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Die Petrinischen Reformen und ihre Auswirkungen auf das Verhalten der Kosaken Mazepa und Bulavin

©2011 Hausarbeit (Hauptseminar) 26 Seiten

Zusammenfassung

"Daß Rußland seit einigen zwanzig Jahren ganz verwandelt und verändert sey, werden nicht allein diejenigen, welche in Rußland gewesen, sondern auch alle, die nur einige Kentniß von dem jetzigen Zustande der nordischen Sachen haben, gestehen müssen."

Mit diesen Worten beginnt der Bericht des Hannoverschen Gesandten Friedrich Christian Weber, der lange Zeit am Hofe Peters I. als Diplomat beschäftigt war. Nicht nur für westeuropäische Beobachter schien Russland zur Zeit Peters einen grundlegenden Wandel zu durchlaufen, der nicht nur das russländische Kernland, sondern auch die Peripherie im Süden des Reiches umfasste. In diesem Bereich siedelten die Kosaken unter anderem an Don und Dnepr. Am Don waren dabei die russischen Kosaken beheimatet und am Dnepr siedelten ukrainische Kosaken. Ziel dieser Arbeit ist es, die Auswirkungen der Petrinischen Reformen, besonders nach 1700 auf die Strukturen und Lebensweise der Kosaken zu untersuchen. Im Laufe des Großen Nordischen Krieges kam es zwei mal zu einem Aufbegehren gegen den Zaren. Kondratij Bulavin und Ivan Mazepa reagierten unterschiedlich auf die Reformen Peters, einmal mündete die Unzufriedenheit in einem Aufstand, und im anderen Falle kam es zu einem Überlaufen zu den Schweden, dem Hauptgegner Russlands. Neben der Untersuchung der Petrinischen Reformen soll daher auch die Frage geklärt werden, ob die Reformen Peters zu dem Verhalten Mazepas und Bulavins geführt haben.
Durch den Umfang der Arbeit kann die Untersuchung der Reformen Peters nur auf einige Teilbereiche beschränkt bleiben. Militär, Verwaltung und die schrittweise Durchdringung der Peripherie mittels zunehmender staatlicher Kontrolle sollen dabei im Mittelpunkt stehen. Nachdem wir die Reformen Peters untersucht haben werden, wollen wir uns den traditionellen kosakischen Lebensformen widmen, um zu klären, inwiefern die Reformen Peters Auswirkungen auf diese hatten. Anschließend sollen der Aufstand unter Bulavin und der "Verrat"2 Mazepas genauer untersucht werden. Danach werden die beiden Kosakenführer verglichen und es erfolgt eine abschließende Beurteilung der Geschehnisse.

Leseprobe

Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Die Reformen Peters des Großen

3. Kosakische Lebensformen und das kosakische Verständnis von Eigenständigkeit

4. Der Aufstand unter Bulavin

5. Das Überlaufen Mazepas zu Karl XII.

6. Mazepa und Bulavin- Versuch eines Vergleiches

7. Abschließende Bemerkungen

8. Quellenverzeichnis

9. Literaturverzeichnis

1. Einleitung

"Daß Rußland seit einigen zwanzig Jahren ganz verwandelt und verändert sey, werden nicht allein diejenigen, welche in Rußland gewesen, sondern auch alle, die nur einige Kentniß von dem jetzigen Zustande der nordischen Sachen haben, gestehen müssen."[1]

Mit diesen Worten beginnt der Bericht des Hannoverschen Gesandten Friedrich Christian Weber, der lange Zeit am Hofe Peters I. als Diplomat beschäftigt war. Nicht nur für westeuropäische Beobachter schien Russland zur Zeit Peters einen grundlegenden Wandel zu durchlaufen, der nicht nur das russländische Kernland, sondern auch die Peripherie im Süden des Reiches umfasste. In diesem Bereich siedelten die Kosaken unter anderem an Don und Dnepr. Am Don waren dabei die russischen Kosaken beheimatet und am Dnepr siedelten ukrainische Kosaken. Ziel dieser Arbeit ist es, die Auswirkungen der Petrinischen Reformen, besonders nach 1700 auf die Strukturen und Lebensweise der Kosaken zu untersuchen. Im Laufe des Großen Nordischen Krieges kam es zwei mal zu einem Aufbegehren gegen den Zaren. Kondratij Bulavin und Ivan Mazepa reagierten unterschiedlich auf die Reformen Peters, einmal mündete die Unzufriedenheit in einem Aufstand, und im anderen Falle kam es zu einem Überlaufen zu den Schweden, dem Hauptgegner Russlands. Neben der Untersuchung der Petrinischen Reformen soll daher auch die Frage geklärt werden, ob die Reformen Peters zu dem Verhalten Mazepas und Bulavins geführt haben.

