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Diagnose Hirntod – Ethische Verantwortung gegenüber sterbenden OrganspenderInnen

©2011 Bachelorarbeit 49 Seiten

Zusammenfassung

Die Transplantationsmedizin kann Leben retten. Mit ihr entstehen jedoch weitreichende Schwierigkeiten, insbesondere bei der Organentnahme hirntoter Patienten. Der Hirntod soll der Tod des Menschen sein. Diskussionen in Fachkreisen regen allerdings dazu an skeptisch zu sein.
Im ersten Teil findet eine ausführliche Auseinandersetzung mit dem Tod aus unterschiedlicher Sicht statt. Es geht vor allem um die Frage, ab wann jemand wirklich tot ist.
Im Zweiten Teil geht es um die Konsequenzen, die sich daraus ergeben und um die damit verbundene ethische Verpflichtung der Sozialen Arbeit. Hat die Soziale Arbeit überhaupt eine Verpflichtung und wenn, wie könnte sie aussehen?

Leseprobe

Gliederung

1. Abstract

2. Einleitung

3. Organtransplantation

4. Der Tod – eine Sache der Perspektive?
4.1. Feststellung des Hirntodes
4.2. Hirntod - eine Phase im Sterben?

5. Auswirkungen auf die Organtransplantation
5.1. Rechtliche Aspekte
5.2. Wirtschaftliche Aspekte
5.3. Organhandel

6. Aufgaben der Sozialen Arbeit

7. Resümee

8. Quellenangabe

1. Abstract

Die Transplantationsmedizin kann Leben retten. Mit ihr entstehen jedoch weitreichende Schwierigkeiten, insbesondere bei der Organentnahme hirntoter Patienten. Der Hirntod soll der Tod des Menschen sein. Diskussionen in Fachkreisen regen allerdings dazu an skeptisch zu sein.

Im ersten Teil findet eine ausführliche Auseinandersetzung mit dem Tod aus unterschiedlicher Sicht statt. Es geht vor allem um die Frage, ab wann jemand wirklich tot ist.

Im Zweiten Teil geht es um die Konsequenzen, die sich daraus ergeben und um die damit verbundene ethische Verpflichtung der Sozialen Arbeit. Hat die Soziale Arbeit überhaupt eine Verpflichtung und wenn, wie könnte sie aussehen?

2. Einleitung

„Organspende schenkt Leben“. Unter diesem und anderen Slogans wird in Zeitschriften, auf Plakaten und im Fernsehen dafür geworben, dass Menschen sich zur Organspende bereit erklären. Auf youtube gibt es zahlreiche Lieder und Filme, welche die Notwendigkeit der Organspende und die Dankbarkeit und Freude der EmpfängerInnen zeigen. Ohne Zweifel retten Organtransplantationen Leben. Und wer würde es nicht begrüßen,

wenn ein Angehöriger oder eine Angehörige durch die Beschaffung eines Organs weiterleben kann. Aber wo kommen die Organe eigentlich her?

Beschäftigt man sich näher mit diesem Thema, drängt sich die Frage auf, ob der Hirntod tatsächlich der wirkliche Tod des Menschen ist und inwieweit wir eine ethische Verantwortung gegenüber hirntoten OrganspenderInnen tragen. Das Gehirn macht nur einen Teil des Körpers aus und sein Tod bedeutet nicht, dass sofort der ganze Körper tot ist. Der Hirntod ist nur der erste Schritt, der Beginn des Sterbens. Die Organe leben noch, denn sie müssen im Falle einer Transplantation lebendig entnommen werden. Aber ist der Mansch nicht erst tot, wenn alle Organe abgestorben sind? Die Crux daran wäre, dass diese dann nicht mehr genutzt werden könnten.

Wie weit darf die Intensivmedizin gehen, nur weil sie es kann? Ärzte legen den Eid ab, dass sie Leben retten, um Menschen zu heilen. Beispielsweise geschieht dies durch die Transplantationen, jedoch oft auf Kosten der Menschen, deren Sterbeprozess noch nicht abgeschlossen ist. Sie entscheiden sich für das „wertvollere“ Leben, welches noch eine Zukunft haben kann. Die Entscheidung darüber, den Sterbeprozess vorsätzlich verfrüht zu beenden, überlassen sie oftmals den Angehörigen der hirntoten PatientInnen. Diese sehen sich jedoch häufig überfordert und möglicherweise werden sie von Ärzten beeinflusst, eine Organextransplantation zu gewähren. Von Extransplantation sprechen Ärzte, wenn die Organe dem Körper entnommen werden.

