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Tragen NGOs zur Demokratisierung internationaler Organisationen bei?

Das Konzept deliberativer Global Governance am Beispiel der WTO

©2011 Hausarbeit 16 Seiten

Zusammenfassung

Diese Arbeit beschäftigt sich mit der aktuellen Streitfrage innerhalb der Internationalen Beziehungen, ob und wie die transnationale Zivilgesellschaft zur Demokratisierung internationalen Regierens beitragen kann. Konzeptionelle Grundlage dabei ist das auf Jürgen Habermas zurückgehende deliberative Demokratiemodell, das sich von der Einflussnahme zivilgesellschaftlicher Akteure und der Institutionalisierung verständigungsorientierter Diskurse mehr demokratische Legitimität verspricht. Nanz und Steffek haben aus den Instruktionen der deliberativen Demokratietheorie die vier Analysekriterien Transparenz, Zugang, Responsivität und Inklusion abgeleitet, die in dieser Hausarbeit in Rezeption einer Fallstudie an die Willensbildungsprozesse der WTO angelegt werden. Dabei kommen strukturelle Defizite zum Vorschein, wie etwa unzureichende Partizipationschancen für NGOs und eklatante Machtasymmetrien zwischen zivilgesellschaftlichen und gouvernmentalen Akteuren. Die WTO kann ohne demokratische Reformen dem voraussetzungsreichen deliberativen Programm nicht gerecht werden, doch auch die NGOs weisen in demokratietheoretischer Hinsicht Mängel auf. Schlussfolgernd wird die Brauchbarkeit des deliberativen Steuerungskonzeptes an sich in Frage gestellt, da es auf Voraussetzungen gründet, die an der Realität der internationalen Politik vorbeigehen.

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Demokratie durch Deliberation

3. Das Beispiel der WTO
3.1. Einführung
3.2. Transparenz
3.3. Zugang
3.4. Responsivität
3.5. Inklusion

4. Fazit und Ausblick

5. Literaturverzeichnis

1. Einleitung

Die vorliegende Arbeit entstand im Rahmen des Grundkurses „Einführung in die Poli- tikwissenschaft“ und stellt die Rolle transnationaler Nichtregierungsorganisationen (NGOs)1 in der internationalen Politik ins Zentrum ihres Erkenntnisinteresses. Dieses Thema findet seinen Problemursprung bei einem vielfach diagnostizierten Demokra- tiedefizit internationaler politischer Entscheidungen (vgl. z.B. Ecker-Erhardt/Zürn 2007: 27f.). Dessen Zustandekommen ist wie folgt zu umreißen: Entlang zweier maßgebender Triebfedern - technologischer Entwicklung und wirtschaftlicher Verflechtung - ist eine Denationalisierung in Gang gekommen (Schwerdt 2003: 65, WZB 2006: 7ff.): Eine entgrenzte Mobilität von Menschen, Gütern und Informationen unterhöhlt die Steue- rungsfähigkeit des Nationalstaates, dessen Souveränität wiederum von existenziellen, die Staatenwelt als Ganzes betreffenden Problemlagen herausgefordert wird. Gleichsam erlebt der Staat die fortschreitende Auswanderung seiner Gestaltungsmacht in überge- ordnete Regelungssysteme. Diese internationalen Organisationen (im Folgenden IOs) dringen tief ins Gewebe vormals nationaler Gesellschaften ein und gewinnen Einfluss über mehr und mehr Politikbereiche (Ecker-Erhardt/Zürn 2007: 27). Beispielhaft hierfür ist die Zunahme intentionaler Verträge, die auch und insbesondere von IOs ausgehan- delt und überwacht werden, von 8776 im Jahr 1960 auf 63 419 im Jahr 2010 (UNO 2010). Doch mit der wachsenden Macht und Relevanz der IOs stellt sich die Frage nach ihrer demokratischen Legitimität - wie repräsentativ, inklusiv und transparent ist ihre Politik? Laut Ecker-Erhardt und Zürn (2007: 27) findet diese „meist immer noch unter Ausschluss der breiten Öffentlichkeit statt, bleibt hermetisch und ist folglich aus Sicht der letztlich Betroffenen undemokratisch“. Stellen NGOs nun eine plausible Möglich- keit dar, diesem Demokratiedefizit beizukommen? Können sie als „Transmissionsrie- men“ (Steffek 2008: 109) zwischen den IOs und ihren gesellschaftlichen Adressaten vermitteln, ihre verborgenen Pfade der Entscheidungsfindung für eine breitere Öffent- lichkeit begehbar machen, und die internationale Politik gleichsam „demokratisieren“?

