Filmanalyse zu Thomas Jensens' "Adams Äpfel" unter Betrachtung der Theodizeefrage
Theologie
Zusammenfassung
Der Film „Adams Äpfel“ leistet dazu einen Beitrag, indem er verschiedene Möglichkeiten zum Umgang mit der Theodizeefrage darstellt.
Kernthematik dieser Arbeit ist daher die Analyse der Leidbewältigung der Hauptcharaktere. Wie kann der christliche Glaube darauf antworten? Zu letzterem wird der evangelische Theologe Jürgen Moltmann zu Rate gezogen. Doch auch eine grundsätzliche Betrachtung theologischer Elemente im Film wird ihren Raum finden.
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Inhaltsverzeichnis
Inhaltsverzeichnis
1 Über diese Arbeit
2 Filmanalyse
2.1 Thomas Jensens' „Adams Äpfel“
2.2 Narrative Analyse
2.3 Theodizeefrage im Film
2.3.1 Ivan und Adams Umgang mit Leid und Bösem
2.4 Die höhere Macht im Film
2.5 Schlüsselsequenz: Das Hiobbuch - Ivan kann die Wahrheit nicht länger leugnen
2.5.1 Filmische Mittel
2.5.2 Deutung
2.6 Theologische Thematik
3 Theologische Interpretation
3.1 Implizite und explizite Religion im Film
3.2 Die Kreuzestheologie Moltmanns als mögliche Antwort
4 Fazit
5 Literaturverzeichnis
6 Anhang
6.1 Weitere Analyse filmischer Mittel
6.2 Zusammenfassung von Moltmanns Kreuzestheologie hinsichtlich des Leides
6.3 Jury-Begründung für den Gabriel
1 Über diese Arbeit
Auch heute noch ist die Theodizeefrage (wie kann Gott Leid zulassen, wenn er gerecht ist?) eine wichtige und relevante Herausforderung für die Theologie, sowie für alle Menschen, die angesichts des Leides auf Erden nicht von einem Gottesbegriff lassen wollen. Sie verlangt Beachtung und will in irgendeiner Form behandelt werden. Der Film „Adams Äpfel“ leistet dazu einen Beitrag, indem er verschiedene Möglichkeiten zum Umgang mit der Theodizeefrage darstellt.
Kernthematik dieser Arbeit ist daher die Analyse der Leidbewältigung der Hauptcharaktere. Wie kann der christliche Glaube darauf antworten? Zu letzterem wird der evangelische Theologe Jürgen Moltmann zu Rate gezogen. Doch auch eine grundsätzliche Betrachtung theologischer Elemente im Film wird ihren Raum finden.
2 Filmanalyse
2.1 Thomas Jensens' „Adams Äpfel“
„Adams Äpfel“ ist eine groteske schwarze Komödie des dänischen Regisseurs und Drehbuchautors Anders Thomas Jensen aus dem Jahr 2005, produziert in Dänemark. In Deutschland kam der Film am 31.08.2006 in die Kinos.[1] Hauptdarsteller des Films sind Mads Mikkelsen (als Pfarrer Ivan Fjeldsted), Ulrich Thomsen (als Neonazi Adam Pedersen), Paprika Steen (als schwangere Alkoholikerin Sarah), Ole Thestrup (als Arzt Dr. Kolberg), Ali Kazim (als Tankstellenräuber Khalid), Nicolas Bro (als Triebtäter Gunnar), sowie Nikolaj Lie Kaas (als Holger).[2]
Für den Oscar nominiert wurden Jensens Werke „Ernst und das Licht“, „Wolfgang“, „Wahlnacht“, alle drei jeweils in der Kategorie „Bester Kurzfilm“, sowie „Nach der Hochzeit“. Besonders bekannt ist neben „Adams Äpfel“ noch sein Werk „In China essen sie Hunde“. Jensen arbeitet meist in den Genren Komödie bzw. schwarze Komödie.[3]
Der Film wurde für diverse Preise nominiert, bzw. ausgezeichnet. U.a. nominiert für den Europäischen Filmpreis 2005, 2006, in den Kategorien „Bestes Drehbuch“ bzw. für den Jameson-Publikumspreis, „Bester Film“. Insbesondere ist noch der „Kulturpreis dänischer Pastoren“ Gabriel zu nennen.[4]
2.2 Narrative Analyse
Mit unbedingter Güte, die in einem Menschen nur das Gute sieht, und missionarischem Eifer hat es sich Pfarrer Ivan zur Aufgabe gemacht, ehemalige Straftäter auf Bewährung auf dem Kirchengelände zu betreuen und zu bekehren. Neben Gunnar, einem gescheiterten Tennisspieler, Kleptomanen und Alkoholiker, befindet sich noch Khalid, ein arabischstämmiger Tankstellenräuber in der Obhut des Pfarrers. In diese bestehende Konstellation kommt zu Beginn des Filmes Adam, ein glatzköpfiger Neonazi hinzu.
