Die Entwicklung der Beschäftigung von Menschen mit Behinderung im Laufe der Geschichte und der heutige Stand
Zusammenfassung
Es soll also in erster Linie ein geschichtlicher Abriss werden, der den allgemeinen Umgang mit Menschen mit Behinderung reflektiert und dabei auch so weit wie möglich die Versuche der Integration in die Berufswelt darzustellen versucht und darauf aufbauen den heutigen Stand zeigt.
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Leseprobe
Inhaltsverzeichnis:
Einleitung
1.Arbeit – ein Definitionsversuch
2.Die geschichtliche Entwicklung der gesellschaftlichen Teilhabe und Beschäftigung von Menschen mit Behinderung
2.1 Die Anfänge vom Altertum bis zum Mittelalter
2.2 Vom Mittelalter bis zum 19.Jahrhundert
2.3 Die Entwicklung im 19. und frühen 20. Jahrhundert bis zum Dritten Reich
2.4 Die Entwicklung zur Zeit des Dritten Reiches bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs
2.5 Die Entwicklung nach 1945 bis zu Beginn der 60er Jahre
3. Die Geschichte der Werkstätten für behinderte Menschen (WfbM)
3.1 Die Gründung der ersten Werkstätten
3.2 Die heutige Situation der Werkstätten
3.2.1 Grundsätzliches
3.2.2 Aufbau
3.3 Kritik am Werkstatt-System
3.3.1 Prinzipielle Kritik
3.3.2 Finanzielle Kritik
3.3.3 Kritik im Zusammenhang mit der UN-Behindertenrechtskonvention
4 Fazit
5. Quellen
Einleitung
Diese Hausarbeit entstand in Rahmen des Seminars „Teilhabe am Arbeitsleben bei Behinderung“ bei Herrn Mario Schreiner. Thema des Seminars waren die Schwierigkeiten, mit denen Menschen mit geistiger oder körperlicher Behinderung bei der Teilhabe am Arbeitsleben konfrontiert werden. Dieses Seminar hat mich sehr interessiert, traf es doch genau mein Hauptinteresse während des Studiums der Sozialen Arbeit, da ich selbst meinen Zivildienst und mein BPS I-Praktikum im Rahmen des Studiums in einer Werkstatt für behinderte Menschen (WfbM) gemacht habe, einer Einrichtung, die gezielt dafür vorgesehen ist, Menschen mit Behinderung über die Teilhabe am Arbeitsmarkt Teilhabe an der Gesellschaft zu ermöglichen. Ich habe dabei also selbst in der Praxis gesehen, wie solche Einrichtungen funktionieren und wie sich in der Praxis trotz guter Ansätze immer noch gewaltige Schwierigkeiten ergeben, Menschen mit Behinderung Teilhabe zu ermöglichen. Dies ist mein Ausgangsinteresse und deshalb habe ich mich dazu entschlossen, mich in meiner Hausarbeit mit der geschichtlichen Entwicklung der Integration von Menschen insbesondere mit geistiger Behinderung in das Arbeitsleben unter besonderer Betrachtung der Werkstätten für behinderte Menschen auseinanderzusetzen – von den Anfängen der Beschäftigung behinderter Menschen in Arbeitsumfeldern über die Anfänge der Werkstätten bis hin zur heutigen Situation. Den Fokus möchte ich dabei so weit wie möglich auf die Klienten-Gruppe der Menschen mit geistiger Behinderung leben, da diese noch einmal auf komplett andere (und in der Regel größere) Schwierigkeiten bei der gesellschaftlichen und somit auch beruflichen Integration stoßen als Menschen mit körperlicher Behinderung und auch nach wie vor die Hauptzielgruppe der Werkstätten sind . Diese Hausarbeit soll deshalb der geschichtlichen Entwicklung des Umgangs mit geistig behinderten Menschen nachgehen und den aktuellen Stand der Entwicklung aufzeigen, unter der Fragestellung: Wie wurde mit Menschen mit Behinderung im Laufe der Geschichte umgegangen, wie wurden diese Menschen früher in die Arbeitswelt integriert und wie ist der Entwicklungsstand der Beschäftigung von Menschen mit geistiger Behinderung heute?
