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Kognitive Verzerrungen im Clinical Reasoning der Altenpflege

Ein alphabetisch geordnetes Nachschlagewerk

©2012 Fachbuch 110 Seiten

Zusammenfassung

„Kognitive Verzerrungen im Clinical Reasoning der Altenpflege. Ein alphabetisch geordnetes Nachschlagewerk“ betrachtet Clinical Reasoning in der Altenpflege primär aus einer Sichtweise, die die Pflegekraft ähnlich dem Homo oeconomicus als rational entscheidende Person ansieht.
Obgleich sich Pflegekräfte im CRA-Prozess neben der Ratio – also der Deliberation – durchaus auch ihrer Intuition bedienen, soll letztere zur Eingrenzung des Themenbereiches hier zunächst nahezu ausgeklammert werden. Dies bedeutet nicht, dass Erkenntnisse beispielsweise wie Kognition und Intuition innerhalb der Cognitive Continuum Theory (CCT) die Entscheidung der Pflegekraft determinieren ausgeblendet werden sollen, sondern lediglich hier eine Beschränkung auf rein kognitive Faktoren stattfindet. Dabei wird eingangs ein alphabetisch geordnetes Register angeboten, indem die entsprechende kognitive Verzerrung – geordnet nach ihrer englisch-sprachigen Bezeichnung gelistet und mit entsprechender Seitenzahl versehen ist. Hierdurch ist das Auffinden im textlichen Teil, dem Hauptteil, möglich. Dieser beschreibt den Cognitive Bias näher und gibt beispielhaft eine Vorstellung davon, wie durch die Missachtung der Verzerrung die Pflegekraft in ihrer Entscheidungsfindung beeinträchtigt werden kann. Wobei der Schwerpunkt sicherlich stets auf „kann“, aber nicht „muss“ liegt. Pflegekräften, die um diese Möglichkeiten der Beeinflussung ihrer Entscheidungen und damit schließlich auch Pflegeplanungen und Pflegeinterventionen wissen, können gezielt danach streben, diese auszuschalten, einzudämmen und somit zu vermeiden. Die Darstellung der kognitiven Verzerrungen muss eingebettet in den theoretischen Rahmen des Clinical Reasoning betrachtet werden. Es erscheint daher als sinnvoll hierzu die einschlägige Grundliteratur zum Thema Clinical Reasoning in der Altenpflege entweder als Basis, mindestens aber flankierend hinzu zu ziehen.

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis

Abkürzungsverzeichnis

Methodik und Erläuterung zur Handhabung

Index

Einführung und Einteilung

Alphabetisch geordnetes Nachschlagewerk

Literaturverzeichnis

Anmerkung zu weiterführender Literatur

Abkürzungsverzeichnis

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Methodik und Erläuterung zur Handhabung

Das vorliegende Werk „Kognitive Verzerrungen im Clinical Reasoning der Altenpflege. Ein alphabetisch geordnetes Nachschlagewerk“ betrachtet Clinical Reasoning in der Altenpflege primär aus einer Sichtweise, die die Pflegekraft ähnlich dem Homo oeconomicus als rational entscheidende Person ansieht. Obgleich sich Pflegekräfte im CRA-Prozess neben der Ratio - also der Deliberation - durchaus auch ihrer Intuition bedienen, soll letztere zur Eingrenzung des Themenbereiches hier zunächst nahezu ausgeklammert werden. Dies bedeutet nicht, dass Erkenntnisse beispielsweise wie Kognition und Intuition innerhalb der Cognitive Continuum Theory (CCT) die Entscheidung der Pflegekraft determinieren ausgeblendet werden sollen, sondern lediglich hier eine Beschränkung auf rein kognitive Faktoren stattfindet. Dabei wird eingangs ein alphabetisch geordnetes Register angeboten, indem die entsprechende kognitive Verzerrung - geordnet nach ihrer englisch- sprachigen Bezeichnung gelistet und mit entsprechender Seitenzahl versehen ist. Hierdurch ist das Auffinden im textlichen Teil, dem Hauptteil, möglich. Dieser beschreibt den Cognitive Bias näher und gibt beispielhaft eine Vorstellung davon, wie durch die Missachtung der Verzerrung die Pflegekraft in ihrer Entscheidungsfindung beeinträchtigt werden kann. Wobei der Schwerpunkt sicherlich stets auf „kann“, aber nicht „muss“ liegt. Pflegekräften, die um diese Möglichkeiten der Beeinflussung ihrer Entscheidungen und damit schließlich auch Pflegeplanungen und Pflegeinterventionen wissen, können gezielt danach streben, diese auszuschalten, einzudämmen und somit zu vermeiden. Die Darstellung der kognitiven Verzerrungen muss eingebettet in den theoretischen Rahmen des Clinical Reasoning betrachtet werden. Es erscheint daher als sinnvoll hierzu die einschlägige Grundliteratur zum Thema Clinical Reasoning in der Altenpflege entweder als Basis, mindestens aber flankierend hinzu zu ziehen.

