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Ressentiment bei Nietzsche

©2007 Seminararbeit 16 Seiten

Zusammenfassung

Im Folgenden wird der Versuch unternommen zu prüfen, inwiefern die Ausführungen Friedrich Nietzsches zum Ressentiment vereinbar sind mit der These, dass das Ressentiment ein dem Gerechtigkeitssinn innewohnendes Moment in Funktion des Gleichheitsindikators ist. Ausgehend von Nietzsches Ausführungen zum Ressentiment in der Ersten Abhandlung seiner Schrift Zur Genealogie der Moral wird 1. Nietzsches Verständnis vom Ressentiment, sowie 2. die Gleichbehandlung bzw. Ungleichbehandlung als ein Motiv des Ressentiments dargestellt. Im Anschluss daran folgt 3. eine Untersuchung der Typologisierung des von Nietzsche bestimmten Ressentimentträgers.
Die thematische Schwerpunktlegung dieser Arbeit auf eine Verbindung des Ressentiment mit der Ungleichbehandlung unter besonderer Berücksichtigung der einzelnen Charaktermomente des Ressentimentträgers, liegt zu einem Teil darin begründet, dass in der wissenschaftlichen Aufarbeitung des Ressentiment bei Nietzsche dieser Aspekt stets negiert wird, ohne eine stärkere Erläuterung der Ursachen und Folgen des Ressentiment in Verbindung mit den einzelnen Charaktermomenten des Ressentimentträgers. Zum anderen soll mit dieser Arbeit der Versuch unternommen werden, das Ressentiment bei Nietzsche in Bezug auf seine Vereinbarkeit mit der Gerechtigkeit zu erläutern.

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Das Ressentiment

3. Das Ressentiment und die Ungleichbehandlung

4. Der Ressentimentträger
4.1 Der Sklave
4.2 Der Schwache
4.3 Der Gemeine

5. Fazit

6. Literatur

1. Einleitung

„Der Sklavenaufstand in der Moral beginnt damit, dass das Ressentiment selbst schöpferisch wird und Werthe gebiert: das Ressentiment solcher Wesen, denen die eigentliche Reaktion, die der That versagt ist, die sich nur durch eine imaginäre Rache schadlos halten.“1 Die Quelle des Ressentiments im Ausbleiben einer Handlungsmöglichkeit verortend, welches wiederum durch das Fehlen eines subjektiven Durchsetzungspotential bedingt wird, scheint Friedrich Nietzsche in der Kompensation der nicht erfolgten Handlung durch die Kraft der ‚Imagination’, d.h. durch die Erzeugung eines geistigen Potentials als Ersatz für das Handlungs- bzw. Durchsetzungspotential, einen Moment der Werteneuschaffung zu sehen. Dieses Wertneuschöpfungsmoment, das sich in der Sklavenmoral aus ihrer Gegnerschaft „zu einem ‚Anders’, zu einem ‚Nicht- Selbst’“2 entwickelt, kann auf unterschiedliche Weise in seiner Wirkung gedeutet werden.

Auf der einen Seite beinhaltet die Ablehnung der Andersheit, und damit verbunden auch deren Grundlage, eine nivellierende Tendenz, die nur Eines zulässt: das, worin das eigene Selbst enthalten ist. Eine Gleichförmigkeit, eine inhaltliche Übereinstimmung sind die Ziele dieser Entwicklung, die auf gesellschaftlicher Ebene in einer völlig homogenen Gesellschaft, einer Art Eine-Klasse-Gesellschaft münden soll, die jedoch daran kränkt, dass sie nicht einmal ihr eigenes Selbst anerkennt. Die bestehenden Gesellschaftsgruppen und ihre Wertegrundlagen, die das Objekt der Negation einer Sklavenmoral darstellen, werden als zu beseitigende identifiziert. Die negierten Werte werden dieser Interpretation zufolge nur zum Ausgangspunkt der neuen Werte, und sie erfahren hinsichtlich der neu entstandenen Werte keine weitere Aufmerksamkeit. Es handelt sich also nicht um eine aktualisierende Korrektur der alten Werte, sondern um eine Abschaffung derselben.

