Die Gemeinsame Erklärung zur Rechtfertigungslehre
Einige Betrachtungen zu Entstehung und Rezeption dieses Dokuments
Zusammenfassung
Die vorliegende Arbeit hat zum Ziel, einige Überlegungen zu dieser Erklärung anzustellen. Dabei soll es um die Geschichte der GE gehen und darum, welche Reaktionen es in Bezug auf die GE von lutherischer und katholischer Seite gab. Bei den Reaktionen wird sich diese Arbeit neben den offiziellen Stellungnahmen beider Dialogpartner auf Meinungsäußerungen aus Deutschland beschränken.
Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Die Gemeinsame Erklärung zur Rechtfertigungslehre
2.1. Vorgeschichte und Entstehung des Textes
2.2. Aufbau und Themen der Gemeinsamen Erklärung
2.3. Einige Reaktionen auf die Gemeinsame Erklärung
2.3.1. von evangelischer Seite
2.3.2. von katholischer Seite
2.3.3. aus Anlass des zehnten Jahrestages der Unterzeichnung der GE
3. Resümee
Literaturverzeichnis
1. Einleitung
Das unterschiedliche Verständnis in Bezug auf die Rechtfertigungslehre wurde seit dem 16. Jahrhundert als ein wesentlicher Punkt für die bleibende Trennung der Konfessionen betrachtet. Heute setzen sich viele Christen in der Ökumene für eine Widerannäherung der christlichen Konfessionen ein. Die zunehmenden Bemühungen des letzten Jahrhunderts um eine Verbesserung der Ökumene hatten auch das Ziel, dort wo möglich gegenseitige Lehrverurteilungen aufzuheben. Ein erstes konkretes Ergebnis dieser Anstrengungen ist die Gemeinsame Erklärung zur Rechtfertigungslehre (im folgenden GE), welche 1999 vom Lutherischen Weltbund und der Katholischen Kirche verabschiedet wurde.
Die vorliegende Arbeit hat zum Ziel, einige Überlegungen zu dieser Erklärung anzustellen. Dabei soll es um die Geschichte der GE gehen und darum, welche Reaktionen es in Bezug auf die GE von lutherischer und katholischer Seite gab. Bei den Reaktionen wird sich diese Arbeit neben den offiziellen Stellungnahmen beider Dialogpartner auf Meinungsäußerungen aus Deutschland beschränken.
2. Die Gemeinsame Erklärung zur Rechtfertigungslehre
2.1. Vorgeschichte und Entstehung des Textes
Ab Mitte des 20. Jahrhunderts ist eine deutliche Zunahme der Bemühungen um eine bessere Verständigung zwischen den verschiedenen christlichen Konfessionen zu beobachten. Dabei gehen diese Bemühungen auf die Anfänge des ökumenischen Dialogs in den 30er Jahren des 20. Jh. zurück, der z.B. mit Namen wie Y. Congar, J. Lortz und G. Söhngen verbunden ist. In den 50er Jahren zeigt die Auseinandersetzung mit der Theologie K. Barths durch katholische Theologen wie H.U. v. Balthasar oder H. Küng das zunehmende Interesse am Gegenüber.[1]Als bedeutsam für die Geschichte der GE kann hier gerade auch die Dissertation Küngs angesehen werden, in welcher er schreibt, dass die Lehre K. Barths sich in grundsätzlicher Übereinstimmung mit der Lehre der katholischen Kirche befindet und deshalb an diesem Punkt eine Kirchenspaltung nicht zulässig sei. [2] Ein weiterer wichtiger Autor auf katholischer Seite ist sicher O.H. Pesch mit seinem Werk Theologie der Rechtfertigung bei Martin Luther und Thomas von Aquin, welches erstmals im Jahre 1967 erschien. Auch auf evangelischer Seite sind aus dieser Zeit Autoren zu nennen, welche sich gerade mit dem Thema der Rechtfertigung aus evangelischer und katholischer Sicht beschäftigten. Dies sind z.B. U. Kühn (Via Caritatis. Theologie des Gesetzes bei Thomas von Aquin, Göttingen 1965), H.G. Pöhlmann (Rechtfertigung. Die gegenwärtige kontroverstheologische Problematik der Rechtfertigungslehre zwischen der evangelisch-lutherischen und der römisch-katholischen Kirche, Gütersloh 1971) und M. Bogdahn (Die Rechtfertigungslehre Luthers im Urteil der neueren katholischen Theologie. Möglichkeiten und Tendenzen der katholischen Lutherdeutung in evangelischer Sicht, Göttingen 1971). Als Beispiel für die Frucht ökumenischer Zusammenarbeit kann das gemeinsame Werk von U. Kühn und O.H. Pesch Rechtfertigung im Gespräch zwischen Thomas und Luther (Berlin 1967) betrachtet werden. Diese Aufzählung zeigt an, dass sich die „ökumenische Theologie ... letztlich bei aller Teamarbeit auf die wissenschaftlichen Forschungen einzelner Theologen“ [3] stützt.
