Analyse eines Politiker-Auftritts in einer Personality-Talkshow
Sigmar Gabriel zu Gast bei Beckmann (16.11.2009)
Zusammenfassung
1999 im Spätabendprogramm der ARD ausgestrahlt und erreicht seit Jahren konstant
Einschaltquoten von mehr als einer Million. Im Jahr 2001 rezipierten durchschnittlich gar
rund 1,8 Millionen Menschen die Sendung, was einen Marktanteil von knapp 16 Prozent
bedeutete (vgl. Schultz 2002: 186). Im Mittelpunkt der jeweils etwa 75 Minuten langen
Sendungen stehen „prominente Gäste, aber auch Menschen, die nicht im Rampenlicht stehen
und eine außergewöhnliche und bewegende Lebensgeschichte haben“ (Frank Schulze
Kommunikation 2012). Die Sendungen haben zwar mitunter ein Rahmenthema, dennoch ist
Beckmann weniger als Debatten- als vielmehr als Personality-Talkshow einzustufen, bei der
der Fokus auf der Darstellung von Persönlichkeiten liegt und die Spannung des Zuschauers
„aus der farbigen, pointenreichen Präsentation von Gästen“ (Plake 1999: 32) resultiert.
Aufgrund dieser Ausrichtung und einer damit verbundenen tendenziellen Ausklammerung
von heiklen politischen Debatten bieten Formate wie Beckmann für politische Akteure „ein
attraktives Forum zur massenwirksamen Selbstdarstellung, ohne dass damit größere Gefahren
verbunden wären“ (Schultz 2002: 189). Indem sie persönliche Anekdoten erzählen, können
sich Politiker hier einerseits als volksnahe Menschen inszenieren; andererseits besteht die
Möglichkeit, indirekt politische Kommunikation zu betreiben, wenn Anekdoten „am Rande
mit Kommentaren zur aktuellen Politik amalgamiert werden“ (Schultz 2002: 183).
Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
Kapitel 1: Das Format Beckmann
Kapitel 2: Beckmann vom 16.11.2009
2.1 Der Politiker Sigmar Gabriel
2.2 Kontextinformationen zur Sendung
2.3 Rahmen/Rahmung der Sendung
2.4 Analyse des Auftritts von Sigmar Gabriel
Kapitel 3: Zusammenfassung/Gesamtrahmung des Auftritts
Literaturverzeichnis
Filmverzeichnis
Kapitel 1: Das Format Beckmann
Die von Reinhold Beckmann moderierte Unterhaltungssendung Beckmann wird seit Anfang 1999 im Spätabendprogramm der ARD ausgestrahlt und erreicht seit Jahren konstant Einschaltquoten von mehr als einer Million. Im Jahr 2001 rezipierten durchschnittlich gar rund 1,8 Millionen Menschen die Sendung, was einen Marktanteil von knapp 16 Prozent bedeutete (vgl. Schultz 2002: 186). Im Mittelpunkt der jeweils etwa 75 Minuten langen Sendungen stehen „prominente Gäste, aber auch Menschen, die nicht im Rampenlicht stehen und eine außergewöhnliche und bewegende Lebensgeschichte haben“ (Frank Schulze Kommunikation 2012). Die Sendungen haben zwar mitunter ein Rahmenthema, dennoch ist Beckmann weniger als Debatten- als vielmehr als Personality-Talkshow einzustufen, bei der der Fokus auf der Darstellung von Persönlichkeiten liegt und die Spannung des Zuschauers „aus der farbigen, pointenreichen Präsentation von Gästen“ (Plake 1999: 32) resultiert. Aufgrund dieser Ausrichtung und einer damit verbundenen tendenziellen Ausklammerung von heiklen politischen Debatten bieten Formate wie Beckmann für politische Akteure „ein attraktives Forum zur massenwirksamen Selbstdarstellung, ohne dass damit größere Gefahren verbunden wären“ (Schultz 2002: 189). Indem sie persönliche Anekdoten erzählen, können sich Politiker hier einerseits als volksnahe Menschen inszenieren; andererseits besteht die Möglichkeit, indirekt politische Kommunikation zu betreiben, wenn Anekdoten „am Rande mit Kommentaren zur aktuellen Politik amalgamiert werden“ (Schultz 2002: 183).
