Kreativität und Wahrheit - Möglichkeiten und Grenzen kreativer Zugänge beim Erschließen von erkenntnistheoretischen Texten
Zusammenfassung
In der sinnfälligen Parallelisierung der Verhältnisse von Kreativität / Wahrheit und Kunst / Philosophie wird ein Überblick über die sich inhaltlich kreuzenden didaktischen Fluchtlinien geschaffen und, entgegen der fachüblichen didaktischen Abgrenzung jener Denkweisen, eine Symbiose vorgeschlagen. […]
In der Sachanalyse wird ausgehend vom kantischen Erkenntnismodell gezeigt, dass Erkenntnisprozesse auf Aporien auflaufen, die die logische Begründbarkeit subversieren und somit immanent auf ästhetische Komponenten verweisen. Dabei wird das philosophisch ungelöste Problem der Selbstbezüglichkeit […] berücksichtigt und […] als Ausgangspunkt für die Materialanalyse angenommen. […]
Im thematischen Fokus zur Unterrichtsdurchführung zeigt sich, dass die fachliche Grundlage der […] Hausarbeit ein sehr weites Feld umfasst und zu entsprechenden Unterrichtsverläufen führt – von der Gottesfrage zur Frage nach der formalen Begründbarkeit von Wahrheit.
[Auszug aus dem Bewertungsgutachten.]
Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
Abkürzungsverzeichnis und Hinweise
1. Einleitung
2. Theoretischer Rahmen
2.1 Themaanalyse
2.2 Sachanalyse
2.3 Materialanalyse
3. Durchführung des Unterrichtsvorhabens
3.1 Zur Lerngruppe
3.2 Zu den Lernvoraussetzungen
3.3 Didaktische Überlegungen
3.4 Methodische Überlegungen
3.5 Thematischer Fokus zur Unterrichtsdurchführung
4. Reflexion und Auswertung
4.1 Zu den Zielen und Kompetenzen der Stunde
4.2 Zur Lerngruppe
4.3 Zum Lehrerverhalten
4.4 Zum verwendeten Material und den Aufgabenstellungen
4.5 Zum methodischen Vorgehen und zur Planung
5. Fazit
6. Anhang und Erklärung ab
Abkürzungsverzeichnis und Hinweise
[Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten][1]
Diese Arbeit wurde nach folgenden Regularien und Vorgaben angefertigt: APVO 2010, Studienseminar Celle für das Lehramt an Gymnasien, § 9 Anfertigung und Ausformung der schriftlichen Arbeit, Seminarleitung Studienseminar für das höhere Lehramt Celle vom September 2010, sowie für den Fachbereich: Werte und Normen durch Fachleiter Herr StR Dr. F., vom September 2011.
1. Einleitung
Die in der vorliegenden Arbeit thematisierte Doppelstunde führte ich im Fach Werte und Normen in einer Sekundarstufe II – zwölfte Kursstufe durch. Diesen Kurs unterrichte ich seit Februar 2011 eigenverantwortlich. Die zu betrachtende Doppelstunde fand am 13.Oktober 2011 in der achten und neunten Stunde [von 13:45 Uhr bis 15:20 Uhr] statt. Thema des Schulhalbjahres 2011/2012: Erkenntnistheorie.[2] Der Werte und Normen Unterricht in der zweiten Phase der gymnasialen Oberstufe ist vom Zugang zu philosophischen Fragen[3] – hier der Kantischen Frage der Erkenntnistheorie mit > Was kann ich wissen? < – gekennzeichnet. Dieses Teilgebiet der theoretischen Philosophie stellt den vordergründig rationalen Wissensbegriff sowie den Prozess des Erkennens – also die Frage nach der Wahrheit und Rechtfertigbarkeit von Wissen – in den Mittelpunkt der Betrachtung. Kant selbst fokussierte die Erkenntnisfrage dabei auf die Beweggründe der Erkenntnis: > Was sind die Bedingungen der Möglichkeit von Erkenntnis?<.[4] Die Schüler[5] dieses Kurses haben in den vorangegangenen Stunden epistemische Fachtexte schrittweise analysiert, strukturiert und hinsichtlich zuvor aufgeworfener Teilfragen [z.B. Warum zweifeln wir?] synthetisiert. Dabei wurde von den Schülern angemerkt, dass viele Texte doch sehr theoretisch seien und kaum Platz für Kreativität bieten. Daraus entstand die Idee, den Kreativitätsbegriff mit dem Wahrheitsanspruch des Wissensbegriffs zu verbinden. Kreativität ist nicht nur den Schülern dieses Kurses im Rahmen schulischer Bildung ein Bedürfnis, sondern ein Charakteristikum des Menschen – ein grundlegender Wesenszug des Homo sapiens.[6] Insbesondere hinsichtlich der Bewältigung von großen individuellen und gesellschaftlichen Herausforderungen[7] für die Heranwachsenden, ist Kreativität und systematisches Denken und Arbeiten von essentieller Bedeutung. Kreativität ist ein Schlüsselbegriff – fachübergreifend gar ein Kompetenzanspruch – der in Kunst und Kultur aber auch in Forschung und Wissenschaft die Basis für eine innovative und zukunftsträchtige Entwicklung darstellt. Jedoch erscheint Kreativität allein, bezogen auf erkenntnistheoretische Fragen, als nicht ein- bzw. abgrenzbar, kaum zu definieren und schwierig zu systematisieren. „ Wo sie sich zeigt, ist Kreativität elusiv, eine vertraute Fremde, eine schwer fassbare Freundin.“[8] Daher bedarf es der >Liebe zur Weisheit<, der Methodologie und des strukturierten Denkens, kurz der Philosophie. Erst dadurch kann der Begriff der Kreativität als erkenntnistheoretische Methodengrundlage für die Schüler erfahrbar (gemacht) werden. Auch die planerische Struktur der durchgeführten Doppelstunde sollte sich – betrachtet von einer Metaebene – auf die Synthese des Kreativitäts- mit dem Wahrheitsanspruchs des Wissensbegriffs beziehen. Die Schüler sollen im Werte und Normen Unterricht mit anspruchsvollen Texten (Primärquellen) konfrontiert werden, da der analytische Umgang mit solchen Texten wesentlich zum Verständnis des epistemischen Themenbereichs beitragen kann. Deshalb wich ich in der Planung von der traditionellen Stundendisposition ab und orientierte die Stundendurchführung am didaktischen Grundmodell von E. Martens et al.[9] auch >Bonbonmodell< genannt. Hieraus ergibt sich das Thema dieser Arbeit: Kreativität und Wahrheit – Möglichkeiten und Grenzen kreativer Zugänge beim Erschließen von erkenntnistheoretischen Texten. So sollen folgende sich ergebene Fragen bearbeitet werden: Welche Möglichkeiten kreativer Methoden bzw. Zugänge lassen sich für die Erschließung erkenntnistheoretischer Texte verwenden? Und ferner: An welche Grenzen stoßen diese kreativen Methoden?