Nach der grotesken Exposition überrascht weiter das allmähliche Aufdecken der Wahrheit über Ivans Leben. In dieser Enthüllung wird deutlich, dass der Pfarrer eine tragische Geschichte hat, die ihm zur Verdrängung von Schicksalsschlägen führt. Pfarrer Ivan hat aus seinem Leben alles Böse verbannt, abgesehen von Versuchungen durch den Satan, wie nach und nach deutlich wird. Er geht davon aus, dass das Gute immer gewinnt und Gott auf seiner Seite steht. So ignoriert er u.a., dass sein Sohn querschnittsgelähmt ist, sich seine Frau das Leben nahm und er als Kind von seinem Vater misshandelt wurde. Außerdem hat Ivan einen Hirntumor, der aber in seiner Distanzierung von den Schicksalsschlägen von ihm nicht anerkannt wird. Ivan begegnet auch dem Neonazi Adam in Freundlichkeit und Liebe. Auf Ivans Frage, welche Aufgabe Adam während seines Aufenthalts erfüllen möchte, antwortet dieser sarkastisch, er wolle einen Apfelkuchen backen. Ivan nimmt ihm beim Wort und gibt ihm die Aufgabe den Apfelbaum vor der Kirche zu pflegen und aus den Äpfeln später einen Apfelkuchen zu backen. Der Baum wird jedoch von diesem Zeitpunkt an Ziel verschiedener Angriffe und letztlich von einem Blitz zerstört.
Je länger Adam auf dem Gelände mit den anderen Straftätern lebt und je mehr er Pfarrer Ivan kennenlernt, umso mehr wird ihm bewusst, dass Ivan alles Böse im Menschen verdrängt. Ivan will nicht bemerken, dass sich die anderen Sträflinge nicht bessern. Der Film entwickelt sich zu einem Drama. Er ist nun keine einfache Komödie mehr, wie man zu Beginn vielleicht noch vermutet, sondern eine dramatische, schwarze Komödie, die zum Nachdenken anregt. Neonazi Adam macht es sich zur Aufgabe dem Pfarrer die Realität vor Augen zu führen, indem er ihn mit der für ihn tragischen Wahrheit konfrontiert. Zum einen ist das die bisher missglückte Resozialisierung der Sträflinge, Adam selbst inbegriffen, zum anderen aber vor allem die Schicksalsschläge Ivans. Doch Ivan leugnet diese weiterhin und deutet alles Böse stets als Prüfung des Satans. Auch die ungewöhnliche Vernichtung des Apfelbaumes interpretiert er als solche. Die in diesem Kampf zwischen Adam und Ivan entstehende Spannung, wird in der Konfrontation mit dem Hiobbuch aufgelöst. Nachdem die Bibel auf wundersame Weise mehrmals herunter fiel und Adam immer das Buch Hiob aufgeschlagen fand, konfrontiert er Ivan mit seiner eigenen Deutung des Hiobbuches: Nicht der Teufel prüfe Ivan, sondern Gott hasse ihn. Ivan selbst hatte bisher die Begegnung mit dem Hiobbuch vermieden. Daraufhin gibt es einen Wandel in Ivans Wahrnehmung: Er erkennt die Schicksalsschläge als real an. Adam siegt, Ivan erkennt das Böse auch außerhalb der Versuchungen durch den Satan an.