Es soll also in erster Linie ein geschichtlicher Abriss werden, der den allgemeinen Umgang mit Menschen mit Behinderung reflektiert und dabei auch so weit wie möglich die Versuche der Integration in die Berufswelt darzustellen versucht und darauf aufbauen den heutigen Stand zeigt.
Dazu werde ich im ersten Kapitel auf Seite 2 bis 5 zunächst klären, was der Begriff der Arbeit eigentlich überhaupt bedeutet, und wie er im Zusammenhang mit Menschen mit Behinderung von Bedeutung ist. Die historische Entwicklung des gesellschaftlichen Umgangs mit Menschen mit Behinderung wird dann im zweiten Kapitel von Seite 5 bis 22 dargestellt werden, wobei ich die allgemeine Situation von Menschen mit Behinderung und die Sicht der Gesellschaft auf diese Personengruppe reflektieren werde und dabei auch versuchen werde, die ersten Versuche der Integration in die Arbeitswelt darzustellen. Auf Grundlage dessen werde ich dann im dritten Kapitel auf Seite 22 bis 31die Entwicklung der ersten Werkstätten für behinderte Menschen von ihren Anfängen in den 60er Jahren bis heute beschreiben. Insgesamt soll diese Arbeit in erster Linie die historische Entwicklung erfassen, um daraus die heutige Situation zu klären.
1. Arbeit – ein Definitionsversuch
Da es in dieser Hausarbeit viel um das Thema Arbeit gehen wird, erscheint es angebracht, zunächst zu klären, was mit diesem Begriff eigentlich gemeint ist. „Arbeit“ erscheint einem zunächst als sehr trivialer, allgemeiner Begriff, was die Definition nicht leicht macht. Rein formal definiert ist Arbeit eine „zweckgerichtete, verstandesgeleitete menschliche Tätigkeit, die […] dem Erwerb des Lebensunterhalten dient“ (Promberger 2008), bzw. eine „zielgerichtete, soziale, planmäßige und bewusste, körperliche und geistige Tätigkeit“ (Gabler Wirtschaftslexikon (Hrsg.) 2011). Doch diese rein formale Definition reicht natürlich nicht aus, denn man kann Arbeit auf zahlreiche verschiedene Weisen definieren, abhängig von der Perspektive. Die gängigsten Definitionsversuche sind auf betriebswirtschaftliche, soziologische oder ethische Weise. Da es hier jedoch der Aspekt des Arbeitsbegriffs im Vordergrund stehen soll, werde ich versuchen, diese zu erklären und zu beschreiben, was für eine Bedeutung Arbeit für den Menschen und sein Leben in der Gesellschaft hat. Damit soll dann auch geklärt werden, was Arbeit für Menschen mit Behinderung, insbesondere solche mit geistiger Behinderung, bedeutet.
Die Bedeutung des Begriffs „Arbeit“ und seine Auswirkung auf das Leben der Menschen hat sich im Laufe der Geschichte stark verändert - was Arbeit war und wie sie gesehen wurde, hing wie alles im Leben von den gesellschaftlichen Bedingungen der jeweiligen Epoche ab und unterlag und unterliegt einer natürlichen Evolution. Im Altertum und Mittelalter war der Begriff „Arbeit“ deutlich negativ behaftet und abwertend gemeint. Arbeit war damals noch eine harte, anstrengende, erniedrigende körperliche Tätigkeit, für die auch Begriffe wie „Mühsal“, „Plage“ und „Not“ synonym verwendet wurden, was die abwertende Intention zum Ausdruck bringt (vgl. Gabler Wirtschaftslexikon (Hrsg.) 2011). Geändert hat sich diese Einstellung zunächst im 16. Jahrhundert mit der Renaissance und Aufklärung, als Arbeit erstmals als etwas positives empfunden wurde und zunehmend in den Mittelpunkt des menschlichen Lebens rückte. Ein weiterer Fortschritt war der Beginn der Industrialisierung mit dem Merkantilismus des 17. Jahrhunderts und schließlich der Beginn der industriellen Massenfertigung durch die industrielle Revolution im 18. Und 19. Jahrhundert, als die Arbeit endgültig zum zentralen Mittelpunkt des Lebens wurde. Auch neue ethische Ansätze wie etwa die Theorien von Max Weber trugen dazu bei, die positive Wahrnehmung und die Bedeutung von Arbeit für den Menschen zu betonen (vgl. Gabler Wirtschaftslexikon (Hrsg.) 2011).
