Lade Inhalt...

Der Historikerstreit als "politische" Auseinandersetzung über den Umgang mit der NS-Vergangenheit

©2012 Hausarbeit 16 Seiten

Zusammenfassung

Das Jahr 1982 markierte einen erneuten Wendepunkt in der Geschichte der Bundesrepublik. Die seit dreizehn Jahren regierende Koalition aus SPD und FDP wurde durch das christlich-liberale Kabinett Helmut Kohls verdrängt. Mit dem Wechsel der Regierung ging nicht nur ein politischer, sondern ebenso ein geistiger Umbruch einher. Das zeigte sich unter anderem außenpolitisch in den Bemühungen, durch demonstrative Gesten der Aussöhnung (vgl. Kapitel 3) die Westbindung der alten Bundesrepublik wieder stärker zu betonen, und innenpolitisch an den Anstrengungen, positiv auf das Geschichtsbild der Deutschen einzuwirken, mit dem letztendlichen Ziel der Stärkung des Identitätsgefühls. Von diesen Bestrebungen ermutigt, begannen auch konservative Intellektuelle wieder die Initiative zu ergreifen. Diese Entwicklung wurde von linksliberaler Seite zunehmend kritisch, gar ängstlich verfolgt, schien doch eine „Tendenzwende“, durch die viele geistige Errungenschaften der siebziger Jahre rückgängig gemacht werden sollten, Realität zu werden. Den Höhepunkt dieser Gegnerschaft stellte schließlich 1986 der sogenannte „Historikerstreit“ dar, in dem sich die lange gepflegten Ressentiments linksliberaler und konservativer Intellektueller entluden.

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis


Inhaltverzeichnis

1. Einleitung

2. Der gesellschaftliche Umgang mit der NS-Vergangenheit in der BRD der achtziger Jahre

3. Die Geschichtspolitik der Regierung Kohl

4. Der Historikerstreit als „politische“ Auseinandersetzung

5. Fazit

6. Quellen- und Literaturverzeichnis

1. Einleitung

Das Jahr 1982 markierte einen erneuten Wendepunkt in der Geschichte der Bundesrepublik. Die seit dreizehn Jahren regierende Koalition aus SPD und FDP wurde durch das christlich-liberale Kabinett Helmut Kohls verdrängt. Mit dem Wechsel der Regierung ging nicht nur ein politischer, sondern ebenso ein geistiger Umbruch einher. Das zeigte sich unter anderem außenpolitisch in den Bemühungen, durch demonstrative Gesten der Aussöhnung (vgl. Kapitel 3) die Westbindung der alten Bundesrepublik wieder stärker zu betonen, und innenpolitisch an den Anstrengungen, positiv auf das Geschichtsbild der Deutschen einzuwirken, mit dem letztendlichen Ziel der Stärkung des Identitätsgefühls. Von diesen Bestrebungen ermutigt, begannen auch konservative Intellektuelle wieder die Initiative zu ergreifen. Diese Entwicklung wurde von linksliberaler Seite zunehmend kritisch, gar ängstlich verfolgt, schien doch eine „Tendenzwende“, durch die viele geistige Errungenschaften der siebziger Jahre rückgängig gemacht werden sollten, Realität zu werden.[1] Den Höhepunkt dieser Gegnerschaft stellte schließlich 1986 der sogenannte „Historikerstreit“ dar, in dem sich die lange gepflegten Ressentiments linksliberaler und konservativer Intellektueller entluden.

Der Historikerstreit gilt als die letzte große Debatte über die Bedeutung des Nationalsozialismus für die Identität der alten Bundesrepublik.[2] Entsprechend existieren eine Vielzahl von Forschungsbeiträgen und Überblicksdarstellungen. Bereits kurz nach Beendigung der Kontroverse 1987 begann neben der Dokumentation der Streitbeiträge und des Streitverlaufs auch die kritische Auseinandersetzung mit den Wortmeldungen der Teilnehmer, die bis heute anhält. Aber auch der Zusammenhang zwischen Historikerstreit, Geschichtspolitik der Kohl-Regierung und den politischen Einstellungen der Akteure des Streits spielte schon immer eine große Rolle in der Forschung.[3] Einige dieser Veröffentlichungen bilden die Grundlage dieser Arbeit.