2. Theoretischer Rahmen
2.1 Themaanalyse
In präskriptiver Betrachtung verhält sich m. E. Kreativität zur Wahrheit, wie Kunst zur Philosophie. Der offene Charakter des Kreativen, der sich nicht strukturieren lässt, fasziniert die Künstler. Sie wagen das Experiment, das häufig gesellschaftliche oder kulturelle Grenzen überschreitet, während die Philosophen im labyrinthischen Fuchsbau ihrer Gedankensysteme verharren.[10] Andererseits ist die Schwäche der Kreativität, dass sie sich per definitionem nicht begründen lässt, da sie sich wegen ihres spontanen Charakters nicht auf vorher bestehende (philosophische) Prinzipien stützen kann.[11] Doch bei genauerer Betrachtung offenbart sich ein Weg zur kreativen Idee, der auf die philosophische Methodik zurückgreift und diese ausformt. Durch Entdeckung, Reifung, Einsicht und Ausarbeitung[12], können kreativ-intuitive Ansätze, insbesondere im Unterricht, Quellen zündender Ideen sein. Auf der Suche nach Sinngebung im Leben dient Kreativität als normativer Pfeiler der Grundcharaktereigenschaften des Menschen. Kreativität fasst das produktive, imaginative, das originelle, erfindende und entdeckend divergente Verhalten zusammen. Erst dadurch entstehen neue Ideen zur Synthese bereits bestehender Begriffe, Fakten und Handhabungen.[13] Kreativität – aus dem Lateinischen creare (hervorbringen, erzeugen) – ist damit eine schöpferische Gabe und vielleicht die wichtigste Humanressource menschlicher Bestrebungen.[14] Eine allgemeingültige Definition kann es nicht geben.[15] Wesentlich ist jedoch, dass Kreativität eine Fähigkeit darstellt, neue Zusammenhänge aufzuzeigen und mögliche Problemlösungen zu offenbaren.[16] Eine m.E. ideale methodische Voraussetzung und Möglichkeit, das Themengebiet der Erkenntnistheorie zu betreten, analytisch zu erfassen und systematisch einzuordnen. Denn in der Erkenntnistheorie geht es um die zentrale Frage nach den empirischen und rationalen Möglichkeiten der Wahrnehmung dessen, was wir als Wissens und dessen Wahrheits- und Rechtfertigungsansprüche bezeichnen. Der Terminus >Kreativität< stellt in diesem Zusammenhang eine besondere Form der Dialektik von gezielter Kontrolle und sich selbst überlassenem Wahrnehmen und Denken dar.[17] Hierin erfolgt die Destruktion alter Ordnungen und Denkweisen zugunsten des Aufbaus einer übergreifenden Ordnung der Erscheinung und Kategorisierung der Dinge in der Welt. Wenn also das zielgerichtete rationale Denken und Handeln gelegentlich an Grenzen stößt, sich gar in Sackgassen verrennt, kann das produktiv-künstlerische Bewusstsein einen kreativen Ausweg darstellen.[18] Der Versuch einer methodischen Symbiose von Kreativität und Erkenntnistheorie scheitert oft bereits an dem Versuch einer schlüssigen Abgrenzung bzw. Definition. Dies verführt dazu, die Erkenntnistheorie als die reine Analytik und Systematik der Struktur ihres Gegenstandsbereiches zu verstehen und die Kreativität auf die elfenbeinturmartigen Kunstformen zu reduzieren. Daher muss sich der verwendete Kreativitätsbegriff im Rahmen dieses Stundenversuchs auf seine methodische Anwendungsmöglichkeit hinsichtlich des epistemischen Gehalts beschränken. Es ist eine große Herausforderung, das konvergente – logisch-analytische – Denken mit dem divergenten – assoziativ-emotionalen – Denken der Schüler zu verknüpfen.[19] Der offene Charakter des Kreativen, der sich nicht mit der systematischen und strukturierten Denkweise erfassen lässt, fasziniert Künstler und Philosophen zugleich.[20] Die Schöpfung aus dem Nichts – creatio ex nihilo – ist hier das leitende, beinahe biblische – Motiv beider Wissenschaften bzw. Tätigkeitsbereiche. Ist erst einmal eine kreative Idee geboren, kann sie mithilfe philosophischer Methoden – gewissermaßen mäeutisch – zu erkenntnistheoretischen Höhenflügen ansetzen. Insofern war es Aufgabe der Schüler herauszufinden, mit welchen kreativ-intuitiven Methoden Wahrheit und Wissen anhand eines erkenntnistheoretischen Textes begründet werden können, um die Stundenfrage nach den Grenzen der Begründbarkeit von Wahrheit und Wissen herauszustellen und somit der Erkenntnis der Dinge auf die Spur zu kommen.