Durch den Umfang der Arbeit kann die Untersuchung der Reformen Peters nur auf einige Teilbereiche beschränkt bleiben. Militär, Verwaltung und die schrittweise Durchdringung der Peripherie mittels zunehmender staatlicher Kontrolle sollen dabei im Mittelpunkt stehen. Nachdem wir die Reformen Peters untersucht haben werden, wollen wir uns den traditionellen kosakischen Lebensformen widmen, um zu klären, inwiefern die Reformen Peters Auswirkungen auf diese hatten. Anschließend sollen der Aufstand unter Bulavin und der "Verrat"[2] Mazepas genauer untersucht werden. Danach werden die beiden Kosakenführer verglichen und es erfolgt eine abschließende Beurteilung der Geschehnisse.

Als Untersuchungsmethode bietet sich der Vergleich an, denn beide Ereignisse spielten sich innerhalb der ersten Dekade des 18. Jahrhunderts ab und waren auch räumlich nicht weit voneinander getrennt. Der Vergleich bietet des Weiteren den Vorteil, Unterschiede und Gemeinsamkeiten zwischen Mazepa und Bulavin aufzeigen zu können.

Russische Eigennamen und Begriffe werden in dieser Arbeit nach der gängigen wissenschaftlichen Transliteration geschrieben, eine Ausnahme bildet das Literaturverzeichnis, in welchem die Schreibweise der jeweiligen Autoren verwendet wird. Ferner sind Namen und Begriffe, die es auch im Deutschen gibt, auf deutsch geschrieben. Daten und Zeitangaben sind zur Vereinheitlichung auf den gregorianischen Kalender umgerechnet worden.

Der Arbeit liegt einschlägige Literatur zu den Petrinischen Reformen, dem Auftsand unter Bulavin, und dem Überlaufen Mazepas zu Grunde. Die im Falle der Kosakenhetmane teilweise schon ältere Literatur gibt einen guten Überblick über den Verlauf der Geschehnisse, fragt aber weniger nach Ursachen und strukturellen Problemen, ein Lücke, die durch diese Arbeit teilweise gefüllt werden soll. Reichlich vorhanden ist hingegen neuere Literatur zu den Reformen Peters, auch wenn diese häufig nicht die Auswirkungen für einzelne Gebiete des Reiches, und hier ist besonders der südliche Teil des russländischen Reiches zu nennen, im Blick hat. Die Quellen sind im Falle Bulavins rar gesät und es mangelt an eigenen Aussagen, eine Situation, die sich im Falle Mazepas, von dem viele Briefe erhalten sind, etwas besser darstellt[3]. Auch zu den Petrinsichen Reformen sind genügend Quellen vorhanden, um Aussagen über deren Reichweite treffen zu können.

2. Die Reformen Peters des Großen

a) Das Militär

Im folgenden Abschnitt sollen Peters Militärreformen genauer untersucht werden, da diese für das Verständnis der Aufstände unter Bulavin und Mazepa eine große Rolle spielen. Unberücksichtigt wird dabei die beeindruckende Aufstellung einer russischen Marine bleiben müssen, da diese die Kosaken nur am Rande betraf. Der erste Abschnitt dieses Kapitels ist den Reformen Peters gewidmet, bevor deren Auswirkungen auf die Kosaken in einem zweiten Schritt genauer untersucht werden.