Index

Above Average Effect

Illusory Superiority

Actor-Observer Effect

(Tendenz das eigene Verhalten anders zu begründen als das anderer Menschen)

Additive Bundles

(Tendenz das Ganze anders, als die Summe seiner Teile zu werten)

Ambiguity Effect

(Tendenz zum klaren Überblick)

Anchoring Bias

(Tendenz einen Aspekt zu betonen)

Assimilation Effect

(Tendenz Entscheidung an Assimilationen zu koppeln)

Attentional Bias

(Tendenz zur Aufmerksamkeitsverschiebung)

Attribution Error

(Tendenz zur Korrespondenzverzerrung)

Authority Bias

(Tendenz eher Autoritäten zu glauben)

Availability Bias

(Tendenz verfügbare Beispiele zu betonen)

Bandwagon Effect

(Tendenz der Meinungsübernahme)

Barnum Effect

Forer Effect

Base-rate Fallacy

(Tendenz zur Vernachlässigung der Grundverteilung)

Belief Bias

(Tendenz zu glaubwürdigen Schlussfolgerungen)

Bias Blind Spot

(Tendenz sich für unbeeinflusst zu halten)

Certainty Effect / Pseudocertainty Effect

(Tendenz zur vermeindlichen Sicherheit)

Choice-Supportive Bias

(Tendenz Entscheidungen nachträglich besser zu bewerten)

Clustering Illusion

(Tendenz in Daten Muster zu erkennen)

Confabulation

(Tendenz zum Konfabulieren)

Confirmation Bias

(Tendenz nach Bestätigung zu suchen)

Congruence Bias

(Tendenz nach bestimmten Informationen zu suchen)

Conjunction Fallacy

(Tendenz zur Verknüpfungstäuschung)

Context Effect

(Tendenz Entscheidung an Kontexteffekte zu koppeln)

Contrast Effect

(Tendenz Entscheidung an Kontrastierungen zu koppeln)

Correspondence Bias

Attribution Effect

Cryptomnesia

(Tendenz sich fälschlicherweise für den Schöpfer einer Idee zu halten)

Denomination Effect

(Tendenz der Stückelung)

Distinction Bias

(Tendenz der Verzerrung bei unterschiedlicher Evaluation)

Divestiture Aversion

Endowment Effect

Dunning-Kruger Effect

(Tendenz aufgrund eigener Inkompetenz Leistungen kompetenter

Personen zu unterschätzen)

Error of Central Tendency

Mean Value Phenomenon

VII

Endowment Effect)

(Tendenz der Veräußerungsaversion)

Egocentric Bias

(Tendenz eigene Überzeugungen als allgemein verbreitet anzusehen

Entrapement Effect

Irrational Escalation of Commitment Effect

Experimental Effect

(Tendenz der experimentellen Verzerrung)

Experimenter Effect

Experimental Effect

Extraordinarity Bias

(Tendenz Außergewöhnliches besonders zu bewerten)

False Consensus Effect

Egocentric Bias

Focusing Effect

Anchoring Bias

Forer Effect

(Tendenz zur subjektiven Validierung)

Framing Effect

(Tendenz der Abhängigkeit vom Bezugsrahmen)

Gambler´s Fallacy

Neglect of Probability

Gender Bias

(Tendenz das Geschlecht einer Person einzubeziehen)

Greenspoon Effect

Experimental Effect

Halo Effect

(Tendenz von einer prominenten Eigenschaft auf andere Eigenschaften

oder Fähigkeiten zu schließen)

Hawthorn Effect

Experimental Effect

Herd Behavior

(Tendenz sich am Verhalten anderer zu orientieren)

Herding Behavior

Herd Behavior

Hindsight Bias

(Tendenz zum Rückschaufehler)

Hof-Effekt

Halo Effect

Hostile Media Effect

(Tendenz des Glaubens an „feindliche“ Berichterstattung)

Hyperbolic Discounting

(Tendenz Ziele und Werte zeitinkonsistent zu betrachten)

Ieniency Error

Illusory Superiority

Illusory Correlation

(Tendenz zur illusorischen Korrelation)

Illusion of Asymmetric Insight

(Tendenz zum Glauben andere genau zu kennen)

Illusion Of Control

(Tendenz der Kontroll-Illusion)

Illusory Superiority

(Tendenz die eigenen positiven Qualitäten zu überschätzen)

Impact Bias

(Tendenz der zu starken Bewertung zukünftiger Einwirkungen)

Information Bias

(Tendenz der Verzerrung durch Informationen)

In-Group-Out-Group Bias

(Tendenz in Gruppenzugehörigkeiten zu denken)

Intergroup Bias

In-Group-Out-Group Bias

Interloper Effect

(Tendenz der Höherbewertung von Meinungen Dritter)

Inverse Gambler´s Fallacy

Neglect of Probability

Irrational Escalation of Commitment Effect

(Tendenz an Fehlhandlungen festzuhalten)

Just-World Phenomenon

(Tendenz zur gerechten Welt-Sicht)

Kluger-Hans-Effekt

Experimental Effect

Knew it all along Bias

Hindsight Bias

Lake Wobegone Effect

Illusory Superiority

Loss Aversion

(Tendenz zur Verlustaversion)

Mean Value Phenomenon

(Tendenz der Entscheidung zur Mitte)

Meerschweinchen-Effekt

Experimental Effect

Mere Exposure Effect

(Tendenz zur Einstellungsverbesserung nach häufigerer Darbietung)

Moral Credential Effect

(Tendenz zur Doppelmoral)

Moral Luck

(Tendenz moralische Bewertungen nach Ergebnissen zu treffen)

Negativity Bias

Positive-negative Asymmetrie Effect

Neglect of Probability Effect

(Tendenz der Vernachlässigung von Wahrscheinlichkeiten)

Nocebo-Effekt

Experimental Effect

Normalcy Bias

(Tendenz der Verneinung von Außergewöhnlichem)

Omission Bias

(Tendenz zur Unterlassung)

Optimism / Pessimism Bias

(Tendenz zum optimistischen / pessimistischen Fehlschluss)

X

Ostrich Effect

(Tendenz sich negativen Informationen zu entziehen)

Outcome Bias

(Tendenz aus dem Ergebnis die Ausgangslage zu beurteilen)

Overconfidence Effect

(Tendenz zur Überschätzung)