Neben diesen Arbeiten einzelner Autoren ist der offizielle ökumenische Dialog und die aus ihm hervorgegangenen Papiere als wesentlich für die Entwicklung hin zur GE zu sehen. So kam 1967 erstmals eine internationale lutherisch/römisch-katholische Studienkommission zusammen, welche einen umfassenden „Dialog über jene grundlegenden Fragen., die die beiden Kirchen trennen und verbinden“ [4] beginnen sollte. Die erste Frucht dieser Arbeit wurde 1972 mit dem so genannten Malta-Bericht, einem Papier mit dem Titel Das Evangelium und die Kirche, durch die Kommission vorgelegt. In diesem Bericht wird bereits von einem weitreichenden Konsens in Bezug auf die Rechtfertigungslehre gesprochen.[5]Auf eher regionaler Ebene angesiedelt ist die Arbeit einer Kommission zwischen Lutheranern und Katholiken in den USA, welche bereits seit 1965 tätig ist. Sie beschäftigte sich von 1978 bis 1983 mit der Frage der Rechtfertigung durch den Glauben und legte die Ergebnisse ihrer Bemühungen in dem Bericht Justification by Faith. Lutherans and Catholics in Dialogue VII vor.[6]Dieses Papier ist deshalb von besonderer Wichtigkeit, weil es ausdrücklich als Quelle angegeben wird, auf welche bei der Erarbeitung der GE zurückgegriffen wurde.[7]
Eine zweite wichtige regionale Quelle ist die Arbeit des Ökumenischen Arbeitskreises evangelischer und katholischer Theologen (ÖAK) in Deutschland. Eine Arbeitsgruppe des ÖAK hatte sich über 5 Jahre mit Frage zur Rechtfertigung auseinandergesetzt und in der
mehrbändigen Veröffentlichung Lehrverurteilungen - kirchentrennend? die Ergebnisse ihrer 8 Arbeit vorgestellt. [8]
Diese und weitere Arbeiten bildeten die Grundlage für die vom Lutherischen Weltbund und der römisch-katholischen Kirche beauftragte ökumenische Arbeitsgruppe für die Erarbeitung der GE.[9]In dieser Gruppe waren zunächst von katholischer Seite Lothar Ullrich (Deutschland), George Tavard (USA) und Heinz-Albert Raem (Einheitsrat) sowie von evangelischer Seite Harding Meyer (Deutschland), John Reumann (USA) und Eugene Brand (LWB). Eine erste, noch nicht veröffentlichte Fassung, der sogenannte Genfer Text, wurde im Januar 1995 sowohl dem Einheitsrat als auch den Mitgliedskirchen des LWB zugeleitet. Dabei erging an alle Empfänger die Bitte um eine Stellungnahme sowie darum, Verbesserungsvorschläge zu diesem Papier abzugeben. Die Auswertung der Reaktionen und die Überarbeitung des Textes - nun durch eine größere Gruppe von Theologen - führte zum „Würzburger Text“ von 1996. Auch dieses Papier wurde einer nochmaligen Revision unterzogen und schließlich im Januar 1997 - wieder in Würzburg - eine abschließende Fassung veröffentlicht.[10]Sowohl der LWB als auch die römisch-katholische Kirche sind nun aufgerufen, sich dazu zu äußern, inwieweit sie bereit sind, die GE zu unterzeichnen und damit erstmals seit der im 16. Jahrhundert erfolgten Kirchentrennung „ein gemeinsam erarbeitetes Lehrdokument offiziell [durch die] beiden Kirchen“[11] anzuerkennen und in Geltung zu setzen. Die Antworten bestanden in der Beschlussfassung des Rates des Lutherischen Weltbundes zur Gemeinsamen Erklärung zur Rechtfertigungslehre vom 16.6.1998 und der Antwort der katholischen Kirche auf die Gemeinsame Erklärung zwischen der katholischen Kirche und dem Lutherischen Weltbund über die Rechtfertigungslehre vom 25. 6. 1998. [12]
Durch beide Kirchen erfolgte eine grundsätzliche Zustimmung verbunden mit dem Hinweis auf weiter zu bearbeitende Fragen. Diese sollten jedoch kein Hinderungsgrund sein, sondern die Aufgaben für die nächsten Jahre aufzeigen.