Diese Fragestellung sucht - im Hinblick auf die Unterminierung des „traditionelle[n] Zusammenhang[s]“ (Nanz/Steffek 2005: 79) zwischen politischer Partizipation, parla- mentarischer Demokratie und demokratischer Legitimität - nach einer stabilen, effekti- ven und als normativ wertvoll erachteten Form überstaatlichen Regierens, woraus sich die Relevanz ihrer politikwissenschaftlichen Auseinandersetzung offenbart (ebd.). Al- lein die anhaltende Zunahme transnationaler NGOs auf über 7600 im Jahr 2008 (UIA 2008/2009: 649) wirft die Frage auf, ob mit dieser quantitativen Dynamik ein qualitati- ver Wandel übernationaler Regelsetzungsprozesse einhergeht oder einhergehen könnte. Auch die wachsende Dynamik zivilgesellschaftlicher Gruppierungen - wie etwa dem globalisierungskritischen Netzwerk Attac mit seinen über 90.000 Mitgliedern (Attac 2011) - gibt Anlass zum Denken in Alternativen. Ausufernde Proteste auf multilatera- len Konferenzen der IOs, wie etwa schon 1999 bei der berühmt gewordenen „Battle of Seattle“, macht deren fehlende Legitimität plastisch und lässt nach neuen Kommunika- tions- und Kooperationskanälen zwischen der globalen und lokalen Ebene suchen.

Die aufgestellte Hypothese einer Demokratisierungsleistung transnationaler NGOs soll im Folgenden in das Terrain bestehender theoretischer Ansätze der Internationalen Be- ziehungen (IB) eingebettet und in ein theoretisches Rahmengefüge gekleidet werden. Dieser im Bereich deliberativer Demokratietheorien zu verortende normative Ansatz wird sodann am besonderen Beispiel der Welthandelsorganisation (WTO), als einer besonders wirkmächtigen und in der öffentlichen Kritik stehenden IO, empirisch er- probt. Abschließend werden die so gewonnenen Erkenntnisse zusammengefasst, alter- native Zugriffe angeboten und allgemeine Ausblicke unternommen.

Bei der Beantwortung der Forschungsfrage kommt diese Hausarbeit allerdings zu einem zurückhaltenden Ergebnis. Neben Chancen werden vor allem Grenzen der NGOs bei der Demokratisierung sowie der internationalen Politik deutlich.

2. Demokratie durch Deliberation

Bei der Suche nach NGO-kompatiblen politischen Theorien innerhalb der IB fällt auf, dass der Staat, in seiner souveränen, nationalen Organisationsform, zumeist den bevor- zugten Ausgangspunkt jeder theoretischen Überlegung darstellt. Nach der „(neo-)realis- tischen Schule“ etwa sind NGOs entweder zu vernachlässigen oder lästiger Sand im Getriebe staatlicher Machtpolitik (Roth 2005: 86). Die Demokratie- oder Legitimitäts frage stellt sich hier nicht außerhalb des Nationalstaates. Ein solches - als „ methodolo gischer Nationalismus “ (Zürn 2001) beklagtes - Denkmuster ist auch bei anderen Großtheorien innerhalb der IB anzutreffen (ebd.: 181-203). Neben diesem staatszentrierten Legitimitätsbegriff gewinnt in den IB ein soziologischer Zugriff an Boden, der Rechtfertigungs- und Anerkennungsprozesse auch in ihrem übernationalen Aggregatszustand zu fassen versucht (Steffek 2007: 186). Hier sind Individuen, die Bürger eines Staates, und nicht nur deren Regierungen, die Adressaten internationaler Politik. Sie müssen die Politik der IOs letztlich legitimieren (ebd.).

In Anlehnung solcher postnationalen Politikverständnisse wurden verschiedene Kon- zepte der Global Governance, eines „Regierens ohne Regierung“ (Rosenau/Czempiel 1992) vorgelegt. Diese zielen darauf ab, eine Entkoppelung von Demokratie und Staat (Niesen 2007: 24), eine Entterritorialisierung von Legitimität durch eine Kooperation aller beteiligten Akteure zu beschreiben und zu propagieren (Curbach 2003: 18). Zu diesen Akteuren gehören etwa Nationalstaaten, IOs, transnationale Unternehmen sowie Vertreter der nationalen und globalen Zivilgesellschaft (ebd.). Mit einem netzwerkarti- gen, problemfeldbezogenen Zusammenspiel staatlicher und nicht-staatlicher Akteure soll im Kontext globaler Problemstellungen ein übernationaler Ordnungsrahmen für politische Steuerung errichtet werden (ebd.: 19). Eine mögliche Präzisierung der Global Governance-Theorie wurde von Nanz und Steffek mit einer deliberativen Demokratie- konzeption vorgeschlagen.

