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Förderung mathematischer Kompetenzen im Vorschulalter

©2011 Bachelorarbeit 32 Seiten

Zusammenfassung

Die Bedeutung des Anfangsunterrichts und der vorschulischen Bildung für die Lernentwicklung der Kinder ist in den letzten Jahren immer mehr in den Fokus der Öffentlichkeit geraten. Dies wurde vor allem durch die Ergebnisse internationaler Studien wie PISA [...]und IGLU [...] unterstützt. PISA konnte einen Zusammenhang zwischen der Dauer des Besuchs einer vorschulischen Bildungseinrichtung und den späteren Mathematikleistungen feststellen.1 Ebenso konnte auch die LOGIK-Studie [...] einen Zusammenhang zwischen den quantitativen mathematischen Fähigkeiten im Vorschulalter und den im Jugendalter gemessenen mathematischen Fähigkeiten erkennen.2 Die Lernprozesse im Vorschulalter legen also ganz entscheidende Grundlagen für schulische Lernprozesse[...]

Mit dieser Forderung werden einige Fragen aufgeworfen, die in der vorliegenden Arbeit thematisiert werden. Wie entwickeln sich frühe mathematische Kompetenzen? Welche frühen Fertigkeiten und Fähigkeiten können bei Kindergartenkindern als bedeutsam für das spätere Mathematiklernen angesehen werden? Wie können diese Fähigkeiten gefördert werden? Das Ziel dieser Arbeit ist es Kenntnisse darüber zu entwickeln, wie sich mathematisches Denken im Vorschulalter entwickelt und welche Fähigkeiten Kinder bereits vor Schuleintritt erwerben, um einen Ausgangspunkt für die Förderung früher mathematischer Kompetenzen zu schaffen und diese zu verbessern.

Zunächst wird ein Überblick über die bisher vorliegenden Forschungsbefunde zur Entwicklung mathematischer Kompetenzen von Vorschulkindern gegeben. Ausgehend von den Arbeiten von Piaget werden verschiedene Erkenntnisse zur Zahlbegriffsentwicklung betrachtet. Diese werden schließlich in einem Entwicklungsmodell früher mathematischer Kompetenzen von Krajewski zusammengeführt. Im dritten Kapitel werden Ergebnisse zur Bedeutung dieser frühen mathematischen Fähigkeiten für das schulische Mathematiklernen dargestellt. Bildungs- oder Orientierungspläne sind als Voraussetzung für Kontinuität und Erfolg von früher Bildung zu sehen. Die Beiträge dieses Kapitels machen deutlich, wie wichtig es ist, die individuellen mathematischen Kompetenzen schon vor dem Beginn der Schule zu erfassen und zu fördern. Hierzu werden im vierten Kapitel einige Ansätze erläutert. Im letzten Kapitel werden die Erkenntnisse zusammengefasst und Hinweise für eine erfolgreiche Förderung mathematischer Kompetenzen im Vorschulalter gegeben.

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


Inhaltsverzeichnis

1 Einleitung

2 Entwicklung mathematischer Kompetenzen im Vorschulalter
2.1 Die Erforschung der Zahlbegriffsentwicklung
2.1.1 Das Logical-Foundations-Modell nach Piaget
2.1.2 Numerische Fähigkeiten von Kleinkindern und Säuglingen
2.1.3 Skills-Integration-Modelle zur Zahlbegriffsentwicklung
2.1.4 Die Entwicklung von Zählkompetenz und Zahlbegriff
2.2 Entwicklungsmodell früher mathematischer Kompetenzen nach Krajewski

3 Bedeutung und Standards der Förderung früher mathematischer Kompetenzen
3.1 Vorhersage von Rechenschwierigkeiten
3.2 Standards für das Mathematiklernen im Vorschulalter

4 Ansätze zur Förderung früher mathematischer Kompetenzen
4.1 Trainingsprogramme
4.1.1 „Komm mit ins Zahlenland“
4.1.2 „Mengen, zählen, Zahlen“
4.2 Nutzen und Schaffen mathematischer Lerngelegenheiten
4.2.1 Mathematik im Alltag
4.2.2 Mathematik im Spiel

Literaturverzeichnis

Abbildungsverzeichnis

Abbildung 1: Entwicklungsmodell früher mathematischer Kompetenzen

(Quelle: Krajewski, 2008a, S.276)