Die soziologische Bedeutung von Arbeit für den Menschen ist vielschichtig. In erster Linie bedeutet Arbeit einen wichtigen Aspekt von Teilhabe – zum einen in wirtschaftlicher Hinsicht, da man durch seine Arbeit ein Teil des Wirtschaftssystems ist und sich auch durch seinen erwirtschafteten Lohn finanzielle Teilhabe an der Gesellschaft sichert (vgl. Promberger 2008), zugleich sichert eine Arbeit auch die soziale Teilhabe und Integration – man hat ein bestimmtes, soziales und räumliches Umfeld, das zugleich auch Zugehörigkeit bedeutet und somit auch zur eigenen Identitätsbildung beiträgt.
Versucht man nun, diese Annahmen auf die Situation von Menschen mit Behinderung zu übertragen, so ist davon auszugehen, dass Arbeit für Menschen mit Behinderung als wichtige und erste Möglichkeit der gesellschaftlichen Teilhabe zunächst einmal genauso viel Bedeutung besitzt als für Menschen ohne Behinderung, es ihm aber noch schwerer gemacht wird, diese Teilhabe zu erreichen, denn haben bereits Menschen, die nach der heutigen Definition nicht als behindert gelten, genug Schwierigkeiten auf dem Weg zu einer erfolgreichen Berufskarriere und somit auch zu gesellschaftlicher Integration und Inklusion, die ja auch für nicht behinderte Menschen ein wichtiger Aspekt der gesellschaftlichen und sozialen Integration darstellt, so stoßen Menschen mit Behinderung hier aufgrund ihrer geistigen oder körperlichen Defizite auf noch größere Hürden. Haben Menschen mit körperlicher Behinderung bei normaler geistiger Entwicklung weniger Schwierigkeiten, ihre Wünsche und Bedürfnisse zu äußern (außer bei Sprachbehinderungen), so haben geistig behinderte Menschen oft schon erhebliche Schwierigkeiten, überhaupt ihre Bedürfnisse klar zu äußern.
Im speziellen Kontext einer Werkstatt für behinderte Menschen ergeben sich zudem einige Besonderheiten gegenüber einer Arbeit im Bereich des allgemeinen Arbeitsmarktes:
- Eine Werkstatt für behinderte Menschen (WfbM) ist kein Teil des allgemeinen Arbeitsmarktes. Sie steht allem Menschen mit Behinderung offen, die nicht in den allgemeinen Arbeitsmarkt integriert werden können, aber nach Abschluss des Berufsbildungsbereiches ein Mindestmaß an wirtschaftlich verwertbarer Arbeitsleistung erbringen können. Somit ist festzuhalten, dass eine Werkstatt zwar die Integration in die Arbeitswelt bedeutet, nicht aber die Integration in den allgemeinen Arbeitsmarkt, vielmehr handelt es sich nach wie vor um eine Sondereinrichtung.
- Menschen mit Behinderung haben ein Anrecht auf einen Arbeitsplatz in einer Werkstatt, können praktisch nicht gekündigt werden und haben somit einen sicheren Arbeitsplatz.
- Nicht jeder als behindert klassifizierte Mensch kann in einer Werkstatt beschäftigt werden. Zwar steht die Werkstatt grundsätzlich allen Menschen mit Behinderung offen (§ 136 (1) SGB IX), die Aufnahme ist jedoch an Bedingungen geknüpft: Entscheidende Aufnahmekriterien sind ein „Mindestmaß an wirtschaftlich verwertbarer Arbeitskraft“, die Betroffenen dürfen zudem keinen „außerordentlichen Pflegebedarf“ haben und es darf von ihnen keine Selbst- oder Fremdgefährdung ausgehen (§ 136/137 SGB IX).