Nach Angaben der ARD ist das Studio von Beckmann einem Loft in der für Toleranz, Weltoffenheit und Kommunikativität stehenden Hamburger Speicherstadt nachempfunden (vgl. Das Erste 2012), die in einem großen Panoramafenster zu sehen ist. Die Wände des Studios bestehen - wie die Lagerhäuser der Speicherstadt - aus roten Backsteinen, was dem Setting einen innovativen Look verleiht. Die Gesprächsrunden finden stets an einem länglichen, seriös und edel wirkenden Konferenztisch statt, der auf einem indirekt beleuchteten Podest platziert ist. Hinter der Stirnseite des Tisches bzw. vor dem Panoramafenster ist ein Monitor positioniert, auf dem meist das Beckmann -Logo zu sehen ist, aber auch Einspieler gezeigt und Grafiken eingeblendet werden. Die Gesprächsteilnehmer sitzen sich in kurzer Distanz an den Längsseiten des Tisches gegenüber, sodass persönlich wirkende Gespräche möglich sind. Da es keinen separaten Moderationstisch gibt, wird der Eindruck suggeriert, dass alle Gesprächsteilnehmer gleichgestellt sind. Da Beckmann - von der Hauptkamera aus gesehen - stets den hinteren rechten Platz einnimmt, werden die ihm gegenüber sitzenden Gäste optisch in den Vordergrund gerückt.
Kapitel 2: Beckmann vom 16.11.2009
2.1 Der Politiker Sigmar Gabriel
Sigmar Gabriel wurde am 12.9.1959 in Goslar (Niedersachsen) geboren und ist seit 2009 Parteivorsitzender der SPD, der er seit 1977 angehört. Nach der Trennung der Eltern lebte Gabriel zunächst bei der Mutter seines Vaters, ehe er mit zehn Jahren - nach einem langjährigen Sorgerechtsstreit der Eltern - zur Mutter zog. Gabriel gilt als 'Zögling' des ehemaligen deutschen Bundeskanzlers Gerhard Schröder und wurde zu Beginn seiner Laufbahn als hochbegabter, aber sprunghafter Politiker eingestuft. Der politische Aufstieg des Gymnasiallehrers vollzog sich rasant: Nachdem er zwölf Jahre lang Kommunalpolitiker in seiner Heimatstadt gewesen war, wurde er 1999 zum jüngsten Ministerpräsidenten in der Geschichte des Bundeslandes Niedersachsen gewählt. Nach seiner Abwahl im Jahr 2003 geriet Gabriel, der früher mit einer türkischen Frau verheiratet gewesen war, eine uneheliche Tochter hat und seit 2009 mit einer Zahnärztin liiert ist, in eine schwere politische und persönliche Krise. Zwischen 2003 und 2005 war Gabriel Beauftragter für Popkultur und Popdiskurs der SPD, was ihm viel Hohn und den Spitznamen 'Siggi Pop' einbrachte. Im Jahr 2005 übernahm er den Posten des Bundesumweltministers, den er bis zu seiner Wahl zum SPD-Parteivorsitzenden inne hatte. Wie Schumacher (2009) anmerkt, sei der stets polarisierende und Parteimitgliedern oftmals suspekte Gabriel „so viel Achterbahn gefahren“ wie kaum ein anderer Politiker in seinem Alter - „mit Loopings, Aufstiegen und Abstürzen.“
2.2 Kontextinformationen zur Sendung
Die Sendung wurde sechs Tage nach dem Selbstmord des an Depressionen erkrankten Robert Enke (Torwart der deutschen Fußballnationalmannschaft) ohne Anwesenheit eines Studio- Publikums ausgestrahlt. Am Vortag der Sendung fand in der AWD-Arena in Hannover eine bewegende Trauerfeier zu Ehren von Enke statt, die von rund 40.000 Menschen besucht wurde. Knapp zwei Monate vor der Sendung musste die SPD bei der Bundestagswahl eine herbe Niederlage hinnehmen. Die damals innerlich zerrissene SPD hatte nur 23 Prozent der Stimmen erhalten, was eine personelle Umbesetzung innerhalb der Partei - unter anderem legten der Parteivorsitzende Franz Müntefering und der Bundesfinanzminister Peer Steinbrück ihre Ämter nieder - und eine kontroverse Diskussion über eine Neuausrichtung der SPD nach sich zog, die sich nach Ansicht vieler zu sehr von den Leitmaximen der Sozialdemokratie entfernt hätte. Drei Tage vor der Sendung war Gabriel mit der