Abbildung 2: Formen der Zahlengärten aus Komm mit ins Zahlenland

(Quelle: Friedrich, de Galgóczy, 2004)

Abbildung 3: Zahlentreppe aus Mengen, zählen, Zahlen

(Quelle: Krajewski, 2008b)

1 Einleitung

Die Bedeutung des Anfangsunterrichts und der vorschulischen Bildung für die Lernentwicklung der Kinder ist in den letzten Jahren immer mehr in den Fokus der Öffentlichkeit geraten. Dies wurde vor allem durch die Ergebnisse internationaler Studien wie PISA (,,Programme for International Student Assessment") und IGLU (,,Internationale Grundschul-Lese-Untersuchung") unterstützt. PISA konnte einen Zusammenhang zwischen der Dauer des Besuchs einer vorschulischen Bildungseinrichtung und den späteren Mathematikleistungen feststellen.1 Ebenso konnte auch die LOGIK-Studie (,,Longitudinalstudie zur Genese individueller Kompetenzen") einen Zusammenhang zwischen den quantitativen mathematischen Fähigkeiten im Vorschulalter und den im Jugendalter gemessenen mathematischen Fähigkeiten erkennen.2 Die Lernprozesse im Vorschulalter legen also ganz entscheidende Grundlagen für schulische Lernprozesse. Genauso wie Schreiben und Lesen, gehört auch das Rechnen und der Umgang mit Mengen, Zahlen, Formen und Größen zu den fundamentalen Kulturtechniken. Damit hat die Mathematik einen berechtigten Stellenwert in der allgemeinen Bildung und wird auch in der vorschulischen Bildungsarbeit immer mehr in den Fokus gerückt. Mathematiklernen beginnt bereits im frühen Kindesalter und Kinder werden schon früh vielfältigen Anforderungssituationen mit mathematischem Charakter ausgesetzt. Sie erwerben dabei mathematische Basiskompetenzen vor allem in informellen Kontexten. Hier nehmen Kindertageseinrichtungen eine wichtige Rolle in der frühen mathematischen Kompetenzentwicklung ein. Entsprechend wurde in einem Beschluss der Jugendministerkonferenz im Jahr 2002 der Bildungsauftrag der Kindertageseinrichtungen betont.3 Diese sollen nicht nur ein Raum zum Spielen sein, sondern es sollte auch der Grundstein für späteres Lernen gelegt werden. Mit dieser Forderung werden einige Fragen aufgeworfen, die in der vorliegenden Arbeit thematisiert werden. Wie entwickeln sich frühe mathematische Kompetenzen? Welche frühen Fertigkeiten und Fähigkeiten können bei Kindergartenkindern als bedeutsam für das spätere Mathematiklernen angesehen werden? Wie können diese Fähigkeiten gefördert werden? Das Ziel dieser Arbeit ist es Kenntnisse darüber zu entwickeln, wie sich mathematisches Denken im Vorschulalter entwickelt und welche Fähigkeiten Kinder bereits vor Schuleintritt erwerben, um einen Ausgangspunkt für die Förderung früher mathematischer Kompetenzen zu schaffen und diese zu verbessern. Zunächst wird ein Überblick über die bisher vorliegenden Forschungsbefunde zur Entwicklung mathematischer Kompetenzen von Vorschulkindern gegeben. Ausgehend von den Arbeiten von Piaget werden verschiedene Erkenntnisse zur Zahlbegriffsentwicklung betrachtet. Diese werden schließlich in einem Entwicklungsmodell früher mathematischer Kompetenzen von Krajewski zusammengeführt. Im dritten Kapitel werden Ergebnisse zur Bedeutung dieser frühen mathematischen Fähigkeiten für das schulische Mathematiklernen dargestellt. Bildungsoder Orientierungspläne sind als Voraussetzung für Kontinuität und Erfolg von früher Bildung zu sehen. Die Beiträge dieses Kapitels machen deutlich, wie wichtig es ist, die individuellen mathematischen Kompetenzen schon vor dem Beginn der Schule zu erfassen und zu fördern. Hierzu werden im vierten Kapitel einige Ansätze erläutert. Im letzten Kapitel werden die Erkenntnisse zusammengefasst und Hinweise für eine erfolgreiche Förderung mathematischer Kompetenzen im Vorschulalter gegeben.