Zunächst werden die Entwicklung und der praktische Ablauf der Organtransplantation dargelegt.

Welche Motive sprechen zusätzlich zum Gedanken, Organe zu verpflanzen um Leben zu retten, für eine Transplantation? Denkt man an die Pharmaindustrie, wird schnell klar, welche Umsätze diese durch das Geschäft macht. Organempfänger sind viele Jahre von Medikamenten abhängig, welche die Abstoßungsreaktion der Organe hemmen.

Die wohl am schwierigsten zu beantwortende Frage ist die, ab wann ein Mensch tatsächlich tot ist. In dieser Arbeit wird zunächst die Definition von Leben in den Blick genommen und was damit zusammenhängt. Anschließend wird ausführlich die Frage nach dem Tod des Menschen behandelt. Hier kommt es ganz auf das Weltbild, beziehungsweise das Menschenbild des Einzelnen an. Es wird deutlich, warum es so schwer ist, sich auf einen Todeszeitpunkt zu einigen, wenn man die Argumente gegeneinander abzuwägen versucht.

In einem weiteren Kapitel werden der Ablauf zur Feststellung des Hirntodes und dessen Kriterien vorgestellt. Auch hier gibt es unterschiedliche Meinungen fachkundiger Wissenschaftler, Theologen, Anwälte und Mediziner.

Nachdem unterschiedliche Ansichten über den Tod im Allgemeinen und den Hirntod im Speziellen dargelegt wurden, ist es ebenso notwendig den Hirntod als Phase im laufenden Sterbeprozess in Erwägung zu ziehen. Sollte der Hirntod tatsächlich eine Phase des Sterbens sein, so hat das weitreichende Auswirkungen auf die gesamte Thematik der Organtransplantation.

In den weiteren Abschnitten werden die aktuellen rechtlichen und wirtschaftlichen Aspekte dargelegt und mit Überlegungen zu den möglichen Konsequenzen im Falle einer Änderung der Todesdefinition ergänzt.

Aber was hat das alles mit dem Berufsfeld der Sozialen Arbeit zu tun? SozialarbeiterInnen sind der Gesellschaft und dem einzelnen hilfebedürftigen Menschen ethisch und moralisch verpflichtet. Sie tragen eine große Verantwortung und gestalten das Berufsbild. Die Transplantationsmedizin ist diesbezüglich ein sehr schwer zu beurteilendes Feld, in dem es anscheinend noch keine sicheren Beweise sowohl für als auch gegen die Aussage, dass der Hirntod der endgültige Tod ist, gibt. Gerade deshalb sollten sich MitarbeiterInnen der Sozialen Arbeit nicht davor verschließen, sich mit dieser Thematik auseinanderzusetzen, um Menschen, die sich nicht mehr mitteilen können oder jene Angehörige, welche mit der Fragestellung überfordert sind, zu begleiten und zu unterstützen. Überlegungen, ob und wie das in der Praxis gescehen kann, werden hier angesprochen.

Abschließend werde ich in einem Resümee meine eigene Stellungnahme abgeben und ausführlich meine Meinung hierzu begründen.

3. Organtransplantation

Zunächst möchte ich einen Überblick über die Organtransplantation geben, um ein genaueres Verständnis dafür entwickeln zu können, worum es eigentlich geht.