Peter war nicht der erste Zar, der sich an eine Reform des Militärwesens wagte. Schon sein Vater Aleksej I. wagte seit seiner Thronbesteigung 1645 den Versuch, das Militärwesen nach europäischem Vorbild auszurichten[4]. Peter führte dessen Reformbestrebungen konsequent fort. Zu Beginn seiner Regierungszeit verfügte das russische Heer über ungefähr 100.000 Mann[5]. Peters Bestrebungen ein schlagkräftiges Heer zu schaffen, müssen vor dem Hintergrund einer europäischen Entwicklung gesehen werden, die in westlichen Ländern viel früher einsetzte und die den Zaren zwang, wollte er im Ostseeraum mit Schweden konkurrieren können, seine Truppen nach europäischem Vorbild aufzustellen. In Europa war es das stehende Heer, welches die alten, oftmals unorganisierteren Söldnerregimenter ablößte[6]. Neue, moderne Berufsarmeen waren somit auch das Ziel des Zaren. Die "Revolution"[7] im russichen Militärwesen umfasste beinahe alle Truppenteile. Noch vor Ausbruch des Großen Nordischen Krieges löste Peter die bisherigen regulären Einheiten der russichen Armee, die Strelitzen (strjel’zy), auf[8]. Dies lag zum einen daran, dass diese nicht mehr dem neuesten Satnd entsprachen und zum anderen an deren Unzuverlässigkeit, sowie persönlichen Motiven Peters[9]. Die Militärreformen Peters waren "the most striking innovation of the reign"[10]. Die Veränderungen setzten sich allerdings nur langsam durch. Die russischen Truppen hatten eine "poor reputation in the west"[11] und waren im Vergleich zu westeuropäischen Heeren auf dem Stand von 1600[12]. Nachdem die Strelitzenregimenter beseitigt worden waren, begann Peter seine Reformen 1698 und kreirte ein Heer auf "conscript and volunteer basis"[13]. Einen Wendepunkt in Russlands Militärgeschichte markierte die Schlacht bei Narva im Jahre 1700, die für die zahlenmäßig stark überlegenen russichen Truppen eine katastrophale Niederlage gegenüber den Schweden mit sich brachte. In welch schlechtem Zustand sich die russischen Truppen um diese Zeit befanden zeigt ein Memorandum Ivan Posožkovs an den Bojaren Golovin von 1701, in welchem Kavallerie[14] und Infanterie[15] ein katastrophales Bild abgeben. Nach der Niederlage von Narva veränderte sich sowohl die Qualität, als auch die Quantität der russischen Truppen. 1704 waren die schwedischen Truppen den russischen zahlenmäßig noch leicht überlegen[16], aber bereits vier Jahre später war das russische Heer doppelt so groß wie das schwedische[17], was eine beeindruckende Leistung darstellte. 1703 existierten bereits 52 Infanterie- und 33 Kavalerieregimenter[18] und zwischen der Schlacht von Narva und der Schlacht bei Poltava, die uns im Zusammenhang mit Mazepa noch beschäftigen wird, kam es zu beinahe 140.000 Neueinschreibungen in die russische Armee[19]. Die Schlacht von Narva[20] zeigte Peter, dass auch die Qualität und Ausrüstung seiner Truppen verbessert werden mussten. Die Schaffung der Marine und die Verwendung schlagkräftiger Artillerie[21] standen ebenfalls auf Peters Agenda. Um diese modernen Einheiten zu unterstützen, wurde die vormoderne russische Industrie auf den Krieg eingestellt und sukzessive ausgebaut[22]. Peter konnte sich bei den Reformen auf einige Spezialisten aus dem Ausland verlassen, welche er nach Russland holte und denen er wichtige Posten anvertraute. Seine Reformen im militärischen Bereich blieben allerdings nicht ohne Widerstand. Besonders die russichen Adligen[23] befürchteten einen Bedeutungsverlust, waren sie doch bisher für die Aufstellung kleinerer Heeresgruppen verantwortlich. Peter konnte den Adel nicht ignorieren[24] und besetze hohe Posten in Militär und Militärverwaltung daher nicht nur mit Ausländern, sondern auch mit russischen Adligen. Insgesamt waren seine Reformen wenig populär[25], sollten sich aber bald als wirksam erweisen. Vergleicht man die Schilderungen Posožkovs mit denen des österreichischen Diplomaten Otto von Pleyer zehn Jahre später, so erkennt man, dass die russische Armee nun einen völlig anderen Charakter aufwies, als noch zu Beginn des Krieges. Die Artillerie war nun "well equipped"[26], es gab keinen Mangel an Ausrüstung mehr[27], und Peters Truppen hatten einen "amazing degree of proficiency"[28] erreicht. Diese Bewertung ist sicherlich im Lichte des Erfolges von Poltava zu sehen, sagt aber dennoch viel über das Empfinden der Zeitgenossen aus.

Die Ablehnung der Umgestaltung des russichen Militärwesens war besonders unter den Kosaken hoch. Im russischen Militär gab es seit langem Bestrebungen, die Kosaken in reguläre militärische Einheiten zu verwandeln[29]. Sicherlich geschah dies aus einem Sicherheits- und Effektivitätsdenken heraus, denn die eigenständigen Kosaken stellten nicht nur zu Zeiten Peters eine reale Bedrohung für die Zaren dar und unterstanden noch zu Beginn seiner Regentschaft nicht den regulären Truppen. Die Befürchtung der Kosaken, das Schicksal der Strelitzen zu teilen und in reguläre Einheiten umgewandelt zu werden[30] bestand also nicht ohne Grund. Ein Umwandlung der Kosaken in reguläre Einheiten hätte gleichzeitig den Verlust der Autonomie der Ukraine zur Folge gehabt, bemerkt der Ukraineexperte Subtel'nyj[31]. Unter den Kosaken war besonders die Befürchtung verbreitet, sich ausländischen Offizieren unterstellen zu müssen[32]. Peter selbst ging mit den Kosaken während des Krieges wenig zimperlich um. Kosakenregimenter wurden entgegen den Bestimmungen von Pereslavl', die Peters Vater Aleksej mit dem Hetman der Zaporoger Kosaken Bohdan Chmel'nyc'kyj getroffen hatte, überall eingesetzt und Kosaken mussten häufig als "Kanonenfutter" herhalten[33], während sie in diesem Krieg "ausschließlich für die Interessenn des Zaren"[34] kämpften und nicht für ihre eigenen. Als Peter 1705 deutsche und russische Offiziere zu den Donkosaken sandte, um diese besser überwachen zu können[35], schien die Entwicklung hin zu einem Konflikt zwischen Zar und Kosaken bereits deutlich erkennbar.