Pessimism Bias

Optimism Bias

Placebo-Effekt

Experimental Effect

Planning Fallacy

(Tendenz aus Planungen Sicherheiten abzuleiten)

Positive-negative Asymmetry Effect)

(Tendenz zur stärkeren Gewichtung von Positivem oder Negativem)

Positivity Bias

Positive-negative Asymmetrie Effect

Primarcy Effect

Serial Position Effect

Primus Inter Pares Effect

Illusory Superiority

Projection Bias

(Tendenz der Projektion momentanen Erlebens in zukünftige

Situationen)

Pseudocertainty Effect

Certainty Effect

Reactance

(Tendenz zu reaktantem Verhalten)

Recency Effect

Serial Position Effect

Regression to the Mean Phenomenon

Regression Toward the Mean Phenomenon

Regression Toward the Mean Phenomenon

(Tendenz zur Mitte)

XI

Reminiscence Bump

(Tendenz zum Erinnerungshügel)

Research Bias

Experimental Effect

Rosy Retrospection

(Tendenz zu angenehmen Erinnerungen)

Selective Perception

(Tendenz zu selektiver Wahrnehmung)

Self-Serving Bias

(Tendenz zur selbstwertdienlichen Verzerrung)

Semmelweis Reflex

(Tendenz zur Ablehnung neuer Erkenntnisse)

Sense of Relative Superiority

Illusory Superiority

Sexual Attribution Bias

(Tendenz Geschlecht und Attraktivität zu konjungieren)

Serial Position Effect

(Tendenz zur Berücksichtigung der Position)

Sinister Attribution Error

(Tendenz zur Unterstellung böser Absichten)

Social Disirability Bias

(Tendenz zur sozialen Erwünschtheit)

Status Quo Bias

(Tendenz zum Status quo)

Stereotype

(Tendenz in anderen Stereotypen zu sehen)

Stroop Effect

Attentional Bias

Social Comparison Bias

(Tendenz zum sozialen Vergleich)

Splitting Bias

(Tendenz zur stärken Bewertung aufgespaltener Oberziele)

Subadditive Bundles

Additive Bundles

Subjective Validation

Forer Effect

Suggestibility

(Tendenz sich im Denken beeinflussen zu lassen)

Sunk Cost Effect

Irrational Escalation of Commitment Effect

Superadditive Bundles

Additive Bundles

Superiority Bias

Illusory Superiority

System Justification

(Tendenz ein System als gerecht anzusehen)

Texas Sharpshooter Fallacy

Clustering Illusion

Trait Ascription Bias

(Tendenz zum Eigenschaftszuschreibungsfehler)

Unit Bias

(Tendenz Begonnenes abzuschließen)

Versuchskanninchen-Effekt

Experimental Effect

Versuchsleiter-Effekt

Experimental Effect

Versuchspersonen-Effekt

Experimental Effect

Versuchssituations-Effekt

Experimental Effect

Well Travelled Road Effect

(Tendenz bekannte Vorgänge als zeitlich kürzer einzuschätzen)

Wishful Thinking

(Tendenz zum Wunschdenken)

Zero Risk Bias

(Tendenz zum Nullrisiko)

Einführung und Einteilung

Die Kognition unterliegt bestimmten Störungen. Eine Vielzahl davon wird unter den Begriff „Kognitive Verzerrungen“ (Cognitive Biases) zusammengefasst. Es handelt sich dabei um einen Überbegriff für Neigungen und Tendenzen bei den Aspekten der Kognition. Um in Extremsituationen schnell entscheiden zu können bedient sich der Mensch sogenannten Urteilsheuristiken, also überschlägigen Denkweisen, die schnell zu einer Lösung finden. Diese schnellen Entscheidungen waren für unsere Vorfahren teilweise lebensnotwendig, können aber im heute komplexen Leben und Denken, beispielsweise im Prozess des Clinical Reasoning, zu Fehlinterpretationen und falschen Entscheidungen führen.

Um daher richtig entscheiden und handeln zu können, ist es für Pflegekräfte wichtig, diese kognitiven Verzerrungen zu kennen, zu erkennen und gegebenenfalls zu vermeiden.

Einteilung kognitiver Verzerrungen

Je nach Kontext des Auftretens lassen sich kognitive Verzerrungen in Gruppen zusammenfassen und einteilen. Diese Einteilung sollte aber nicht als starr angesehen werden, da manche Verzerrungen durchaus ihre Auswirkungen in mehreren Bereichen zeigen.

In der Literatur findet sich häufig folgende Einteilung:

- Verzerrungen bei Entscheidungen und Verhalten

(Biases in decision-making and behavior)

- Verzerrungen der Ansichten über Tatsachen und Wahrscheinlichkeiten

(Biases in probability and belief)

- Soziale Verzerrungen

(Social biases)

- Gedächtnis- und Erinnerungsfehler

(Memory errors / memory biases)

Above Average Effect

Illusory Superiority

Actor-Observer Effect

(Tendenz das eigene Verhalten anders zu begründen als das anderer Menschen)

Hat eine Pflegekraft die Tendenz die Ursachen ihres eigenen Verhaltens eher in der Situation und den äußeren Rahmenbedingungen zu suchen, das Verhalten anderer aber auf Persönlichkeitseigenschaften bezieht, so spricht man vom Actor-Observer-Effect. Eigenes Verhalten wird demnach situativ attributiert, fremdes Verhalten wird personal attributiert. (Brehm et al. 2004)

Ursachen hierfür könnten sein:

- Perspektive

Der Handelnde (Actor) hat eine andere Perspektive auf das Verhalten als der Beobachter (Observer). Daher kann es zu unterschiedlichen Erklärungsansätzen kommen.