Daraufhin verschlechtert sich Ivans Gesundheitszustand dramatisch und er verfällt in eine Depression. In der kleinen Lebensgemeinschaft verschlechtern sich die Dinge zunehmend. Die Sträflinge werden noch auffälliger und es kommt durch Adams rechtsradikale frühere Freunde zu Schusswechseln, bei dem Ivan einen Kopftreffer erleidet und scheinbar ohne Aussicht auf Genesung ins Krankenhaus eingeliefert wird. Adam erledigt unterdessen seine Aufgabe: Er backt aus den letzten verbliebenen Äpfeln des Apfelbaumes einen Apfelkuchen und bringt diesen Ivan vorbei. Es stellt sich heraus, dass Ivans Tumor durch den Kopfschuss herausgeschossen wurde, woraufhin der Arzt aufgrund der wissenschaftlich nicht erklärbaren Ereignisse das Krankenhaus verlässt. Der Film schließt schlussendlich mit einem positiven Ende, indem Ivan wieder hoffnungsvoller gemeinsam mit Adam die Arbeit in der Pfarrei fortführt. In der letzten Sequenz trägt Adam lange Haare und unterstützt Ivan als rechte Hand. Gemeinsam begrüßen sie zwei neue Straftäter. Damit verfolgt der Film prinzipiell eine klassische Dreiaktstruktur, bestückt mit Überraschungen, an einem Hauptstrang entwickelt. Im Fokus steht allerdings nicht die Entwicklung einer Geschichte, sondern vielmehr die Entwicklung der einzelnen Charaktere, die sicherlich in die Geschichte eingebunden sind, aber nicht durch deren Entwicklung in den Hintergrund geraten.
2.3 Theodizeefrage im Film
Im Folgenden soll nun die Botschaft des Filmes unter Betrachtung der Kernthematik analysiert werden. Zentral soll hier Pfarrer Ivans persönlicher Umgang mit dem Bösen dargestellt werden. Daneben soll auch Raum sein, den Umgang des rechtsradikalen Adam mit dem Bösen zu betrachten. Ohnehin ist eine Betrachtung des Einen ohne den Anderen nicht möglich, da sich die beiden Rollen gegenseitig bedingen: Erst durch Adams Provokation gelingt es Ivan, einen klaren, ungeschönten Blick auf die Realität zu erhalten und von seiner krankhaften Gutmütigkeit und ebenso von der Ignoranz seiner Schicksalsschläge befreit zu werden. Adam erfährt seine heilende Katharsis, als Ivan depressiv am Nullpunkt angelangt ist.[5] Adam tut mit seinen Provokationen an Ivan etwas Gutes, auch wenn er das nicht will. Regisseur Jensen bezeichnet diese Wandlung als einen Wandel hin zur Erlösung für die einzelnen Figuren.[6] Die beiden Hauptcharaktere bedingen sich gegenseitig, es scheint aber auch eine dritte Macht beteiligt zu sein, die beide, sowie die Entwicklung der Geschichte maßgeblich beeinflusst. Diese höhere Macht lenkt die Entwicklung der Charaktere entscheidend mit und hat offenbar ein Interesse an beider Katharsis. Deshalb soll sie in der Analyse ebenso berücksichtigt werden. Sie scheint es auch zu sein, die Adam dazu bewegt, das Buch Hiob zu lesen. Ivans Konfrontation mit diesem Buch ist der entscheidende Grund, weshalb dieser letztlich seine Schicksalsschläge annimmt und auch Böses außerhalb der Versuchungen des Satans akzeptiert. Der Film kann auch als Kommentar zum Buch Hiob verstanden werden[7], das nun in der Personenanalyse ebenfalls berücksichtigt werden soll. Die Geschichte Hiobs soll neben die Geschichte Ivans gehalten werden, um Unterschiede und Gemeinsamkeiten zu verdeutlichen. Denn der biblische Hiob spielt eine Schlüsselrolle: Die höhere Macht wusste anscheinend, dass es Hiobs Geschichte sein wird, die Ivan entscheidend verändert. Unter Betrachtung von Hiobs Geschichte soll Ivans Persönlichkeit und Umgang mit dem Bösen untersucht werden.