Auf der anderen Seite kann das „Nein“ als „Ihre (der Sklavenmoral) schöpferische That“3 auch dahingehend gedeutet werden, dass es sich bei der Ablehnung des ‚Nicht- Selbst’ um eine Auflehnung gegen die Ungleichbehandlung und somit gegen eine ungerechte Behandlung handelt, die in der Erscheinung eines intuitiven Gerechtigkeitssinnes auftritt.4 Die Folge einer Interpretation des ‚Sklavenaufstandes in der Moral’ als einer Reaktion auf fehlende Berücksichtigung der Gleichheit, die eine konstitutive Größe der individuellen Person sowie deren Gesellschaftslebens darstellt, ist die Deutung des Ressentiments als eines Phänomens der Gerechtigkeit. Ausgehend vom Ressentiment als einem intuitiven Gleichheitsindikator würden die alten Werte durch ihre Umkehrung keinen Rückfall in die Bedeutungslosigkeit erfahren, sondern womöglich einer Aktualisierung, d.h. einer Korrektur durch den Gerechtigkeitssinn unterzogen. Die Werte befinden sich dieser zweiten Interpretation gemäß in einem dynamischen Entwicklungsprozess, wobei den Ausgangspunkt des Wertewandels die Missachtung des Gerechtigkeitsgrundsatzes der Gleichbehandlung darstellt.

Im Folgenden wird der Versuch unternommen zu prüfen, inwiefern die Ausführungen Friedrich Nietzsches zum Ressentiment vereinbar sind mit der These, dass das Ressentiment ein dem Gerechtigkeitssinn innewohnendes Moment in Funktion des Gleichheitsindikators ist. Ausgehend von Nietzsches Ausführungen zum Ressentiment in der Ersten Abhandlung seiner Schrift Zur Genealogie der Moral wird 1. Nietzsches Verständnis vom Ressentiment, sowie 2. die Gleichbehandlung bzw. Ungleichbehandlung als ein Motiv des Ressentiments dargestellt. Im Anschluss daran folgt 3. eine Untersuchung der Typologisierung des von Nietzsche bestimmten Ressentimentträgers.

Die thematische Schwerpunktlegung dieser Arbeit auf eine Verbindung des Ressentiment mit der Ungleichbehandlung unter besonderer Berücksichtigung der einzelnen Charaktermomente des Ressentimentträgers, liegt zu einem Teil darin begründet, dass in der wissenschaftlichen Aufarbeitung des Ressentiment bei Nietzsche dieser Aspekt stets negiert wird, ohne eine stärkere Erläuterung der Ursachen und Folgen des Ressentiment in Verbindung mit den einzelnen Charaktermomenten des Ressentimentträgers. Zum anderen soll mit dieser Arbeit der Versuch unternommen werden, das Ressentiment bei Nietzsche in Bezug auf seine Vereinbarkeit mit der Gerechtigkeit zu erläutern.

2. Das Ressentiment

Das Ressentiment ist Nietzsche zufolge als ein Mechanismus zu verstehen, dessen Antrieb eine sowohl aus der physischen als auch psychischen Schwäche resultierende Ohnmacht darstellt. Diese Ohnmacht ist eine real erfahrene Unterlegenheit5, die infolge einer affektiven Niedergeschlagenheit des Unterlegenen denselben zur Entwicklung von Strategien zwingt, die den Ausweg aus dem Unterlegensein möglich machen. Die Entwicklungsmöglichkeit von Auswegsstrategien wird von Nietzsche auf den Geist zurückgeführt, der die bestehenden Wertungskategorien der Über- und Unterlegenheit durch die Verinnerlichung der Ohnmacht, die das Ergebnis dieser Wertungskategorien in Verbindung mit einem instabilen Charakter des Unterlegenen ist, umkehrt. „Die Psychologie des Ressentiments drückt sich in der moralischen ‚Wertungs-Weise’ in einer Neubestimmung des fundamentalen moralischen Gegensatzes aus, die sich von der ‚Herrenmoral’ spezifisch unterscheidet.“6 Die Verinnerlichung ist ein reflexiver Vorgang, aus dem der Geist des Unterlegenen, „ohne den“ nach Nietzsche der Geist überhaupt eine unberücksichtigte Größe im menschlichen Leben, in „menschliche(r) Geschichte “7 geblieben wäre, die Möglichkeit, die Ungleichheit zu beseitigen, ableitet.