2.2 Sachanalyse
Die Erfahrung ist der uns vorgesetzte Lehrer, der uns lehrt was ist[21], nicht aber, dass es nicht auch anders sein könnte – wir uns also täuschen könnten. Erfahrung bildet damit die Grundlage empirischer Erkenntnisse als aposteriori[22], die z.B. zur Formulierung von Naturgesetzen führen können. Um jedoch empirische Ergebnisse einzuordnen, zu strukturieren und eine innere Logik erkennen zu lassen, bedarf es der rationalen Fähigkeit des Menschen[23], eine Vorstellung über die Dinge in der Welt mit seinem Verstand apriori[24] (ohne jede Erfahrung) zu denken.[25] Sodann sind die Voraussetzungen geschaffen, dass eine bewusste und wahre Vorstellung der Welt, die uns umgibt, zu erhalten, diese zu bestimmen und zu belegen bzw. zu beweisen. Erkenntnis ist dabei Ergebnis und Prozess zugleich.[26] Wollen wir nunmehr – bezogen auf einen erkenntnistheoretischen Umstand – von Wissen sprechen, so müssen jene getätigten Aussagen gerechtfertigt, wahr und der Glaube eines Individuums sein.[27] Wissen ist somit begründete, begründbare – und insofern auch wahre – Erkenntnis. Doch zeigt der (cartesische) Skeptizismus, dass selbst diese plausibel klingende Erklärung zur Begründbarkeit von Wahrheit und Wissen recht zügig aus der Bahn geworfen werden kann, wenn das agrippische Trilemma[28] eingeführt wird.[29] Im deutschen Sprachraum entwickelte sich aus diesem antiken Agrippa-Trilemma das >Münchhausentrilemma<.[30] Wird dieser radikale Skeptizismus angewandt, soll gezeigt werden, dass der Mensch letztlich kein wirkliches Wissen besitzen kann und somit der Versuch einer Begründung von Wahrheit und Wissen ins Leere laufen muss. Die Grundargumente befinden sich in den Aussagen, dass Erstens: die Rechtfertigung von (wahrem) Wissen in einem infiniten Regress enden könnte. Dieser Umstand führt – mithilfe der essentiellsten Frage des Warums – von einer Begründung zur nächsten – ohne dabei zu einem argumentativen Ende zu kommen. Zum Zweiten kann der Rechtfertigungsversuch in einem Zirkel enden, indem eine bereits argumentativ angebrachte Überzeugung erneut aufgenommen wird. Dadurch ist keine abschließende Begründung möglich, da sich die genannte Begründung immer wieder aus sich selbst bezieht. Letztlich bleibt die dritte Möglichkeit in die skeptische Rechtfertigungsfalle zu tappen, indem ein Dogma aufgestellt wird. Hierin wird die Begründung bzw. der Rechtfertigungsversuch abgebrochen[31] – z.B. durch die Einführung eines göttlichen Arguments.[32]
2.3 Materialanalyse
Zur Hinführung wählte ich eine Illustration des Barons von Münchhausen mit einer ergänzenden Kurzgeschichte.[33] Grund hierfür war nicht nur der literarische Bezug als Kulturgut des deutschsprachigen Raumes, sondern auch die dahinterstehende durchaus kreative und phantastische Idee des Barons, sich mit der Stärke seines Armes an seinem eigenen Haar samt Pferd auf dem Sumpf zu ziehen. Für die Phase der selbstgesteuerten kreativ-intuitiven Lösungssuche standen dann folgende Methoden zur Auswahl: I: Bisoziation, II: Walt-Disney-Methode, III: Methode 635, IV: Freewriting, V: Scamper und VI: Brainwriting Pool. Die Methode IV: Freewriting wurde nicht von den Schülern gewählt, da dies einen höheren Arbeitsaufwand bedeutet hätte, und im Vergleich zu den anderen kreativ-intuitiven Methoden kein >Materialinput< vorlag.[34] Bei der Wahl der Kreativitätstechniken orientierte ich mich an den aktuell angewandten Methoden aus der Praxis wissenschaftlicher und wirtschaftlicher Einrichtungen. Für das philosophische Arbeitsmaterial[35], das nach der kreativ-intuitiven Arbeitsphase von den Schülern analysiert wurde, wählte ich einen Text, der die Begründbarkeit von Wahrheit und Wissen anhand der skeptischen Einwände des Münchhausen-Trilemmas verdeutlicht. Gerhard Ernst[36] lieferte hierzu die Textbasis. Da dieser Text das Trilemma deduktiv vorstellt und die Schüler zuweilen Schwierigkeiten haben diese Textart zügig zu bearbeiten, entschied ich mich für einen eher induktiven Text. So wird anhand des > (ir)realen Tischs< der infinite Regress, der Zirkel und das Dogma als Möglichkeiten der wahrheitsgemäßen Rechtfertigung von Wissen in Form eines Autorentextes beschrieben und erklärt.
3. Durchführung des Unterrichtsvorhabens
3.1 Zur Lerngruppe
Die Lerngruppe dieses Kurses besteht aus 14 Schülerinnen und acht Schülern. Das Leistungsniveau ist mit befriedigend zu bewerten. Die Lehr- und Lernatmosphäre ist jedoch angenehm ruhig, kooperativ und vom Bedürfnis nach kreativen Ideenumsetzungsmöglichkeiten angereichert. Es erweist sich für die Lerngruppe als problematisch, dass die Stundenfragen oftmals von einzelnen Schülern auf ein Abstraktionsniveau gebracht werden, dass andere Schüler der Lerngruppe nicht folgen können. Die Schüler scheuen sich nicht davor, philosophische Texte systematisch zu analysieren und zu strukturieren, dennoch fällt es vielen schwer, diesen relativ hohen Denk- und Arbeitsaufwand kontinuierlich durchzuhalten. Auch ist es für viele Schüler der Lerngruppe problematisch, ein Thema oder Wissensgegenstand deduktiv wahrzunehmen und zu analysieren, was die Bedeutung eines induktiven Zugangs, z.B. durch lebensweltnahe Beispiele aus kreativ-intuitiven Arbeitsprozessen, forciert. Doch besonders in Bezug auf Beurteilungsaufgaben in der Vertiefung und Diskussion eines Sachverhaltes, sind hoch motivierte Schülermeldungen und viele empirisch-naturwissenschaftliche Qualitätsbeiträge zu verzeichnen. Die Schüler können mit den wesentlichen Operatoren des Werte- und Normenunterrichts umgehen und gewinnbringende Fragen formulieren. Die Schüler sind, bezogen auf das Themengebiet der Erkenntnistheorie, sehr neugierig, lassen sich gern überraschen und können sich in unterschiedliche Perspektiven und Argumentationen hineinversetzen. Hinsichtlich der methodischen Kompetenzen kennen die Schüler die meisten in dieser Stunde verwandten kreativ-intuitiven Methoden nicht, was den Arbeitsprozess zunächst entschleunigt aber auch ein hohes motivationales Moment darstellt. Die konservativen Methoden der philosophischen Textanalyse sowie die kritische Diskussion sind den Schülern ebenso bekannt, wie die Sozialform der Zusammenarbeit in kleinen und größeren Gruppen.