2 Entwicklung mathematischer Kompetenzen im Vorschulalter

Befasst man sich mit Fragen zur mathematischen Bildung im Vorschulbereich, ist es unumgänglich, sich mit der Entwicklung mathematischer Kompetenzen auseinanderzusetzen. Diese beginnt wie die Entwicklung schriftsprachlicher Kompetenzen bereits in der frühesten Kindheit, was eine Vielzahl an Ergebnissen aus der Säuglingsforschung beweist4 Da der Vermittlung der Kulturtechniken „Zählen und Rechnen“ in der Grundschule eine zentrale Bedeutung zukommt und das Vorwissen über Zahlen im Vorschulalter für den Erfolg im späteren Mathematikunterricht wichtig ist, beschäftigt sich ein großer Teil der Forschung von der Entwicklung des mathematischen Denkens mit der Entwicklung des Zahlbegriffs und der Zählkompetenz.5

2.1 Die Erforschung der Zahlbegriffsentwicklung

Aufgrund entwicklungspsychologischer Forschung hat man Erkenntnisse über unterschiedliche Vorstellungsmodelle der Zahlbegriffsentwicklung und der Zählentwicklung, welche bei der Zahlbegriffsentwicklung von großer Bedeutung ist.6 Im Wesentlichen lassen sich bezüglich des Zahlbegriffserwerbs zwei konkurrierende Modelle zu den Bedingungen des Zahlbegriffs unterscheiden: das auf den Kognitionspsychologen Jean Piaget zurückgehende Logical-Foundations-Modell und die sich deutlich von Piagets Theorien absetzenden Skills-Integration-Modelle, die neuere fachdidaktische und entwicklungspsychologische Befunde reflektieren.7 Des Weiteren werden Erkenntnisse zur Entwicklung von Zählkompetenz und des Zahlbegriffs erläutert.

2.1.1 Das Logical-Foundations-Modell nach Piaget

Die Arbeiten Piagets beeinflussten die Theorie und Praxis der mathematischen Frühförderung in den 1960/70er und auch heute noch entscheidend. Er geht davon aus, dass sich der Zahlbegriff auf der Grundlage von logisch formalen Operationen entwickelt. Dabei geht Piaget im Wesentlichen von drei zentralen Operationen aus: (1) Erhaltung der Quantitäten und Invarianz der Mengen, (2) kardinale und ordinale Eins-zu-eins- Zuordnungen, (3) additive und multiplikative Kompositionen. Die Herleitung des kardinalen Zahlenaspekts (eine Zahl gibt die Anzahl der Elemente einer Menge an) erfolgt bei ihm über die Klassifikationen. Die Herleitung des ordinalen Aspekts (eine Zahl gibt den Rangplatz in einer geordneten Menge an) über die Ordnungsrelationen.8 Das Zählen hingegen leistet in seinen Augen keinen Beitrag zur Zahlbegriffsentwicklung, „da das laute Zählen erst dann eine wirklich numerische Bedeutung erlangt, wenn die Operationen im praktischen Bereich [Herstellung operatorischer Korrespondenz] logisch konstituiert worden sind.“9 Bis heute beeinflussen Piagets Postulate zur Zahlbegriffsentwicklung die Arbeit der Vorschulpädagoginnen und Pädagogen, obwohl Piagets Theorien bereits seit den späten 1970er Jahren in die Kritik von Entwicklungspsychologen und Fachdidaktikern gerieten Durch Impulse und geplante Aktivitäten, regen sie die Kinder zu logischen Operationen, also zum Klassifizieren und zur Seriation an, um sie „bei der Entwicklung ihres Zahlenverständnisses vorbereitend zu begleiten“10.. Die Kritik an Piagets Untersuchungen bezog sich neben forschungsmethodologischen Fragen bezüglich der Durchführung seiner Experimente, auch auf fachliche und fachdidaktische Aspekte. So ist beispielsweise Piagets Ansatz, dass Kardinal- und Ordinalzahlen weitgehend simultan entwickelt werden, nach verschiedenen Untersuchungen nicht länger haltbar. Es konnte gezeigt werden, dass das Verständnis der Ordinalzahl vor dem der Kardinalzahl entwickelt wird und dass gezieltes Training des Ordinalzahlaspektes zu einem größerem Zuwachs an arithmetischen Fähigkeiten führt als schwerpunktmäßige Aktivitäten zum Kardinalzahlaspekt.11