„Bei chronischem Organversagen stellen Organtransplantationen oft die einzige Möglichkeit einer lebensrettenden Therapie und einer wesentlichen Verbesserung der Lebensqualität der Patienten dar.“[1] Bereits im Mittelalter wurden Hauttransplantationen aus körpereigenem Gewebe vorgenommen, um Verunstaltungen oder Behinderungen zu beheben. Ende des 19. Jahrhunderts war es möglich, komplexe Krankheitsbilder auf die Ausfälle bestimmter Organe zurückzuführen. Dies war die Voraussetzung für das Verpflanzen gesunder Organe, um kranke Menschen zu therapieren. Weitere Voraussetzungen, um überhaupt eine Transplantation vornehmen zu können ist die entsprechende Blutgruppe und bei Nierentransplantationen auch eine Übereinstimmung bestimmter Gewebemerkmalen.[2] Anfang der 90iger Jahre kam es zu einem Rückgang von Transplantationen, da der Bedarf an Organen durch rückläufige Spenderbereitschaft nicht gedeckt werden konnte. Hinzu kam, dass die rechtliche Seite im Gegensatz zu den Nachbarländern nicht geregelt war. Einer breiten Anwendung stand anfangs ein weiteres Problem gegenüber: Durch die Abstoßungsreaktion des Körpers kommt es zu einem Funktionsausfall der implantierten Organe.[3] Dabei nimmt das Immunsystem seine Aufgabe wahr, indem es Blutgefäße und anderes Gewebe des implantierten Organs abtötet.[4] Da die Ursache zwar bekannt war, jedoch nicht behandelt werden konnte, wurde das Transplantieren 1930 völlig aufgegeben. Erst 1954 erfolgte die erste dauerhaft erfolgreiche Transplantation - eine Lebendnierentransplantation bei eineiigen Zwillingen. Durch die Entwicklung intensivmedizinischer Möglichkeiten wie die künstliche Beatmung und Instandhaltung des Herz-Kreislauf-Systems und Medikamente zur Unterdrückung der Abstoßungsreaktion (Immunsuppressiva) konnten Transplantationen bei Menschen, die nicht miteinander verwandt waren, stattfinden.In der heutigen Zeit verhindert die geringe Anzahl an Spenderorganen die Behandlung der wartenden EmpfängerInnen.[5] Die Kehrseite der Immunsuppressiva ist allerdings, dass sie die natürliche Abwehr des Körpers unter anderem gegen Viren und Krebszellen beeinträchtigen. Daher kann es zu schweren Infektionen kommen, die gesunden Menschen nicht ernsthaft schaden könnten.[6]

Zu Beginn des 20. Jahrhunderts war die Behandlungsmethode der Transplantation anerkannt.[7] 1967 verpflanzte der südafrikanische Chirurg Christiaan Barnard das noch schlagende Herz einer verunglückten dem schwer herzkranken Luis Washkansky. Bereits einen Tag später berichtete die Presse weltweit über die Pioniertat. Es sei der Beginn und die Krönung einer neuen Medizin-Epoche. Bernard löste damit eine Lawine aus. Weitere Chirurgen folgten seinem Beispiel nur wenige Tage und Wochen später. Die Öffentlichkeit reagierte auf die enthusiastischen Meldungen der Presse entsprechend. Auch der Tod Washkanskys 18 Tage nach der Operation änderte nichts an der positiven Einstellung der Bürger. C. Wolff berichtet der Tageszeitung „Die Welt“, dass Herztransplantationen ein notwendiges Experiment seien, damit Fortschritte in der Medizin verzeichnet werden können. So wurde das Herz zum Symbol der Modernisierung der Gesellschaft. Es verlor den Sitz menschlichen Lebens und Fühlens und wurde ausschließlich zu einem Muskel des menschlichen Körpers.[8]

Inzwischen gibt es in Deutschland insgesamt mehr als 60.000 Organtransplantationen, bei denen es hauptsächlich um Niere, Leber, Herz, Lunge, Pankreas und Darm geht. Die Entnahme und Vermittlung gemäß des Transplantationsgesetzes (TPG) unterliegt strengen Regelungen. Durch die steigende Anzahl der Kliniken, welche Transplantationsprogramme anbieten, steigt auch die Zahl der vorgenommenen Transplantationen. Heute gehört dieses Versorgungsspektrum zum Repertoire eines jeden Universitätsklinikums und zahlreicher Krankenhäuser in Deutschland.[9] Allerdings funktionieren nach fünf Jahren nur noch 70% der meisttransplantierten Organe, nämlich der Nieren. Bei Lungen sind es nur 50%. Die chronische Abstoßungsreaktion bereitet den Medizinern Sorge, denn sie kennen die Ursache nicht.[10]

Transplantation nach Feststellung des Hirntodes

Liegt auf der Intensivstation ein hirntoter Patient mit der Einwilligung zur Organspende, nehmen die Ärzte Kontakt zur Deutschen Stiftung für Organtransplantation (DSO) auf. Diese setzt sich sofort mit der der niederländischen Stiftung Eurotransplant, welche die Organtransplantation europaweit organisiert, in Verbindung und informiert sie über die medizinischen Daten des Spenders. Eurotransplant wertet die Daten aus, wählt einen

passenden Spender aus und informiert den zuständigen Arzt. Dieser wiederum informiert den Patienten. Der Empfänger oder die Empfängerin soll innerhalb von zwei bis drei Stunden ins Transplantationszentrum kommen, wo die Operation durchgeführt wird. Die DSO organisiert derweil den schnellstmöglichen Transport des Organs.[11]

Wie die Transplantation an sich durchgeführt wird ist nirgends beschrieben.

