Pogromen und den antisemitischen Verordnungen an, [...] Vom Verbrennen der Bücher, vom Verbrennen von Kunstwerken [...] bis zum Verbrennen von Menschen [...]: das ist es tatsächlich, was ich mit „voided void“ meine. Davon handelt das Nichts des Nichts.“ (Jüdisches Museum Berlin (Hg.) 1999: 30.)
[12] Freud 2010.
[13] Die performative Wiedergeburt verstehe ich im Sinne Yad Vashems Namensgebung: „And to them will I give in my house and within my walls a memorial and a name (a "yad vashem")...that shall not be cut off. (Isaiah, chapter 56, verse 5)“ (Zitat von: http://www1.yadvashem.org/yv/en/about/index.asp.)