Entstehung und Etablierung neuer Parteien ab 1945
Populistische Parteien in Deutschland und Österreich
Zusammenfassung
Vergleichende Untersuchung der Parteiensysteme westlicher Demokratien
Fokus B :
Entstehung und Etablierung neuer Parteien ab 1945
Thema :
Häufigere Große Koalitionen zwischen den Volksparteien führen zu einem Bedeutungsgewinn von rechtspopulistischen Parteien
Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Definitionen, Begrifflichkeiten und theoretische Erklärungsansätze
2.1 Definitionen und Begrifflichkeiten
2.2 Theoretische Erklärungsansätze
2.1.1 Lipset/Rokkan : Parteien im Kontext mit gesellschaftlichen Konfliktlinien
2.1.2 Kirchheimer : Catch-All-Parties
3. Entwicklung der Parteiensysteme im Kontext von Regierungskoalitionen
3.1 Die Entwicklung des Parteiensystems in der Deutschland
3.2 Die Entwicklung des Parteiensystema in Österreich
4. Vergleich und Analyse der Parteisysteme
5. Warum sind rechtspopulistische Parteien in Deutschland nicht so erfolgreich
6. Schlussbemerkung
7. Literatur und Quellenverzeichnis
7.1 Literaturverzeichnis
7.2 Quellenverzeichnis
1. Einleitung
Die politischen Systeme in Deutschland und in Österreich zählten noch lange Zeit nach 1945 zu den stabilsten in Westeuropa. Im Kontext kultureller, sozialer, historischer und institutioneller Rahmenbedingungen spielen Parteien eine zentrale und wichtige Rolle im jeweiligen politischen System beider Länder.
Die Parteiensysteme in Deutschland und Österreich werden geprägt durch zwei Großparteien, die alleine, in einer Koalition miteinander oder mit anderen Parteien, sich in der Regierung abwechseln. Jeweils eine sozialdemokratische und eine christlich-bürgerliche Partei konkurrieren um die Spitzenposition. In den letzten Dekaden kam es jedoch durch den Drang der Großparteien zur ideologischen Mitte zu einer gewissen Erosion des Parteiensystems. Dadurch konnten sich populistische Parteien am rechten oder linken Rand auf parlamentarischer Ebene etablieren, die das hyperstabile und etablierte Parteiensystem aufgerüttelt haben.
Aufgrund der Ähnlichkeit, möchte ich mit dem Most-Similar-Case-Design entlang von strukturellen Eigenschaften (Format, Fragmentierung, Konzentration und Asymmetrie der jeweils beiden Volksparteien) und inhaltlicher Eigenschaften (Polarisierung und Segmentierung) die beiden Parteisysteme untersuchen und deren Ausprägung auf der elektoralen und der parlamentarischen Ebene herausarbeiten. Eine Operationalisierung erfolgt über die Ergebnisse bei Bundestags- bzw. Nationalratswahlen und der Bildung von Regierungskoalitionen.
Für die Untersuchung wird als Ausgangsbasis der makrosoziologische Erklärungsansatz von Lipset und Rokkan (1967) genutzt, die in ihren Betrachtungen von einer festen sozialen Determination, sogenannten Cleavages (engl. Konfliktlinien) ausgehen. Sie setzen damit jedoch voraus, dass sich die Parteien entlang dieser klassischen Cleavages entwickeln, mit ihrer Kernaussage über ein „freezed Partysystem“. Zusätzlich wird die Theorie von Otto Kircheimer (1965) für die Untersuchung miteinbezogen, der in seinen Betrachtungen davon ausgeht, dass die großen Parteien sich immer mehr zu einer Catch-All-Party (engl. Allerwelt- oder Volkspartei) entwickeln.
Die Hypothese die ich damit aufstelle besagt, dass häufigere Große Koalitionen zwischen den Volksparteien zu einem Bedeutungsgewinn von rechtspopulistischen Parteien führen. Als Erkenntnisinteresse möchte ich in den Mittelpunkt stellen, warum diese Lücke in Deutschland nicht durch eine rechtspopulistische Partei ausgefüllt wird, wie in Österreich.
2. Definitionen, Begrifflichkeiten und theoretische Erklärungsansätze
2.1 Definitionen und Begrifflichkeiten
In modernen, westlichen Gesellschaften, in denen die Staatsgewalt vom Volk ausgeht, bedarf es einer Linkage (engl. : Verbindung) zwischen dem Volk und dem Staat. Diese Linkage wird von Parteien besetzt und organisiert. Daraus lässt sich ableiten, dass Parteien ein Teil der Gesellschaft sind. Es ist zwischen vielen Arten von Parteien zu unterscheiden, weswegen in diesem Abschnitt verschiedene Begrifflichkeiten erläutert werden.