Die KAO (Kritische Aufklärung über Organtransplantation) berichtet, dass die Operation bei noch schlagendem Herzen und fortgeführter Beatmung der Spender stattfindet. Die DSO empfiehlt für einen reibungslosen Ablauf der Extransplantation die Abreichung des Schmerzmittels Fentanyl,welches hundertmal stärker ist als ein Morphin.[12] Das sprunghafte Ansteigen von Noradrenalin, Dopamin, Adrenalin, des Blutdrucks und der Herzfrequenz wird auf Rückenmarksreflexaktivität zurückgeführt, wofür es jedoch keine wissenschaftliche Studie gibt, welche dies bestätigen kann.[13]

In der Praxis geben nur sechs Prozent ihre schriftliche Einwilligung zur Organentnahme. In den meisten Fällen entscheiden die Angehörigen. Die Frage nach den Organen ihrer Angehörigen trifft sie im tiefsten Unglück. Unter diesem emotionalen Druck verweigerten im letzten Jahr 30% der Angehörigen die Organentnahme.

Nach Ansicht des Krankenhauspersonals sind Gespräche mit Trauernden problematisch oder sogar unzumutbar. Daher trainiert das Personal die Gesprächsführung in Schulungen unter dem Aktionstitel „ Trauerreaktion und die Bitte um Organspende“.[15]

Organtransplantationen sind lebensrettend. Es ist beeindruckend wozu die Intensivmedizin in der heutigen Zeit in der Lage ist. Dennoch regen einige Informationen zum Nachdenken an. Wie lässt sich die Abstoßungsreaktion auf die neu eingesetzten Organe erklären? Sicher liegt es nicht in der Natur der Menschen, dass sie ihre Organe untereinander austauschen.

Es scheinen Verfahren zu existieren, mit denen Ärzte Trauernde gezielt zu einer Zustimmung zur Organentnahme bewegen können. Über die Richtigkeit dieser Handlungsweise lassen sich Zweifel erheben. Können Menschen, welche soeben einen Angehörigen verloren haben, eine Entscheidung von solcher Tragweite treffen und ist es ethisch vertretbar?

Um derartige Fragen beantworten zu können muss zunächst geklärt werden, ab wann ein Mensch tatsächlich tot und ob der Hirntod der wirkliche Tod des Menschen ist. Um jedoch den Tod besser zu verstehen, ist es hilfreich zu wissen, was Leben bedeutet.

Die wahrscheinlich schwierigste Frage bei diesem Thema ist die, ab wann der Mensch wirklich tot ist.

4. Der Tod – eine Sache der Perspektive?

Zunächst ist es notwendig, sich einmal anzusehen, was Leben bedeutet. Denn: „Wer nämlich den Tod des Menschen definieren will, muss das Wesen des Menschen definieren, und es ist zumindest umstritten, ob dies exakt naturwissenschaftlich möglich ist.“[16]

„Leben ist eine Eigenschaft, die Lebewesen von unbelebter Materie unterscheidet. Wesentliche Merkmale für Leben sind: Es ist in der Lage sich fortzupflanzen (in einer über eine bloße Kopie hinausgehenden Form der Evolution), es hat einen Stoffwechsel und es bildet nach außen abgeschlossene Gebilde. Letzteres, die Systemeigenschaft, ist eine notwendige, aber nicht hinreichende Voraussetzung für Leben: der Zusammenschluss von miteinander in Wechselwirkung stehenden Einheiten zu höheren Einheiten über mehrere Stufen.“[17]

Während Mediziner davor zurückschraken, den Tod wissenschaftlich neu zu definieren und um Hilfe aus anderen Disziplinen baten, gaben Juristen und Theologen zu, dass sie sich nicht kompetent genug fühlten und die Todesfeststellung eine rein biologische Angelegenheit sei. Unter den Medizinern herrschte eine Uneinigkeit über die notwendigen technischen Untersuchungen und einige fragten sich, ob man überhaupt Sicherheit darüber erlangen kann.[18] Sie sprechen von „Annahmen“, „Übereinkünften“, „Definitionen“ und betonen die gesellschaftlichen Aspekte des neuen Hirntodkriteriums,[19] welches im nächsten Kapitel erläutert wird.