- Bezug zum Kontext

Der Beobachter (Observer) beurteilt seine z. b. durch sehen, hören, riechen etc. wahrgenommenen Informationen, während der Handelnde (Actor) weitere Informationen situativ mit aufnimmt. (Eigenes Fühlen, Hintergrundinformationen, Vorerfahrungen)

(Brehm et al. 2004)

Für die Pflege ist dieser Effekt zum einen wichtig, um das Verhalten der Arbeitskollegen richtig einzuschätzen, aber auch die Pflegebedürftigen besser zu verstehen. Um den Actor-Observer-Effect auszuschalten - zumindest aber zu minimieren - können sich die Beteiligten absprechen die Rolle des anderen einzunehmen.

Additive Bundles

(Tendenz das Ganze anders, als die Summe seiner Teile zu werten)

„Additive Bundels“ ist das, was jedem bekannt ist: Der Bündelpreis ist die Summe der Einzelpreise. So funktionierte lange Zeit die zwischenmenschliche Ökonomie. Für Leistungsklassen beispielsweise Ganzkörperwaschung und Herrichten einer Mahlzeit zahlte der Pflegebedürftige im ambulanten Pflegebereich als Gesamtsumme die Addition der Teilsummen. Abweichend hiervon bemerkte bereits Aristoteles in dem ihm zugeordneten, verkürzten Zitat: „Das Ganze ist mehr als die Summe seiner Teile!“, dass man auch anderer Meinung sein kann. Auch diese Sichtweise ist Pflegekräften nicht fremd, neigen sie doch gelegentlich durchaus dazu, ihre Gesamtpflege als wertvoller anzusehen, als ihre einzelnen Pflegemaßnahmen. Diese Sichtweise bezeichnet die Wirtschaftspsychologie mit dem Begriff „Superadditive Bundles“. Bei Superadditive Bundles ist also der Preis - im übertragenen Sinn die Wertschätzung des „Gesamtpakets“, beispielsweise einer ganzheitlichen Pflege höher einzuschätzen, als die Einzelleistungen. Das Gegenteil, sogenannte „Subadditive Bundels“ kennen wir z. B. bei Kombiangeboten, in denen die eigentliche Summe der Einzelpreise höher wäre. Subadditive Bundels sind auch im Pflegealltag zu finden. Ein gutes Beispiel hierfür sind die Leistungsklassen (LK 1a bis 18 nach SGB XI oder LK 1a bis 9 nach SGB V) in der Abrechnung ambulanter Pflegeleistungen. Hier können Konstellationen grund- bzw. behandlungspflegerischer Leistungen zustande kommen, bei denen die Einzelwerte aufsummiert höher zu Buche schlagen, als der tatsächlich gezahlte Preis. Obgleich dieser Bias oben an finanziellen Aspekten erläutert wurde, können es auch fiktive Wert-Vorstellungen sein, die die Pflegekraft in ihren Entscheidungen beeinflussen und somit ihre Kognition verzerren.

Ambiguity Effect

(Tendenz zum klaren Überblick)

Entscheidungsträger bevorzugen nach Oehler diejenigen Situationen, in denen sie sich ein klares Bild über die Eintrittswahrscheinlichkeiten denkbarer

Konsequenzen machen können. Im Gegensatz dazu, werden Entscheidungen vermieden, die Unsicherheiten in Bezug auf diese Wahrscheinlichkeiten, man spricht hier von „Ambiguitätssituationen“ aufweisen. (Oehler 1992) In der Psychologie bezeichnet der Begriff „Ambiguität“ von lat. Ambiguitas, was so viel wie „Zweideutigkeit“ oder „Doppelsinn“ meint, mehrdeutige Reizgegebenheiten. Aus dieser Mehrdeutigkeit kann der entscheidende Mensch schlecht Entscheidungen fällen, so dass er eine Tendenz dazu entwickelt, diese Ambiguität abzulehnen und nach weiteren Informationen zu suchen. Diese können eventuell aus dem Kontext entnommen werden, was aber die Gefahr von Kontext- oder Framingeffekten mit sich bringt. Ein absolut klares Bild ist nicht immer möglich und der Pflegeprozess ist im permanenten Fluss (Panta rhei), worüber sich die Pflegekraft bei Planungs- und Entscheidungsprozessen bewusst sein muss.

Anchoring Bias

(Tendenz einen Aspekt zu betonen)

Unter „Anchoring“ oder auch „Focusing effect“ ist die Tendenz einer Pflegekraft zu verstehen, sich besonders auf einen Aspekt zu beziehen, diesen übermäßig zu fokussieren und dabei andere, ebenfalls wichtige Bereiche oder Informationen zu vernachlässigen oder völlig auszublenden. So kann beispielsweise ein multimorbider Pflegebedürftiger mit den medizinischen Diagnosen Diabetes mellitus Typ 2, Zustand nach Apoplexia cerebri und Demenz lediglich in einem Bereich besondere Beachtung finden. Je nach Gewichtung und Schwerpunktsetzung kann es dazu kommen, dass der Pflegebedürftige auf eine dieser Diagnosen und den damit verbundenen Pflegeproblemen reduziert wird.

Assimilation Effect

(Tendenz Entscheidung an Assimilationen zu koppeln)

Werden Informationen im Denken der Pflegekraft gleich kategorisiert wird eher eine Zusammengehörigkeit wahrgenommen. Dies kann auftreten, wenn die einzelnen Wahrnehmungsklassen recht großzügig gewählt werden oder eine

Verallgemeinerung stattfindet. Beispielsweise könnte die Pflegekraft von der Ansicht geprägt sein, dass bestimmte Erkrankungen, Bewegungs- einschränkungen oder Symptome im Alter üblich sind und daher keiner weiteren speziellen Untersuchung oder Pflege bedürfen. Häufig findet der Assimilationseffekt in der Werbung Anwendung: Eine neutrale Information (z. B. neues Produkt) wird mit etwas positiv besetzten klassiert (z. B. Prominenter, Tier, Comic-Figur) (Co-Branding) und so der Eindruck erweckt, dass beides positiv ist (Reflected-Glory Effect).