b) Die Verwaltung

Das russische Militär war nicht der einzige Bereich, der sich am Übergang vom 17. zum 18. Jahrhundert deutlich wandelte. Auch in der Verwaltung gab es unter Peter viele neue Elemente, die im folgenden Abschnitt genauer betrachtet werden sollen.

Peters Reformen in diesem Gebiet setzten bereits vor Ausbruch des Krieges mit Schweden ein. In den Kolomak-Artikeln von 1687, die das Verhältnis der Dneprkosaken zu Peter neu regelten, zeigte sich erstmals ansatzweise die neue Politik Peters. Artikel XII dieser Bestimmung verbot es den Kosaken selbstständig mit ausländischen Diplomaten zu verhandeln[36]. Grund für diese neuerliche Bestimmung war Peters Ablehnung der Pereslavl'-Artikel von 1654, die zwischen Aleksej und Bohdan Chmel'nyc'kyj geschlossen wurden, und der Ukraine ein hohes Maß an Selbstständigkeit gewährten[37].

Die folgenden Bestimmungen Peters wurden unter dem Eindruck und den Bedürfnissen des Großen Nordischen Krieges und dem Konflikt mit Schweden initiiert, hatten aber auch für die südliche Peripherie starke Auswirkungen.

Peters primäres Ziel war es, ein „secure institutional framework“[38] zu schaffen. Russland sollte neu gegliedert werden, um die einzelnen Teile des Landes besser unter die Kontrolle des Zaren zu bringen. Hierbei wurde die Zentralisierung der Macht auch auf die Ukraine übertragen[39]. Peter konnte sich bei den anstehenden Reformen auf lokale Eliten verlassen und hatte besonders die Stadtbevölkerung im Blick, denn er befürchtete sicherlich eine Wiederholung der Ereignisse des Razin-Aufstandes[40]. Die Kontrolle der Städte war unter Peter deutlich stärker spürbar, als noch vor seinem Regierungsantritt[41].

Ein für die russischen Kosaken wichtiger Punkt war die Besetzung von freiem Land am oberen Don gewesen. Dieses Privileg wurde per Edikt vom 28.2.1706 aufgehoben[42]. Dies lag sicherlich daran, dass aus dem Norden viele Bauern der Leibeigenschaft entflohen, sich am oberen Don niederließen und sich als Kosaken ausgaben[43].

Die wohl wichtigste Reform im Bereich der Verwaltung war Peters Einrichtung von Gubernias. Die im Dezember 1707 beschlossene Einrichtung dieser Gouvernements hatte mehrere Ziele. Zum einen sollte das Uezd- System abgeschafft werden, welches eine „divided authority“[44][45] zwischen dem Zaren und den Verwaltungsbeamten geschaffen hatte. Die Macht sollte durch die Reform stärker in die Hände des Staates gelangen. Die eingesetzten Gouverneure hatten wesentlich weitreichendere Befugnisse als die bisher in den Provinzen waltenden Vojevoden. Sie waren dem Zaren verpflichtet, ihr Amt war zeitlich nicht begrenzt und sie konnten ihre Untergebenen selbst bestimmen. Sie waren des Weiteren für die Steuereintreibung verantwortlich und besaßen einige militärische Kompetenzen[46]. Ferner zeichneten sie für die Rückführung von entflohenen Bauern verantwortlich[47]. Die Gubernias orientierten sich stark an den Bedürfnissen der russischen Peripherie, mit ihren teils unklaren Machtverhältnissen. So waren von den acht geschaffenen Gouvernements sieben an den Grenzen des russischen Reiches gelegen, lediglich das Moskauer Guberna lag im Herzen des Reiches[48]. Die Kosaken unmittelbar betreffend waren die Gouvernements von Azov und Kiev, die den Siedlungsraum der Don- und Dneprkosaken umfassten. Durch die Schaffung dieser Gouvernements wurde die traditionelle Verwaltungsstruktur der Kosaken beeinträchtigt[49]. Man sah sich nun einer stärkeren staatlichen Präsenz ausgesetzt. Diese Reformen, die Peter im Verwaltungsbereich anstrebte, hatten für den Zaren positive Folgen. Auch wenn die Gubernias noch häufig reformiert und angepasst werden sollten, so sorgten sie doch für eine größere Stabilität an der Peripherie des Reiches[50]. Für die Kosaken hingegen bedeutete diese neue Form staatlicher Präsenz eine Beschneidung ihrer Rechte und eine Verletzung ihrer durch den Vertrag von Pereslavl' zugesicherten Autonomie, die ihnen unter anderem eine eigenständige Verwaltung garantierte.