2.3.1 Ivan und Adams Umgang mit Leid und Bösem
Hiob, ein reicher Viehherdenbesitzer im Land Zu, ist untadelig und rechtschaffen, fromm und gerecht. „ Er fürchtete Gott und mied das Böse.“ (Hi1,1). Ivan ist ein dänischer Landpfarrer, naiv und glaubt unerschütterlich an das Gute. Selbst bei schlimmen Dingen sieht er das Gute oder bezeichnet es als Prüfung durch den Satan. Ivan ist uneinsichtig und pendelt zwischen Realitätsverlust und Fanatismus. Sowohl Hiob als auch Ivan machen Unglücks- bzw. Leiderfahrungen. Hiob verliert Viehherden, seine Söhne und Töchter sterben beim Einsturz des Hauses und erleidet eine Krankheit, die ihn zwingt, von anderen Menschen Abstand zu halten. Ivan erfährt ebenso Leid: Seine Mutter stirbt bei seiner Geburt, er wird als Kind vom Vater sexuell missbraucht, seine Frau begeht Selbstmord, sein Sohn ist spastisch gelähmt, seine Schwester stirbt bei einem Unfall und Ivan hat einen Hirntumor. Auf seine Leiderfahrung reagiert Hiob, indem er sein Leid zunächst tapfer annimmt: „ Nehmen wir das Gute an von Gott, sollen wir dann nicht auch das Böse annehmen? “ (Hi2,10). Je schwerer das Leid allerdings wird, desto größer wird auch Hiobs Klage. Ebenso beklagt er das Schweigen Gottes – er versteht nicht, wieso er als rechtschaffener Mensch derart leiden muss[8]. Sein Leiden schreit er Gott entgegen – dieser trage die Verantwortung dafür. Ivan reagiert anders als Hiob auf das Böse und die Schicksalsschläge: Die Schicksalsschläge verdrängt bzw. harmonisiert er, das Böse schreibt er gänzlich dem Satan zu, der ihn prüfen wolle. Ivan ist dadurch unfähig, auf die wahren Bedürfnisse der Sträflinge und die seines Kindes einzugehen[9], ganz zu schweigen von seinen eigenen seelischen Bedürfnissen. Ein markanter Unterschied zwischen Hiob und Ivan: Hiob klagt an, Ivan verdrängt.
Die Menschen im Umfeld Hiobs bzw. Ivans reagieren auf deren Situation. Hiobs Frau fragt ihn, ob er noch immer an seiner Frömmigkeit festhalten wolle (Hi2,9), mit drei Freunden führt Hiob Streitgespräche, später auch mit einem vierten, Elihu. Die Freunde wollen Hiob zum Geständnis seiner angeblichen Schuld bewegen, was Hiob als Verspottung betrachtet (Hi12,4). Auch die Menschen in Ivans Umfeld reagieren auf seine Situation. Seine Gutmütigkeit und Weltfremdheit wird von den ehemaligen Sträflingen in seiner Pfarrei ausgenutzt. Sie führen ihre schlechten Sitten weiter und missbrauchen Ivan teilweise sogar dazu, sie dabei zu unterstützen. So bringt Ivan dem Triebtäter Gunnar regelmäßig Alkohol mit, in dem Glauben es handle sich um Hustensaft[10]. Sie akzeptieren Ivans selbstkreierte Realität in Form von fragwürdigen Überzeugungen[11] vermutlich deshalb, da sie selbst großen Freiraum durch einen Pfarrer genießen, der sie für gut hält. Dafür unterstützen sie Ivan sogar in der Aufrechterhaltung seiner selbstkreierten Realität. Ivan ignoriert ihre Lügen und Provokationen, was Adam wütend macht. Sein Ziel wird es, Ivan aus diesen Illusionen herauszureißen, ihn zu „knacken“, wie er es vor einem rechtsradikalen Bekannten bezeichnet[12]. Adam will Ivans Glaube an das Gute im Menschen brechen, insbesondere auch indem er ihm zeigt, dass er (Adam) schlecht ist. Wichtiger ist ihm aber noch der Versuch, Ivan mit der Wahrheit seiner (Ivans) Schicksalsschläge zu konfrontieren. Er scheint sich dieses Ziel weniger aus einem Interesse an Ivan selbst, sondern vielmehr aus Adams Freude an diesem „Experiment“ heraus zu setzen. Adam möchte herausfinden, wie lange Ivan noch bereit ist, beide Wangen hinzuhalten, in dem Glauben, dass er Prüfungen des Satans bestehen müsse. Adam fordert Ivan damit heraus, der Wahrheit ins Auge zu blicken, was auch Konsequenzen für Ivans Gottesbild haben muss. Denn dieses verbietet offenbar jegliches Infragestellen Gottes, was aber angesichts Ivans Schicksal unumgänglich scheint. Damit nimmt Adam eine gegensätzliche Rolle zu Hiobs Freunden ein, die ihm dieses Infragestellen verbieten wollen. Letztlich erleben sowohl Hiob als auch Ivan ihre Kartharsis erst nach dem Infragestellen Gottes. Adam verwickelt Ivan in eine theologisch-philosophische Debatte, nämlich die nach der Frage des Leides bzw. des Bösen. Woher kommt es? Welche Rolle spielt Gott dabei? Auch hier findet die Konfrontation mit dem Buch Hiob statt[13].
Als Ursache des Leides sieht Ivan den Teufel. Er ist es, der Menschen versucht und prüft, auf welche Art auch immer. Das ist auch Kern seiner Predigt, die ausschnittsweise im Film gezeigt wird[14] [15]. Ivan geht in der Predigt davon aus, dass das Böse viele Gesichter hat und man sich nur schwer entscheiden kann. Besonders heute sei es schwer, da es so viele Nuancen gebe. Auch wenn er es nicht direkt sagt, scheint er zu meinen, dass die Herausforderung darin besteht, das Böse zu erkennen. Diese Macht des Bösen ist es nach Ansicht Ivans auch, die den Apfelbaum zerstört, den Adam pflegen soll, um mit dessen Früchten einen Apfelkuchen zu backen[16].
Für Hiobs Leiden liegt die Ausgangssituation in den Gesprächen zwischen Gott und dem Satan. Der Satan bringt Gott dazu, Hiob zu prüfen (Hi1-2). Das konkrete Leid geschieht also durch Gott, angetrieben wurde dieser aber durch den Satan.[17] Ivan geht davon aus, dass der Satan ihn erprobt, während in der Hiobsgeschichte tatsächlich Satan der letztliche Urheber des Leides ist. Allerdings trägt diese Überzeugung Ivan nicht über seine Leiderlebnisse hinweg. Würde ihm die Antwort genügen, so müsste er keine Geschichten kreieren, die seine Schicksalsschläge verbergen. Das Leid der beiden wird nur dadurch begrenzt, dass sie nicht daran sterben. Hiob lebt weiter und auch Ivan stirbt nicht an seinem Hirntumor[18].
Die entscheidende Frage, die sich Hiob und auch Ivan stellen müssen, ist die sprichwörtliche Hiobsfrage: Wieso muss ein rechtschaffener Mensch soviel Leid ertragen? Wie kann ein gerechter Gott das zulassen? Hiob stellt diese Frage, indem er mit seinem Schicksal hadert. Ivan hingegen ignoriert diese Frage, doch reicht die Alternative „alles Böse ist Prüfung durch den Satan“ nicht aus, um seine Schicksalsschläge zu akzeptieren, auch wenn Ivan diese Theorie vehement verteidigt.[19] Sein Arzt führt diese Verdrängung auf das Ravashi-Syndrom zurück. Ivan möchte die Realität nicht wahrhaben und verdrängt sie deshalb. Ravashi war ein Inder, der seine Füße bei einem Unfall verlor. Er wollte dies nicht wahrhaben, lief auf den Stümpfen nach Hause und trainierte weiterhin in der Fußballmannschaft. Auch Ivan leide nach Aussage des Arztes wohl an einem solchen Syndrom.