2.1.2 Numerische Fähigkeiten von Kleinkindern und Säuglingen

Auch Ergebnisse der Säuglingsforschung stehen im Wiederspruch zu Piagets Theorien. So konnte in Studien seit den 1980er Jahren gezeigt werden, dass bereits Säuglinge offenbar Fähigkeiten in Bezug auf Mengendiskrimination und das Erkennen von Mengenveränderungen haben.12 Mit Habituationsexperimenten, einer für Säuglinge besonders geeigneten Versuchsmethodik, hat man dies in den Achtziger und Neunziger Jahren nachgewiesen. Bei diesem Untersuchungsverfahren macht man sich die Tatsache zu nutzte, dass Säuglinge neue Dinge oder Ereignisse länger anschauen, also mehr Aufmerksamkeit widmen als solche, die sie schon kennen und an die sie sich gewöhnt („habituiert“13 ) haben. So wurden die Aufmerksamkeitsspanne von Säuglingen über die Fixationsdauer des Blicks gemessen. Man lässt Säuglinge Bilder oder Handlungen, die auf einem Bildschirm direkt vor ihnen präsentiert werden betrachten, dabei werden mit einer Kamera Blickrichtung und Fixationszeit festgehalten. Die Blickdauer bleibt unverändert kurz, wenn Ereignisse präsentiert werden, die für das Kind keinen neuen Reiz darstellen. Mit einer längeren Fixationsdauer reagieren sie, wenn ein dargebotener Reiz eine Veränderung oder etwas Unerwartetes bedeutet.14 Untersuchungen zur Mengenunterscheidung und einfacher Additions- und Subtraktionsleistungen verweisen auf die Annahmen, dass Kinder bereits über numerische Kompetenzen verfügen, bevor sie zählen können. Daraus, dass Kinder die Mengenunterschiede erkennen, kann nicht auf ein Verständnis der Prozesse zur Mengenveränderung geschlossen werden. Man geht aber davon aus, dass offensichtlich schon im frühesten Kindesalter „eine gewisse Sensibilität für Mengen und Mengenveränderungen vorhanden ist, die dem Kind als Ansatzpunkt für mathematisches Denken und Lernen dienen kann.“15

2.1.3 Skills-Integration-Modelle zur Zahlbegriffsentwicklung

Im Zusammenhang mit der Kritik an Piagets Theorie zur Zahlbegriffsentwicklung und dem auf dieser Theorie gründenden Logical-Foundations-Modell, wurden seit den 1980er Jahren basierend auf entsprechenden Untersuchungsergebnissen vor allem im angloamerikanischen Sprachraum alternative Modelle entwickelt, die Clements unter dem Begriff Skills-Integration-Models zusammenfasst.16 Die Entwicklung des Zahlbegriffs basiert, unter der Annahme, dass bereits junge Kinder über Fertigkeiten und Einsichten in Bezug auf Zahlen verfügen, auf der Integration verschiedener Begriffe, Fähigkeiten und Fertigkeiten. Von Vertretern dieses Ansatzes werden besonders die Integration von so genannten Number Skills wie Zählen, Subitizing und Vergleichen hervorgehoben.17 Clements konnte in einer Interventionsstudie empirisch belegen, dass Vorschulkinder bezüglich ihrer Zahlbegriffsentwicklung eindeutig von einem auf Zählfertigkeiten basierten Training profitieren konnten.18 Die Ergebnisse der Studie indizieren, dass beim Training der Zählfertigkeiten die logischen Operationen implizit mittrainiert wurden. „Entsprechend ist spezielles Training in logischen Operationen eher unnötig, während ein gut strukturiertes Training von Zählkompetenzen nicht nur die Entwicklung dieser Fähigkeit fördert, sondern auch die Grundlage für den Erwerb eines umfassenden Zahlbegriffs bildet.“19