Im Kern der maßgeblich von Habermas (1992) entwickelten deliberativen Politikidee steht die Vorstellung, dass nicht in erster Linie parlamentarische Interessensaggregation, sondern partizipatorische Prozeduren und rationale Diskurse demokratische Legitimität generieren. Ein fortlaufender Kommunikationsprozess, in welchem ein wechselseitiger und kooperativer Austausch begründeter und falsifizierbarer Argumente stattfindet, soll den Diskurs rationalisieren und zugleich dessen legitimatorische Qualität erhöhen. Da- mit wird auf Konsens abzielende Argumentation und nicht Mehrheitsentscheidung oder Tauschhandel zum Mittel der Politik, wodurch Werte, Interessen und Informationen offengelegt werden und das Gemeinwohl bei der Entscheidungsfindung berücksichtigt wird. Alle Regelungsbetroffenen (stakeholder) werden in diesen Vorgang gemeinschaft- licher Problemlösung mit eingebunden, wodurch sich unter den rechtfertigungspflichti- gen Akteuren Lernprozesse und Positionsveränderungen einstellen (Nanz/Steffek 2005: 81f.).

Anstatt dem Demokratiedefizit mit parlamentarischen Rezepten beizukommen, sucht das auf überstaatliche Ordnungen übertragene deliberative Modell von Nanz und Stef- fek nach Möglichkeiten einer „postparlamentarischen Demokratie“ (Benz 1998). Eine entscheidende Rolle spielen hierbei die NGOs. Als Transmissionsriemen sollen sie die Anliegen der regelungsbetroffenen Bürger aufnehmen und in die Beratungen der IOs einbringen, und umgekehrt Informationen von IOs aufnehmen und an die Bürger wei- terleiten (Nanz/Steffek 2005: 80). Die internationalen Entscheidungsprozesse sollen damit im deliberativen Sinne partizipativer, offener, durchschaubarer, rationaler und gerechter werden (ebd.). Um diese normativen Ideen empirisch anzuwenden, also die deliberative Qualität multilateraler Verhandlungen, in denen NGOs als Vertreter der betroffenen Bürger fungieren (sollen), zu operationalisieren, werden folgende vier Kri- terien vorgeschlagen (ebd.: 91ff):

1. Zugang: Haben NGOs ein abgesichertes Recht, sich an den politischen Beratungs- prozessen der IOs zu beteiligen?
2. Transparenz: Ist der Beratungsprozess beobachtbar und wird der Zugang zu allen relevanten Dokumenten und Informationen seitens der IOs gewährleistet?
3. Responsivität: Setzen sich die IOs mit den Anliegen und der Kritik der NGOs ausei- nander (Rechtfertigung) und wird dadurch eine Positionsveränderung oder eine Mo- difikation der Beratungsagenda verursacht (Revision)?
4. Inklusion: Werden tatsächlich alle Regelungsbetroffenen systematisch miteinbezo- gen, bzw. werden die Entscheidungsfindungsverfahren dahingehend gefördert?

Hier ist eine Abstufung vorzunehmen: Zugang und Transparenz sind Vorbedingungen der angedachten Demokratisierungsleistung, Responsivität und Inklusion ihr eigentli- cher Inhalt.

3. Das Beispiel der WTO

3.1 Einführung

Die WTO ist eine tragende Säule der bestehenden Weltwirtschaftsordnung und Haupt- akteur der Liberalisierung des Welthandels seit dem Ende des zweiten Weltkriegs (Schirm 2007: 274).

[...]


1 Unter NGOs werden in erster Linie nicht-staatliche, nicht-profitorientierte, gewaltfrei handelnde, recht- lich verfasste kollektive Akteure verstanden, welche unter Beachtung der Menschenrechte politische Ziele Anstreben und diese mit einer Werthaftigkeit über das eigene Akteursfeld hinaus assoziieren („Be- zug zum Gemeinwohl“). In Anlehnung an das NGO-Verständnis der behandelten internationalen Organi- sationen jedoch wird in dieser Hausarbeit zusätzlich unter Vorbehalt auf ein breiteres Spektrum nicht- staatlicher Akteure Bezug genommen. Dazu gehören Arbeitgeberverbände, Special Interest Groups, Kir- chen und Gewerkschaften. Zusätzlich sollen die hier relevanten NGOs transnational agieren, d.h. in min- destens drei Ländern aktiv sein. NGO wird in dieser Hausarbeit synonym verwendet mit „organisierte Zivilgesellschaft“ oder „zivilgesellschaftliche Organisation“ (Steffek 2008: 2, Mohr 2005: 299).

Details

Seiten
Jahr
2011
ISBN (eBook)
9783656146575
ISBN (Buch)
9783656146773
DOI
10.3239/9783656146575
Dateigröße
416 KB
Sprache
Deutsch
Institution / Hochschule
Universität Hamburg
Erscheinungsdatum
2012 (März)
Note
1,0
Schlagworte
Internationale Beziehungen Internationale Politik Internationale Organisationen Nichtregierungsorganisationen NGOs NPOs Non-Profit-Organisationen Zivilgesellschaft Globale Zivilgesellschaft Deliberation Deliberative Demokratietheorie Habermas Welthandelsorganisation WTO Demokratisierung
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