Politische Parteien sind nach Max Weber (1864 - 1929) Gruppen, die nach Machtanteil streben und die mit anderen Gruppen konkurrieren, um die Möglichkeit zu erhalten, Macht auszuüben. Mit dem Begriff Macht ist hier politische und staatliche Macht gemeint. Nach diesem Verständnis sind Parteien Organisationen zwischen Gesellschaft und Staat zu verorten. Nach Webers Definition bedeutet Macht, jede Chance innerhalb einer sozialen Beziehung, den eigenen Willen auch gegen den Widerstand anderer Gruppen durchzusetzen. Kernstück dieser Definition ist ein Element des Zwanges, also die Möglichkeit, Ziele auch gegen den Wunsch und die Interessen anderer verfolgen und verwirklichen zu können (Lösche 2006 : 7 ff). In Ergänzung dazu hat eine moderne Partei grundsätzlich zwei Aufgaben zu erfüllen. Zum einen hat sie in personeller Hinsicht die politische Elite hervorzubringen und zum anderen hat sie in sachlicher Hinsicht die wesentliche Aufgabe, die Gruppierung der Wähler zu ermöglichen (Czerny 1988 : 233).
In Abgrenzung dazu sind Volksparteien definiert als eine Selbstbezeichnung von Großparteien, die durch Ausweitung ihrer Wählerbasis nach möglichst vielen Stimmen für strategische Mehrheiten streben. Ihre politische Rhetorik und werbende Selbstdarstellung stützt sich dabei auf den Anspruch, schichtübergreifend und weltanschaulich verbindend breite Wählerschichten in sich aufzunehmen und in ihrer Interessenvielfalt ausgleichend vertretenden zu wollen. (Nohlen, 2001 : 553).
Eine weitere Ausprägung des Parteienbegriffs sind populistische Parteien, für die es keine allgemeingültige Definition gibt. Dahl (1956) liefert jedoch für den Begriff Populismus folgende Begriffsbestimmung: Populismus ist kein gegen die Demokratie gerichtetes Konzept, sondern eine bestimmte Sichtweise von Demokratie, die grundsätzlich sehr wohl im Rahmen des liberalen Demokratieverständnisses ihren Platz hat. Populismus ist eine Variation legitimer Auffassungen von Demokratie. Als eine solche Variation hat sie etwa im Sinne der vor allem von Thomas Jefferson vertretenen Populistic Democracy einen traditionellen Platz in der Entwicklungsgeschichte neuzeitlicher Demokratie. (Dahl, 1956, 34 ff.)
Abschließend, da die möglichen Variationen und Ausprägungen von Parteien erklärt wurden, muss zusammenfassend der Begriff Parteiensystem geklärt werden. Ein Parteiensystem ist im allgemeinem der Wirkungszusammenhang von Beziehungen zwischen allen Parteien. Bei einer engen Definition wird der über Wahlen vermittelte Wettbewerbsaspekt betont, was eine Abgrenzung gegenüber totalitärer Regime erlaubt. Der Begriff setzt somit voraus, dass eine Mehrzahl von Parteien existiert, die über eine gewisse organisatorische Stabilität verfügen, und dass sie in einem Konkurrenzverhältnis stehen, welches institutionell (d.h. rechtlich und politisch- kulturell) verankert ist (Schmid, 2012).
2.2 Theoretische Erklärungsansätze
2.2.1 Lipset/Rokkan: Parteien im Kontext mit gesellschaftlichen Konfliktlinien
Wenn man von Parteien in westlichen Demokratien spricht, so sind diese ein fester Bestandteil der Gesellschaft und ein Produkt sozialstruktureller Konflikt- und Spannungslinien, sogenannter Cleavages, in der sich die Gesellschaft aufgegliedert. Ausgangspunkt der Theorie ist das Vorhandensein von Interessengruppen in einer Gesellschaft, entlang deren sich trennende Konfliktlinien herausbilden und von den politischen Eliten aufgenommen werden (Decker, 2011, 39 ff.).
Lipset und Rokkan (1967) argumentieren in ihrer Theorie historisch-soziologisch und sehen die Entstehung und Konsolidierung nationaler Parteisysteme in Westeuropa als länderspezifische Ergebnisse des Zusammenwirkens gravierender Cleavages, wie zum Beispiel Zentrum vs. Peripherie, Staat vs. Kirche, Landwirtschaft vs. Industrie und Eigentümer vs. Arbeiter.