2.1.4 Die Entwicklung von Zählkompetenz und Zahlbegriff

Resnick beschreibt 1989 die zuerst unabhängige Entwicklung von zwei Typen kognitiver Schemata.20 Neben dem Erwerb der Zahlwortreihe entwickelt sich auch räumlich-analoges Wissen über Quantitäten, d.h. bevor Kinder Mengen konkret beurteilen können, erwerben sie ein nichtnumerisches quantitatives Wissen, welches Resnick protoquantitative Schemata nennt. Das protoquantitative Schema des Vergleichs ermöglicht es Kindern Urteile über Quantitäten zu fällen, indem sie Mengen von Objekten zuerst als „viel“ oder „wenig“ bezeichnen und diese Mengen anschließend wahrnehmungsgebunden miteinander vergleichen. Mit diesem Schema können Kinder auch beurteilen, ob eine numerisch unbestimmte Menge mehr oder weniger wird, wenn etwas hinzugefügt oder weggenommen wird. Verknüpft mit dem Wissen über die Zahlwortreihe bildet dieses Schema die Grundlage für die Addition und Subtraktion. Das protoquantitative Teil- Ganzes-Schema spiegelt das Verständnis über die Zerlegung einer Menge in Teile und die Zusammenfügung dieser Teile zur ganzen Menge wider. Erhält dieses Schema später auch einen Zahlbezug, gelangen Kinder zu Erkenntnissen über die Beziehungen zwischen Zahlen. Dieses nennt Resnick das zahlbezogene Teil-Ganzes-Schema. Es organisiert das Wissen über die Beziehungen zwischen Teilen und dem Ganzen und ermöglicht Formen des mathematischen Denkens, die jüngeren Kindern nicht zugänglich sind, Dieses Schema liegt verschiedenen Typen von Textaufgaben zugrunde, in denen nach verschiedenen Mengen wie der Summe, der Differenz, der Startmenge oder der Austauschmenge gefragt wird. „Der komplexe Prozess der Entwicklung von Zählkompetenz besteht unter anderem aus einem Zusammenspiel der Kenntnis der Zahlwortreihe, dem Abzählen im Sinne der Eins-zu-eins-Zuordnung von Objekt und Zahlwort, sowie dem Verständnis verschiedener Zahlaspekte.“21

Die Zählentwicklung ist an den Erwerb der Zahlwortreihe geknüpft. Fuson beschreibt in seinem Modell der Zählentwicklung in fünf Entwicklungsschritten, wie Kinder die Zahlwortreihe erwerben, um sie letztendlich erfolgreich beim Zählen verwenden zu können. Der Entwicklung geht voraus, dass Kinder offensichtlich frühzeitig Zahlwörter von anderen Wörtern unterscheiden können.22 Erste Schritte in der Zählentwicklung werden im String level (Zahlwortreihe als Ganzheit) beschrieben. Die Zahlwortreihe kann nur als Ganzes aufgesagt werden, einzelne Wörter werden nicht als solche erkannt. In dieser Phase können zwar bereits einzelne Zahlwörter als Einheit aufgefasst werden, es gibt aber auch Abschnitte innerhalb der Zahlwortreihe, die als festgelegtes Ganzes verstanden werden. Die Eins-zu-eins Zuordnung von Zahlwort und Objekt wird erst im nächsten, dem Unbreakable list level (Unflexible Zahlwortreihe) möglich. Jedem zu zählenden Objekt wird hier bereits eindeutig ein Zahlwort zugeordnet, sodass die Zahlwortreihe zum Abzählen genutzt werden kann. Die richtige Reihenfolge kann aber trotzdem nur produziert werden, wenn das Kind mit „eins“ beginnt. Im Alter von etwa vier Jahren erreichen Kinder das Breakable chain level (Teilweise flexible Zahlwortreihe) und können von jeder beliebigen Startzahl aus mit dem Zählen beginnen. Jedes Wort wird getrennt von anderen Zahlwörtern wahrgenommen und es kann ohne Schwierigkeiten der Nachfolger und der Vorgänger genannt werden. Es entwickelt sich außerdem die Fähigkeit, rückwärts zu zählen, wobei Fuson eine eindeutige zeitliche Verzögerung zwischen dem Erwerb der Zahlwortreihe vorwärts und dem der Zahlwortreihe rückwärts feststellte. Es folgt das Numerable chain level (Flexible Zahlwortreihe), in dem ein Kind von jeder beliebigen Zahl schrittweise weiterzählen kann. Jedes Zahlwort beschreibt die Menge der abgezählten Objekte und zugleich die Anzahl der vorausgegangenen Zahlworte und Zählschritte. Damit wird auch die Zahlwortreihe zählbar. Auf dem letzten Level, dem Bidirectional chain level (Vollständig reversible Zahlwortreihe), können Kinder von beliebigen Zahlwörtern beginnend zügig vorwärts und rückwärts zählen und flexibel zählend rechnen.23