2. Die geschichtliche Entwicklung der gesellschaftlichen Teilhabe und Beschäftigung von Menschen mit Behinderung
2.1. Die Anfänge vom Altertum bis zum Mittelalter
Zur Zeit des Beginns der Menschheitsgeschichte ist über die Geschichte behinderter Menschen nur wenig bekannt, doch es ist anzunehmen, dass Menschen mit Behinderung zu Beginn der Menschheitsgeschichte ein erbärmliches und von der Gesellschaft weitgehend abgeschiedenes Leben führten. An Arbeit, erst recht in Beschäftigungsverhältnissen wie bei nicht behinderten Menschen, war folglich nicht zu denken.
Menschen mit körperlichen und geistigen Einschränkungen, die man heute gemeinhin als Behinderung bezeichnen würde (die Definition davon, was man als Behinderung bezeichnet, hat sich parallel zur Änderung des Menschenbildes im Laufe der Geschichte immer wieder geändert), hat es von Beginn der Menschheit an gegeben. Der Umgang mit diesen Menschen vom Beginn der Menschheitsgeschichte an bis zu den ersten Hochkulturen liegt bis heute weitgehend im Dunkeln, vor allem, da sie bis dahin in der normalen Gesellschaft kaum vorkamen und Nachweise über diesen Zeitabschnitt heute so gut wie unmöglich sind, da sich die Ereignisse von damals nicht rekonstruieren lassen (vgl. Petersen 2003). Auch aus den ersten Hochkulturen lassen sich wenig Nachweise finden, die Informationen und Quellen sind spärlich und mit Vorsicht zu behandeln. Gleichwohl finden sich in den ersten Hochkulturen der Welt (Griechenland, Ägypten, Römisches Reich) positive Ansätze in Umgang mit behinderten Menschen, die das einseitige Klischee der Chancenlosigkeit und des Elends dieser Menschen in Frage stellen.
Wenig Hinweise für eine positive Behandlung behinderter Menschen finden sich im alten Griechenland. Vielmehr ist für die dortige Gesellschaft festzustellen, dass „die Erkenntnis und Moral ihrer Aufklärer wohl kaum die Mehrheit erreichte“ (Kreissl 2004: 13). In der antiken griechischen Gesellschaft, in der Ästhetik und Schönheit bevorzugt und alles unästhetische verabscheut wurde, war für Menschen mit Behinderung kein Platz. Tatsächlich gab es sogar die kultische Einrichtung des sogenannten Sündenbocks, als der ein behinderter Mensch damals missbraucht und mit Prügeln aus der Gemeinde verjagt wurde (vgl. Kreissl, wie zuvor).
Auch in anderen frühen Hochkulturen wie den Ägyptern und den Römern waren Diskriminierung und Minderwertschätzung sowie Zurschaustellung insbesondere geistig behinderter Menschen an der Tagesordnung. Dennoch lassen sich zum Beispiel bei den alten Ägyptern positive Ansätze für die gesellschaftlicher Etablierung behinderter Menschen finden. So ist zwar auch hier nicht viel überliefert, aber tatsächlich konnte festgestellt werden, dass beispielsweise Bilde und Kleinwüchsige am ägyptischen Hof durchaus Karriere machen konnten und es beispielsweise mehrere blinde Sänger und Musiker gab, Kleinwüchsige spielten zeitweise „eine hervorragende Rolle am Königshof“ (Kreissl 2004: 11); auch wurden viele Menschen mit körperlichen Behinderungen, wie etwa Gehbehinderung, ungeschönt bildlich festgehalten (vgl. Kreissl 2004). Insgesamt kann „auch für die altägyptische Zeit das allgemeine Klischee widerlegt werden, dass in früheren Kulturen Behinderte keine Chance und keinen Platz hatten“ (Kreissl 2004: 11).