c) Die Durchdringung der südlichen Peripherie

Durch die oben beschriebenen Reformen in Militär und Verwaltung konnte auch der bis dato unkontrollierbare Süden des moskovitischen Reiches stärker in dessen Einflussbereich eingebunden werden. Die Durchdringung der südlichen Peripherie durch zunehmende staatlich-russische Präsenz ist eng an die Reformen Peters gekoppelt. Wie das Vorgehen des Zaren an der südlichen Peripherie, also im Siedlungsgebiet der Dnepr- und Donkosaken, genau aussah, soll Inhalt dieses Abschnittes sein.

Bemühungen, den Süden des Reiches besser zu kontrollieren, fanden schon unter Peters Vater Aleksej statt. Mit dem Ulozhenie[51] von 1649 wurde ein wichtiger Schritt in Richtung einer Kontrolle der Südgebiete gemacht, denn das Ulozhenie besagte, dass unfreie Bauern zeitlich unbegrenzt zu ihrem Grundherren zurückgeführt werden konnten, wenn sie die Flucht antraten[52] [53]. Die Kosaken, besonders am nördlichen Don, schöpften beinahe ihr gesamtes Humankapital aus den Flüchtigen der nördlicheren Gebiete[54]. Die neuerlichen Bestimmungen, auch wenn sie aufgrund des Widerstandes der Kosaken und der Weite der Steppe nicht mit aller Macht durchgesetzt werden konnten, waren ein wichtiges Element auch der petrinischen Eingliederungspolitik gegenüber dem Süden. Die Ulozhenie von Zar Aleksej blieb auch in die petrinische Zeit hinein bestehen. Peter selbst übernahm deren Verordnungen und ließ deren Bestimmungen deutlich strenger überwachen als sein Vater[55], führte allerdings auch selbst Reformen durch, die den Süden Russlands besser kontrollierbar machen sollten.

Die oben beschriebenen Reformen Peters in Militär und Verwaltung nach westeuropäischem Vorbild hatten sicherlich nicht nur das Ziel, Russland zu einer europäischen Großmacht werden zu lassen, sie dienten auch der Einbindung der Peripherie in den petrinischen Staatsapparat[56]. Bushkovitch geht in seiner Biographie Peters des Großen gar so weit zu behaupten, dass die Peripherie der Hauptgrund der Petrinischen Reformen war[57].

Die Reformen und deren Durchführung in den südlichen Gebieten wurden maßgeblich durch den Adel getragen[58], die die entflohenen Bauern der nördlichere Gebiete entweder zurückführen wollten, oder sie vor Ort in ein Leibeigenschaftsverhältnis zwangen. Peter bediente sich bei seiner Zentralisierungspolitik häufig der lokalen Eliten, indem er sie in den russischen Adelsstand überführte[59] und sich so ihre Gefolgschaft zu sichern versuchte.

Die Durchdringung der südlichen Peripherie wurde aber nicht nur durch politische Prozesse und das Einsetzten von Adligen als Verwalter erreicht, sondern auch durch militärische Erfolge. Mit der Eroberung der Festung von Azov und von Taganrog an der Mündung zum Azovschen Meer im Jahre 1696 gelang Peter ein wichtiger Erfolg gegen das Osmanische Reich und auch gegen dessen traditionellen Verbündeten, das Krim-Khanat. Durch den Friedensvertrag von Konstantinopel von 1700, der den russischen Besitz von Azov festschrieb[60], sah sich Peter im Süden nun keiner größeren Bedrohung mehr ausgesetzt. Dies hatte in zweierlei Hinsicht negative Folgen für die am Don lebenden Kosaken: Zum einen war ihnen nun der Zugang zum Azovschen Meer, und damit auch der Zugang zum Schwarzen Meer erschwert, der für die kosakischen Beutezüge wichtig war[61], und zum anderen zeigte sich nun eine starke russische Militärpräsenz in der Region, was dazu führte, dass die Notwendigkeit eines kosakischen Heeres potentiell gefährdet schien. Die Kosaken fungierten jahrzehntelang als Wächter über den Grenzraum zum Osmanischen Reich und schienen diese Rolle nun zu verlieren. Der Vetrag von Konstantinopel hatte darüber hinaus auch außenpolitische Folgen, denn Peter erklärte einen Tag nach dessen Unterzeichnung Schweden den Krieg. Die Präsenz russischer Truppen in kosakischem Siedlungsgebiet wurde bereits vor dem Russisch-Türkischen Krieg sukzessive ausgebaut, um die Ukraine besser unter Kontrolle zu bringen. Artikel 17 der Kolomak-Artikel von 1687 ordnete beispielsweise die Stationierung eines russischen Infanterie-Regiments in Baturin, der Residenzstadt Mazepas an[62].