Während Fuson davon ausgeht, dass die Aktivitäten und Gelegenheiten, die den Kindern zum Erproben und Lernen der Zahlwortreihe geboten werden, den Zahlbegriffserwerb wesentlich beeinflussen, gehen Gelman und Gallistel24 davon aus, dass es Prinzipien des Zählen gibt, die schon vor dem Erlernen der eigentlichen Zahlwortreihe vorhanden sind. Diese fünf Prinzipien umschreiben, was eine erfolgreiche Zählprozedur ausmacht. Das One-one Principle (Eindeutigkeitsprinzip) beschreibt die Eins-zu-eins-Zuordnung von Zahlworten und den Elementen der abzuzählenden Menge. Beim Zählen muss jedem Gegenstand genau ein Zahlwort zugeordnet werden. Das Stable-Order Principle (Prinzip der stabilen Ordnung) sagt, dass die Zahlworte in einer stabilen, jederzeit wiederholbaren Reihenfolge verwendet werden muss. Mit dem Cardinal Principle (Kardinalzahlprinzip) wird beschrieben, dass das im Zählakt zuletzt genannte Zahlwort nicht nur dieses Objekt beschreibt, sondern auch die Anzahl aller abgezählten Elemente angibt. Die drei genannten Prinzipien beschreiben Grundlagen für einen erfolgreichen Zählprozess und werden deshalb „how-to-count-principles“ genannt. Das nächste Prinzip bezieht sich auf die zu zählenden Gegenstände und wird deshalb „what-to-count-principle“ genannt. 25 Das Abstraction Principle (Abstraktionsprinzip) gibt an, dass beliebige Gegenstände unabhängig von ihren Merkmalen zu einer Menge zusammen gefasst und gezählt werden können. Das letzte Prinzip bezieht sich wiederum auf alle vorausgehenden. Das Order- Irrelevance Principle (Prinzip der Irrelevanz der Anordnung) beschreibt, dass die Anordnung in der die Elemente gezählt werden, keine Auswirkungen auf das Zählergebnis hat.

[...]


1 vgl. Prenzel et al., 2004, S.274f.

2 vgl. Hellmich, 2008, S.88.

3 vgl. Jugendministerkonferenz, 2002, S.1f.

4 vgl. Krajewski, 2008a, S.275.

5 vgl. Ftheakis et al., 2009, S.83.

6 vgl. Gasteiger, 2010, S.19.

7 vgl. Krajewski, Grüßing, Peter-Koop, 2009, S.18.

8 vgl. Piaget, 1964, S.50ff.

9 vgl. Piaget, Szeminska, 1972, S.100.

10 van Oers, 2004, S. 313.

11 vgl. Krajewski, Grüßing, Peter-Koop, 2009, S.19.

12 vgl. ebd.

13 Krajewski, 2005, S.49.

14 vgl. Krajewski, 2005, S.49f.

15 Gasteiger, 2010, S.24.

16 vgl. Clements, 1984, S.766ff.

17 vgl. Krajewski, Grüßing, Peter-Koop, 2009, S.21.

18 vgl. ebd.

19 vgl. Krajewski, Grüßing, Peter-Koop, 2009, S.21.

20 vgl. Resnick, 1989, S.162ff.

21 Krajewski, Grüßing, Peter-Koop, 2009, S.22.

22 vgl. Fuson, 1988, S.35ff.

23 vgl. Ebd.

24 vgl. Gelman, Gallistel, 1986, S.77ff.

25 Gelman, Gallistel, 1986, S.80.

Details

Seiten
Jahr
2011
ISBN (eBook)
9783656129325
ISBN (Paperback)
9783656130338
DOI
10.3239/9783656129325
Dateigröße
554 KB
Sprache
Deutsch
Institution / Hochschule
Universität Koblenz-Landau – Institut für Mathematik
Erscheinungsdatum
2012 (Februar)
Note
1,3
Schlagworte
mathematische Kompetenzen Vorschulalter Vorschule Förderung Vorläuferfähigkeiten frühe Kompetenzen
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