Aufgrund der positiven Stellungnahmen durch den LWB und den Vatikan kam es schließlich am 31. Oktober 1999 in Augsburg zur Unterzeichnung der GE, verbunden mit einer Gemeinsamen offiziellen Feststellung (GOF), in der beide Kirchen ausdrücklich ihre Zustimmung zur GE bestätigen. Die GE sollte immer in Zusammenhang mit der GOF und dem Anhang (Annex) zur Gemeinsamen offiziellen Feststellung gelesen werden und wurde auch in Verbindung mit diesen Texten veröffentlicht. [13]
2.2. Aufbau und Themen der Gemeinsamen Erklärung
Die GE besteht aus 44 Artikeln. Diese sind in eine Präambel und 5 Kapitel aufgegliedert, wobei die Anzahl der Artikel je Teil sehr unterschiedlich ist. [14]
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
In der Präambel wird nach dem historischen Bezug auf die lutherischen Bekenntnisschriften und das Konzil von Trient in Art. 3 auf einige Berichte verwiesen, welche aus den ökumenischen Dialogen des 20. Jahrhunderts hervorgegangen waren. Des Weiteren wird das Ziel der GE erklärt: Sie will aufzeigen, dass die unterzeichnenden Kirchen nach den bisherigen Dialogen in der Lage sind, „ein gemeinsames Verständnis unserer Rechtfertigung durch Gottes Gnade im Glauben an Christus zu vertreten“[15]. Ausdrücklich wird darauf hingewiesen, dass es sich hier um einen Konsens in Grundwahrheiten handelt und dass damit noch kein Konsens in allen Fragen der Rechtfertigung erreicht wurde. Auch wird bereits hier auf den Anhang verwiesen, in welchem die Quellen angegeben sind, auf welchen die GE aufbaut. Dieser Verweis zeigt, wie wichtig ein Studium dieser Quellen für das Verständnis der GE ist.
[...]
[1]Vgl. Bischof Karl Lehmann, Einig im Verständnis der Rechtfertigungsbotschaft? Erfahrungen und Lehren im Blick auf die gegenwärtige ökumenische Situation. Eröffnungsreferat bei der Herbstvollversammlung der Deutschen Bischofskonferenz und Dokumente zur Gemeinsamen Erklärung über die Rechtfertigungslehre, DBK 19, 9.
[2]Vgl. H. Küng, Rechtfertigung: die Lehre Karl Barths und eine katholische Besinnung, München u.a. 1986, 274 u. 365.
[3]DBK 19, 10.
[4]Lutherischer Weltbund, Lutherisch/römisch-katholische Beziehungen, in: http://www.lutheranworld.org/ Arbeitsfelder/BOEA/Bilateral_Relations/BOEA-Luth-Kath.html (Stand 2.9.11), 2 Seiten. 1.
[5]Vgl. DBK 19, 10.
[6]Vgl. H.G. Anderson u.a. (Hg.), Justification by Faith. Lutherans and Catholics in Dialogue VII, Minneapolis 1985.
[7]Vgl. Lutherischer Weltbund / Päpstlicher Rat zur Förderung der Einheit der Christen, Gemeinsame Erklärung zur Rechtfertigungslehre. Gemeinsame offizielle Feststellung. Anhang (Annex) zur Gemeinsamen offiziellen Feststellung, Frankfurt a.M. / Paderborn 4 2000, 26.
[8]Vgl. DBK 19, 11f.
[9]Vgl. hierzu auch U. Kühn, Ein ökumenischer Meilenstein, in: J. Brosseder u.a. (Hg.), Überwindung der Kirchenspaltung. Konsequenzen aus der Gemeinsamen Erklärung zur Rechtfertigungslehre, Neukirchen-Vluyn 2 2000, 16 - 22. 19f.
[10]Vgl. O.H. Pesch, Die >Gemeinsame Erklärung zur Rechtfertigungslehre< Entstehung - Inhalt - Bedeutung - Konsequenzen. Vortrag in der Karl Rahner Akademie Köln vom 13. Januar 1998, in: http://www.kath.de/ akademie/rahner/04Vortraege/01print/inhalt-online/_pesch-rechtfertigung.html (Stand 26.7.11), 22 Seiten. 3f.
[11]U. Kühn, a.a.O. 16.
[12]Vgl. Beschlußfassung des Rates des Lutherischen Weltbundes zur Gemeinsamen Erklärung zur Rechtfertigungslehre, DBK 19, 59 - 66 und Antwort der katholischen Kirche auf die Gemeinsame Erklärung zwischen der katholischen Kirche und dem Lutherischen Weltbund über die Rechtfertigungslehre, DBK 19, 67 - 72. Das Datum der Beschlussfassung des LWB wurde der Homepage des LWB entnommen: http://www.lutheranworld.org/Events/OfficialDocuments/beschl.html (Stand 4.9.11), 1 Seite.
[13]Siehe Anm. 7.
[14]Im Folgenden wird bei Zitaten, welche den 44 Artikeln der GE entnommen sind, nur der jeweilige Artikel genannt, ohne auf eine bestimmte Druckausgabe zu verweisen.
[15]GE, Art. 5.