Michel Foucault: Der Diskursbegriff
Zusammenfassung
Als zentrales Element der Theorie Foucaults soll zunächst der Begriff des Diskurses definiert werden, wie Foucault ihn verwendet, unter anderem in seiner „Archäologie des Wissens“.
Anschliessend sollen am Beispiel der Strafjustiz und deren Veränderungen innerhalb der letzten 2 Jahrhunderte, die theoretischen Überlegungen über den Diskurs in einen konkreten Zusammenhang gestellt werden.
Von zentraler Bedeutung sind in diesem Teil der Arbeit die Machtverhältnisse eines Diskurses, die sich in ihrer architektonischen Manifestierung, dem Panopticon und der Theorie des Panoptimus, in „Überwachen und Strafen“ wiederfinden lassen. Dieser weitere Schritt ist notwendig, um die theoretischen Formulierungen, die Foucault über die Ordnung eines Diskurses trifft, an konkreten Beispielen deutlicher zu machen.
Zusammenfassend sollen die folgenden beiden Leitfragen beantwortet werden:
1. Was zeichnet einen Diskurs im Sinne Michel Foucaults aus?
2. Wie werden die Machtstrukturen der Diskurse in konkreten gesellschaftlichen Zusammenhängen sichtbar?
Die vorliegende Arbeit besteht aus reiner Theorieanalyse anhand der Primärliteratur Foucaults, sowie der Beschreibung der vom Autor verwendeten Beispiele (Strafjustiz, Panopticon), sowie eine Ergänzung durch ein soziologisches Wörterbuch. Diese, auf die Primärliteratur Foucaults fokussierte Literaturauswahl ist bewusst getroffen worden, um die Überlegungen Foucaults möglichst unverändert wiedergeben zu können.
In diesem Sinne wurde bewusst auf Vereinfachungen, Tabellen oder Grafiken verzichtet, um den Weg der Theorieentwicklung deutlich zum Ausdruck zu bringen.
Aus dieser Theorieanalyse ergibt sich noch keine stringente, diskursanalytische Methodenbeschreibung, so wie sie z.B. in der Sozialforschung zur Anwendung kommt; es wird vielmehr der Weg beschrieben, auf dem Michel Foucault seine Überlegungen zum Diskurs und dessen Macht über menschliches Handeln entwickelt hat.
Leseprobe
INHALTSVERZEICHNIS
1. Einleitung
2. Grundbegriffe: Wissen, Diskurs, Wahrheit und Macht
2.1. Zusammenfassung
3. Von der Marter zur Bestrafung: Die Ökonomie der Züchtigung
3.1. Die peinliche Strafe: Die Abschaffung der Marter
3.2. Das Zeitalter der Strafnüchternheit
3.3. Zusammenfassung
4. Macht und Disziplin
4.1. Das Panopticon/ Der Panoptismus
5. Fazit und Ausblick
6. Bibliographie:
1. EINLEITUNG
Ziel dieser Arbeit ist es, die Theorie der Ordnung des Diskurses von Michel Foucault zu
beschreiben. Foucault entwickelt eine eigene Definition, was unter einem Diskurs zu verstehen ist, wie er im Inneren funktioniert und wie er nach Außen wirkt. Foucault schreibt dem Diskurs an sich eine zentrale Bedeutung in der Frage zu, wie Wissen entsteht, wie es sich verteilt und wie es in konkreten Zusammenhängen seine Anwendung findet.
Als zentrales Element der Theorie Foucaults soll zunächst der Begriff des Diskurses definiert werden, wie Foucault ihn verwendet, unter anderem in seiner „Archäologie des Wissens“.
Anschliessend sollen am Beispiel der Strafjustiz und deren Veränderungen innerhalb der letzten 2 Jahrhunderte, die theoretischen Überlegungen über den Diskurs in einen konkreten Zusammenhang gestellt werden. Von zentraler Bedeutung sind in diesem Teil der Arbeit die Machtverhältnisse eines Diskurses, die sich in ihrer architektonischen Manifestierung, dem Panopticon und der Theorie des Panoptimus, in „Überwachen und Strafen“ wiederfinden lassen. Dieser weitere Schritt ist notwendig, um die theoretischen Formulierungen, die Foucault über die Ordnung eines Diskurses trifft, an konkreten Beispielen deutlicher zu machen.