Attentional Bias

(Tendenz zur Aufmerksamkeitsverschiebung)

„Die Energie folgt der Aufmerksamkeit.“ (Havener 2011, S. 60) In diesem kurzen Satz ist bereits das Problem, welches mit der Attentional Bias oder auch Aufmerksamkeitsbias verbunden ist, charakterisiert. In der Literatur wird dieser Effekt meist mit der Neigung die Aufmerksamkeit selektiv auf bedrohliche Reize zu lenken verbunden. Im weiteren Sinn kann aber das Adjektiv „bedrohlich“ ausgeklammert und durch „bestimmte“ ersetzt werden. Während bei der Confirmation Bias Informationen (Cues) gesucht werden, die Entscheidungen und Annahmen stützen und bestätigen und bei der Congruence Bias es darum geht, gezielt Cues zu suchen, die die bereits getroffene Meinung untermauern, geht es hier nicht (nur) um Informationen in Form von Daten, sondern allgemein um Reize. Diese können in der Pflege auch Aspekte der nonverbalen Kommunikation (Gestik, Mimik), ein Lächeln oder Weinen sein. Die Attentional Bias kann dabei so ausgeprägt sein, dass die Tatsachen, also die Realität so verzerrt wahrgenommen wird, dass dies Entscheidungen beeinflusst, obgleich die Pflegekraft dies nicht bewusst tut bzw. sich für unbeeinflusst erachtet. Da, wie eingangs erwähnt, die Energie der Aufmerksamkeit folgt, werden diese Reize entweder verstärkt aufgenommen und verarbeitet (Positive Priming Effect) (PPE) oder führen zu einer verlangsamten Reaktion auf einen zuvor ignorierten Reiz (Negative Priming Effect) (NPE). Interessant ist in diesem Zusammenhang der, nach John Ridley Stroop benannte „Stroop-Effekt“, in dem Probanden Farbwörter (z. B. blau) gezeigt werden, die aber in einer anderen Farbe (Druckfarbe beispielsweise rot) gedruckt sind. Nun soll die Versuchsperson entweder lesen oder die angegebene Druckfarbe nennen, was meist zu Schwierigkeiten führt. Im Laufe der Zeit wurden weitere experimentelle Varianten des Stroop-Tests, nämlich der Emotions-Stroop-Test und der Numerische Zahlen-Stroop-Test entwickelt. Im Pflegesetting bedeutet dies, dass die Pflegekraft leicht geneigt sein kann, nur ausgewählte Reize mit Aufmerksamkeit zu verfolgen. Je nach Vorannahmen, Vorurteilen und ggf. Vorlieben können dabei andere relevante Reize ausgeblendet werden. Die einseitige Aufnahme beispielsweise von Reizen, die in der Person begründet sind (Trait marker) kann aber dazu führen, Tatsachen, die im Zustand der Person (State marker) begründet sind, vernachlässigt werden, was den objektiven Reasoningverlauf beeinflusst.

Attribution Error

(Tendenz zur Korrespondenzverzerrung)

Im Pflegesetting muss, um richtige Entscheidungen treffen zu können, die Pflegekraft nach den möglichen Ursachen eines bestimmten Verhaltens suchen. Sie fragt sich dabei, was der Grund (Causa) ist. Der mentale Prozess, in dem die Pflegekraft diesen Grund findet beziehungsweise festlegt bezeichnet die (Sozial)-Psychologie als „Kausalattribution“. Attributionen können dabei internal oder external erfolgen. „Bei internaler Attribution schreibt die Person sich selbst die Handlungsursache zu (…), bei externaler Attribution wird diese in Umständen außerhalb der eigenen Person, in der Regel in Umständen der sozialen Umwelt gelegt.“ (Siegrist 2005, S. 53) Eine Sonderform des Attributionsfehlers ist der Actor-Observer-Effect (Tendenz das eigene Verhalten anders zu begründen als das anderer Menschen).

Die möglichen Ursachen für ein bestimmtes Verhalten, beispielsweise eines Pflegebedürftigen können grundsätzlich in drei Kategorien gegliedert werden:

- Person

(Die Ursache liegt in der Person begründet. Wünsche, Absichten, Fähigkeiten, Fertigkeiten, Einstellungen und Meinungen determinieren das beobachtete Verhalten)

- Objekt

(Das Verhalten ist durch das Objekt oder einen Stimulus determiniert)

- Situation

(Ursache für das Verhalten ist ausgelöst durch eine spezielle Situation)

Beispiel Pflegesetting:

Der Bewohner Herr Müller verweigert die Nahrungsaufnahme.

Personenattribution:

Objektattribution:

Situationsattribution:

Die Ursache ist in der Person liegend. Herr Müller kann die Nahrung nicht aufnehmen, beispielsweise aufgrund Dysphagie (Schluckstörung), Funktionseinschränkungen der Hände oder Arme etc.

Die Ursache ist in der Nahrung zu suchen, beispielsweise könnte diese zu heiß oder zu hart sein.

Die Ursache ist in der Situation begründet, beispielsweise könnte es Herrn Müller im Speisesaal zu laut oder zu voll sein.

Es veranschaulicht, dass die drei möglichen Erklärungen die Ursache jeweils anders lokalisieren. Schließlich benötigt die Pflegekraft Fachwissen und vor allem Hintergrundwissen über die Person (den Pflegebedürftigen), das Objekt und die Situation, was wiederum Komponenten wie Biographiekenntnisse, Reflektiertheit und Beobachtungsgabe voraussetzt.