Wenig zum Umgang mit behinderten Menschen findet sich auch im alten Rom. Allerdings sind die Befunde auch hier keinesfalls eindeutig negativ: Es gab keine eindeutige Diskriminierung behinderter Menschen, die römische Gesellschaft reagierte auf solche Einschränkungen mit „relativer Toleranz“ (Kreissl 2004: 13), auch wurden sogar Behinderungen in der Namensgebung verwendet, so etwa bei freien Bürgern und Politikern, was eine Diskriminierung ausschloss. Zudem gab es Hinweise auf erste Fürsorgeleistungen für behinderte Menschen, auch soll es bereits 300 vor Christus eine erste stationäre Einrichtung zur Pflege behinderter Menschen gegeben haben (vgl. Kreissl 2004). Andererseits wurden gerade im alten Rom auch behinderte Menschen öffentlich zur Schau gestellt, und man darf auch nicht vergessen, dass die Chancen der gesellschaftlichen Teilhabe ausschließlich körperlich behinderten, geistig normal entwickelten Menschen vorbehalten blieben – geistig behinderte Menschen litten hingegen schon hier unter schwereren Voraussetzungen, da sie es aufgrund ihrer geistigen Einschränkungen naturgemäß schwerer hatten, ihre Wünsche und Bedürfnisse auszudrücken und durchzusetzen, was sich im weiteren Verlauf der Geschichte immer wieder zeigen wird.
Waren also die Lebensumstände behinderter Menschen Jahrtausende lang großenteils erbärmlich und ihr gesellschaftliches Ansehen überwiegend niedrig, so muss andererseits auch festgestellt werden, dass es Ansätze gesellschaftlicher Integration und Akzeptanz immer und gerade auch in den ersten Hochkulturen schon gegeben hat. Allerdings ist auch festzustellen, dass vielen Menschen mit Behinderung die Chance auf Leben bereits nach der Geburt genommen wurde, da sowohl im alten Griechenland, als auch im alten Rom Kindestötungen an der Tagesordnung waren – der Vater als das anerkannte Familienoberhaupt entschied, ob ein Neugeborener in die Familie aufgenommen wurde, bei angeborener Behinderung bedeutete dies meist die Tötung nach der Geburt, was auch gesetzlich erlaubt war (vgl. Heller 2007). Zudem ist Quellen aus der Antike allgemein mit Vorsicht zu begegnen, da sie spärlich und oft widersprüchlich sind und oft aus speziellen Kreisen stammen, wie etwa staatlichen Einrichtungen, und deshalb nicht immer repräsentativ sind und die gesellschaftliche Realität nicht immer wiederspiegeln.
2.2 Vom Mittelalter bis zum 19.Jahrhundert
Die Gesellschaft war auch im Mittelalter noch weit davon entfernt, für vermeintlich schwächere Menschen soziale Hilfeleistungen zu erbringen, Menschen mit Behinderung galten als „Ballastexistenzen“ und hatten keinerlei gesellschaftliches Ansehen, was auch schon in den stark abwertenden und verächtlichen Bezeichnungen zum Ausdruck kommt: Waren sie körperlich behindert, waren sie „Krüppel“, waren sie geistig behindert, waren sie „Irre“, „Schwachsinnige“, „Verrückte“ oder „Blödsinnige“, hatten sie eine Sinnesbeeinträchtigung wie Blind- oder Taubheit, waren sie einfach „Taubstumme“ (vgl. u.a. Meisinger, wie zuvor; Scheibner 2000). Nimmt man die positiven Ansätze der ersten Hochkulturen zum Vergleich, war die Entwicklung im Mittelalter eher noch rückständiger, denn „in der mittelalterlichen Mentalität war es völlig fremd, einen Behinderten ungeachtet seiner Einschränkung als vollwertig zu akzeptieren“ (Kreissl 2004: 14). Bedingt war dies unter anderem dadurch, dass das Bild des behinderten Menschen wie die gesamte Weltsicht der damaligen Zeit stark von der katholischen Kirche und Religion und dem damaligen christlich-jüdischen Weltbild geprägt wurde: Da der Mensch als Werk beziehungsweise Ebenbild Gottes galt und perfekt war, konnten Menschen mit Behinderung folglich nicht von Gott gewollt sein beziehungsweise nicht Gottes Ebenbild sein, weshalb Menschen mit Behinderung während des Mittelalters bis in das 16. Jahrhundert hinein von der Kirche und deren Anhängern stark dämonisiert wurden und ihre Behinderung als Strafe für die Erbsünde oder sie selbst als von bösen Geistern oder Dämonen befallen gesehen wurden (vgl. Scheibner 2000). Dies änderte sich erst mit der Aufklärung des 16. Jahrhunderts, mehr dazu später.
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