Ziel dieser Arbeit ist es, den Historikerstreit des Jahres 1986 im Kontext der Geschichtspolitik Helmut Kohls zu analysieren und zu klären, inwieweit diese Auseinandersetzung neben dem Streit nach dem Umgang mit der deutschen NS-Vergangenheit und der publizistischen Deutungshoheit desselben auch ein „Stellvertreterkrieg“[4] zwischen den politischen Lagern der Bundesrepublik war.

2. Der gesellschaftliche Umgang mit der NS-Vergangenheit in der BRD der achtziger Jahre

„Die Position des Nationalsozialismus hat im Vergangenheitshorizont der Deutschen emotional an Aufdringlichkeit gewonnen, je tiefer er chronologisch in diesen Vergangenheitshorizont zurückgesunken ist“[5]. Dieser Satz Hermann Lübbes, den er 1983 schrieb, bringt den hohen Stellenwert der NS-Vergangenheit im Gedächtnis der Bundesbürger zu Beginn der Achtziger zum Ausdruck. Nicht zuletzt die Thematisierung des Nationalsozialismus in den Medien (als einschlägiges Beispiel sei der Fernsehmehrteiler „Holocaust“ von 1978 genannt) oder auch die wissenschaftliche Aufarbeitung einzelner Aspekte des Dritten Reiches seit den sechziger Jahren[6] führte dazu, dass die NS-Vergangenheit in der Erinnerung präsent blieb. Nicht trotz, sondern gerade wegen der zeitlichen Entfernung konnte die Beschäftigung mit dem Nationalsozialismus an Intensität zunehmen, so Hermann Lübbe weiter.[7] In der Tat dürfte es so sein, dass eine verstärkte Auseinandersetzung mit den zwölf Jahren des Dritten Reiches dem Generationenwechsel geschuldet ist. Erst wer „keinerlei autobiographisch darstellbare Erinnerung“[8] an die Hitler-Diktatur hat, wird anfangen, sich mit der Vergangenheit intensiver zu beschäftigen. Das unterscheidet die Zeit der achtziger Jahre auch von den vorangegangenen Jahrzehnten, insbesondere den Fünfzigern und Sechzigern, in denen die Auseinandersetzung mit der NS-Zeit weit geringer ausgeprägt war,[9] womöglich auch deshalb, weil ein sehr viel größerer Bevölkerungsanteil bei eben einer solchen Auseinandersetzung auch gleichzeitig mit den eigenen moralischen Konflikten hätte konfrontiert werden können.

Der gesellschaftliche Umgang mit der deutschen NS-Vergangheit in den achtziger Jahren war das Resultat einer Entwicklung, die bereits Ende der Sechziger begann. So verstand schon Willy Brandt, ganz im Gegensatz zu konservativen Kreisen, die öffentliche Erinnerung an den Nationalsozialismus als wichtig und als wesentlichen Bestandteil seiner Politik.[10] Während der linksliberalen Koalition konnte sich so auch eine gewisse kulturelle Hegemonie des „linken Lagers“ etablieren,[11] die wiederum die gesellschaftliche Sicht auf die NS-Vergangenheit bis in die Achtziger hinein beeinflusste.

Den Umgang mit der NS-Vergangenheit in den achtziger Jahren machten neben der Erinnerung und Aufarbeitung aber auch ganz konkrete zeitgenössische Fragen aus. So wurde insbesondere der Jahrestag der Kapitulation 1985 Ausgangspunkt einer intensiven öffentlichen Reflexion über das Verhältnis der Bundesrepublik zum Nationalsozialismus und ihrer Stellung im westlichen Bündnis. Die Fragen, die im Raum standen waren, ob die BRD mittlerweile ein gleichberechtigter Partner sei, in welchem Verhältnis die zwölf Jahre des Dritten Reiches zu vierzig Jahren bundesrepublikanischer Demokratie stehen und wie der deutschen Kriegsopfer im Verhältnis zu den Opfern des Völkermords gedacht werden kann.[12] Dass diese Fragen auch in der Öffentlichkeit diskutiert wurden, liegt auch darin begründet, dass sie zu den Kernfragen der Geschichtspolitik Helmut Kohls gehörten (vgl. Kapitel 3) und somit auch, zumindest indirekt, den ein Jahr später ausgebrochenen Historikerstreit betrafen.