überwältigenden Mehrheit von 94,2 Prozent der Stimmen zum sechsten Parteivorsitzenden
binnen fünf Jahren gewählt worden. In der etwa 75 Minuten langen Sendung sind neben Gabriel drei weitere Gäste eingeladen. Hierbei handelt es sich um Prof. Dr. Florian Holsboer (renommierter Depressionsforscher und Leiter des Münchner Max-Planck-Instituts für Psychiatrie), Stefan Lange (litt an Depression und hat einen Suizidversuch hinter sich) sowie Christiane Blömeke (Grünen-Abgeordnete der Hamburgischen Bürgerschaft), deren Ehemann depressiv gewesen war und sich im Oktober 2008 das Leben genommen hatte. Nur Gabriel, der einen Redeanteil von etwa 30 Minuten aufweist, ist während der gesamten Sendung anwesend. Die anderen Gäste stoßen etwa bei der Hälfte der Sendung dazu und kommen jeweils auf einen Redeanteil von knapp zehn Minuten. Die Sitzanordnung wechselt während der Sendung gleich dreimal, wie die folgenden Abbildungen zeigen.
2.3 Rahmen/Rahmung der Sendung
Indem Beckmann zu Beginn der Ausstrahlung auf den Selbstmord von Robert Enke eingeht, wird der Sendung ein ernster Grundton verliehen. Zugleich wird der Eindruck erweckt, dass es sich um eine Debatten-Talkshow (über das Thema Depression) handele. Die Sendung ist jedoch zweigeteilt. Während im ersten Teil (ca. 12:36 - ca. 49:45) die Entwicklung der SPD sowie der Politiker und Privatmensch Sigmar Gabriel im Vordergrund steht, unterhalten sich die Gesprächsteilnehmer im zweiten Teil (ca. 49:46 - ca. 01:25:40) vorwiegend allgemein über das Thema Depression. Somit ist dieser Teil tendenziell als Debatten-Talkshow gerahmt, bei der, wie Plake (1999: 32) anmerkt, „Fragen von öffentlichem Interesse“ im Vordergrund stehen und „die Persönlichkeit, der gesellschaftliche Rang, ja sogar der Beruf“ der Gäste eine untergeordnete Rolle spielt. Der zweite Teil zeichnet sich durchweg durch eine ernste Atmosphäre aus, die jedoch auch den ersten Teil über weite Strecken prägt. Indem Gabriel beispielsweise über eine persönliche (überwundene) Krise berichtet, wird der zu Beginn der Sendung etablierte, sich durch einen ernsten Grundton auszeichnende Rahmen nie ganz verlassen. Gleichwohl wird der Rahmen im ersten Teil mehrfach verändert. So zeichnet sich der Anfang des Gesprächs, bei dem die bedenkliche Entwicklung der SPD in den vergangenen Jahren im Vordergrund steht, durch eine sehr angespannte Atmosphäre aus. Als es später um die Privatperson Gabriel geht, entwickelt sich das Gespräch hingegen zu einem lockeren Plausch. Gabriel bekommt die Möglichkeit, Anekdoten aus seinem Leben zu erzählen, sodass ein Teil der Sendung eindeutig als Personality-Talkshow gerahmt ist. Gegen Ende des ersten Teils - als es unter anderem um die Situation innerhalb der SPD geht - wird wieder eine ernstere Atmosphäre etabliert, die jedoch nicht mit der zu Beginn des Gespräches zu vergleichen ist. Somit erscheint die Definition eines Gesamtrahmens eher schwierig.
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