Urteilsanalyse zur Entscheidung BGH − VIII ZR 220/10
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Zusammenfassung
Im vorliegenden Fall erwarben die in Frankreich wohnhaften Kläger mit Kaufvertrag vom 23. Februar 2008 bei der in Deutschland ansässigen Beklagten einen neuen Camping-Faltanhänger.
Die Kläger rügten in der Folgezeit verschiedene Mängel und forderten die Beklagte mit Schreiben vom 04. Juni 2008 unter Fristsetzung zum 18. Juni 2008 auf, den Faltanhänger abzuholen und die Mängel zu beseitigen. Ein daraufhin vereinbarter Abholtermin bei den Klägern scheiterte. Mit Schreiben vom 10. Juli 2008 setzten die Kläger der Beklagten erneut eine Frist zur Abholung des Faltanhängers bis zum 14. Juli 2008 und erklärten nach fruchtlosem Ablauf dieser Frist den Rücktritt vom Kaufvertrag.
(...)
Das zentrale Problem des Falles ist daher die Bestimmung Nacherfüllungsortes im Kaufrecht. Unter Erfüllungsort versteht man denjenigen Ort, an dem der Schuldner die Leistungshandlung vornehmen muss und nicht den Ort, an dem der Leistungserfolg (und damit die Erfüllung im Sinne von § 362 I BGB) eintritt.
Der BGH wies die Klage mit der Begründung ab, dass der Rücktritt, aufgrund der von den Käufern unterlassenen, aber mit Hinweis auf § 269 I BGB, notwendigen Mitwirkungshandlung, nicht wirksam war.
Mit dieser Entscheidung lehnt der BGH die bisher in Rechtsprechung und Literatur vertretenen Hauptauffassungen bezüglich des Nacherfüllungsortes ab und entscheidet sich bei der Bestimmung des Nacherfüllungsortes für den Rückgriff auf die allgemeine Regelung des § 269 I BGB, um interessengerechtere Ergebnisse zu erzielen (A). Ob diese Entscheidung des BGH nun zu mehr Rechtssicherheit bei der Bestimmung des Erfüllungsortes der Nacherfüllung führt, ist jedoch fraglich (B).
Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
Urteilsanalyse zur Entscheidung BGH − VIII ZR 220/10
A. Eine interessengerechte Lösung für alle Nacherfüllungssituationen
I. Die vorinstanzlichen Entscheidungen : Widerspieglung des Meinungsstreites in Literatur und Rechtssprechung
1. Nacherfüllungsort am Belegenheitsort der Sache
2. Gleichsetzung von Nacherfüllungsort und ursprünglichem Erfüllungsort
3. Vermittelnde Ansicht: variabler Nacherfüllungsort
II. Die BGH-Entscheidung: Eine differenzierte Bestimmung des Nacherfüllungsortes nach den Umständen des Einzelfalls
1. Die Ablehnung der Begründung der vorinstanzlichen Entscheidungen
2. Bestimmung des Nacherfüllungsortes über § 269 I BGB
B. Eine Lösung zu Gunsten der Flexibilität, aber zu Ungunsten der Rechtssicherheit
I. Unsichere Richtlinienkonformität der BGH-Entscheidung
1. Falsche Auslegung des Begriffs „Ersatzlieferung?
2. Tatsächliche Unentgeltlichkeit der Nacherfüllung für den Käufer?
3. Widersprüche zwischen EuGH und BGH in den Entscheidungsgründen
II. Rechtssicherheit nur durch Parteivereinbarung
1. Schwierigkeiten durch die Wertungsentscheidung
2. Folgen für die Praxis
C. Stellungnahme
Urteilsanalyse zur Entscheidung BGH − VIII ZR 220/10
Das am 13. April 2011 ergangene Urteil des BGH betrifft die Bestimmung des Erfüllungsortes bei der Nacherfüllung im Kaufrecht und ist die erste höchstrichterliche Entscheidung zu dieser Frage.
Im vorliegenden Fall erwarben die in Frankreich wohnhaften Kläger mit Kaufvertrag vom 23. Februar 2008 bei der in Deutschland ansässigen Beklagten einen neuen Camping-Faltanhänger.
Die Kläger rügten in der Folgezeit verschiedene Mängel und forderten die Beklagte mit Schreiben vom 04. Juni 2008 unter Fristsetzung zum 18. Juni 2008 auf, den Faltanhänger abzuholen und die Mängel zu beseitigen. Ein daraufhin vereinbarter Abholtermin bei den Klägern scheiterte. Mit Schreiben vom 10. Juli 2008 setzten die Kläger der Beklagten erneut eine Frist zur Abholung des Faltanhängers bis zum 14. Juli 2008 und erklärten nach fruchtlosem Ablauf dieser Frist den Rücktritt vom Kaufvertrag.
Das Landgericht hat der auf Rückzahlung des Kaufpreises (nebst Zinsen) Zug um Zug gegen Rückgabe des Faltanhängers gerichteten Klage der Käufer im Wesentlichen stattgegeben. Auf die Berufung des Verkäufers hat das Oberlandesgericht Koblenz das Urteil abgeändert und die Klage abgewiesen. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision erstrebten die Kläger die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils, diese wurde jedoch vom BGH abgewiesen.