Wenn Nietzsche davon spricht, dass der Mensch gerade aufgrund dieser geistigen Wertumkehrungsfähigkeit „ein interessantes Thier geworden ist“, und „dass erst hier die menschliche Seele in einem höheren Sinne T i e f e bekommen hat und b ö s e geworden ist“8, dann resultiert hieraus notwendig, dass das Ressentiment ein Element der evolutionären wie auch sozio-politischen Entwicklung des Menschen bzw. der Menschheit darstellt, das jedoch, weil es die ‚menschliche Seele’ zu einer ‚bösen’ macht, genauso notwendig überwunden werden muss. „Es steht im Mittelpunkt, mit der ‚Umwertung der Werte’ die Haltung der Verneinung […] in eine solche der Bejahung zu wandeln.“9

Die Überwindungspflicht des Ressentiment liegt im „gefährlichen“10 Potential des rachsüchtigen Verhaltens als Ergebnis geistiger Reaktion auf die Unterlegenheit begründet. Da der Auswegsstrategie der Rache, welche die Wertumkehrung vollzieht, die Tendenz innewohnt, die Negation des Anderen bis zu dessen Auslöschung zu betreiben, führt dies letztendlich zu einer zirkulären Ressentimentwirkung, die die Menschheit in ihrer Gesamtheit bedrohen könnte. Aufgrund der Tatsache also, dass die Auswegsstrategie des Unterlegenen letzten Endes ebenso eine „Machtstrategie“11 ist, läuft die ‚Ressentiment- Moral’ auch der Gefahr entgegen, die Ungleichheit auch wieder nicht zuzulassen. Dies hängt für Nietzsche mit der Flucht der Unterlegenen in die Askese zusammen, die nur anscheinend eine Verneinung der eigenen physischen Existenz der Unterlegenen suggeriert.

„Wenn die Unterdrückten, Niedergetretenen, Vergewaltigten aus der rachsüchtigen List der Ohnmacht heraus sich zureden: „lasst uns anders sein als die Bösen, nämlich gut! Und gut ist Jeder, der nicht vergewaltigt, der Niemanden verletzt, der nicht angreift, der nicht vergilt, der die Rache Gott übergiebt, der sich wie wir im Verborgenen hält, der allem Bösen aus dem Wege geht und wenig überhaupt vom leben verlangt, gleich uns den Geduldigen, Demüthigen, Gerechten“ - so heisst das, kalt und ohne Voreingenommenheit abgehört, eigentlich nichts weiter als: „wir Schwachen sind nun einmal schwach; es ist gut, wenn wir nichts thun, wozu wir nicht stark genug sind“ - aber dieser herbe Thatbestand, diese Klugheit niedrigsten Ranges, welche selbst Insekten haben (die sich wohl todt stellen, um nicht „zu viel“ zu thun, bei großer Gefahr), hat sich Dank jener Falschmünzerei und Selbstverlogenheit der Ohnmacht in den Prunk der entsagenden stillen abwartenden Tugend gekleidet, gleich als ob die Schwäche des Schwachen selbst - das heisst doch sein Wesen, sein Wirken, seine ganze einzige unvermeidliche, unablösbare Wirklichkeit - eine freiwillige Leistung, etwas Gewolltes, Gewähltes, eine That, ein Verdienst sei.“12

Nachdem nämlich die Fluch]t in die Askese zuerst als eine Kompensationsmöglichkeit für fehlende Handlungsreaktion in Erscheinung tritt, entwickelt sie sich durch eine Verlagerung der Handlung in einen geistigen Schöpfungsprozess zu einer Festung gegenteiliger Lebensbejahung. Die Askese als ein Ausdruck des Ressentiment gleicht weniger einer Verneinung als vielmehr einer auf das eigene Ich bezogenen Bejahung des Lebens, die vom ‚Willen zur Macht’ verkörpert wird. Dieser Bejahung des Lebens unter Hervorhebung des eigenen Ichs gilt, Nietzsche zufolge, die Andersartigkeit als inakzeptabel. Und genau diese Inakzeptanz der Andersartigkeit einer Sklaven-Moral ist es, die die Überwindung des Ressentiments in Nietzsches Augen notwendig macht.