Diese vier Cleavages bilden die Grundlage für die Entstehung von Parteien. Namentlich legen sie die Grundsteine für die Organisation der Liberalen, der Katholiken, der agrarischen Kräfte und der Arbeiter (Ladner, 2004, 32 ff.). Nach Rohe (1992) geht das Cleavage-Konzept davon aus, das Parteiensystem und Wahlverhalten ihre Grundlage in einer politisierten Sozialstruktur besitzen, aber dieses Wahlverhalten bedarf einer ständigen Erneuerung durch die politischen Eliten (Parteien), wenn sie nicht erodieren sollen. Der Umkehrschluss daraus bedeutet, dass der Wandel von Parteiensystemen seine Ursache nicht nur darin haben kann, dass ihre gesellschaftliche und kulturelle Basis gleichsam wegrutscht. Die Ursache liegt zusätzlich auch darin, dass politische Eliten es bewusst oder unbewusst versäumt haben, die politische Koalition mit bestimmten Wählersegmenten stets zu erneuern (Rohe, 1992, 25).
Die Kernaussage von Lipset und Rokkan (1967) ist jedoch, dass einmal verfestigte Bindungen zwischen Milieu und Partei von Bestand sind, was zu ihrer These von den eingefrorenen Konfliktlinien führt. Das bedeutet, mit wenigen Ausnahmen, dass die Parteisysteme der 1960er in westlichen Demokratien die der 1920er Jahre reflektieren.
2.2.2 Otto Kirchheimer: Allerweltsparteien / Catch-All Parties
In der Parteienforschung ist der Beitrag des Staats- und Verfassungstheoretikers Otto Kirchheimer (1965) zur Transformation des westeuropäischen Parteiensystems wegweisend. Im Kontext mit der in den 60er Jahren geführten Entideologisierungsdebatte stellte er die These auf, dass die großen Parteien sich ideologisch annähern und die Weltanschauungsparteien auf konfessioneller oder klassenstruktureller Basis sich zu Allerweltsparteien, den sogenannten Catch-All Parties wandeln.
Kirchheimer argumentiert, dass der zweite Weltkrieg zu einem Wandel der Parteiensysteme aufgrund der Wandlung der Klassenstrukturen in Westeuropa geführt hat. Die vormals Massenintegrationsparteien entwickelten sich dadurch zu Volksparteien. Sie gaben die Versuche auf, sich in die Massen geistig und moralisch einzugliedern und lenkten ihr Augenmerk in stärkerem Maße auf die Wählerschaft. Sie opferten also eine tiefere ideologische Durchdringung für eine weitere Ausstrahlung und einen raschen Wahlerfolg. Dies bedeutet, dass die Zielperspektiven der Volkspartei in Richtung kurzfristiger Stimmenmaximierung verändert werden, was für den Aufbau und die Taktik Konsequenzen hat. Gegen die Folgen dieser Entwicklung richtet sich die Kritik Kirchheimers (1965, 27 ff.). Er argumentiert, dass sich die Gesellschaft unter den gegenwärtigen Bedingungen immer säkularer und konsumorientierter wird. Die vormals entstandenen Klassenunterschiede entschärfen sich und somit sind die Massenintegrationsparteien einem Druck hinsichtlich ihrer Beziehung zu ihre Klassen- und ihrer Konfessionsbasis ausgesetzt. Dies hat 5 Folgen für die Parteien (Kirchheimer, 1965, 32):
- ehemals ideologische Komponenten werden verdrängt
- Wahlpropaganda mit dem Ziel breitere Bevölkerungsschichten zu erreichen
- Machtgewinn der Parteispitze
- Entwertung der Rolle der einzelnen Parteimitglieder, Parteiorganisationen spielen nur noch bei der Kandidatenauswahl eine Rolle
- Anbindung an Interessengruppen und Verbände
3. Entwicklung der Parteiensysteme im Kontext von Regierungskoalitionen
3.1 Die Entwicklung des Parteiensystems in der Bundesrepublik Deutschland
1945-1949 : Die Neuformierungsphase des Parteiensystems
In der Neuformierungsphase nach dem Zweiten Weltkrieg fand die Zulassung von Parteien im Westsektor noch unter Aufsicht der Besatzungsmächte statt und diese schufen besondere Rahmenbedingungen, denn sie führte insbesondere zu einem Startnachteil für rechtsextremistische Parteien. (Andersen 2009 : 70) Nur vier Parteien wurden zugelassen, die sich größtenteils an der Parteienlandschaft der Weimarer Republik orientieren: SPD und KPD werden wieder gegründet, die Liberalen, bestehend aus DDP und DVP schließen sich zur FDP und als Neuerung gründen katholische und protestantische Christdemokraten die CDU/CSU. DasParteiensystem das sich damit herauskristallisierte, stand noch weitgehend in derTradition historischen der Cleavage-Strukturen der Weimarer Republik, die aus vierSäulen Bestand, nämlich Liberale, Konservative, Katholiken und Sozialisten.
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