Zusammenfassend sollen die folgenden beiden Leitfragen beantwortet werden:
- Was zeichnet einen Diskurs im Sinne Michel Foucaults aus?
- Wie werden die Machtstrukturen der Diskurse in konkreten gesellschaftlichen Zusammenhängen sichtbar?
Die vorliegende Arbeit besteht aus reiner Theorieanalyse anhand der Primärliteratur Foucaults, sowie der Beschreibung der vom Autor verwendeten Beispiele (Strafjustiz, Panopticon), sowie eine Ergänzung durch ein soziologisches Wörterbuch. Diese, auf die Primärliteratur Foucaults fokussierte Literaturauswahl ist bewusst getroffen worden, um die Überlegungen Foucaults möglichst unverändert wiedergeben zu können. In diesem Sinne wurde bewusst auf Vereinfachungen, Tabellen oder Grafiken verzichtet, um den Weg der Theorieentwicklung deutlich zum Ausdruck zu bringen.
Aus dieser Theorieanalyse ergibt sich noch keine stringente, diskursanalytische Methodenbeschreibung, so wie sie z.B. in der Sozialforschung zur Anwendung kommt; es wird vielmehr der Weg beschrieben, auf dem Michel Foucault seine Überlegungen zum Diskurs und dessen Macht über menschliches Handeln entwickelt hat.
2. GRUNDBEGRIFFE: WISSEN, DISKURS, WAHRHEIT UND MACHT
Der Ausgangspunkt der Theorie des Diskurses und seiner Ordnung ist die Frage danach, wie Wissen in einer Gesellschaft entsteht.
Foucault analysiert das Wissen über die Welt in historischer Perspektive und stellt fest, dass Wissen nicht per se gegeben ist, oder ausschliesslich aus Beobachtungen, die man über die Welt anstellt, abgeleitet werden kann, sondern dass dem Wissen ein langer historischer Prozess der Wahrheitsfindung zugrunde liegt. Diese Prozesse, die neues Wissen generieren, auf altem Wissen aufbauen und Erkenntnisse aus unterschiedlichen Feldern bündeln, um zu neuen weiterführenden Aussagen zu gelangen, können als „Diskurse“ bezeichnet werden und sie sind das zentrale Element seiner Arbeit. Foucaults Methode ist es also nicht, primäre Beobachtungen über die Welt anzustellen und daraus Wissen über die Welt abzuleiten, sondern vielmehr interessiert ihn die Frage danach, wie die Beobachtungen, die bereits über die Welt gemacht worden sind, zu verstehen und zu beurteilen sind:
„Was ist also die Medizin, die Grammatik, die Politische Ökonomie? Sind sie nichts anderes als eine retrospektive Umgruppierung, durch die die heutigen Wissenschaften sich einer Illusion über ihre eigene Vergangenheit anheimgeben?“ (Foucault; 2008; 505).
Foucault stellt die These auf, dass die Wissenschaften dazu tendieren, eine kausale und methodische Stringenz in ihren verschiedenen Disziplinen herzustellen, die dann wieder in größeren Ordnungseinheiten wie Epochen, Stadien oder Phasen (z.B. „Die Klassik“) gegliedert werden. Für Foucault entwickelt sich durch die Arbeit der unterschiedlichen Disziplinen keine objektive Form von Wissen über die Welt, sondern es bilden sich vielmehr Disziplin-interne Wahrheiten heraus. Die so entstehenden Wahrheiten schaffen ihre eigenen Begrifflichkeiten und Realitäten:
So wird zum Beispiel der psychiatrische Begriff des „Wahnsinns“ erst durch seine Klassifizierung und Definition im Diskurs der Psychiatrie zu einer Realität, erschafft sein Gegenstück, das „Normale“ erst durch seine eigene Existenz (Vgl. Foucault; 2008; 520). In Bezug auf das Beispiel der Psychiatrie bedeutet dies, dass der psychiatrische Diskurs die Unterscheidung normal/wahnsinnig herstellt, und die Individuen einer Gesellschaft mit diesen Begriffen kategorisieren kann.