3.2 Zu den Lernvoraussetzungen
In den vorangegangenen Stunden lernten die SuS durch philosophische Rätsel, Experimente und praktischen Anschauungen die Grenzen der sinnlichen Wahrnehmung des Menschen kennen. So sensibilisiert, analysierten sie Texte Rene Descartes zum >cogito sum< als auch die Annahme eines bestehenden >Apriori< und >Aposteriori< als Methode der Erkenntnistheorie nach Immanuel Kant. Auch die Prinzipien einer möglicher Definition von Wissen sind den Schülern durch den GWG (gerechtfertigt, wahren Glauben) anhand von Beispielen aus der Fachliteratur bekannt. Weiterhin stellten die Schüler in Referaten zum naiven Realismus, Empirismus, Rationalismus und Skeptizismus ihr Können hinsichtlich der Organisation von Gruppenreferaten, inhaltlich-fachlichen Recherche und kritischen Reflexion erkenntnistheoretischer Ansätze und Beispiele weitestgehend erfolgreich unter Beweis. Die Doppelstunde der schriftlichen Hausarbeit gliedert sich in das Halbjahresthema der Erkenntnistheorie wie folgt ein:
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
3.3 Didaktische Überlegungen
Die Durchführung der Doppelstunde orientiert sich am didaktischen Bonbonmodell nach E. Martens, H. Roth und R. Sistermann.[37] Hierzu stellte zunächst das Formulieren einer problematisierten und der Lebenswelt der Schüler entlehnten erkenntnistheoretischen Frage (z.B. Wie lassen sich wahre Aussagen verifizieren?) einen ersten Arbeitsschritt dar. Somit wurden die Schüler für das Thema und entsprechender kritischer Fragen sensibilisiert. Durch diesen selbstgesteuerten Lernprozess hatten sie die Möglichkeit, kreativ-intuitive Lösungen und erste Antworten zu formulieren, ohne überfordert zu werden. Die Neugierde und das Explorationsverhalten der Schüler wurden somit stimuliert. Erst in einer anschließenden kontrollierten Problemlösungsphase verglichen die Schüler ihre kreativ-intuitiven Antworten mit den Ideen des Arbeitsmaterialtextes: Der (ir)reale Tisch. So konnte die Hemmschwelle zur Analyse von erkenntnistheoretischen Texten und philosophisch relevanten Materialien gesenkt, das Interesse geweckt, ein methodisches Können (Analyse und Interpretation des Textes) trainiert, und die abschließende kritische Beurteilung forciert werden. Dieses didaktische Grundmodell dient, im Rahmen der Betrachtungen zu dieser Stunde, der Einordnung der gewählten kreativ-intuitiven Methoden und ist somit nicht selbst Gegenstand der Betrachtungen dieser Arbeit. Gerechtfertigt wird die Wahl dieses Modells durch die Immanenz selbstgesteuert-intuitiver Problemlösungsstrategien, im Sinne des oben beschriebenen Kreativitätsbegriffs. Auch bietet dieses didaktische Modell einen entwicklungspsychologischen Verknüpfungspunkt zwischen dem für den Werte und Normen Unterricht wesentlichen deduktiv-formalen und dem induktiv-kritischen Denken. In der didaktischen Reduktion ist es wesentlich, dass es nach skeptischen Maßstäben kein wirkliches Wissen mit Allgemeingültigkeitsanspruch geben kann. Somit läuft jeder Rechtfertigungsversuch von Wahrheit und Wissen ins Leere. Die Gründe hierfür liegen darin, dass ein Rechtfertigungs- bzw. Begründungsversuch in einem infiniten Regress, einer zirkulären Argumentation oder in einem dogmatischen Abbruch enden muss. Somit ist die mit den kreativ-intuitiven Methoden bearbeitete Frage von Interesse, ob und wie Wahrheit und Wissen überhaupt bewiesen werden können. Das lernzielorientierte Zentrum der Stunde kann wie folgt beschrieben werden: Die Schüler können neue Kreativitätstechniken zur Erschließung von erkenntnistheoretischen Inhalten am Beispiel des Münchhausen-Trilemmas anwenden, erläutern Gründe dafür, warum es keinen privilegierten Zugang zu Wahrheit und Wissen geben kann und vergleichen ihre intuitiv-kreativen Ideen mit den Arbeitsergebnissen der hermeneutischen Textanalyse, um dann die alltägliche Relevanz im Umgang mit Wissen und Wahrheit zu beurteilen. Die Sach- und Analysekompetenz für diese Stunde bezieht sich auf die Möglichkeiten zur Begründung von Wahrheit und Wissen. Die Schüler erläuterten anhand des Münchhausen-Trilemmas die Gründe, warum es keinen privilegierten Zugang zu Wahrheit und Wissen geben kann. Im methodischen Fokus zählt es zu den Kompetenzen der Schüler, neue Kreativitätstechniken zur Erschließung von erkenntnistheoretischen Inhalten anzuwenden und diese mit der kontrollierten Textanalyse zum Münchhausen-Trilemma zu vergleichen. In der Urteilskompetenz bewerteten die Schüler die angewandten kreativ-intuitiven Methoden hinsichtlich ihrer praktischen Einsetzbarkeit und des Erkenntnisgewinns aus dem Vergleich mit einer philosophischen Textanalyse. Zudem beurteilten die Schüler die Kernaussagen zum Münchhausen-Trilemma hinsichtlich der alltäglichen Relevanz im Umgang mit Wissen und Wahrheit. In entwicklungspsychologischer Hinsicht befinden sich die Lernenden des zwölften Jahrgangs in der ausgehenden mittleren Adoleszenz.[38] Wesentlich für die Entwicklung des Jugendlichen zum Erwachsenen ist die Zunahme des hypothetisch-deduktiven Denkens aber auch die Entfaltung des autonomen und kritischen Denkens.[39] Besonders durch neuartige Reizsetzungen, wie z.B. das Einführen neuer noch unbekannter kreativ-intuitiver Methoden, kann eine Erwartungsdiskrepanz bei den Schülern ausgelöst werden, die ein anhaltendes Interesse und ein hohes Maß an intrinsischer Motivation hervorzurufen vermag.[40] Durch solche Exploration des erkenntnistheoretischen Themenbereichs, z.B. mithilfe der neuen kreativ-intuitiven Methoden, wird ein kumulatives Lernen[41] möglich, um die Schüler so mit deduktiven Denkweisen zu konfrontieren. Weiterhin ist die Herausbildung individuell kritischer Denkpositionen im Kontext von Gruppenarbeitsprozessen hervorzuheben, da diese der Identitätsbildung dienen. Hierin spielen die sozialen Beziehungen sowie die zukunftsorientierten Pläne und Zielsetzungen eine zentrale Rolle.[42] Eine kritische Reflexion und Begründung der eigenen Ziele und Sichtweisen, vor dem Hintergrund was die Schüler zu wissen glauben, ist dabei sowohl Anspruch als auch Inhalt erkenntnistheoretischer Fragestellungen. Kreativ-intuitive Methoden verhelfen dem Individuum, seinen Standpunkt zu artikulieren, zu reflektieren und anderen Entitäten zu offenbaren, um selbst entscheiden zu können, was für ein Mensch es sein will und welche Art von Beziehungen es haben möchte.[43]
