Bis zu Beginn der 1990er Jahre waren die Themen Slbstbestimmungsrecht und Sezession für Völkerrechtler wenig attraktiv, denn das Prinzip der Selbstbestimmung war sowohl rechtliche als auch moralische Basis der Dekolonialisierung. Das Recht auf Selbstbestimmung galt nur für Menschen die sich unter kolonialer, fremder oder rassistischer Herrschaft befanden. Für die Bevölkerung eines souveränen Staates mit einer Regierung galt dieses Recht dagegen nicht. Die Einschränkung erfolgte aus Angst, dass ein uneingeschränktes Selbstbestimmungsrecht zu einer Welle von Sezessionen oder Dismembrationen souveräner Staaten führen könnte. Hatte man sich bis zum Ende des Kalten Krieges mit der Anwendung des Prinzips der Selbstbestimmung in einem post-kolonialen Kontext kaum beschäftigt, wurde dieses Problem mit dem Zusammenbruch der Sowjetunion und Jugoslawiens 1991 plötzlich akut. Während
der Zusammenbruch der Sowjetunion zum größten Teil friedlich erfolgte und Moskau die Abspaltung ihrer Republiken letztendlich akzeptierte, verlief die Auflösung der Sozialistischen Föderativen Republik Jugoslawien (SFRJ) weitaus problematischer. Die Unabhängigkeitserklärungen Kroatiens und Sloweniens, sowie das massive militärische Vorgehen Jugoslawiens gegen den Abspaltungsversuch, stellten die internationale Gemeinschaft vor große militärische, politische und rechtliche Herausforderungen.
Inhaltsverzeichnis
Einleitung
Analyse der Stellungnahmen der Badinter-Kommission
Gutachten 1 – Sezession oder Auflösung?
Gutachten 2 – Selbstbestimmungsrecht
Gutachten 3 – Badinter Border Principles
Fazit
Literatur
Einleitung
Bis zu Beginn der 1990er Jahre waren die Themen Selbstbestimmungsrecht[1] und Sezession[2] für Völkerrechtler wenig attraktiv, denn das Prinzip der Selbstbestimmung war sowohl rechtliche als auch moralische Basis der Dekolonialisierung. Das Recht auf Selbstbestimmung galt nur für Menschen die sich unter kolonialer, fremder oder rassistischer Herrschaft befanden. Für die Bevölkerung eines souveränen Staates mit einer Regierung galt dieses Recht dagegen nicht. Die Einschränkung erfolgte aus Angst, dass ein uneingeschränktes Selbstbestimmungsrecht zu einer Welle von Sezessionen oder Dismembrationen souveräner Staaten führen könnte. Hatte man sich bis zum Ende des Kalten Krieges mit der Anwendung des Prinzips der Selbstbestimmung in einem post-kolonialen Kontext kaum beschäftigt, wurde dieses Problem mit dem Zusammenbruch der Sowjetunion und Jugoslawiens 1991 plötzlich akut. Während der Zusammenbruch der Sowjetunion zum größten Teil friedlich erfolgte und Moskau die Abspaltung ihrer Republiken letztendlich akzeptierte, verlief die Auflösung der Sozialistischen Föderativen Republik Jugoslawien (SFRJ) weitaus problematischer. Die Unabhängigkeitserklärungen Kroatiens und Sloweniens, sowie das massive militärische Vorgehen Jugoslawiens gegen den Abspaltungsversuch, stellten die internationale Gemeinschaft vor große militärische, politische und rechtliche Herausforderungen.[3]
Trotz der gewalttätigen Auseinandersetzungen auf dem Gebiet Jugoslawiens und der Ablehnung dieser Gewalt durch die USA und die Europäische Gemeinschaft (EG) unterstützen beide Akteure, unmittelbar vor und nach der Unabhängigkeitserklärung Sloweniens und Kroatiens im Juni 1991, zunächst die jugoslawische Einheit. So erklärten die USA im Mai 1991 „[we] will not encourage or reward secession; [we] will respect any framework, federal, confederal, or other, on which the people of Yugoslavia peacefully and democratically decide. We firmly believe that Yugoslavia's external or internal borders should not be changed unless by peaceful consensual means.”[4] Die Haltung der internationalen Gemeinschaft änderte sich nur sukzessive. So waren Deutschland und Österreich zwar bereit, den Slowenen und Kroaten ein Recht auf Selbstbestimmung zuzugestehen, aber anerkennen wollten sie die Republiken nicht. Grund dafür war nicht nur die Befürchtung, dass dies die Lage in Jugoslawien weiter destabilisieren könnte, sondern auch die restriktive Formulierung des Selbstbestimmungsrechts im Völkerrecht. Letztlich war jedoch allen Parteien klar, dass die Anerkennung beider Republiken rein politischen Maßstäben folgen musste und nicht durch das Völkerrecht diktiert werden konnte.
[...]
[1] Das Konzept des Selbstbestimmungsrechts der Völker hat seine Wurzeln in der amerikanischen Unabhängigkeitserklärung, der Französischen Revolution sowie im 14-Punkte-Programm Woodrow Wilsons von 1918. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde das Recht auf Selbstbestimmung in der VN-Charta unter Artikel 1 Ziffer 2 sowie Artikel 55 verankert und in Folge der Dekolonialisierung entwickelte es sich von einem Prinzip zu einem konkreten Recht. Generell unterscheidet man zwischen dem inneren und äußeren Recht auf Selbstbestimmung. Vgl. Schaller, Christian (2009): Sezession und Anerkennung. Völkerrechtliche Überlegungen zum Umgang mit territorialen Abspaltungsprozessen, SWP-Studie 33S. 14; Oeter, Stefan (1992): Selbstbestimmungsrecht im Wandel. Überlegungen zur Debatte um Selbstbestimmung, Sezessionsrecht und `vorzeitige` Anerkennung. In: Zeitschrift für Ausländisches Öffentliches Recht und Völkerrecht, 52, S. 744ff.
[2] Donald L. Horowitz definiert Sezession: „ [as] an attempt by an ethnic group claiming a homeland to withdraw with its territory from the authority of a larger state of which it is part of.” Horowitz, L. Donald (1992): Irredentas and Secessions: Adjacent Phenomena, Neglected Connections. International Journal of Comparative Sociology 33 (1-2), S. 119
[3] Hannum, Hurst: Self-Determination, Yugoslavia, and Europe: Old Wine in New Bottles? Transnational Law and Contemporary Problems, Vol. 57, 1993, S. 58f.
[4] Hannum, Hurst: Self-Determination, Yugoslavia, and Europe, S. 59.