Daher steht dem Diskurs eine Deutungs- oder Definitionsmacht zu, die er zu „Wahrheiten“ verfestigt und diese auch über Disziplinarinstitutionen (z.B. psychiatrische Einrichtungen, Krankenhäuser, Strafanstalten oder Gesetze) und Normen in anderen Gebieten als der Psychiatrie zur Anwendung bringen kann, eine machtvolle und ordnungsstiftende Position innerhalb einer Gesellschaft (Vgl. Foucault; 2008; 1055-1060).
Unter einer Norm kann hier im soziologischen Sinne eine „allgemein sozial gültige Regel des Handelns“ (Hillmann; 1994; 615) verstanden werden. Somit wird das Einflussgebiet der Diskurse erheblich ausgeweitet und kann sich auf das Handeln und Denken einer ganzen Gesellschaft auswirken.
Auf die individuelle Perspektive übertragen bezeichnet Foucault die Tendenz zur Herstellung großer, übergeordnete Zusammenhänge als „Werk“ oder „opus“, also eine gebündelte Zahl von Veröffentlichung des gleichen Autors: „Das Werk kann weder als unmittelbare Einheit noch als eine bestimmte Einheit, noch als eine homogene Einheit betrachtet werden“ (Foucault; 2008; 497).
Die Position des Autors hat bei Foucault nur eine untergeordnete Bedeutung, er spricht sich für eine positivistische Analyse aus, bei welcher der Autor gänzlich hinter seinen Aussagen verschwindet. Dies deckt sich wiederum mit seiner Vorstellung von Geschichtlichkeit: Der geniale Autor, der eine neue Denkrichtung oder Disziplin anstösst ist nicht entscheidend, sondern vielmehr die Frage danach, auf welches Wissen er sich bereits stützt, welches Wissen wieder verworfen wurde und warum dies geschehen ist und wie neues Wissen seine Wirkung auf die Menschen entfaltet.
Und für Foucault beschränkt sich jeder Diskurs nicht nur auf ein spezifisches Gebiet, eine spezifische Disziplin, sondern wird von anderen Diskursen beeinflusst, übernimmt Methoden oder Definitionen aus ganz anderen Bereichen des Wissens, wie in Kapitel 3 am Beispiel der Strafjustiz aufgezeigt werden soll. Somit hat z.B. der Diskurs über das Strafrecht gewisse Elemente der politischen Ökonomie übernommen, wie am Beispiel des Panopticons (Kap.4) deutlich wird.
Unter dem Begriff des Diskurses fallen für Foucault, wie bereits beschrieben, alle subjektunabhängigen Aussagen zu einem bestimmten Sachverhalt; eine Verkettung von Elementen (z.B. Tabellen, Formeln) und semantischen Einheiten (z.B. Sätze, Bücher, Zitate) zu einem bestimmten Sachverhalt, die unabhängig von ihrem Autor, ihrem Erscheinungszeitpunkt und dem Ort ihres Erscheinens gesammelt werden können und die ihre eigenen Wahrheiten und Objektivitäten produzieren.
Desweiteren gilt für einen Diskurs, dass es nicht allen Individuen grundsätzlich möglich ist an ihm teilzunehmen: So gibt es eine Vielzahl von Bedingungen, die erfüllt werden müssen, um z.B. am Diskurs über den Wahnsinn im medizinischen Sinne und somit z.B. an der Klassifizierung/Unterscheidung von wahnsinnig/normal teilhaben zu können: „Der Status des Arztes umfaßt Kriterien des Wissens und der Kompetenz; Institutionen, Systeme, pädagogische Normen; gesetzliche Bedingungen, die ein Recht auf die Anwendung und das Ausprobieren des Wissens geben (...)“( Foucault; 2008; 545).