Problem im vorliegenden Fall war die Wirksamkeit des Rücktritts der Käufer. Der Rücktritt erfordert eine Fristsetzung (Schreiben vom 10. Juli 2008) und einen fruchtlosen Fristablauf. Vorliegend ist der Fristablauf abhängig von der Frage, ob der Erfüllungsort der Nacherfüllung beim Käufer oder beim Verkäufer liegt. Obliegt es dem Käufer, die Sache zum Verkäufer zu bringen, damit dieser seine Nacherfüllungspflicht vornehmen kann, so haben die Käufer vorliegend ihre Obliegenheit zur Mitwirkung verletzt, indem sie der Verkäuferin nicht die Gelegenheit gegeben haben die Nacherfüllung vorzunehmen. Mithin wäre der Rücktritt unwirksam. Folgt man jedoch der Ansicht, dass der Erfüllungsort am Belegenheitsort der Sache ist, so wäre der Rücktritt aufgrund des fruchtlosen Fristablaufs wirksam.
Das zentrale Problem des Falles ist daher die Bestimmung Nacherfüllungsortes im Kaufrecht.[1] Unter Erfüllungsort versteht man denjenigen Ort, an dem der Schuldner die Leistungshandlung vornehmen muss und nicht den Ort, an dem der Leistungserfolg (und damit die Erfüllung im Sinne von § 362 I BGB) eintritt.[2]
Der BGH wies die Klage mit der Begründung ab, dass der Rücktritt, aufgrund der von den Käufern unterlassenen, aber mit Hinweis auf § 269 I BGB, notwendigen Mitwirkungshandlung, nicht wirksam war.
Mit dieser Entscheidung lehnt der BGH die bisher in Rechtsprechung und Literatur vertretenen Hauptauffassungen bezüglich des Nacherfüllungsortes ab und entscheidet sich bei der Bestimmung des Nacherfüllungsortes für den Rückgriff auf die allgemeine Regelung des § 269 I BGB, um interessengerechtere Ergebnisse zu erzielen (A). Ob diese Entscheidung des BGH nun zu mehr Rechtssicherheit bei der Bestimmung des Erfüllungsortes der Nacherfüllung führt, ist jedoch fraglich (B).
A. Eine interessengerechte Lösung für alle Nacherfüllungssituationen.
Die durch das Landgericht und Oberlandesgericht ergangenen Urteile zeigen den aktuellen Meinungsstreit in Literatur und Rechtssprechung zur Bestimmung des Nacherfüllungsortes im Kaufrecht auf (I). Der BGH beendet diesen Streit jedoch nicht mit der Befürwortung einer der vertretenen Hauptauffassungen, sondern entscheidet sich für die Bestimmung des Nacherfüllungsortes gemäß § 269 BGB (II).
I. Die vorinstantzlichen Entscheidungen : Widerspiegelung des Meinungsstreites in Literatur und Rechtssprechung.
Während das Landgericht die Klage der Käufer für begründet erklärt (1), weist das Berufungsgericht die Klage der Käufer ab und gibt dem Verkäufer recht (2). Mithin spiegeln diese beiden Entscheidungen die zwei Hauptauffassungen in Literatur und Rechtssprechung zur Bestimmung des Nacherfüllungsortes wider.
1. Nacherfüllungsort am Belegenheitsort der Sache
Indem das Landgericht der Klage der Käufer im Wesentlichen stattgibt und mithin den Rücktritt für begründet hält, schließt es sich der bislang herrschenden Ansicht an, nach welcher der Erfüllungsort der Nacherfüllung nach § 439 BGB der aktuelle Belegenheitsort der Sache ist.[3] Nach dieser Meinung trägt der Verkäufer grundsätzlich das Verbringungsrisiko der Sache, zum Beispiel wie im vorliegenden Fall ins Ausland. Allerdings nimmt diese Ansicht bei einer unvorhersehbaren Verbringung über weite Distanzen eine Korrektur über § 242 BGB vor.
Zur Begründung der Auffassung, dass der Nacherfüllungsort grundsätzlich am aktuellen Belegenheitsort sei, werden mehrere Argumente angeführt:
So wird dieses Ergebnis über einen Rückschluss aus dem Rücktritts- und Widerrufsrecht begründet, für die als Erfüllungsort der Belegenheitsort gesetzlich bestimmt wird. Hieraus ergäbe sich, dass dies auch für die Nacherfüllung gelten müsse, da § 439 IV BGB durch seinen Verweis eine einheitliche Betrachtung fordere.