Diese kognitiven Komponenten sollten im CRA-Prozess gepaart sein mit Kenntnissen um kognitive Verzerrungen; hier besonders um Kenntnisse, wie es zu Attributionsfehlern kommen kann.

Mögliche Ursachen für Attributionsfehler können sein:

- Aufmerksamkeit

Es ist für eine Pflegekraft unmöglich stets hundertprozentig Aufmerksam zu sein. Sie muss sich also während ihrer Beobachtungen beschränken. Da sie sich allerdings auf die zu beobachtende Person, beispielsweise den Pflegebedürftigen beschränkt, tendiert sie verstärkt dazu dispositionale, also internale Ursachen anzunehmen da externale Ursachen schwerer festzustellen - oder bereits nicht mehr vorhanden sind.

- Auffälligkeiten

Auffälligen (salienten) Objekte wird zur Ursachenbestimmung eine größere Bedeutung beigemessen als unauffälligeren oder gar versteckten (okkulten) Objekten

- Ausreichende Ressourcen

Der Attributionsfehler wird als Urteilsheuristik zeitnah, schnell und vor allem automatisch-unbewusst begangen. Zum bewußten, also kontrollierten und zielgerichteten Denken benötigt die Pflegekraft freie Ressourcen wie Zeit, Konzentration oder weitere Informationen. Manche Situationen ermöglichen diese optimalen Bedingungen aber nicht.

- Angehörigkeit zur Kultur

Der Attributionsfehler ist kulturabhängig: Pflegekräfte aus eher kollektiv geprägten Kulturen begehen den Attributionsfehler seltener - oder vielleicht besser: anders. Hier wird eher external statt internal attributiert.

- Akteur-Beobachter-Unterschied

Der Actor-Observer-Effect besagt, dass Menschen die Tendenz zeigen, ihr eigenes Verhalten anders zu begründen als das anderer Menschen.

Authority Bias

(Tendenz eher Autoritäten zu glauben)

„Dass Autoritäten oft nachweislich falschliegen, ist nur ein Problem. Irren ist menschlich. Gravierender wiegt die Tatsache, dass wir in der Präsenz einer Autorität das selbständige Denken um eine Stufe zurückschalten. Wir sind gegenüber Expertenmeinungen viel unvorsichtiger als gegenüber anderen Meinungen. Und: Wir gehorchen Autoritäten selbst dort, wo es rational oder moralisch keinen Sinn ergibt. Das ist der Authority Bias.“ (Dobelli 2010) Im Bereich der EBM (Evidence-based Medicine) wird oft, manchmal scherzhaft aber trotzdem zu Recht, vor Eminence-based Medicine gewarnt, die sich nicht auf wirkliches Erfahrungswissen sondern auf die Autorität desjenigen stützt, der die Aussage getroffen hat. Im Bereich des Evidence-based Nursing (EBN) gilt für die entscheidende Pflegekraft gleiches.

Availability Bias

(Tendenz verfügbare Beispiele zu betonen)

Je nachdem sich die Pflegekraft an bereits eingetretene Ereignisse erinnert und diese subjektiv als wahrscheinlich erachtet, hängt es ab, ob sie in ihren zu treffenden Entscheidungen zu der Meinung kommt, dass diese Tatsachen häufiger sind und daher auch im gegebenen Entscheidungsfall vorliegen. Wir machen uns also ein Bild der Wirklichkeit und nutzen dabei einfache, verfügbare (daher auch „Verfügbarkeitsbias“ oder „Verfügbarkeitsheuristik“) Beispiele, die uns einfallen. Das Problem dabei ist, dass mental verfügbare oder mental vertraute Informationen für wichtiger gehalten werden als nicht verfügbare oder unvertraute. „Psychologists call this the availability bias: what´s out of sight is often out of mind.“ (Russo 1992, S. 11) Im CRA-Prozess ist im Rahmen der Pflegeplanung oft festzustellen, dass bestimmte Prophylaxen umso häufiger eingetragen werden, desto zeitlich näher und auch häufiger ein diesbezüglicher Bedarf eingetreten ist. Maßnahmen müssen aber pflegerelevant und zielorientiert sein und dürfen nicht auf verzerrten Einschätzungen über Tatsachen durch die Pflegekraft beruhen.

Bandwagon Effect

(Tendenz der Meinungsübernahme)

Neigt eine Pflegekraft dazu, sich der Meinung anderer, vorzugsweise der Majorität freiwillig anzuschließen, deren Ansichten zu übernehmen und somit die eigenen Erkenntnisse hinten anzustellen, spricht man vom „Bandwagon Effect“. Im CR-Prozess können mehrere Pflegekräfte zu gleichen Entscheidungen kommen, ohne dass diese unbedingt richtig sein müssen. Teilen sie nun das Ergebnis im Team mit, besteht die Gefahr, dass andere diese Meinung übernehmen, da sie sie für richtig halten, denn schließlich sind mehrere andere Fachkräfte zu dieser Einsicht gekommen.