3.4 Methodische Überlegungen
In der Phase der Hinführung beschrieben und interpretierten die SuS zunächst die Abbildung des Barons von Münchhausen und formulierten, mithilfe einer ergänzenden Kurzgeschichte zur Abbildung, die problemorientierte Frage nach den Grenzen der Begründbarkeit von Wahrheit und Wissen. Implizit oszillierten hierin zwei Fragen mit: zum einen wird nach den grundsätzlichen Möglichkeiten der Begründbarkeit von Wissen und Wahrheit gefragt und zum anderen werden die Grenzen solcher Begründungsversuche prinzipiell-intuitiv angenommen. Intuitiv ahnten die Schüler bereits, dass solche Grenzen vorhanden sind und nunmehr kenntlich gemacht werden sollten. Für die selbstgesteuert intuitive Lösungssuche erhielten die Schüler eine Auswahl >kreativ-intuitiver< Methoden, um sich in fünf Gruppen zusammenzufinden und ihren kreativen Ideen Gestalt zu geben. Da die Stundenfrage bereits bekannt war, die Schüler jedoch in einem relativ kurzen Zeitraum kreative Ideen entwickeln sollten, wählte ich solche >kreativ-intuitiven< Methoden aus, die den Schülern größtenteils unbekannt waren. Dies hatte den Vorteil, dass die Neugierde und das Interesse der Schüler an diesen Methoden entsprechend hoch waren. Als Grundlagenmaterial erhielten die Schüler in ihren Gruppen die Kurzbeschreibungen zur Umsetzung der jeweiligen Kreativtechnik und etwaige Hilfsimpulse zur Anregung kreativer Denkprozesse (z.B. eine Bilderreihe für die Methode Bisoziation). Die gemeinhin selbstverständliche Hilfestellung durch die Lehrkraft konnte hier nicht in der gewohnten Weise erfolgen, da anderenfalls der kreativ-intuitive Ideenentwicklungsprozess – im Sinne des Kreativen – kontraproduktiv gewesen wäre. In der Phase der angeleitet kontrollierten Lösung verglichen die Schüler ihre kreativ-intuitiven Arbeitsergebnisse der Kreativtechniken mit der philosophischen Textanalyse zum Arbeitsmaterial >Der (ir)reale Tisch<. Kurz: das divergente wurde mit dem konvergenten Denken abgeglichen.[44] Dabei konnte festgestellt werden, dass einige Schüler (z.B. Lennart, Hendrik, Talissa u.a.) zu den gleichen oder sehr ähnlichen Schlussfolgerungen kamen, wie es der philosophische Autorentext in seinem Erkenntnisziel anstrebte. In der Festigungsphase verglichen die Schüler ihre kreativ-intuitiven Arbeitsergebnisse mit den Ergebnissen der Textanalyse und stellten somit Unterschiede aber auch Gemeinsamkeiten fest. Durch diesen Vergleich wurde den Schüler nicht nur bewusst, dass es keinen privilegierten Zugang zur Wahrheit und zur Rechtfertigung von Wissen geben kann. Die Schüler stellten insbesondere durch die >kreativ-intuitiven< Methoden fest, dass eine Letztbegründung von Wissen und Wahrheit zwangsläufig scheitern muss – sowohl rein logisch, als auch intuitiv.[45] In der abschließenden Transferphase und Phase der Stellungnahme überprüften die Schüler die >kreativ-intuitiven< Methoden kritisch. Dabei fokussierten sie ihr intuitives Bachgefühl zur Stundenfrage und stellten eine grundsätzliche Übereinstimmung mit der Aussage fest, dass die Bemühung um eine Letztbegründung von Wahrheit und Wissen ins Leere laufen muss. Die >kreativ-intuitiven< Methoden halfen dabei, spontane Ideen und Denkmuster als Arbeitsergebnis einer Gruppe festzuhalten.
3.5 Thematischer Fokus zur Unterrichtsdurchführung
Die von den Schülern aufgestellte Stundenfrage nach der Beschreibung und Interpretation der Münchhausen-Trilemma-Abbildung war, ob und wie Wahrheit und Wissen überhaupt bewiesen werden können. Die Auswahl der >kreativ-intuitiven< Methoden[47] durch die Schüler erfolgte nach intuitiven Maßstäben der Neugierde und des geweckten Interesses. Die Schüler ermittelten in der kreativen Arbeitsphase, dass z.B. das Göttliche mit der Wahrheit gleichzusetzen sei. Denn der Inhalt religiöser Schriften und Gott selbst könne in dieser Interpretation nicht angezweifelt werden, da Gott allmächtig sei und Regeln sowie Gesetze vorgebe. Insofern erarbeiteten sich die Schüler durch die >kreativ-intuitive< Methode bereits einen dogmatischen Grund für den Fehlschlag eines Rechtfertigungsversuchs von Wahrheit und Wissen: Gott bzw. der Glaube an Gott.[48] Doch selbst wenn Gott dogmatisch als letztes Argument angeführt wird, sind sich die Schüler – in skeptischer Manier – nicht ganz sicher, ob nicht Gott selbst die Wahrheit verschleiern könnte (vgl. Täuschergottprinzip bei Rene Descartes).[49] Selbst wenn es eine objektive Wahrheit geben könnte, wäre diese nur durch die Befragung von Mitmenschen verifizierbar. Auch ein möglicher Rechtfertigungsversuch hängt dann von den übereinstimmenden Meinungen und Äußerungen der Menschen ab.