Ein Thema, das uns auch noch im nächsten Abschnitt beschäftigen soll, ist das unterschiedliche Verständnis von Treue und Herrschaft Peters und der Kosaken. Peters zunehmendes Fußfassen im Süden zeigte, wie der Zar die Kosakenoberschicht, die Staršyna, sah und in welchem Verhältnis sie zu ihm stehen sollte. Das Vorgehen des Zaren gegen das Osmanische Reich war prinzipiell im Sinne der Donkosaken, die traditionell mit dem Krim-Khanat verfeindet waren. Allerdings erfolgte das Vorgehen nicht im Sinne einer gleichberechtigten Partnerschaft von Kosaken und stehenden russischen Truppen, sondern die Bedürfnisse der Kosaken blieben unbeachtet. Peter sah den Vertrag von Pereslavl' von 1654, den Aleksej mit Bohdan Chmel'nyc'kyj schloss und der die linksufrige Ukraine zu Russlands Verbündeten machte, nicht in dem gleichen Licht wie die Kosaken. Für Peter war der Hetman der Kosaken kein gleichberechtigter "Herrscher", sondern lediglich ein "priviliged executor of his own will"[63]. Diese Haltung Peters sollte sich im Verlauf des Nordischen Krieges noch häufiger zeigen und besonders im Falle Mazepas noch Folgen haben. Generell führten Peters Veränderungen in Militär und Verwaltung und seine Nicht-Berücksichtigung kosakischer Interessen zu einer immer stärkeren Eingliederung der Ukraine in den russischen Staatsapparat. Dies mündete in einem schrittweisen Verlust der Autonomie der Kosaken, deren Rechte seit dem Vertrag von Pereslavl' zunehmend geschwunden waren[64]. Wie einschneidend die Reformen Peters in Militär, Verwaltung und Peters Vorgehen an der südlichen Peripherie für die Kosaken war und wie sehr sie deren Lebensformen widersprachen, soll Thema des nächsten Abschnittes sein.

3. Kosakische Lebensformen und das kosakische Verständnis von Eigenständigkeit

Um die Auswirkungen der Petrinischen Reformen für das Leben der Kosaken, und auch für den Ausbruch des Bulavin-Aufstandes und des Überlaufens Mazepas zu Karl XII. verstehen zu können, ist es unerläßlich, die traditionellen Lebensformen der Kosaken und deren Verständnis von Souveränität genauer zu beschreiben.

Der Begriff "Kosak" leitet sich höchstwahrscheinlich aus dem kasachischen ab und bezeichnet einen "freien Krieger". Diese Bezeichnung sagt viel über die traditionelle Lebensweise der Kosaken aus, welche unter anderem durch Beutezüge ihren Lebensunterhalt bestritten. Die Entscheidung der Kosaken, wann gekämpft wurde und wem sie dienen wollten, waren traditionelle Elemente kosakischer Lebensweise[65]. Durch die Expansion des moskowitischen Reiches in ihren Siedlungsraum hinein sahen sich die Kosaken nun zunehmend mit der neuen aufstrebenden Macht in Osteuropa konfrontiert. Ursprünglich einte Kosaken und Moskoviter das gemeinsame Interesse der Eindämmung einer tatarischen Bedrohung und der Wille, die rechtsufrige Ukraine, die von Polen kontrolliert wurde, dem eigenen Einflußbereich einzuverleiben[66]. Das Vorrücken Moskaus brachte die Kosaken immer weiter in eine Abhängigkeit der Zaren, die ihnen zumindest teilweise ihr Auskommen durch regelmäßige Unterstützung sicherten. Im Gegenzug verpflichteten sich die Kosaken, dem Zaren als Wächter der Grenzräume zu dienen. Die unklaren Machtverhältnisse im Süden des Reiches, mit seinen potentiell gefährlichen Nomadenstämmen, Tataren und ausländischen Mächten wie dem Osmanischen Reich und Polen[67] machten die Kosaken zu einem idealen Verbündeten Moskaus, zumal diese ebenfalls orthodoxen Glaubens waren. Moskau verfügte über kein stehendes Heer und hätte die Aufgaben der Grenzsicherung niemandem sonst übertragen können[68]. Je weiter allerdings der Einfluß Moskaus in den südlichen Randgebieten wuchs, desto größer wurde der Interessenkonflikt zwischen den Moskovitern und den Kosaken. Für Peter waren die Kosaken, da keine regulären Einheiten, "troublesome"[69]. Mit dem Regierungsantritt Peters wandelte sich das Verhältnis der Kosaken zum Zaren somit auch grundlegend. Gerüchte, der Zar wolle die Kosaken in reguläre Regimenter umwandeln und Gerüchte, er wolle den Kosaken die Bärte abschneiden[70], traditioneller Ausdruck kosakischen Stolzes und kosakischer Eigenständigkeit, waren es auch, die in nicht unerheblichem Maße zum Verhalten Mazepas bzw. Bulavins beitrugen.