In der Autopsie dagegen lässt sich eine klare Definition des Todes finden:

„Tod, Zustand eines Organismus nach dem irreversiblen Ausfall der Lebensfunktionen. Als Abschluss eines Alterungsprozesses, dem jedes Lebewesen von Geburt an unterworfen ist, ist der Tod genetisch programmiert und somit ein in der organischen Verfassung des Lebens begründetes biologisches Ereignis. Sterben ist der allmähliche Übergang vom Leben in den Tod mit einem stufenweisen Abbau aller lebenserhaltenden und lebensbestimmenden Merkmale. Dabei ist die Überlebenszeit der Organe und Organsysteme bei komplettem Sauerstoffmangel sehr verschieden, sodass Sterben und Tod eines Organismus zeitlich voneinander getrennt sind. Diese Erkenntnis führt zu der wichtigen und ärztlich bedeutungsvollen Unterscheidung von klinischem und biologischem Tod. Der klinische Tod umfasst Merkmale ausgefallener Funktionen, die als unsichere Todeszeichen zu bewerten sind: Herzstillstand, Pulslosigkeit, Atemstillstand, Areflexie, Bewusstlosigkeit, Hautblässe und Temperaturabfall. Bei tiefer Bewusstlosigkeit mit klinisch nicht mehr wahrnehmbaren Lebensäußerungen (z. B. bei akuter Vergiftung) kann der Anschein des Todes erweckt werden, obwohl mithilfe des Elektroenzephalogramms (EEG) und des Elektrokardiogramms (EKG) noch elektrische Aktivitäten nachweisbar sind. Diese Vita reducta beziehungsweise minima (umgangssprachlich Scheintod) ist zeitabhängig reversibel und lässt sich durch Wiederbelebung vielfach überwinden. Die Zeichen des klinischen Todes berechtigen nicht, jemanden für tot zu erklären. Die Todesfeststellung ist immer an das Vorliegen sicherer Todeszeichen gebunden (Totenstarre, Totenflecke, fortgeschrittene Leichenerscheinungen wie Fäulnis, mit dem Leben nicht zu vereinbarende Körperzerstörung, vergebliche Wiederbelebung von mindestens 30 bis 40 Minuten Dauer, gesichert durch ein Nulllinien-EKG bei Ausschluss einer Unterkühlung). Das Wissen um zeitlich abgestufte Wiederbelebungszeiten der Organe (z. B. 6 Stunden für die Nieren) ist von grundsätzlicher Bedeutung für die Organtransplantation. Unter Berücksichtigung medizinischer, ethischer und juristischer Gesichtspunkte wird der Organtod des Gehirns dem Tod des Menschen (Individualtod) gleichgesetzt, da mit dem Erlöschen der Hirnfunktionen die für jedes menschliche Leben unabdingbaren Voraussetzungen entfallen. Der Hirntod ist der vollständige und irreversible Ausfall der integrativen Groß- und Stammhirnfunktionen bei nur noch künstlich aufrechterhaltenem Kreislauf. Das Sterben findet nach dem Absterben aller Zellen im (absoluten) biologischen Tod sein Ende.“[20]

Auch Fuat Oduncu beschreibt in seinem Buch verschiedene Stufen des Todes. Auf Grund der unterschiedlichen Sauerstoffmangel -Toleranz der jeweiligen Körperteile tritt der Todeszeitpunkt nicht zur gleichen Zeit im gleichen Maß ein. So können Sterbeprozesse von zum Beispiel Knorpelgewebe auch noch nach der Beerdigung stattfinden. Das Sterben und der Tod beziehen sich auf den Organismus als Ganzen, also auf den Menschen als Ganzen. Der Tod schließt allerdings nicht aus, dass noch Sterbeprozesse auf anderen Organisationsstufen im Gange sind. Diese Organisationsstufen bilden die Organe, welche aus Gewebe und dieses wieder aus Zellen besteht. Diese drei Stufen bilden selbstständige Systeme. Organe, Gewebe und Zellen können in bestimmten Nährlösungen ihre Stoffwechselprozesse auch außerhalb des Körpers fortführen.[21]

[...]