[50] Dadurch könnte – in einer Weiterführung dieses Gedankens – ein infiniter Regress entstehen. Denn der einzelne Mensch verweist auf andere Menschen und diese dann wieder auf andere, um die sich stetig wiederholende Frage nach dem Warum (hier nach den Begründungs- und Beweismöglichkeiten von Wahrheit und Wissen) letztlich doch nicht beantworten zu können. Auch diskutierten die Schüler auf einer Metaebene, ob es denn überhaupt eine absolute Wahrheit geben könne und dass diese nicht mit einer einzelnen, einfachen Methode entdeckt bzw. erforscht werden könne. Hieraus generierten sie die problematisierende Frage danach, ob für die Wahrnehmung der Welt und der Erkenntnis einer möglichen Wahrheit überhaupt Beweise notwendig sind. Hier hinterfragten die Schüler den erkenntnistheoretischen Standpunkt des Skeptizismus und näherten sich einer lebensweltbezogenen Praxis im Umgang mit Rechtfertigungsmöglichkeiten und deren Tücken an.[51] Wahrheit sei demnach nur mit empirischen Daten belegbar und mit den eigenen – subjektiv-individuellen[52] – Sinnesorganen erfassbar. Die Rechtfertigung sei damit Sache des Individuums und würde so von einem objektiven Anspruch befreit.[53] Andererseits könne die Wahrheit ein Konglomerat der vielen verschiedenen Wahrheiten der Menschen sein[54], was den Rechtfertigungs- und Begründungsversuch obsolet werden ließe, da sich die Wahrheitsbegründung in den Rechtfertigungsaussagen auf sich selbst rekurriere und somit einen argumentativen Zirkel entstehen ließe.[46]
4. Reflexion und Auswertung
4.1 Zu den Zielen und Kompetenzen der Stunde
Werden die Lernziele der Stunde zusammenfassend einer Betrachtung unterzogen, kann festgestellt werden, dass die >kreativ-intuitiven< Methoden durchaus dazu beigetragen haben, für die Schüler offen zu legen, dass es keinen privilegierten Zugang zu Wahrheit und Wissen durch einen einzelnen >Königsweg< im Denken geben kann. Es erscheint mir als wichtigste Kompetenzerweiterung der Schüler durch diese Stunde, dass sie gegenüber sowohl deskriptiven als auch präskriptiven Äußerungen und Informationen eine relativ-skeptische Position einnehmen und kritische Fragen stellen, ohne dass sie sich z.B. in einen infiniten Regress oder in einem argumentativen Zirkel verstricken oder gar einen Rechtfertigungsversuch von Wahrheitsansprüchen und Wissen dogmatisch abbrechen. Die individuell-kreativen Ideen der Schüler führten jedoch zu Schwierigkeiten hinsichtlich eines Vergleichs dieser Arbeitsergebnisse mit der Analyse des erkenntnistheoretischen Grundlagenmaterials zum (ir)realen Tisch. Der Transfer der wesentlichen Inhalte der eigenen kreativen Ideen auf die ins Leere laufenden Begründungsmöglichkeiten von Wahrheit und Wissen, gelang nur mit kleinschrittigen und zeitlich sehr kurz gefassten Impulsen in der Auswertung. Zwar ergaben das Arbeitsmaterial der Schüler sowie ein konkretes Nachfragen, dass die Schüler durchaus diese Erkenntnisse im Rahmen alltäglicher Relevanz zum Umgang mit Wissen und Wahrheit beurteilten, jedoch wurde dies nur ungenügend am Ende der Stunde Gegenstand des Unterrichtsgesprächs. M.E. ist es einem Großteil der Schüler nicht gelungen, aus der Durchführung neuer >kreativ-intuitiver< Methoden die wesentlichen erkenntnistheoretischen Inhalte des Münchhausen-Trilemmas zu antizipieren. Jedoch zeigt die Materialanalyse, dass dies durchaus möglich gewesen wäre, wenn deutlich mehr Zeit sowohl für den kreativen Arbeitsprozess als auch für die Auswertung der neuen Kreativitätstechniken zur Verfügung gestanden hätte. Zudem ist es eine wesentliche Erkenntnis für mich, etwaige neue Methoden zunächst gemeinsam zu besprechen und einmal >durchzuspielen<, bevor der eigentliche Arbeitsprozess beginnt. Dem steht jedoch das kreative Moment entgegen, das bereits bei solchen Vorübungen aufgebraucht werden könnte. Die Arbeitsergebnisse wären dann weniger kreativ-intuitiv und stark durch die Vorübung geprägt. In Anbetracht der methodischen Kompetenzschulung war diese Stunde für die Schüler eine gute und m.E. wichtige Übung. Sie lernten neue Methoden kennen, die insbesondere außerhalb der Schule Anwendung finden (z.B. in der kritischen Reflexion eigener Urteile). Auch lernten sie die Individualität als Grundbedingung für Kreativität kennen, wenn sie ihre Arbeitsergebnisse miteinander verglichen und in ihrer Gruppe zu gemeinsam formulierten Ergebnissen kamen. Die Zusammenarbeit im kreativen Arbeitsprozess erforderte eine effektive Kommunikation, sowie eine perspektivische Übernahme, um die Ideen des Gegenübers einordnen, verstehen und weiterentwickeln zu können.[55]
4.2 Zur Lerngruppe
Der Lerngruppe zeigte sich in der kreativ-intuitiven Arbeitsphase als sehr konstruktiv, kollegial, neugierig und interessiert. Zwar wählten die Schüler nicht die kreativ-intuitive Methode des Freewriting aufgrund eines vermuteten höheren Arbeitsaufwands, jedoch arbeiteten sie an den verbleibenden Methoden sehr engagiert zusammen. Die Arbeitsteilung in den Gruppen erfolgte zügig, da den Schülern bewusst war, dass 30 Minuten Bearbeitungszeit für eine kreative Arbeit sehr wenig sind. Einige Schüler mit einem sehr ausgeprägten individuellen und selbstbewussten Verhalten drängten andere, eher zurückhaltende Schüler, in den Gruppenhintergrund und übernahmen somit die Führungsrolle der Gruppe (z.B. in der Gruppe um L. für die Walt-Disney-Methode). Gruppenmitglieder, wie z.B. F., konnten ihre Kreativität nicht voll entfalten und ihre Ideen darstellen. Für eine erneute Arbeit mit kreativ-intuitiven Methoden sollte darum künftig auf eine ausgewogene Zusammensetzung der Gruppe geachtet werden. Denn zumeist verhelfen nur Gruppen mit kreativen Persönlichkeiten und organisatorischen Talenten zu neuen Ideen, da kreative Menschen oft als egozentrisch und gar zynisch von anderen wahrgenommen werden[57] und organisatorische Menschen eher eine Art rationalen Ruhepol darstellen. Weiterhin braucht Kreativität unkonventionelle und vielleicht auch verstörend-verrückte Ideen, um qualitativ Neues zu entdecken bzw. zu erstellen. In einem Gruppenarbeitsprozess könnten Hemmschwellen vorhanden sein, die die Schüler hindern, offen ihre Ideen mitzuteilen, da dies immer auch eine charakterliche Offenlegung gegenüber anderen mit sich bringt. Da die Schüler untereinander zwar freundlich und höflich auftreten, aber auch sehr leistungsorientiert und berechnend sind, kann in einem offenen kreativ-intuitiv-spontanen Austauschprozess die Gefahr der sozialen Abgrenzung Einzelner bestehen. Denn gerade die kreativen Menschen gelten als sehr empfindsam, feinfühlig und bisweilen zartbesaitet.[58] Insofern wäre es hinsichtlich des individuell-kreativen Anspruchs konsequent, in einer ersten Arbeitsphase jeden Schüler für sich allein arbeiten zu lassen, um dann erst in einer zweiten Phase einen gruppenorientierten Austausch anzustreben.[56]