[...]


[1] Weber, Friedrich Christian: Das veränderte Rußland [1738], Hildesheim (u.a.) 1992, S. 2.

[2] Zum Begriff des "Verrates" siehe Kapitel 5.

[3] Dies ist sicherlich auch dem Umstand geschuldet, dass Bulavin Analphabet war, siehe Kapitel 4.

[4] Siehe zu den Militärreformen unter Peters Vorgängern: Stevens, Carol Belkin: Soldiers on the Steppe: Army Reform and Social Change in Early Modern Russia, DeKalb 1995.

[5] Diese verteilten sich wie folgt: 16.000 Adlige, 22.000 Strelitzen, 60.000 reguläre Soldaten und 30.000 Kavalaristen und Dragoner, Siehe: Hoffmann, Peter: Peter der Große als Militärreformer und Feldherr, Frankfurt am Main 2010, S. 25.

[6] Ebd. , S. 19.

[7] Frost spricht sich für diesen Begriff im Zusammenhang mit den Petrinischen Reformen aus, siehe: Frost, Robert: The Northern Wars; war, state and society in Northeastern Europe, 1558 – 1721, Harlow 2000, S. 310.

[8] Bushkivitch, Paul: Politics of Command in the Army of Peter the Great, in: Schimmelpenninck van der Oye, David: Reforming the Tsars Army: Military Innovation in Imperial Russia from Peter the Great to the Revolution, Washington 2004, S. 254.

[9] So musste Peter im alter von zehn Jahren mit ansehen, wie Strelitzen während des Moskauer Aufstandes 1682 seinen Onkel und andere hohe Würdenträger ermordeten, Siehe: Hoffmann, Peter: Peter der Große als Militärreformer und Feldherr, S. 29.

[10] Anderson, Matthew: Peter the Great, London 1978, S. 81.

[11] Hughes, Lindesy: Peter the Great: A Biography, New Haven (u.a.) 2002, S. 61.

[12] Cracraft, James: The Revolution of Peter the Great, Cambridge 2003, S. 33.

[13] Dukes, Paul: The Making of Russian Abslutism 1613-1801, London 1982, S. 71.

[14] "ill equiped", Posožkov, Ivan: Brief an Golovin von 1701, zitiert nach: Vernadsky, George: A Source Book on Russian History from Early Times to 1917, Band II, New Haven 1972, S. 326.

[15] Sie hatten"poor firearms and did not know how to use them", Ebd .

[16] Anisimov, Evgenij: The Reforms of Peter the Great: Progress through Coercion in Russia, New York 1993, S. 103.

[17] Ebd. S. 108f.

[18] Dukes, paul: The Making of Russian Absolutism, S. 71.

[19] Keep, John: Soldiers of the Tsar, Oxford 1985, Army and Society in Russia, 1462-1874, S. 106.

[20] Und 1708 die Schlacht von Holowszyn, Siehe: Ebd. , S. 109.

[21] Für Hughes war die Schaffung der rtillerie sogar der wictigste Punkt der Petrinischen Militärreformen, Siehe: Hughes, Lindsey: Peter the Great, S. 64.

[22] Besonders in Form eines Ausbaus von Eisenhütten und Schmelzanlagen, sowie eines Ausbaus der Waffenfertigungsmanufakturen, Siehe: Anderson, Matthew: Peter the Great, S. 81.

[23] Bushkovitch, Paul: Politics of Comand in the Army of Peter the Great, S. 271f.

[24] Ebd. , S. 271.

[25] Ebd. , S. 272.

[26] Otto Pleyer on Peter´s Army, 1710, in: Vernadsky, George: A Source Book on Russian History, S. 332.

[27] Ebd. , S. 333.

[28] Ebd. , S. 332.

[29] Hoffmann, Peter: Peter der Große als Militärreformer und Feldherr, S. 107. Zur Einschränkung muss gesagt werden, dass der Autor keine Angaben darüber macht, wie konkret diese Pläne aussahen.

[30] Hughes, Lindsey: Russia in the Age of Peter the Great, New Haven 1998, S. 35.

[31] Subtel'nyj, Orest: On the Eve of Poltava: The Letters of Ivan Mazepa to Adam Sieniawski, 1704-1708, New York 1975, S. 21.

[32] In diesem Punkt standen sie allerdings nicht alleine da, auch russischer Truppen wollten lieber einen Russen an ihrer Spitze wissen.