Zudem führt die Verdrängung der Theodizeefrage dazu, dass Ivan ein völlig gestörtes, eigenes Gerechtigkeitsverständnis entwickelt. Gerechtigkeit, die er kontrollieren kann, will er bis ins Letzte durchsetzen und das notfalls auch durch langes Diskutieren, bis seine penible Gerechtigkeit durchgesetzt wird. Gewinner in diesen Gerechtigkeitsdebatten Ivans, ist aus seiner Sicht stets er selbst, wie zum Beispiel in der Keksdiskussion deutlich wird.[20] Ivan setzt seine Gerechtigkeit durch, verurteilt Adam innerlich für dessen Ungerechtigkeit und gibt Sarah nebenbei den Ratschlag, das Kind zu behalten. Er und seine Frau seien in einer ähnlichen Situation gewesen und nun umso glücklicher, ihr Kind behalten zu haben, da es völlig gesund sei. Nebenbei isst Ivan auch ihre Kekse auf. Der Teufel sei es, der sie damit auf die Probe stellen will und es liegt an den Menschen die richtigen Entscheidungen zu treffen, so Ivan. Deutlich werden hier Ivans krankhaftes persönliches Gerechtigkeitsdenken, seine Verdrehung der Wirklichkeiten (seine Frau lebt gar nicht mehr, sodass sie sich nicht über ihren Sohn freuen könnte, der aber auch nicht gesund, sondern spastisch gelähmt ist) und seine Verweisung auf den Satan, der der Grund für das Böse ist. Am Ende siege immer das Gute, wie Ivan in einer anderen Situation betont[21]. Die höhere Macht scheint Ivan aus dieser Parallelwelt befreien zu wollen, denn die von ihr herbeigeführte Konfrontation mit dem Hiobbuch fordert Ivan heraus, sich auf die Konfrontation mit der Wirklichkeit einzulassen.
In dieser dramatischen Situation Ivans, wird Adam zur Erlöserfigur[22]. Er nimmt die Erlöserrolle ein, indem er Ivan konkret mit dem Bösen und seinen Schicksalsschlägen konfrontiert. Damit tut er etwas Gutes, obwohl er das nicht will. Die höhere Macht scheint ihn als Medium und seine bösen Absichten letztlich für etwas Gutes zu gebrauchen. Ivan hingegen versucht Adam zu überzeugen, dass der Satan der Grund für Prüfungen sei, die er auch im Vogelbefall des Apfelbaumes sieht. Satan wolle nicht, dass Adam seinen Apfelkuchen backt. In einem Gespräch vor dem Apfelbaum will Ivan Adam davon überzeugen. Der hingegen erzählt Ivan von den negativen Verhaltensweisen der anderen Sträflingen. Diese deutet Ivan aber stets anders, er kann nicht annehmen, dass sie Böses tun. Denn alles Ivan widerfahrende Böse, das er anerkennt, muss er kraftaufwändig kompensieren, indem er es als Prüfung des Satans auf sich nimmt. Leichter ist es dann, das Böse nicht zu sehen. Daraufhin verliert Adam die Fassung und schlägt Ivan zusammen, der das stillschweigend akzeptiert und anschließend ins Krankenhaus fährt.[23] In den Momenten, in denen Ivan mit der Wahrheit über die Schicksalsschläge konfrontiert wird, blutet sein Ohr. Die Konfrontationen schwächen Ivan zwar zunächst körperlich, doch reichen sie nicht aus, um Ivans Denken über das Böse grundsätzlich zu ändern. Entscheidend ist Ivans Konfrontation mit dem Hiobbuch, das Adam immer wieder begegnet. Irgendwann entscheidet Adam sich dafür, es zu lesen und es kommt zur entscheidenden Schlüsselszene in der Konfrontation mit Ivan: Adam hält Ivan seine Interpretation des Buches vor, nämlich dass es Gott sei, der Ivan prüfe, weil er ihn so hasse. Der Verweis auf das Hiobbuch überfordert Ivan, der in seiner Verdrängung davon ausgeht es handle von einem kleinen Krokodil. Adam ist der Ansicht, dass Gott nicht auf Ivans Seite sei, was dieser zu leugnen versucht. Gott wolle Ivan töten, nicht der Teufel. Der Teufel interessiere sich nicht einmal für Ivan. Auf die Frage warum Adam das tue, antwortet dieser, er tue dies weil er schlecht sei. Ivan bricht zusammen. Adam konfrontierte Ivan mit voller Wucht mit der Theodizeefrage. Welch ein Gott kann das zulassen? Die Frage, die Ivan verdrängte. Ein Gott der ihn hasst ist seine einzige mögliche Erklärung, die Ivan zunächst auch annimmt. Adam geht hinaus, nachdem die Kirchentüren auf wundersame Weise hin- und herschlagen. Er sieht ein Loch zwischen den Wolken, das schon mehrfach zu sehen war, und ein Blitz schlägt in den Apfelbaum ein und zerstört diesen.[24] Ist dieses Loch ein Symbol für die höhere Macht, so ist sie auch jetzt präsent und zeigt sich auch Adam ein weiteres Mal.