4.3 Zum Lehrerverhalten
Die Lerngruppe nahm mich auch in dieser Stunde als Lehrkraft mit hohen Ansprüchen wahr und erkannte meine Rolle im Unterrichtsgeschehen an, was an der konstruktiven Mitarbeit in allen Phasen der Stunde sichtbar wurde. Trotz der für die Schüler ungewohnten Aufgabe, sich mit neuartigen – ihnen unbekannten – >kreativ-intuitiven< Methoden zu befassen, arbeiteten die Schüler gut mit und beteiligten sich rege am Unterrichtsgeschehen. In dieser Stunde gab es einen zentralen Schwerpunkt im Hinblick auf mein eigenes Lehrerverhalten. Dieser betraf die Förderung der Kompetenz, Äußerungen und Informationen mit einer relativ-skeptischen Position und kritischen Fragen zu begegnen. Dies ist insofern gelungen, als dass die Schüler eben diesen skeptischen Standpunkt zum Ende der Stunde einnahmen und selbst die Anwendung der >kreativ-intuitiven< Methoden kritisch reflektierten. So erfolgte die Kritik nicht nur hinsichtlich der Infragestellung von Rechtfertigungs- und Begründungsversuchen mit Allgemeingültigkeitsanspruch (z.B. durch dogmatisch-religiöse Texte), sondern auch auf einer Metaebene – bezogen auf die Relevanz und Grenzen der >kreativ-intuitiven< Methoden. Hier kritisierten die Schüler, dass die Ergebnisse aus den >kreativ-intuitiven< Methoden auch mit einer schülerorientierten Diskussionsrunde hätten erbracht werden können. Aus didaktischer Sicht hätte ich die Durchführung der Methoden zuvor mit den Schülern üben sollen, was ich jedoch aufgrund des spontan-kreativ-intuitiven Anspruchs nicht vollzog. Zwar habe ich mit allen >kreativ-intuitiven< Methoden persönliche Erfahrungen sammeln können. Doch zeigte sich, dass der Transfer in die schulische Umgebung zeitliche und organisatorische Schwierigkeiten erzeugte. Ich hätte in der Beschreibung der Methoden darauf achten sollen, dass viele Schüler dieser Lerngruppe in ihrem Lernverhalten sehr bildorientiert sind und Zeit brauchen, sich auf die neuen >kreativ-intuitiven< Methoden einzulassen. Im hohen Erwartungsbild meinerseits an die Lerngruppe liegt auch die Ursache, dass ich mit positiven Rückmeldungen sehr sparsam umgegangen bin. Hier hätte ich verstärkt auf ein differenziertes Lob – insbesondere gegenüber den stillen und leistungsschwächeren Schülern setzen müssen. Denn gerade kreative, aber eher zurückhaltende Schüler – wie z.B. S., A. oder M. wurden nicht primär zur Präsentation, zum Vergleich mit dem erkenntnistheoretischen Text und in der Reflexion der Methoden herangezogen und gelobt, obwohl ihre Ideen und Arbeitsergebnisse nachweislich lobadäquat waren. Hinsichtlich der erkenntnistheoretischen Textanalyse in der Phase der angeleiteten Problemlösung, konnte ich die Ergebnisse der Arbeit der letzten Monate – im Umgang mit philosophischen Texten – mit Zufriedenheit zur Kenntnis nehmen. Die Textanalyse erfolgte zügig, hinreichend begründet, unter Bezugnahme von Zeilenangaben und unter Berücksichtigung der fachlichen Operatoren. Doch insbesondere in der Phase der Stellungnahme durch die Schüler hätte ich deutlich mehr Zeit für alle Gruppen einplanen müssen. So wertete die Gruppe zur Methode der Bisoziation ihre Ergebnisse in ca. zwei Minuten aus, während die Gruppe zur Scampermethode mehr als sieben Minuten Reflexionszeit bekamen. Ein ausgewogenes Mehr an Zeit hätte vermutlich zu einer noch effektiveren Reflexion innerhalb der Gruppen geführt. Hier wurde auch deutlich, dass ich einige Schüleräußerungen unnötig kommentierte und – angespornt durch die fortgeschrittene Zeit – selber einige Schlussfolgerungen zur Reflexion über die >kreativ-intuitiven< Methoden vorwegnahm. Daher wurde auch eines meiner größten Probleme in der Unterrichtsdurchführung offenbar: Mein hoher Redeanteil – insbesondere in den Phasen der Auswertung, Vertiefung und kritischen Reflexion.
[...]
[1] Für den Anhang gilt eine neue Seitenzahlvergabe.
[2] Vgl. Die Frage nach Quellen, Möglichkeiten und Grenzen der Erkenntnis, in: RRL für das Gymnasium – gymnasiale Oberstufe in Niedersachsen, Fach: Werte und Normen, Hannover 2004, S. 57f..
[3] Vgl. §128 Unterricht Werte und Normen, Abs. II S. 1, NSchG, in: Bräth, Peter / Eickmann, Manfred / Galas, Dieter: Niedersächsisches Schulgesetz, Praxishilfen Schule – Kommentar, 7. Auflage, Köln 2012, S. 454.
[4] Vgl. Kant, Immanuel: Kritik der reinen Vernunft, Hamburg 1998, Vorwort [AXXI].
[5] Im Folgenden wird für Schülerinnen und Schüler das generische Maskulinum verwendet.
[6] Vgl. Weiß, Bertram: Das Atelier im Kopf, in: Geo-Kompakt – Thema: Intelligenz, Begabung, Kreativität, Nr. 28, Hamburg 2011, S. 122.
[7] Vgl. Abel, Günter: Kreativität, XX. Deutscher Kongress für Philosophie, Kolloquiumbeiträge, Berlin 2005, S. 15.
[8] Ebenda, S. 19.
[9] Vgl. Martens, Ekkehard: Methodik des Ethik- und Philosophieunterrichts – Philosophieren als elementare Kulturtechnik, 2. Auflage, Hannover 2005.
[10] Vgl. Halmer, Nikolaus: Philosophie und Kreativität, XX. Deutscher Kongress für Philosophie, Wien 2005, auf: http://sciencev1.orf.at/science/news/141143; abgerufen am: 11.10.11.