[33] Hughes, Lindsey: Russia in the Age of Peter the Great, S. 69.

[34] Neubert, Claudia: Nationsbildung in der Ukraine und die Figur Ivan Mazepas: Ein moderner Mythos zur Konstruktion kollektiver Identität? Berlin (u.a.) 2008, S. 37.

[35] Subtel'nyj, Orest: Die Zeit der Hetmane (17. u 18. Jahrhundert), in: Golczewski, Frank: Geschichte der Ukraine, Göttingen 1993, S. 106f.

[36] Zitiert nach: http://izbornyk.org.ua/coss4/mazk17.htm, letzter Zugriff: 01.03.2011.

[37] In Peters Augen waren diese Artikel ungenau und bedurften einer Überarbeitung, Siehe: Subtel'nyj, Orest: Mazepa, Peter I. and the Question of Treason, Harvard 1978, S. 172.

[38] Frost, Peter: The Northern Wars, S. 310.

[39] Hoffmann, Peter: Peter der Große als Militärreformer und Feldherr, S. 107.

[40] Unter Peters Vater Aleksej hatte es einen ernstzunehmenden Aufstand unter dem Donkosakenführer Stepan Razin gegeben, bei dem es zu einem massenhaftem Überlaufen von in den Garnisonsstädten stationierten Strelitzen und der Posad-Bevölkerung kam.

[41] Avrich, Paul: Russian Rebels, S. 158f.

[42] Ebd. , S. 148.

[43] Ein Umstand, der im Zuge des Bulavin-Aufstandes noch von Bedeutung sein wird.

[44] Russ: роснонахале.

[45] Bushkovitch, Paul: Peter the Great, S. 273.

[46] Ebd. , S. 273f.

[47] Dukes, Paul: The Making of Russian Absolutism, S. 74.

[48] Ebd.

[49] Menning, Bruce: G.A. Potemkin and A.I. Chernyshev, S. 281.

[50] Bushkovitch, Paul: Peter the Great, S. 280.

[51] russ. Соборное уложение.

[52] Stevens, Carol Belkin: Soldiers on the Steppe, S. 25.

[53] In Kapitel 11, Artikel 3 der Ulozhenie heißt es im Original "А кому доведутся беглыя крестьяне и бобыли по суду и по сыску отдать, и тех крестьян отдавати з женами и з детми и со всеми их животы, и с хлебом стоячим и с молоченым. ", zitiert nach: http://www.hrono.ru/dokum/1600dok/1649_11.php, letzter Aufruf: 28.2.2011.

[54] Siehe Kapitel 4.

[55] Summer, B.H.: Peter´s Accomplishments and their Historical Significance, in: Marc Raeff: Peter the Great Changes Russia, Lexington 1972, S. 190.

[56] Bushkovitch, Paul: Peter the Great, S. 275.

[57] Ebd., S. 277.

[58] Keep, John: Soldiers of the Tsar, S. 147.

[59] Bushkivitch, Paul: Politics of Command in the Army of Peter the Great, S. 281.

[60] Hughes, Lindsey: Peter the Great, S. 60.

[61] Krupnyc'kyj, Borys: Hetman Mazepa und seine Zeit, S. 141.

[62] Quelle: http://izbornyk.org.ua/coss4/mazk17.htm, letzter Zugriff: 01.03.2011.

[63] Anisimov, Evgenij: The Reforms of Peter the Great, S. 112.

[64] Subtel'nyj, Orest: On the Eve of Poltova, S. 21.

[65] Boeck, Brian: Imperial Boundaries: Cossack Communities and Empire-Building in the Age of Peter the Great, S. 180.

[66] Hughes, Lindsey: Russia in the Age of Peter the Great, S. 35.

[67] Hoffmann, Peter: Peter der große als Militärreformer und Feldherr, S. 18.

[68] Mit den Strelitzen verfügten die Moskoviter zwar über ein kleines stehedes Heer, aber die Strelitzen waren meist unzuverlässig, wie der Razin-Aufstand zeigte.

[69] Hughes, Lindsey: Russia in the Age of Peter the Great, S. 458.

[70] Hughes, Lindesy: Peter the Great, S. 77.

Details

Seiten
Jahr
2011
ISBN (eBook)
9783656196877
ISBN (Paperback)
9783656200048
DOI
10.3239/9783656196877
Dateigröße
597 KB
Sprache
Deutsch
Institution / Hochschule
Albert-Ludwigs-Universität Freiburg – Historisches Seminar
Erscheinungsdatum
2012 (Mai)
Note
1,7
Schlagworte
Peter der Große Petrinische Reformen Ivan Mazepa Kondrati Bulavin Kosaken Kosakenaufstände
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Titel: Die Petrinischen Reformen und ihre Auswirkungen auf das Verhalten der Kosaken Mazepa und Bulavin