Von diesem Zeitpunkt an verändern sich die beiden Charaktere. Ivan verlässt das Krankenhaus als gebrochener Mann mit der Prognose bald zu sterben und bekennt seinem Sohn, dass Gott ihn hasse und schon immer gehasst habe[25]. Ivan ist niedergeschlagen und weist depressive Züge auf, sein Weltbild ist erschüttert, wie auch sein Arzt feststellt[26]. Den anderen teilt er mit, dass er sterben müsse. Ob etwas von dem was er gesagt hat sinnvoll war, wisse er nicht und so lässt er die anderen zurück[27]. Auch Adam scheint sichtlich verunsichert zu sein, durch die nicht rational erklärbaren Eingriffe, wie das ständige Aufschlagen des Hiobbuches, die mehrfache, wundersame Zerstörung des Backofens mit dem er den Apfelkuchen backen will und der Blitzeinschlag in den Apfelbaum. Seine rechtsradikalen Bekannten, die sein Verhalten nicht verstehen, schickt er bei ihrem Eintreffen wieder nach Hause[28] und übernimmt mehr und mehr Verantwortung für die anderen Sträflinge, die sich verwerflicher benehmen als zuvor.
Eine Kugel schießt Ivan den Tumor aus seinem Kopf, was nach Aussage des Arztes wissenschaftlich alles in allem unmöglich sei. Adam scheint weniger aggressiv und vielmehr besorgt um Ivan zu sein. Gemeinsam essen sie den Apfelkuchen, wieder wird ein Wolkenloch gezeigt, durch das die Sonne scheint[29]. Ivan scheint wieder guten Mutes zu sein. Er ist geheilt, es wächst ein neuer Apfelbaum und das Kind von Sarah kommt gesund auf die Welt. Adam hat längere Haare und ist noch immer in der Pfarrei. Ihm scheint bewusst geworden zu sein, dass, obwohl er Böses im Sinn hatte, es bei Ivan zu etwas Gutem geführt hat. Gemeinsam holen sie zwei neue Sträflinge ab, die Ivan auf sein deformiertes Auge ansprechen und ihn als Spasti bezeichnen[30]. Ivan leugnet diese Entstellung nicht und ermutigt sogar, dass sie sich bei anderen Dorfbewohnern erkundigen sollen, was es damit auf sich habe. Ivan scheint die Realität dieser Entstellung, die durch die Begegnung mit dem Bösen im Menschen entstanden ist, nicht zu leugnen. In dem Punkt scheint die Veränderung Ivans bestätigt, auch wenn sein Verhalten nach wie vor dem anfänglichen ähneln zu scheint. Die Veränderung muss also im Inneren Ivans geschehen sein und nicht rein äußerlich. Dass Adam ebenso in der Pfarrei geblieben ist, ist ein weiterer Hinweis auf Ivans Genesung. Wäre Ivan wieder in die Verdrängung geflüchtet, so hätte der impulsive Adam sicherlich längst die Pfarrei verlassen. Doch er ist noch immer dort und scheint sich auch für andere Menschen einzusetzen. Er scheint vor allem innerlich verändert zu sein – äußerlich wirkt er ähnlich kalt und abweisend, wie zu Beginn, wenngleich auch weit weniger aggressiv. Adam scheint der erste und einzige zu sein, der in der Pfarrei neben Ivan wirklich verändert wurde. Bei den anderen Sträflingen bleibt dies weitgehend unklar. Auf der Heimfahrt zur Pfarrei singt Adam auch erstmals „How deep is your love“ mit, ein von Ivan oft gehörtes Lied, das Adam aber öfters während der Autofahrt abschaltete. Während Ivans Depression konnte er das Lied ebenso nicht mehr hören, nun singen sie es gemeinsam. Damit wird es zum Symbol für die innere Verwandlung Adams und Ivans.