[...]


1 Nietzsche, Friedrich, Jenseits von Gut und Böse. Zur Genealogie der Moral. Kritische Studienausgabe, Giorgio Colli / Mazzino Montinari (Hrsg.), de Gruyter, München 2005, S 270

2 Ders. S. 270

3 Ders. S. 271

4 Diese Lesart stützt sich auf eine These Julian Nida-Rümelins. „Das begründete Gefühl der Demütigung ist unser Kriterium dafür, dass die Menschenwürde verletzt wurde.“ Nida-Rümelin, Julian, Über menschliche Freiheit, Reclam, Stuttgart 2005, S. 140

5 So stellt die gesunde Verfassung des Körpers in Verbindung mit dem starken körperlichen Bau für einen kranken und entsprechend physisch und zudem noch psychisch schwach gebauten Menschen eine sichtbar ungleiche Beschaffenheit dar, die sich in einer erwarteten Unterwerfung des Schwachen unter den Starken äußert. Dass hier eine Notwendigkeit, eine Erwartung der Unterwerfung gegeben ist, liegt womöglich darin begründet, dass der Starke und somit körperlich Überlegene im wertsetztenden Sinn der Tonangeber ist, wissend um den Gehorsam des Schwachen. Die Erwartung ist also eine von der Überlegenheit ausgehende. Vgl. hierzu, Nietzsche, Friedrich, Jenseits von Gut und Böse. Zur Genealogie der Moral. Kritische Studienausgabe, Giorgio Colli / Mazzino Montinari (Hrsg.), de Gruyter, München 2005, S. 266

6 Schweppenhäuser, Gerhard, Nietzsches Überwindung der Moral. Nietzsche in der Diskussion, K&N, Würzburg 1988, S. 67

7 Nietzsche, Friedrich, Jenseits von Gut und Böse. Zur Genealogie der Moral. Kritische Studienausgabe, Giorgio Colli / Mazzino Montinari (Hrsg.), de Gruyter, München 2005, S. 267

8 Ders. S. 266

9 Altmann, Amandus, Friedrich Nietzsche. Das Ressentiment und seine Überwindung - verdeutlicht am Beispiel christlicher Moral, Bouvier Verlag Herbert Grundmann, Bonn 1977, S. 32

10 Nietzsche, Friedrich, Jenseits von Gut und Böse. Zur Genealogie der Moral. Kritische Studienausgabe, Giorgio Colli / Mazzino Montinari (Hrsg.), de Gruyter, München 2005, S. 266

11 Schweppenhäuser, Gerhard, Nietzsches Überwindung der Moral. Nietzsche in der Diskussion, K&N, Würzburg 1988, S. 71

12 Nietzsche, Friedrich, Jenseits von Gut und Böse. Zur Genealogie der Moral. Kritische Studienausgabe, Giorgio Colli / Mazzino Montinari (Hrsg.), de Gruyter, München 2005, S. 280

Details

Seiten
Jahr
2007
ISBN (eBook)
9783656119395
ISBN (Buch)
9783656119784
DOI
10.3239/9783656119395
Dateigröße
464 KB
Sprache
Deutsch
Institution / Hochschule
Ludwig-Maximilians-Universität München – Fakultät für Philosophie, Wissenschaftstheorie und Religionswissenschaft
Erscheinungsdatum
2012 (Februar)
Note
1,2
Schlagworte
Nietzsches Moralphilosophie Das Ressintement Nietzsches Moral Moralphilosophie
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Titel: Ressentiment bei Nietzsche