Barnum Effect

Forer Effect

Base-rate Fallacy

(Tendenz zur Vernachlässigung der Grundverteilung)

Während des Pflegeprozesses werden immer wieder neue Informationen gewonnen und in die Entscheidungen einbezogen. Dabei sollte seitens der Pflegenden berücksichtigt werden, dass „neu eintreffende Informationen (…) bei der Wahrscheinlichkeitsbearbeitung (Übergang von Apriori- zu Aposteriori- Wahrscheinlichkeiten) formal mit Hilfe der Bayes Regel berücksichtigt werden. Treffen neue Informationen ein, neigen Menschen jedoch dazu, die Basisrate (Apriori-Wahrscheinlichkeit) im Vergleich zu den neuen Informationen deutlich zu vernachlässigen.“ (Jooß 2006, S. 53) Bei der Beurteilung eines Pflegebedürftigen ist die Pflegekraft daher angehalten, zunächst einmal auf das apriori wahrscheinlichste Ereignis als auslösenden Moment zu achten. Zieht beispielsweise eine ältere, gepflegte und leicht adipöse Dame mit guten Umgangsformen ins Heim ein - was ist wahrscheinlicher? A) Die Dame war früher Opernsängerin in München oder B) Die Dame ist aus der näheren Umgegend. Viele neigen nun dazu, da sie die vorgegeben Antworten kennen auf A zu tippen, da man sich genau so eine frühere Opernsängerin vorstellt. Das ist aber falsch! Es gibt wesentlich mehr ältere Damen, auf die die Beschreibung passt, die ihre Heimat im Umkreis des Heimes haben, als dass es Opernsängerinnen in München gibt. Die genaue Beschreibung in A und B verführt also die Pflegekraft dazu den Blick von der statistischen Wahrheit (apriori) abzuwenden und die Tatsachen nun (aposteriori) anders zu beurteilen.

Belief Bias

(Tendenz zu glaubwürdigen Schlussfolgerungen)

Hsee und Hastie sehen in der Belief Bias eine kognitive Verzerrung darin, dass auf Grundlage inakkurater Laientheorien falsche Vorhersagen getroffen werden. (Hsee 2006) Die Pflegekraft hat wie jeder Mensch Ansichten und Vorurteile, die sich auf das logische Denken auswirken. Tatsachen können somit als eher wahrscheinlich, also glaubwürdig betrachtet werden, oder als eher unwahrscheinlich, unglaubwürdig angesehen werden. Die Schlussfolgerungen werden dann dadurch beeinflusst, dass Pflegekräfte glaubwürdige Schlussfolgerungen eher vorziehen als unglaubwürdigen. Dabei ist glaubwürdig nicht mit „richtig“ gleichzustellen, denn offensichtlich „sind Menschen eher dazu bereit eine falsche Schlussfolgerung zu akzeptieren, wenn diese glaubwürdig klingt.“ (Obermaier Jahr NN, S. 8) Umgekehrt formuliert bedeutet dieser Bias (auch Überzeugungsbias) also: „Wir sehen Unlogisches leichter anhand von Schlussfolgerungen ein, die unseren Überzeugungen widersprechen, als anhand solcher, die mit unseren Überzeugungen übereinstimmen.“ Myers 2008, S. 443) Als Beispiel aus der Pflege könnte man sich eine Situation in der Betreuung dementiell erkrankter Menschen vorstellen: Ist die Pflegekraft der Überzeugung, dass Demente im Umgang mit Elektrogeräten unbedarft sind, ist es logischer und folglich als Schlussfolgerung wahrscheinlich richtig, dass dieser Bewohner den Elektroherd in der Gemeinschaftsküche eingeschaltet hat, als beispielsweise die junge, kognitiv uneingeschränkte Hilfskraft. Für das Denken der Pflegekraft über Tatsachen hat dieser Bias also diesbezüglich Einfluss.

Bias Blind Spot

(Tendenz sich für unbeeinflusst zu halten)

Ein Denkfehler besteht darin, zu glauben, dass man selbst völlig frei von Beeinflussungen ist und solche Phänomene nur auf andere zutreffen. Analog zum blinden Fleck im Auge (Discus nervi optici) bezeichnet der Begriff „Bias Blind Spot“ diese Fehlannahme. Jede Pflegekraft muss sich bewusst sein, dass auch sie von kognitiven Verzerrungen betroffen sein kann und somit ihre Entscheidungen reflektiert überprüfen muss.

Certainty Effect / Pseudocertainty Effect (Tendenz zur vermeindlichen Sicherheit)

Der Sicherheitseffekt (Certainty Effect) beziehungsweise die Tendenz vermeindlicher Sicherheit mehr Gewicht zu geben, bezeichnet das Phänomen, dass die Differenz (ΔP = P2 - P1) zwischen zwei Wahrscheinlichkeiten P1 und P2 besonders die Entscheidung beeinflusst, wenn es sich um einen nahen Übergang von „fast sicher“ zu „sicher“ handelt. Bei einer Differenz (ΔP) von 5% zwischen P1 = 85% und P2 = 90% wird der Übergang als stärker wahrgenommen, als von P1 = 30% auf P2 = 35%. „Sichere Ergebnisse werden stärker gewichtet als unsichere, die den gleichen oder sogar einen höheren Erwartungsnutzen haben. Der Effekt tritt auch bei hohen Eintrittswahrscheinlichkeiten auf. Besteht eine Wahl zwischen Ergebnissen mit hoher Eintrittswahrscheinlichkeit und solchen mit geringer, wird ebenfalls die vermeindlich sichere Variante gewählt.“ (Heitmann 2006, S. 67) Im letzteren Fall spricht man von „Pseudocertainty Effect“. Für die, sich im Prozess des Clinical Reasoning befindliche Pflegekraft bedeutet dies, dass sie eventuell eine Präferenz für geplante Maßnahmen hat, die beispielsweise den Pflegebedürftigen zu 80% befähigen künftig 10 Meter selbständig zu gehen, als zu 40%, dass dieser bald 20 Meter alleine zurücklegen kann. Bestmögliche Pflege (Best Practise) beinhaltet aber genau diese Überlegung, was denn nun das Beste für den Pflegebedürftigen ist.