Das Hiobbuch endet für Hiob positiv. Seine Treue zu Gott wird letztendlich belohnt: Sein Besitz wird verdoppelt, er bekommt zehn Kinder und hat ein außergewöhnlich langes Leben. Auch für Ivan endet die Geschichte positiv. Sein Hirntumor wird geheilt und Ivan zeigt wieder Optimismus, ebenso erweist sich Adam nun als „normaler“ Mensch.[31] Eine höhere Macht hat für Ivan und Adam dazu beigetragen, dass beide grundlegend verändert werden.
[...]
[1] Vgl. N.N., www.wikipedia.de.
[2] Vgl. ebd.
[3] Vgl. ebd.
[4] Vgl. ebd.
[5] Vgl. Tiemann, Pfarrerinnen, 223.
[6] Vgl. Jensen, www.adams-aepfel.de.
[7] Vgl. Brenneisen, http://www.rpi-loccum.de.
[8] Vgl. u.a. Hi6,30; 7,20; 27ff.
[9] Vgl. Kottke, www.materialserver.filmwerk.de.
[10] Vgl. Filmstelle 24:40.
[11] Zum Beispiel, dass sein gelähmter Sohn nicht gelähmt sei.
[12] Vgl. Filmstelle 25:30.
[13] Vgl. Kottke, www.materialserver.filmwerk.de.
[14] Filmstelle: 07:54 ff.
[15] Gegen Kottke, www.materialserver.filmwerk.de. Kottke geht davon aus, dass Ivan alle Menschen für Sünder hält.
[16] Vgl. Kottke, www.materialserver.filmwerk.de.
[17] Vgl. ebd.
[18] Vgl. ebd.
[19] Vgl. Filmstelle 10:20. Gunnar warnt Adam davor, einen Streit mit Ivan anzufangen.
[20] Vgl. Filmstelle 16:20. Sarah kommt zu Ivan, um Rat zu bekommen, ob sie ihr Kind abtreiben solle oder nicht, da die Gesundheitsprognosen der Ärzte für das Kind nicht sehr gut sind. Adam soll die Kekse holen, wobei Sarah nur zwei bekommt, Ivan hingegen drei. Auf Ivans Nachfrage hin, erwähnt Adam, dass nur noch fünf Kekse in der Dose waren und er Sarahs für die größeren hielt. Daraufhin fragt Ivan ihn, ob er die Kekse nachgemessen habe.
[21] Vgl. Filmstelle 53:00.
[22] Vgl. Tiemann, Pfarrerinnen, 223. Tiemann bezeichnet Adam als Erlöser, da er das Böse, das er nicht tun will nicht lassen kann. Gegen Tiemann ist hier zusagen, dass Adam Ivan bewusst mit Bösen konfrontiert und es nicht einmal versucht es zu unterlassen.
[23] Vgl. Filmstelle 20:50.
[24] Vgl. a.a.O. 55:00.
[25] Vgl. a.a.O. 1:05:40.
[26] Vgl. Filmstelle 1:02:50.
[27] Vgl. a.a.O. 1:06:00.
[28] Vgl. a.a.O. 1:08:00.
[29] Vgl. a.a.O. 1:24:05.
[30] Vgl. a.a.O. 1:27:30.
[31] Vgl. Kottke, www.materialserver.filmwerk.de.