Teleologisch wird argumentiert, dass zum einen das Wort „ Lieferung “ in § 439 I BGB für eine Bringschuld spreche, und dass Interessenwertung und Lastenverteilung in § 439 II BGB für die Nacherfüllung am Belegenheitsort sprächen. Wäre am ursprünglichen Leistungsort nachzuerfüllen, müsste der Käufer den Transport unter Einsatz von Zeit und Arbeitskraft organisieren und das Regressrisiko bezüglich der Transportkosten tragen. Dies verstieße gegen Artikel 3 III 2, IV VerbrGüterKRL, da dies den Käufer mit „ erheblichen Unannehmlichkeiten “ belasten könne.[4] Zudem müsse der Verkäufer ansonsten die vom Käufer aufgewendeten Transportkosten tragen, auf welche er keinen Einfluss habe. Oftmals könne jedoch der Verkäufer den Transport günstiger durchführen.[5]
2. Gleichsetzung von Nacherfüllungsort und ursprünglichen Erfüllungsort
Das OLG lehnte die Klage der Käufer auf Berufung der Beklagten ab. Mithin erteilte das OLG der vom LG und herrschender Lehre vertretenen Ansicht eine Absage und vertrat die Auffassung, dass der Erfüllungsort für den Nacherfüllungsanspruch aus § 439 I BGB stets identisch mit dem ursprünglichen Erfüllungsort der Primärleistung ist.[6] Der Käufer kann jedoch verlangen, dass der Verkäufer ihm die aufgewendeten Transportkosten ersetzt, § 439 II BGB.[7]
Zur Begründung wird angeführt, dass es sich beim Nacherfüllungsanspruch um einen modifizierten Erfüllungsanspruch handle. Dies folge daraus, dass bei Lieferung einer mangelhaften Sache keine Erfüllung nach § 362 I BGB eintrete, sondern, dass sich der ursprüngliche Anspruch des Käufers (§ 433 I 1 BGB: Übergabe und Übereignung) in den Nacherfüllungsanspruch nach § 437 Nr. 1, § 439 BGB verwandle. Auf der Grundlage dieses dogmatischen Ansatzes sei der für den Primärleistungsanspruch des Käufers geltende Erfüllungsort regelmäßig auch für den Nacherfüllungsanspruch maßgebend.
Dass der Käufer nun wie im vorliegenden Fall die Sache unter Umständen zum Verkäufer bringen muss, stelle laut dieser Ansicht keinen Widerspruch zu Artikel 3 III 2 VerbrGüterKRL dar, da die notwendige Organisation und die aufgewendete Zeit nicht als „ erhebliche Unannehmlichkeiten “ im Sinne der VerbrGüterKRL qualifiziert werden könnten.[8] Zur weiteren Begründung wird aufgeführt, dass der Nacherfüllungsanspruch nicht über den ursprünglichen Erfüllungsanspruch hinaus gehen dürfe.
3. Vermittelnde Ansicht: variables Nacherfüllungsort
Nach einer weiteren Auffassung in der Literatur, widersprechen diese beiden Meinungen der Verkehrsanschauung, da sie keine Differenzierung hinsichtlich der Sache vornehmen. Für die Differenzierung zieht diese vermittelnde Ansicht die Verkehrsauffassung und die Schutzrichtung der Verbrauchsgüterkaufrichtlinie heran. Maßgeblich ist, ob der Verkäufer davon ausgehen darf, dass die mangelhafte Sache zu ihm zurückgebracht wird. Dies sei dann der Fall, wenn die Sache leicht zu transportieren ist und üblicherweise vom Käufer transportiert wird. Von der Transportfähigkeit ist auszugehen, wenn der durchschnittliche Verbraucher die Sache selbst in zumutbarer Weise transportieren kann, was abhängig ist von Art und Beschaffenheit der Sache, (Maß, Gewicht und Verbindung mit einem Gebäude oder anderen Sachen). In Anlehnung an den Rechtsgedanken aus § 356 II, 357 II BGB ist die Transportfähigkeit stets zu bejahen, wenn ein Paketversand auf postalischem Weg möglich ist.[9] Die Transportfähigkeit ist zu verneinen, wenn der Käufer die Hilfe fremder Personen benötigt, die anders als der Postweg nicht zum üblichen Alltagsgeschäft gehören. Die Transportüblichkeit kann grundsätzlich bei Alltagsware bejaht werden.
[...]
[1] Faust, JuS 2011, S. 748 – 751 (749).
[2] Faust, JuS 2011, S. 748 – 751 (749).
[3] OLG München, Urteil vom 12/10/2005 – 15 U 2190/05 = NJW 2006, 449 (450);
MüKo/ Westermann § 439 Rd. 7; Bamberger/Roth /Faust BGB § 439 Rd. 13;
Huber, NJW 2002, 1004 (1006); Oetker/Maultzsch, vertragliche SchuldV, § 2 Rd 183.
[4] Faust, JuS 2008, 84, (85).
[5] AG Menden, NJW 2004, 2171; Faust, JuS 2008, 84/85 (85).
[6] OLG München, Urteil vom 20/06/2007 – 20 U 2204/07 = NJW 2007, 3214;
Lorenz, NJW 2009, 1633 - 1637 (1635); Muthorst, ZGS, 2007, 370 (370); Palandt/ Weidenkaff,
- 439 Rd. 3a; Skamel ZGS 2006, 227 (227); Unberath/Cziupka, JZ 2008, 867 (867).
[7] Pils, JuS 2008, 767 (768).
[8] Skamel, ZGS 2006, 227 (227).
[9] Palandt/ Grüneberg, § 356 Rd. 8 und § 357 Rd 4.