[11] Vgl. Aubenque, Pierre: Redebeitrag zum XX. Deutschen Kongress für Philosophie, Wien 2005, auf: http://sciencev1.orf.at/science/news/141143; abgerufen am: 11.10.11.
[12] Vgl. Heinelt, 1971, in: Eid, K. / Langer, M. / Ruprecht, H.: Grundlagen des Kunstunterrichts, 6. Auflage, Paderborn et al. 2002, S. 168f..
[13] Vgl. Eid, K. / Langer, M. / Ruprecht, H.: Grundlagen des Kunstunterrichts, 6. Auflage, Paderborn et al. 2002, S. 161.
[14] Vgl. Weiß, Bertram: Das Atelier im Kopf, […], 2011, S. 120f..
[15] Vgl. ebenda, S. 122.
[16] Vgl. Wollschläger, 1972, S. 11, in: Eid, K. et al..: Grundlagen des Kunstunterrichts, […], 2002, S. 163.
[17] Vgl. Lantermann, 1992, S. 79, in: Eid, K. et al.: Grundlagen des Kunstunterrichts, […] 2002, S. 163.
[18] Vgl. Welsch, Wolfgang: Kreativität durch Zufall, Das große Vorbild der Evolution und einige künstlerische Parallelen, in: Philosophie und Kreativität, XX. Deutscher Kongress für Philosophie, Kolloquiumbeitrag, Hamburg 2006, S. 1185.
[19] Vgl. Oerter, Rolf / Montada, Leo (Hg.): Entwicklungspsychologie, 6. Auflage. Weinheim / Basel 2008, S. 792.
[20] Vgl. Abel, Günter: Kreativität, XX. Deutscher Kongress für Philosophie, […], 2005.
[21] Vgl. Kant, Immanuel: Grundlegung zur Metaphysik der Sitten, S. 116.
[22] Vgl. ders.: Kritik der reinen Vernunft, Hamburg 1998, S. 60f., [A9/B12].
[23] Vgl. ders.: Kritik der Urteilskraft, Stuttgart 1971, S 40f..
[24] Vgl. ders.: Kritik der reinen Vernunft, […], 1998, Vorrede [BXVII].
[25] Vgl. Oerter, Rolf / Montada, Leo (Hg.): Entwicklungspsychologie, 6. Auflage. Weinheim / Basel 2008, S. 287.
[26] Vgl. Ros, Arno: Einführung in die theoretische Philosophie, Vorlesung, Magdeburg 2006 .
[27] Vgl. Pauen, Michael: Einführung in die Philosophie, Proseminar, Magdeburg 2004.
[28] Vgl. Sextus, Empiricus: Grundriss der pyorrhoischen Skepsis, Frankfurt am Main 2002.
[29] Vgl. Ernst, Gerhard et al.: Einführung in die Erkenntnistheorie, Darmstadt 2007, S. 20f..
[30] Vgl. Albert, Hans: Traktat über kritische Vernunft, Tübingen 1992.
[31] Vgl. Ros, Arno: Begründung und Begriff: Wandlungen des Verständnisses begrifflicher Argumentation, Band I, Hamburg 1989, S. 231ff..
[32] Vgl. Pfeifer, Volker: Didaktik des Ethikunterrichts, Wie lässt sich Moral lehren und lernen?, Stuttgart 2003, S. 140f..
[33] Vgl. Anlage 3a/b, Anhang S. 6f..
[34] Äußerung der Schülerin S. und T. zu Beginn der kreativ-intuitiven Arbeitsphase.
[35] Vgl. Anlage 7, Anhang S. 26.
[36] Vgl. Ernst, Gerhard et al.: Einführung in die Erkenntnistheorie, […], 2007, S. 20f..
[37] Vgl. Martens, Ekkehard: Methodik des Ethik- und Philosophieunterrichts – Philosophieren als elementare Kulturtechnik, 2. Auflage, Hannover 2005 für die Methoden; Roth H., Pädagogische Psychologie des Lehrens und Lernens, 1970 für die Stufen der Motivation; Sistermann, Rolf: Das Bonbonmodell, in: Zeitschrift für Didaktik der Philosophie und Ethik, Heft 1/2005, und Heft 4/ 2008 für die Phasen der Stunde. [Siehe auch Anlage 4a/b, Anhang S.8f.].
[38] Vgl. Oerter, Rolf / Montada, Leo (Hg.): Entwicklungspsychologie, 6. Auflage. Weinheim / Basel 2008, S. 272.
[39] Vgl. ebenda, S. 540.
[40] Vgl. ebenda, S. 791.
[41] Vgl. ebenda, S. 739.
[42] Vgl. Zimbardo, Philip G.et al.: Psychologie, 7. Auflage, Leipzig et al. 2003, S. 494f..
[43] Vgl. Berndt, T.J.: Friendship and friends influence in adolescence, Current Directions in Psychological Sience, o.O. 1992, S. 156ff, in: ebenda, S. 494.
[44] Vgl. Oerter, Rolf / Montada, Leo (Hg.): Entwicklungspsychologie, 6. Auflage. Weinheim / Basel 2008, S. 792.
[45] Vgl. Sachanalyse zum infiniten Regress, Dogma und logischen Zirkel.
[46] Die Beschreibung und Erläuterungen der kreativ-intuitiven Methoden befinden sich im Anhang, Anlage 6.
[47] Vgl. Bonbon-Modell – in der dialektisch angelegten Arbeitsphase der selbstgesteuerten intuitiven Lösungssuche (Phase 3).
[48] Vgl. Methode Bisoziation, z.B. zum Bild von Antonio Bellucci, Anlage 6a, Anhang S.11ff..
[49] Vgl. Methode 635, Anlage 6c, Anhang S. 18f..
[50] Vgl. ebenda.
[51] Vgl. Walt-Disney-Methode, Anlage 6b, Anhang S. 15ff.
[52] Vgl. Methode Scamper, Anlage 6e, Anhang S. 21f..
[53] Vgl. Methode 635, Anlage 6c, Anhang S. 18f..
[54] Vgl. Methode Scamper, Anlage 6e, Anhang S. 21f..
[55] Vgl. Klafki, Wolfgang: Didaktische Analyse als Kern der Unterrichtsvorbereitung, in: ders.: Studien zur Bildungstheorie und Didaktik, Weinheim et al., 1963, S. 135ff., Auszug, in: Friedrichs, Werner: Einführung in die Unterrichtsplanung, Hannover 2011.
[56] Vgl. ebenda.
[57] Vgl. Weiß, Bertram: Das Atelier im Kopf, […], 2011, S. 123.
[58] Vgl. ebenda, S. 123