[...]


[1] Vgl.: Richard Evans: Im Schatten Hitlers? Historikerstreit und Vergangenheitsbewältigung in der Bundesrepublik, Frankfurt/Main 1991, hier S. 29.

[2] Vgl.: Claudia Fröhlich: Rückkehr zur Demokratie. Wandel der politischen Kultur in der Bundesrepublik, in: P. Reichel et al. (Hg.): Der Nationalsozialismus - Die zweite Geschichte. Überwindung, Deutung, Erinnerung, München 2009, S. 105 – 126, hier S. 123.

[3] Vgl. u. a.: Reinhard Kühnl (Hg.): Streit ums Geschichtsbild. Die „Historiker-Debatte“. Dokumentation, Darstellung und Kritik, Köln 1987.

Armin Pfahl-Traughber: Die wissenschaftliche Dimension des „Historikerstreits“ auf dem Prüfstand. Eine Auseinandersetzung mit Ernst Nolte und Jürgen Habermas, in: Steffen Kailitz (Hg.): Die Gegenwart der Vergangenheit. Der „Historikerstreit“ und die deutsche Geschichtspolitik, Wiesbaden 2008, S. 84 – 104. Peter Steinbach: Die publizistischen Kontroversen. Eine Vergangenheit, die nicht vergeht, in: P. Reichel et al. (Hg.): Der Nationalsozialismus – Die zweite Geschichte. Überwindung, Deutung, Erinnerung, München 2009, S. 127 – 174.

[4] Ulrich Herbert: Der Historikerstreit. Politische, wissenschaftliche, biographische Aspekte, in: M. Sabrow et al. (Hg.): Zeitgeschichte als Streitgeschichte. Große Kontroversen seit 1945, München 2003, S. 94 – 113, hier S. 105.

[5] Hermann Lübbe: Der Nationalsozialismus im deutschen Nachkriegsbewusstsein, in: HZ 236 (1983), S. 579 – 599, hier S. 579.

[6] Vgl. u. a.: Joachim Fest: Hitler. Eine Biographie, Berlin u. a. 1973.

[7] Vgl.: Hermann Lübbe: Nationalsozialismus, in: HZ 236 (1983), S. 581.

[8] Ebd., S. 582.

[9] Vgl.: ebd., S. 585 – 587. Jeffrey Herf: Zweierlei Erinnerung. Die NS-Vergangenheit im geteilten Deutschland, Berlin u. a. 1998, hier S. 404 - 406.

[10] Vgl.: Jeffrey Herf: Erinnerung, S. 406.

[11] Vgl.: Eckhard Jesse: „Historikerstreit“ und Patriotismus. Politische Kultur im Wandel, in: V. Kronenberg (Hg.): Zeitgeschichte, Wissenschaft und Politik. Der „Historikerstreit“ – 20 Jahre danach, Wiesbaden 2008, S. 109 – 122, hier S. 110.

[12] Vgl.: Edgar Wolfrum: Geschichtspolitik in der Bundesrepublik Deutschland. Der Weg zur bundesrepublikanischen Erinnerung, Darmstadt 1999, hier S. 338 – 339.

Details

Seiten
Jahr
2012
ISBN (eBook)
9783656181477
ISBN (Buch)
9783656183877
DOI
10.3239/9783656181477
Dateigröße
475 KB
Sprache
Deutsch
Institution / Hochschule
Friedrich-Schiller-Universität Jena
Erscheinungsdatum
2012 (Mai)
Note
1,7
Schlagworte
historikerstreit auseinandersetzung umgang ns-vergangenheit
Zurück

Titel: Der Historikerstreit als "politische" Auseinandersetzung über den Umgang mit der NS-Vergangenheit
book preview page numper 1
book preview page numper 2
book preview page numper 3
book preview page numper 4
book preview page numper 5
book preview page numper 6
16 Seiten