[1] Vgl. Molzahn, Martin/ Tuffs und Vollmann, Annette, Jochen, Organtransplantation und Organspende, Heft 17, Robert Koch-Institut mit dem Statistischen Bundesamt, o.O. 2003, S. 7 ff

[2] Vgl. Kosche, Dirk (Vorsitzender), Boeuf, Patrick, Stehle, Wolgang, Transplantation verstehen, Wissen für das neue Leben, Novartis Pharma GmbH, online im Internet: http://www.transplantation-verstehen.de/spezialthemen/lebendspende/voraussetzungen/index.html, Stand: 22.01.2011

[3] Vgl. Molzahn, Tuffs, Vollmann, Organtransplantation und Organspende, 2007, S. 7 ff

[4] Vgl. Kosche, Boeuf, Stehle, Novartis Pharma GmbH, Stand: 22.01.2011

[5] Vgl. Molzahn, Tuffs, Vollmann, Organtransplantation und Organspende, 2007, S. 7 ff

[6] Vgl. Kosche, Boeuf, Stehle, Novartis Pharma GmbH, Stand: 22.01.2011

[7] Vgl. Molzahn, Tuffs, Vollmann, Organtransplantation und Organspende, 2007, S. 7 ff

[8] Vgl. Wiesemann, Hirntod und Intensivmedizin, Zur Kulturgeschichte eines medizinischen Konzepts, Ethik und Geschichte der Medizin, Der Anästhesist, 10/2000, S. 894

[9] Vgl. Molzahn, Tuffs, Vollmann, Organtransplantation und Organspende, 2007, S. 7 ff

[10] Vgl. Seel, Christian, Hannoversche Allgemeine Zeitung, Die Zukunft der Transplantation, Den Spuk beenden, 02.Okt.2009, S. 3

[11] Vgl. Kosche, Boeuf, Stehle, Novartis Pharma GmbH, Stand: 22.01.2011

[12] Vgl. KAO Kritische Aufklärung über Organtransplantation e. V., Presseerklärung zum „Welttag und Europäischen Tag der Organspende“ am 04.10.2009

[13] Vgl. Müller, Sabine, Revival der Hirntod-Debatte: Funktionelle Bildgebung für die Hirntod-Diagnostik, Springer Verlag, 2010, S. 9

[14] Vgl. Seel, Christian, Hannoversche Allgemeine Zeitung, Wann stirbt ein Mensch?, Den Spuk beenden, 02.Okt.2009, S. 3

[15] Vgl. Blüchel, Kurt, Das Medizin-Syndikat, Köln, 1976 in: Fuchs, Richard, Tod bei Bedarf: oder das Milliardengeschäft mit der Organ-Transplantation, raum&zeit 87/97

[16] Vgl. Die Welt, Nr. 38, 14.2.1968, 7. Ein entschiedener Gegner der Gleichsetzung von Hirntod und Tod des Menschen war der Würzburger Neurochirurg J. Gerlach in: Wiesemann, C., Hirntod und Intensivmedizin, Zur Kulturgeschichte eines medizinischen Konzepts, Ethik und Geschichte der Medizin, Der Anästhesist, 10/2000, S. 895

[17] Babylon, onlinewörterbuch, online im Internet: http://woerterbuch.babylon.com/leben/, Stand: 13.01.2011

[18] Vgl. Wiesemann, Hirntod und Intensivmedizin, 10/2000, S. 896

[19] Wiesemann, Hirntod und Intensivmedizin, Zur Kulturgeschichte eines medizinischen Konzepts, Ethik und Geschichte der Medizin, Der Anästhesist, 10/2000, S. 896

[20] Sedivy, Roland, Autopsie, Informationen und Aufklärung, online im Internet: http://www.sedivy.net/cmspatho/pathoinfo/definition_tod.html, Stand: 21.01.2011

[21] Vgl. Oduncu, Fuat, Hirntod und Organtransplantation, Medizinische, juristische und ethische Fragen, Vandenhoeck & Ruprecht Verlag Göttingen, 1998, S. 146

Details

Seiten
Jahr
2011
ISBN (eBook)
9783656153191
ISBN (Paperback)
9783656153504
DOI
10.3239/9783656153191
Dateigröße
591 KB
Sprache
Deutsch
Institution / Hochschule
HAWK Hochschule für angewandte Wissenschaft und Kunst - Fachhochschule Hildesheim, Holzminden, Göttingen
Erscheinungsdatum
2012 (März)
Note
1,3
Schlagworte
Hirntod Ethik Sterben Organtransplantation Verantwortung
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Titel: Diagnose Hirntod – Ethische Verantwortung gegenüber sterbenden OrganspenderInnen