Choice-Supportive Bias

(Tendenz Entscheidungen nachträglich besser zu bewerten)

Entscheidungen werden aufgrund von Informationen und deren Bewertungen durch die Pflegekraft getroffen. Im Nachhinein kann es dazu kommen, manche Informationen besser als andere zu bewerten und dementsprechend auch die daraus resultierenden Entscheidungen positiver als andere anzusehen. Da allerdings diese Beurteilungen die Pflegeinterventionen determinieren ist eine möglichst neutrale Betrachtungsweise indiziert. Die Ursache einer solchen Choice-Supportive Bias liegt im Gedächtnis des Menschen begründet, retrospektiv nicht völlig neutral zu memorieren.

Clustering Illusion

(Tendenz in Daten Muster zu erkennen)

Die Tendenz in Daten(-strömen) und Informationen Muster (pattern) zu erkennen, da eine bestimmte Häufung (cluster) angenommen wird, obwohl hierin keine Muster vorliegen und diese vermeintliche Tatsache trotzdem zum Entscheidungsprozess heranzuziehen, bezeichnet man mit den Begriff „Clustering Illusion“. Wie bei vielen kognitiven Verzerrungen hat auch diese ursprünglich einen psychischen Nutzen für den Menschen. Bereits für unsere Vorfahren war es nützlich, beispielsweise im Fluchtverhalten bestimmter Tiere Muster zu erkennen. Clinical Reasoning bedient sich dessen heute im Bereich der sogenannten „Pattern recognition“. Im Bereich von Unterricht und Lehre werden bewusst Muster gebildet (pattern formation) um Lehr- und Lerninhalte dem Lernenden leichter erlernbar zu machen und auch die moderne Mathematik hat spätestens seit dem berühmtesten Fraktal, dem sogenannten „Apfelmännchen“ (Darstellung der Mandelbrot-Menge) von Benoit B.

Mandelbrot erkannt, dass unsere Welt vielfach von Mustern durchwoben ist. Zum Problem wird diese Mustererkennung dann, wenn Menschen Cluster und somit Muster zu erkennen glauben, obwohl keine vorhanden sind. Dieses Phänomen nennt man Pareidolie (engl. Pareidolia) oder auch Apophänie. Die Pflegekraft, die dieser Illusion aufsitzt kann beispielsweise geneigt sein, in bestimmten Verhaltensweisen, Lebensereignissen, Äußerungen oder biographischen Daten Muster zu erkennen und damit ihre Entscheidung verzerren. Ein Extremfall, der mit der Outcome Bias assoziiert ist, ist der Zielscheibenfehler (Texas Sharpshooter Fallacy), bei dem nach dem lateinischen Motto „cum hoc ergo propter hoc“ („mit diesem, also deswegen“) ein Cluster erkannt wird und daraus rückwirkend ein kausaler Zusammenhang konstruiert wird. Der Begriff „Texas Sharpshooter Fallacy“ bezieht sich dabei auf einen Texaner, der mit seiner Waffe auf ein Scheunentor schießt und dort die Zielscheibe nachträglich herum zeichnet, wo er die größte Trefferhäufung findet. Bekannt geworden in Medizin und Pflege ist diese „Cum-hoc-ergo- propter-hoc-Mentalität“ im Zusammenhang mit der Auseinandersetzung zwischen Schulmedizin und Alternativmedizin. Obgleich zweite bisher wenig nachgewiesene Evidence darlegen kann und die Therapien oft kritisiert werden, ob sie interne Validität (Einfluss der Methode, also Effektivität) zeigen oder ausschließlich vom Anwender abhängen, neigen Anhänger alternativer Methoden häufig zum Ausspruch: „Wer heilt, hat recht!“ und verweisen dabei auf ein Cluster von Ergebnissen, die genauso mit dem Einfluss des Therapeuten auf den Klienten koinzidiert sein können. Gleiches gilt für die Pflege in Bereichen wie Basale Stimulation, Bobath-Konzept oder Snoezelen. Auch hier besteht ebenso noch Forschungsbedarf, die diesen Methoden ausreichend externe Evidence geben, um die entscheidende Pflegekraft im Rahmen von EBN innerhalb des CRA-Prozesses zu unterstützen.

Confabulation

(Tendenz zum Konfabulieren)

Der Bereich der Konfabulation ist breit gefächert und vom Lügen abzugrenzen. Aus medizinischer Sicht ist Konfabulation das „Überspielen von Gdächtnislücken durch Erzählen meist zufälliger Einfälle, die der Pat. selbst für Erinnerungen hält.“ (Pschyrembel 2002, S. 887) Dabei sind diese Erzählungen objektiv falsch. Jede Pflegekraft kann der provozierten Konfabulation aufsitzen, wenn sie versucht mehr Informationen aus ihrem Gedächtnis abzurufen, als abgespeichert sind. Dieser Bias tritt gelegentlich bei jedem Menschen auf und ist von der Lüge und der Pseudologie insofern abzugrenzen, als dass bei letzteren beiden die Wahrheit bewusst falsch widergegeben wird bzw. ein pathologischer Drang dazu besteht.

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Details

Seiten
Jahr
2012
ISBN (eBook)
9783656185949
ISBN (Paperback)
9783656187387
DOI
10.3239/9783656185949
Dateigröße
797 KB
Sprache
Deutsch
Erscheinungsdatum
2012 (Mai)
Schlagworte
Clinical Reasoning Cognitive Bias Kognitive Verzerrung Gerechter Welt Glaube Hof-Effekt halo-effect Dunning Kruger Peter Prinzip Altenpflege Homo oeconomicus CCT Cognitive Continuum Theory
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Titel: Kognitive Verzerrungen im Clinical Reasoning der Altenpflege