2.1. ZUSAMMENFASSUNG
Unter Diskurs versteht Foucault die Gesamtheit von Aussagen zu einem Sachverhalt, unabhängig von Autor, Erscheinungszeitpunkt und Ort des Erscheinens. Diese Aussagen können z.B. semantische Äußerungen, Publikationen, Tabellen oder auch Formeln sein, die auf den Diskursgegenstand zutreffen, oder die aus anderen Disziplinen auf ihn angewendet oder übertragen werden. Diese Aussagen führen zu diskursinternen Wahrheiten, die auf Altem aufbauen und Neues eröffnen, die nach aussen aber nicht unbeschränkt offen sind und somit nicht jeden am Diskurs teilnehmen lassen können. Dennoch ordnet ein Diskurs das Denken einer gesamten Gesellschaft durch die Deutungsmacht, die man ihm zusprechen muss und die in vielen Fällen eine normative Wirkung auf die Individuen oder eine institutionelle Manifestierung in Einrichtungen, Labors, Kliniken, Krankenhäusern, Gesetzen oder Regeln etc. findet:
„(...) denn in unseren Gesellschaften (und wahrscheinlich in vielen anderen) ist der Besitz des Diskurses - gleichzeitig als Recht zu sprechen, Kompetenz des Verstehens, erlaubter und unmittelbarer Zugang der bereits formulierten Aussagen, schließlich als Fähigkeit diesen Diskurs in Entscheidungen, Institutionen oder Praktiken einzusetzen verstanden (...)“ (Foucault; 2008; 545).
In den folgenden Kapiteln soll nun aufzeigt werden, wie der Diskurs des Strafrechts in historischer Perspektive seit dem 17. Jahrhundert verlaufen ist, zu welchen Institutionen, Normen und Machtverhältnissen er geführt hat: Die von Foucault selbst angewendete Diskursanalyse ist ein Beispiel dafür, wie ein Diskurs beschrieben werden kann, welchen Einflüssen er unterliegt und wie er sich schlussendlich in Machtformen manifestiert.
3. VON DER MARTER ZUR BESTRAFUNG: DIE ÖKONOMIE DER ZÜCHTIGUNG
Um die diskursanalytischen Grundprinzipien der Theorie Michel Foucaults zu verdeutlichen, soll im Folgenden die historische Entwicklung der Strafjustiz aufgezeigt werden. Die theoretischen Grundlagen der Diskursanalyse können durch die Betrachtung des europäischen Strafsystems im 18., 19. und 20. Jahrhundert und den Veränderungen, die im Hinblick auf die Urteilsfindung und die Form der Bestrafung in dieser Zeitspanne vorgenommen worden sind, in einen konkreten Zusammenhang gestellt werden. An diesem historischen Beispiel erklärt Michel Foucault, wie die Machtmechanismen eines Diskurses in ihren verschiedenen Formen auf eine Gesellschaft wirken.
3.1. DIE PEINLICHE STRAFE: DIE ABSCHAFFUNG DER MARTER
Die Marter ist bis zum auslaufenden 18. Jahrhundert ein grundlegender Bestandteil des Strafvollzuges gewesen, wobei den Verurteilten über einen langen Zeitraum starke Schmerzen bis hin zum Eintritt des Todes zugefügt werden, meist auf öffentlichen Plätzen und vor Publikum. Das zentrale Element der Marter ist der Schmerz, herbeigeführt durch unterschiedliche Folterpraktiken: Verbrennungen am Körper des Verurteilten, das Herausschneiden von Fleisch oder das Abtrennen von Gliedmaßen bis zum Eintritt des Todes. Das Vergehen des zur Marter Verurteilten wird dabei immer in den Vordergrund gestellt und häufig öffentlich wiederholt, um der zuschauenden Menge zu verdeutlichen, warum der Hinzurichtende diese Strafe empfangen muss (Vgl.: Foucault; 2008; 705-707).
Durch die Marter sollen zwei Wirkungen erzielt werden: Die abschreckende Wirkung auf die zuschauende Menge und das Leisten von Sühne in Form von körperlichen Schmerzen, bestenfalls begleitet von einem Geständnis des Verurteilten, erzielt durch Folter. Im langen Prozess der öffentlichen Marter, von der Folter bis zur Hinrichtung liegt auch die Wiederholung des Verbrechens am Körper des Verurteilten, bis hin zur theatralischen Inszenierung, teilweise auch am Ort des begangenen Verbrechens und, im Falle eines Tötungsdeliktes, auch unter Verwendung der Tatwaffe. Der Täter stirbt den Tod seines Opfers in einer öffentlichen Zurschaustellung.
Die symbolische Kraft dieser Strafpraktik ist eng mit der Vorstellung von Wiedergutmachung oder Vergeltung des Verbrechens verbunden. Die Vollstreckung des Urteils soll in seiner Grausamkeit die Schmerzen und das Leid, das durch das begangene Verbrechen des zur Marter verurteilten Straftäters ausgelöst wurden, übertreffen (Vgl.: Foucault; 2008; 745-757).
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